Schlagwort-Archiv Arbeitsvertrag

VonRA Moegelin

Transparenzgebot bei Ausschluss von Ãœberstundenabgeltung

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manio1-Clock-14Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was „auf ihn zukommt“. Ob der vertragliche Ausschluss jeder zusätzlichen Vergütung von Mehrarbeit diesem Transparenzgebot genügte, lag dem BAG zur Entscheidung vor.

Der Kläger war als Lagerleiter zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.800,00 Euro bei der beklagten Spedition tätig. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden vereinbart. Bei betrieblichem Erfordernis sollte der Kläger ohne besondere Vergütung zu Mehrarbeit verpflichtet sein. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt der Kläger Vergütung für 968 geleistete Überstunden.

Im Arbeitsvertrag heißt es auszugsweise: „4. 3. Der Arbeitnehmer .. ist bei betrieblicher Erfordernis auch zur Mehrarbeit sowie Sonntags- und Feiertagsarbeit verpflichtet. 4. 4. Der Arbeitnehmer erhält für die Über- und Mehrarbeit keine weitergehende Vergütung. …“

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hinsichtlich der 968 Überstunden stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Bei Fehlen einer (wirksamen) Vergütungsregelung verpflichtet § 612 Abs. 1 BGB den Arbeitgeber, geleistete Mehrarbeit zusätzlich zu vergüten, wenn diese den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Eine entsprechende objektive Vergütungserwartung ist regelmäßig gegeben, wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt bezieht(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Februar 2012 – 5 AZR 765/10).

Die Beklagte schuldet dem Kläger nach § 612 Abs. 1 BGB Überstundenvergütung. Angesichts der Höhe des vereinbarten Bruttoentgelts war die Leistung von Überstunden nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten. Der vertragliche Ausschluss jeder zusätzlichen Vergütung von Mehrarbeit war wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Der Arbeitsvertrag lässt aus der Sicht eines verständigen Arbeitnehmers nicht erkennen, welche Arbeitsleistung der Kläger für das regelmäßige Bruttoentgelt schuldete. Er konnte bei Vertragsschluss nicht absehen, was auf ihn zukommen würde.

Die Parteien haben zwar in Tz. 4. 4. des Arbeitsvertrags bestimmt, dass der Kläger für Über- und Mehrarbeit keine gesonderte Vergütung erhalte. Diese Regelung ist jedoch nach Ansicht des BAG nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie nicht klar und verständlich ist, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Rechtsprechung hält eine die pauschale Vergütung von Ãœberstunden regelnde Klausel nur dann für klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss.

Das BAG führt wie folgt aus: Die Klausel Tz. 4. 4. soll Arbeitsstunden erfassen, die die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden überschreiten. Dabei sind bereits die Voraussetzungen, unter denen Ãœberstunden zu leisten sein sollen, nur vage umschrieben. Tz. 4. 3. des Arbeitsvertrags nennt als Bedingung „bei betrieblicher Erfordernis“, ohne diese näher zu konkretisieren. Ãœberhaupt nicht ist der mögliche Umfang der geschuldeten Ãœber- und Mehrarbeit geregelt. Damit ist die vom Kläger ohne eine weitere Vergütung zu leistende Arbeit weder bestimmt noch bestimmbar. Insbesondere lässt sich weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Ãœbrigen eine Begrenzung auf die gemäß § 3 ArbZG zulässige Höchstarbeitszeit entnehmen. Die Verwendung des Begriffspaares „Ãœber- und Mehrarbeit“ in Tz. 4. 4. des Arbeitsvertrags deutet im Gegenteil darauf hin, dass auch eine Ãœberschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von der Klausel erfasst sein soll.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 22. Februar 2012 – 5 AZR 765/10

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VonRA Moegelin

Billiges Ermessen bei der Versetzung des Arbeitnehmers

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sad-face-wavingDie Wirksamkeit einer Versetzung des Arbeitnehmers hat ihre gesetzliche Grundlage in § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB. Demgemäß kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit keine ausdrückliche Festlegung, z.B. durch Arbeitsvertrag, vorliegt.

Eine Angestellte im Sächsischen Landesjugendamt die zuständig ist für die Erteilung von Betriebserlaubnissen für Kindertagesstätten ist der Meinung, dass ihr Arbeitgeber, der später von ihr verklagte Freistaat Sachsen, ihr gegenüber eine unwirksame Versetzung erteilt hat.

Ihre Stelle ist im Sächsischen Landesjugendamt angesiedelt. Im Einstellungsschreiben vom 10. Mai 1993 wurde der Klägerin ein Arbeitsplatz in der Zweigstelle D zugewiesen. Sie betreute bis zum 31. Juli 2008 den N-Kreis, den Kreis Bautzen und 1/3 des Stadtgebiets der Stadt D. Seit dem 1. August 2008 ist die Klägerin für den neuen Kreis B und weiterhin für einen Teil der Stadt D zuständig. Im Durchschnitt an einem Arbeitstag pro Woche prüft sie die Einrichtungen vor Ort.

Nachdem das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales, dem die Zweigstelle D des Sächsischen Landesjugendamts zugeordnet war, aufgelöst wurde, beschloss das nunmehr zuständige Sächsische Staatsministerium für Soziales, die Verwaltung des Sächsischen Landesjugendamts in C zu konzentrieren und die Zweigstellen in D und L aufzulösen.

Demgemäß wurde die Klägerin an das Sächsische Landesjugendamt mit Dienstsitz in C versetzt. Der einfache Arbeitsweg von der Wohnung der Klägerin in D zur Arbeitsstelle in C nimmt bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zwischen 1 Stunde 45 Minuten und 2 Stunden 12 Minuten in Anspruch. Ortstermine kann die Klägerin nach wie vor von D aus wahrnehmen.

Die Vorinstanzen haben der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft regelmäßig aber keinen Vertrauenstatbestand, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht keinen Gebrauch mehr machen will. Die Nichtausübung des Direktionsrechts hat keinen Erklärungswert. Nur beim Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, kann es durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2011 – 10 AZR 202/10).

Der Arbeitsort D ist vertraglich nicht festgelegt worden und habe sich auch nicht dadurch auf D konkretisiert, dass die Klägerin seit ihrer Einstellung bis zur Versetzung nach C über 15 Jahre dort tätig gewesen ist. Eine den Arbeitsvertrag abändernde Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Ein Vertrauenstatbestand hinsichtlich einer Konkretisierung der Arbeitspflicht auf den Arbeitsort D ist nach Ansicht des BAG nicht bewirkt worden. Eine Versetzung ist demnach möglich, hat aber ermessensfehlerfrei zu erfolgen.

Nach § 140 Abs. 4 Satz 1 SGB III (vormals § 121 Abs. 4 Satz 1 SGB III) ist einem Arbeitslosen aus personenbezogenen Gründen eine Beschäftigung nicht zumutbar, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte im Vergleich zur Arbeitszeit unverhältnismäßig lang sind. Als unverhältnismäßig lang sind nach § 140 Abs. 4 Satz 2 SGB III im Regelfall Pendelzeiten von insgesamt mehr als zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden und weniger anzusehen.

Entgegen der Auffasung des LAG hält das BAG die in § 140 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 SGB III enthaltenen Wertungen auf die Ausübung billigen Ermessens nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht für übertragbar. Die wechselseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien setzen eine individuelle Abwägung aller betroffenen Interessen voraus und schließe eine starre Anwendung sozialrechtlicher Zumutbarkeitsregeln aus. Unter dieser Maßgabe hat das LAG neu zu entscheiden und unter anderem festzustellen, ob es zum Zeitpunkt der Versetzung für die Klägerin alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in D gab.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 17. August 2011 – 10 AZR 202/10

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VonRA Moegelin

Rechtsweg für Klagen von Arbeitnehmer-Gesellschaftern

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check-list2Der Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft kann nur dann seine Ansprüche vor dem Arbeitsgericht geltend machen, wenn ein (arbeits-)rechtlicher Zusammenhang besteht.

Ein Vertriebsingenieur der auch zugleich Kommanditist einer KG war, verlangte die Zahlung einer Abfindung für Gesellschaftsanteile nach Austritt aus einer Kommanditgesellschaft sowie restliche Einlagen für den Kommanditanteil.

Zur Abfindung vereinbarten die Parteien wie folgt im Protokoll der Gesellschafterversammlung: „S scheidet nun auf eigenen Wunsch …als Gesellschafter … aus. Nach Rücksprache mit dem mit der juristischen Abwicklung und Eintragung im Handelsregister beauftragten RA Dr. St tritt damit die im Gesellschaftervertrag § 17, 1 a/b beschriebene Abfindungsregelung für den von S gezeichneten (und bis zum Zeitpunkt der Kündigung unveränderten) Kommanditanteil von 32.000,00 Euro in Kraft.  Demgemäß stehen S folgende Zahlungen zu: Auszahlung voller Buchwert seines Kommanditanteils…“

Die beklagte KG erteilte dem Kläger eine Berechnung der wechselseitigen Forderungen aus dem Gesellschaftsvertrag, der zufolge ihr noch 275.085,09 Euro zustehen, während der Kläger – ebenfalls aus den gesellschaftsvertraglichen Regeln – zu seinen Gunsten eine offene Forderung von 45.217,94 Euro errechnet.

Der Kläger hat beim Arbeitsgericht Klage erhoben auf Zahlung von 45.217,94 Euro nebst Feststellung, dass er aus dem mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnis sowie aus seiner ehemaligen Stellung als Gesellschafter keine Zahlungen schuldet. Die Beklagte hat die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte gerügt. Es handele sich nicht um eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis, sondern allein aus der gesellschaftsrechtlichen Verbindung der Parteien. Ein rechtlicher oder unmittelbar wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis bestehe nicht.

Das BAG hat sich der Ansicht der Beklagten angeschlossen. Maßgeblich ist, ob die arbeitsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Ansprüche einem gemeinsamen Lebenssachverhalt entspringen, indem die prägenden Umständen des Gesellschaftsverhältnisses (Gewinn und Verlust, Einlagepflicht, Abfindung) abhängig sind von Arbeitsleistung und Vergütung gemäß Arbeitsvertrag. Wenn daher die beiden Rechtsverhältnisse voneinander weitgehend unabhängige Zwecke verfolgten und für sich wirtschaftlich funktionsfähig bleiben, fehlt es am unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang (BAG, Beschluss vom 16. April 2014 – 10 AZB 12/14).

Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen den wechselseitig erhobenen Ansprüchen und dem Arbeitsverhältnis besteht nach Ansicht des BAG nicht. Die Parteien leiten ihre Zahlungsbegehren ebenso wie die erhobenen Einwendungen aus dem Gesellschaftsvertrag ab der rechtlich und wirtschaftlich nicht mit dem Arbeitsvertrag verknüpft ist. Mangels Zuständigkeit des Arbeitsgerichts war die Sache daher an das Zivilgericht zu verweisen.

Volltext des Beschluss des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Beschluss vom 16. April 2014 – 10 AZB 12/141

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VonRA Moegelin

Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit beim GmbH-Geschäftsführer in der Insolvenz

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Vulture_Die Arbeitsgerichte sind nur in Ausnahmefällen bei Rechtsstreitigkeiten des GmbH-Geschäftsführers zuständig. Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person (z.B. GmbH) und dem Mitglied des Vertretungsorgans (GmbH-Geschäftsführer) wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung nach der Rechtsprechung die ordentlichen Gerichte berufen.

Das BAG hat klargestellt, dass sich an der Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte nichts ändert, wenn zwischen den Prozessparteien streitig ist, wie das Anstellungsverhältnis zu qualifizieren ist  oder sogar wenn objektiv feststeht, dass das Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist.

Eine Ausnahme besteht nach der Rechtsprechung, wenn und soweit der Rechtsstreit nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis betrifft, sondern eine weitere Rechtsbeziehung besteht, z.B. wenn der Organvertreter Rechte auch mit der Begründung geltend macht, nach der Abberufung als Geschäftsführer habe sich das nicht gekündigte Anstellungsverhältnis – wieder – in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt (BAG, Beschluss vom 4. Februar 2013 – 10 AZB 78/12).

Das gleiche gilt für Ansprüche aus einem auch während der Zeit als Geschäftsführer nicht aufgehobenen Arbeitsverhältnis, die nach Abberufung als Organmitglied geltend macht werden. Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert an der organschaftlichen Stellung des GmbH-Geschäftsführers nichts, da nach dem BAG die Organstellung des Organs einer juristischen Person durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt bleibt

Volltext der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:  BAG, Beschluss vom 4. Februar 2013 – 10 AZB 78/121

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VonRA Moegelin

Falsche Beantwortung der Frage nach einer Schwerbehinderung

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LibertyBudget_com-Install-Computer-Software-CDDie Wirksamkeit der Anfechtung und der außerordentlichen Kündigung eines Sofwareunternehmens wegen der Falschbeantwortung einer Arbeitnehmerin zur Frage der Schwerbehinderung lagen dem BAG zur Entscheidung vor. Zudem ging es um den Anspruch auf Entschädigung nach AGG wegen des angeblich diskriminierenden Charakters der Kündigung.

Vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags hatte der beklagte Arbeitgeber, ein Softwareunternehmen, der Klägerin einen Personalfragebogen vorgelegt. Die Frage, ob sie anerkannte Schwerbehinderte oder Gleichgestellte sei, hatte die Klägerin verneint. Die Klägerin war aber tatsächlich als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Nach Abschluss des Vertrages informierte die Klägerin die Beklagte von der Schwerbehinderung. Daraufhin erklärte die Beklagte die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Zudem kündigte die Beklagte wenig später das Arbeitsverhältnis nach Zustimmung des Integrationsamts mit außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

Das beklagte Softwareunternehmen hat in allen Instanzen verloren, soweit es um die Anfechtung und Kündigung ging. Ihrerseits unterlag auch die Klägerin in allen Instanzen hinsichtlich ihres Zahlungsanspruchs. Die Revisionen hatten daher keinen Erfolg.

Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Das setzt voraus, dass die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrags ursächlich war. Wirkt sich die Täuschung im Arbeitsverhältnis weiterhin aus, kann zudem eine Kündigung gerechtfertigt sein (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 AZR 396/10).

Auf dieser Grundlage hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Anfechtung und Kündigung des Arbeitsvertrags der Klägerin unwirksam sind. Die Klägerin hatte bei der Einstellung die Frage nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung unbestritten unzutreffend verneint.

Es bedurte keiner Entscheidung darüber, ob sich der Arbeitgeber nach einer Schwerbehinderung auch dann erkundigen darf, wenn die Behinderung für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit  – wie hier – ohne Bedeutung ist. Denn die Täuschung hielt das BAG  jedoch nicht ursächlich für den Abschluss des Arbeitsvertrags. Die Beklagte habe ausdrücklich erklärt, sie hätte die Klägerin auch dann eingestellt, wenn diese die Frage wahrheitsgemäß beantwortet hätte. Damit war der durch die Täuschung erregte Irrtum für den Abschluss des Arbeitsvertrags auf Seiten der Beklagten nicht ursächlich gewesen.

Die Beklagte vermochte Anfechtung und Kündigung auch nicht darauf zu stützen, dass die Klägerin sie zugleich über ihre Ehrlichkeit getäuscht habe. Die Annahme der Beklagten, die Klägerin sei ehrlich, beruhte nicht auf deren falscher Antwort. Auf die Frage, ob sich der Arbeitgeber vor der Einstellung nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung erkundigen darf, kam es nicht an.

Die Klägerin ihrerseits hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung. Es gab keine ausreichenden Indiztatsachen dafür, dass sie von der Beklagten wegen ihrer Behinderung benachteiligt wurde. Das BAG hat nicht entschieden, ob § 15 AGG bei unzulässig diskriminierenden Kündigungen überhaupt anwendbar ist.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 AZR 396/10

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VonRA Moegelin

Sprungrevision zum BAG zur Frage der Wirksamkeit einer Spannensicherungsklausel

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jumpingtigerIn dem hier einschlägigen -seltenen Fall- einer Sprungrevision hatte das BAG über die Wirksamkeit einer qualifizierten tariflichen Differenzierungsklausel („Spannensicherungsklausel“) zu entscheiden.

Im Jahre 2008 hatten die Parteien des Rechtsstreits, ein Unternehmen der Hafen-Logistik und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, einen Tarifvertrag über eine Erholungsbeihilfe von jährlich 260,- Euro geschlossen. Nach dessen Ziff. I sollte diese Erholungsbeihilfe an Mitglieder von ver.di gezahlt werden. Nach Ziff. V des Tarifvertrages sollten die ver.di-Mitglieder im Falle einer Zahlung von „entsprechenden oder sonstigen Leistungen“ des Arbeitgebers an Nichtgewerkschaftsmitglieder unmittelbar einen gleichhohen, zusätzlichen Anspruch erhalten. Der Arbeitgeber hat auf Feststellung der Unwirksamkeit sowohl der einfachen Differenzierungsklausel in Ziff. I des Tarifvertrages als auch der Spannensicherungsklausel in Ziff. V des Tarifvertrages Klage erhoben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Sprungrevision gegen sein Urteil zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht hat der Sprungrevision teilweise stattgegeben.

Die Sprungrevision ist gemäß § 76 Abs. 2 ArbGG nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und Rechtsstreitigkeiten betrifft zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen, über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Landesarbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt.

Die Sprungrevision ist vom Arbeitsgericht auf Antrag der Klägerin im Urteil gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG  zugelassen worden. Die Klägerin hat den Antrag in der mündlichen Kammerverhandlung gestellt. In dem am gleichen Tage verkündeten Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg wurde die Sprungrevision im Tenor zugelassen. Die nach § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforderliche Zustimmung des Gegners zur Sprungrevision ist erteilt worden. Das BAG erkannte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und dass es Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen betrifft.

Eine tarifvertragliche Klausel, in der eine Sonderleistung für Arbeitnehmer vereinbart ist, die Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft sind („einfache Differenzierungsklausel“), verstößt nach der Rechtsprechung nicht gegen höherrangiges Recht und ist wirksam.

Wird die Exklusivität dieses Anspruchs für Gewerkschaftsmitglieder tariflich durch eine sogenannte Spannensicherungsklausel oder Abstandsklausel abgesichert, wonach etwaige Kompensationsleistungen des Arbeitgebers an nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer jeweils zwingend und unmittelbar einen entsprechenden – zusätzlichen – Zahlungsanspruch auch für Gewerkschaftsmitglieder begründen, so dass der „Vorsprung“ der Gewerkschaftsmitglieder nicht ausgleichbar ist, überschreitet diese Klausel die Tarifmacht der Koalitionen und ist unwirksam (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. März 2011 – 4 AZR 366/09).

Anders als das Arbeitsgericht, das die Klage vollständig abgewiesen hatte, hat das BAG der Klage teilweise stattgegeben. Zwar sei die in Ziff. I des Tarifvertrages geregelte einfache Differenzierungsklausel wirksam. Der Tarifvertrag darf jedoch nicht, wie in Ziff. V vorgesehen, dem Arbeitgeber die arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeit nehmen, die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer mit den Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Der Tarifvertrag darf nur den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zwingend und unmittelbar regeln, die der Tarifmacht der Koalitionen unterworfen sind. Hierzu gehören die Arbeitsverhältnisse der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer nicht.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 23. März 2011 – 4 AZR 366/09

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