Monatsarchiv 26. Februar 2021

VonRA Moegelin

Kündigung wegen Einsperren auf der Toilette

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Das Arbeitsgericht Siegburg hat mit Urteil vom 24.02.2021 entschieden, dass ein fristloser Kündigungsgrund vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer einen Kollegen auf der Toilette einsperrt.

Schließt ein Arbeitnehmer seinen Kollegen vorsätzlich in der Toilette ein, so dass dieser sich nur durch das Eintreten der Toilettentür befreien kann, begeht er dadurch eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber ist dann gerechtfertigt.

Der Kläger war bei der Beklagten seit über einem Jahr als Lagerist beschäftigt. Mit seinem Kollegen im Lager geriet er öfters in Streit. Während der Kollege des Klägers sich auf der Toilette befand, schob der Kläger heimlich (?) unter der Toilettentür ein Papierblatt hindurch, stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss, so dass dieser auf das Papierblatt fiel, und zog ihn damit heraus. Der Kläger ließ seinen Kollegen so lange auf der Toilette eingesperrt, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten. Der Kläger erhielt am 18.06.2020 deswegen eine fristlose Kündigung. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Mit Urteil vom 11.02.2021 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Auffassung der Kammer darin, dass der Kläger seinen Kollegen auf der Toilette einschloss, indem er ihm durch einen alten Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch habe der Kläger seinen Kollegen zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette beraubt. Dies stelle eine ganz erhebliche Pflichtverletzung dar. Zudem sei durch das Verhalten des Klägers die Toilettentür, also das Eigentum der Beklagten beschädigt worden. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber ebenfalls nicht zuzumuten.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Arbeitsgericht Siegburg – Aktenzeichen 5 Ca 1397/20 vom 11.02.2021.

Die Entscheidung kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE www.nrwe.de unter Eingabe des Aktenzeichens (5 Ca 1397/20) aufgerufen werden.

Dr. Dorothea Roebers
Pressedezernentin des Arbeitsgerichts Siegburg

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VonRA Moegelin

Kündigung eines Arbeitnehmers wegen verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit

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Die verhaltensbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers im Lagerversand wegen verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung späteren Verhaltens ist wirksam.

Die schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs 1 Satz 1 EFZG ergebenden (Neben-)Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs 2 Satz 1 KSchG darstellen. Es gibt kein Mindestmaß an Abmahnungen, bevor ein Arbeitgeber eine sozial gerechtfertigte Kündigung aussprechen kann. Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. (Leitsätze)

Volltext des Urteils des LAG Baden-Württemberg vom 25.11.2020 – 10 Sa 52/18:

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm – Kammern Ravensburg – vom 18. Oktober 2018 – 8 Ca 355/17 – abgeändert:

Die Klage wird vollen Umfangs abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.
2

Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt 45 Jahre alt, ledig und wurde bei der Beklagten seit Oktober 2007 im Lagerversand eingesetzt. Dort war er mit der Kommissionierung der ca. 40.000 Ersatzteile beschäftigt. Er arbeitete von Montag bis Freitag. Seit Juli 2016 war er überwiegend durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Davor verdiente er zuletzt 3.300,00 Euro brutto durchschnittlich.
3

In der Betriebsordnung der Beklagten heißt es auszugsweise:
4

„10.2 Erkrankung/Arbeitsausfall/Arbeitsverhinderung
5

Können Sie wegen Erkrankung oder aus einem anderen unvorhergesehenen Grund die Arbeit nicht aufnehmen, verständigen Sie bitte unverzüglich – am ersten Arbeitstag zum Beispiel telefonisch mit Angabe der Gründe und der voraussichtlichen Dauer – Ihren Vorgesetzten. Die Meldung an die Krankenkasse gilt nicht als Entschuldigung. …“
6

In einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 9. November 2016 wies die Beklagte auf seine Mitteilungspflicht im Krankheitsfall hin (vgl. im Einzelnen Anlage B3, Bl. 53 ff. der erstinstanzlichen Akte). Der Kläger hat bestritten, das Schreiben erhalten zu haben.
7

Nach einer Betriebsvereinbarung vom 2. November 2016 – nachfolgend: BV 35/2016 – waren für verschiedene Bereiche am Standort F. die Tage vom 27. bis 30. Dezember 2016 als Betriebsschließung vereinbart. Ausgenommen waren u.a. die zum Bereitschaftsdienst eingeteilten Beschäftigten des Kundendienstes. Der Kläger war bis Freitag, den 16. Dezember 2016, arbeitsunfähig krankgeschrieben. Vom 19. bis 23. Dezember 2016 war ihm Urlaub gewährt worden. Ab dem 27. Dezember 2016 fehlte der Kläger. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 11. Januar 2017 ab, weil er vom 27. bis zum 30. Dezember 2016 ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienen sei, und mit Schreiben vom 10. und 15. März 2017, weil er seine Anzeigepflichten im Krankheitsfall verletzt habe. Die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 22. Februar 2017 bzw. 8. März 2017 hätten dem Vorgesetzten nicht rechtzeitig vorgelegen.
8

Eine am Montag, dem 7. August 2017, um 11:08 Uhr an der Pforte abgegebene Bescheinigung über eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers über den 4. August 2017 hinaus erreichte seinen Vorgesetzten erst am 8. August 2017 nach Beginn der Kernarbeitszeit um9.15 Uhr. Daraufhin hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers am 23. August 2017 an. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 24. August 2017. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 31. August 2017, dem Kläger am selben Tag zugegangen, zum 31. Dezember 2017.
9

Dagegen hat der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die ihm ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe die Beklagte stets rechtzeitig erhalten. Immer wenn er Krankmeldungen ausgestellt bekommen habe, habe er diese auch entweder abgegeben oder durch einen Kollegen rechtzeitig abgeben lassen. Er habe zudem immer rechtzeitig vorher versucht anzurufen. Er erinnere sich daran, dass das Telefon manchmal nicht abgenommen worden sei. Im Zeitraum vom 27. bis zum 30. Dezember 2016 habe er nicht unentschuldigt gefehlt. Er sei sich nicht sicher, ob er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diese drei Tage vorgelegt habe. Er sei aber durchgehend seit Anfang Dezember 2016 wegen seiner Bandscheibe arbeitsunfähig gewesen. Sein Arzt habe in dieser Zeit bereits Weihnachtsurlaub gehabt. Er habe für den Zeitraum 27. Dezember 2016 bis 30. Dezember 2016 keinen Ersatzarzt gefunden. Er habe aber ausreichend Resturlaub gehabt, den er bis 31. Dezember 2016 habe nehmen müssen. Die Beklagte habe diese Tage rückwirkend als Urlaub genehmigt und auch bezahlt.
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Der Kläger hat – soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung – beantragt:
11

Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 31. August 2017, zugegangen am 31. August 2017 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 2017 unverändert fortbesteht.
12

Die Beklagte hat beantragt,
13

die Klage abzuweisen.
14

Sie ist der Auffassung, die Kündigung vom 31. August 2017 sei gerechtfertigt. Die Abmahnung vom 10. März 2017 sei rechtswirksam. Die am 22. Februar 2017 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit einem voraussichtlich letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit am 26. Februar 2017 sei vom Kläger erst am 1. März 2017 um 9:57 Uhr an der Pforte/Tor 6 abgegeben worden. Der Vorgesetzte des Klägers habe von der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit erst nach Weiterleitung der Bescheinigung durch einen Mitarbeiter der Pforte im Laufe des 1. März 2017 erfahren. Auch die Abmahnung vom 15. März 2017 sei nicht zu beanstanden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 8. März 2017 über eine über diesen Tag hinaus fortbestehende Arbeitsunfähigkeit sei vom Kläger am 8. März 2017 um 16:28 Uhr an der Pforte/Tor 6 abgegeben worden. Der Vorgesetzte habe Kenntnis über die Fortdauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erst im Laufe des 9. März 2017, jedenfalls nach 9:15 Uhr, mit der Hauspost erhalten.
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Mit Urteil vom 18. Oktober 2018 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die hiergegen von der Beklagten frist- und formgerecht eingelegte Berufung blieb erfolglos (Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2019). Im Rahmen der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision ist das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden.
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Die Beklagte trägt im Berufungsverfahren vor, bei den Pflichtenverstößen könne nicht mehr von einem geringen Verschulden die Rede sein. Ohne nähere Begründung habe das Arbeitsgericht eine beharrliche Pflichtverletzung durch den Kläger verneint und vielmehr nur „unbedachte und nachlässige Handlungen“ angenommen. Das Schreiben vom 9. November 2016 sei von einer Mitarbeiterin der Personalabteilung zur Post gegeben worden. In der Abmahnung vom 10. März 2017 sei hierauf Bezug genommen worden. Der Kläger habe niemals darauf hingewiesen, dass er es nicht erhalten habe. Nach Ausspruch der Abmahnungen im März 2017 habe der Kläger weiterhin nicht immer rechtzeitig das Fortbestehen seiner Arbeitsunfähigkeit angezeigt. Selbst nach Ausspruch der Kündigung habe er dieses Verhalten fortgesetzt (vgl. im Einzelnen die Tabelle im Schriftsatz vom 19. August 2020 auf S. 3, Bl. 113 der Berufungsakte). Die Interessenabwägung sei fehlerhaft, weil die Interessen der Beklagten nicht bzw. nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Das Fehlen von Betriebsablaufstörungen falle nicht zugunsten des Klägers ins Gewicht, sondern belaste ihn nur nicht.
17

Die Beklagte beantragt:
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm – Kn. Ravensburg – vom 18. Oktober 2018 wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
19

Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
21

Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe die Kündigung zurecht als unverhältnismäßig gewertet, weil sein Verschulden gering sei, keine beharrliche Pflichtenverletzung anzunehmen sei und keine wesentlichen betrieblichen Ablaufstörungen vorgetragen worden seien. Aufgrund der BV 35/2016 sei der Betrieb ab 27. Dezember 2016 Zeit geschlossen gewesen und er sei davon ausgegangen, dass diese Zeiträume als „Betriebsurlaub“ eingetragen würden. Die Beklagte habe dies die ganzen Jahre verschwiegen. Aus der Entgeltabrechnung werde ein Abzug für die Zeit vom 27. bis 30. Dezember 2016 nicht ersichtlich.
22

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
23

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Auf I. des Urteils vom 8. Mai 2019 wird Bezug genommen.
II.
24

Die Berufung ist auch begründet. Die Kündigung ist durch Gründe im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Der Kläger hat seine Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit schuldhaft mehrfach trotz vorangehender Abmahnungen verletzt. Die Umstände des Einzelfalls berechtigten die Beklagte, auf Grund des erneuten Verstoßes nach dem 4. August 2017 die ordentliche Kündigung auszusprechen.
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1. Zu den Anforderungen an eine verhaltensbedingte Kündigung i.R.d. Kündigungsschutzgesetzes bei Verletzung der Anzeigepflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG wird auf das im vorliegenden Verfahren ergangene Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Mai 2020 – 2 AZR 619/19 – Rn. 16 ff. Bezug genommen.
26

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen steht für das Berufungsgericht fest, dass die Abmahnungen vom 10. und 15. März 2017 wirksam gewesen sind (nachfolgend a), der Kläger erneut nach dem 4. August 2017 seine Arbeitsunfähigkeit schuldhaft nicht rechtzeitig angezeigt hat (nachfolgend b) und der Kläger keine Interessen aufzuweisen hat, die das Beendigungsinteresse der Beklagten überwögen (nachfolgend c).
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a) Jedenfalls die Abmahnungen vom 10. und 15. März 2017 sind wirksam.
28

aa) Die Abmahnung vom 10. März 2017 ist wirksam. Die vorangehende Arbeitsunfähigkeit war bis zum 26. Februar 2017, einem Sonntag, bescheinigt. Der Kläger hätte seine Arbeitsleistung am Montag, den 27. Februar 2017, wieder erbringen müssen. Die Folgebescheinigung unter dem Datum des 22. Februar 2017 (!) hat der Kläger am 1. März 2017 um 9.57 Uhr nach Beginn der Kernarbeitszeit um9.15 Uhr an der Pforte abgegeben. Seinen Vorgesetzten hat der Kläger nicht anderweitig informiert.
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(1) Diesen Tatsachenvortrag der Beklagten hat der Kläger nicht ausreichend bestritten. Der Vortrag der Beklagten war ausreichend substantiiert, um die Erwiderungslast des Klägers gemäß § 138 Abs. 2 ZPO auszulösen. Der Kläger hat das Vorbringen der Beklagten nicht in nach § 138 Abs. 3 ZPO erheblicher Weise bestritten. Der Kläger hat hierzu nur vorgetragen, er habe immer Krankmeldungen abgegeben oder durch einen Kollegen rechtzeitig abgeben lassen. Dieser Vortrag betrifft die Nachweispflicht des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG und ist für die Frage der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG daher grundsätzlich nicht von Bedeutung – es sei denn, mit der Erfüllung der Nachweispflicht wird auch das Tatbestandsmerkmal der „Unverzüglichkeit“ i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gewahrt. Dafür ist nichts ersichtlich. Zur kündigungsbegründenden Anzeigepflicht hat der Kläger vorgetragen, er habe immer rechtzeitig vorher versucht anzurufen. Manchmal sei das Telefon nicht abgenommen worden. Dieser Vortrag genügt der Darlegungslast des Klägers nicht. Die Beklagte hat vorgetragen, dass der Kläger seine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit gar nicht i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG angezeigt, sondern nur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG vorgelegt hat. Wenn der Kläger behaupten will, er habe seiner Pflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG durch telefonische Mitteilungen genügt, so obliegt ihm i.R.d. sekundären Darlegungslast konkreter Vortrag hierzu. Die Beklagte kann nicht wissen, wen er angerufen haben will, wenn der Vorgesetzte keinen Anruf erhalten hat. Der Kläger hat aber hierzu schon nichts vorgetragen. Hinzukommt: Wenn niemand abgenommen hat, warum hat er dann nicht eine andere Nummer gewählt oder es später erneut versucht?
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Auf den mangelnden Sachvortrag ist der Kläger in der Verfügung vom 27. Juli 2020 hingewiesen worden. Er hat hierauf nicht reagiert. Sein Bestreiten im Berufungstermin am 25. November 2020 ist genauso unsubstantiiert wie sein vorangegangener Vortrag. Die Beweislast der Beklagten, dass er sich nicht an den Tagen telefonisch gemeldet hat, ab denen seine Arbeitsunfähigkeit weiterhin bescheinigt worden ist, hat dieses Bestreiten daher nicht ausgelöst. Es ist für den Kläger auch nicht unmöglich, hierzu Sachvortrag zu leisten. Die Parteien streiten seit dem Jahr 2017 über die soziale Rechtfertigung der Kündigung mit einem überschaubaren Sachverhalt an Vorwürfen. Die Arbeitsunfähigkeit dauert seit Juli 2016 an. Wenn der Kläger – wie er unsubstantiiert behauptet – angerufen haben will, so wäre dies bei der Vielzahl an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eine Handlung gewesen, die ihm mehr als geläufig gewesen wäre. Es wäre ihm dann auch ein Leichtes gewesen konkret vorzutragen, wen er wann angerufen hat, wen er erreicht hat oder nach welchen Versuchen er aufgehört hat, jemanden zu erreichen. Die Beklagte hätte nach einem solchen Vortrag im Betrieb nachfragen können, um seinen Vortrag zu prüfen. Alleine mit der vagen Behauptung, er habe „rechtzeitig vorher“ versucht anzurufen, wird der Beklagten aber jede Möglichkeit genommen, ihren Vorwurf unter Beweis zu stellen.
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(2) Der Kläger hat damit schuldhaft gegen seine Pflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG zur unverzüglichen Mitteilung über seine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit verstoßen. Bereits seit dem 22. Februar 2017 wusste er, dass seine Arbeitsunfähigkeit über das zuvor attestierte Ende des 26. Februar 2017 hinaus fortbestehen wird. Statt jedoch die zeitliche Verzögerung durch Einschaltung der Pforte als Boten zu minimieren und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gleich am 22. oder 23. Februar 2017 abzugeben, hat er sich Zeit gelassen und noch nicht einmal am ersten Tag der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit, dem 27. Februar2017,nochvordemKernzeitbeginndieArbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgegeben. Nur dann hätte noch eine Chance bestanden, dass sie seinen Vorgesetzten noch rechtzeitig erreicht. Es liegen daher keine Umstände vor, die eine andere Würdigung zulassen, als dass der Kläger schuldhaft seine Pflicht zur unverzüglichen Information seines Vorgesetzten verletzt hat. Auch er hat nicht vorgetragen, dass ihm diese Pflicht nicht bekannt gewesen sei. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob ihm das Schreiben der Beklagten vom 9. November 2016 zugegangen ist. Es erläutert nur die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ohnehin bestehende Verpflichtung, die dem Kläger zudem in Nr. 10.2 der Betriebsordnung vor Augen geführt worden ist. Von Unerfahrenheit oder Unbeholfenheit kann daher nicht ausgegangen werden. Angesichts der tagelangen Untätigkeit ist dem Kläger jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der Kläger hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem, ungewöhnlichem Maße verletzt, wobei ihm auch der insofern erforderliche subjektive Vorwurf einer „schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt“, zu machen ist (vgl. zur Diskussion um die Definition grober Fahrlässigkeit Staudinger/Caspers BGB (2019) § 276 Rn. 93 f). Er hat um seine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit seit Tagen gewusst, aber keinen Gedanken an die Auswirkungen dieser Tatsache im Betrieb der Beklagten verwendet, sondern ist untätig geblieben. Damit steht für das Berufungsgericht fest, dass es dem Kläger schlicht egal gewesen ist, was sein Ausfall für den Betrieb bedeutet hat. Dass der Betrieb rechtzeitig i.S.v. „unverzüglich“ hiervon erführe, um vorausschauend die Arbeit einteilen zu können, war ihm ebenso egal. Das versteht das Berufungsgericht unter einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung.
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(3) Die Abmahnung endet mit dem notwendigen Hinweis arbeitsrechtlicher Konsequenzen bis hin zur Kündigung, sollte sich ein solches Verhalten wiederholen. Die Warnfunktion der Abmahnung ist daher gewahrt.
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bb) Auch die Abmahnung vom 15. März 2017 ist wirksam. Die vorangehende Arbeitsunfähigkeit war bis zum 8. März 2017, einem Mittwoch, bescheinigt. Der Kläger hätte seine Arbeitsleistung am nächsten Tage, den 9. März 2017 wieder erbringen müssen. Die Folgebescheinigung unter dem Datum des 8. März 2017 hat der Kläger am selben Tag erst um 16.28 Uhr nach Beginn der Kernarbeitszeit um9.15 Uhr an der Pforte abgegeben. Seinen Vorgesetzten hat er anderweitig nicht informiert. Dieser hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst am 9. März 2017 nach Beginn der Kernarbeitszeit um 9.15 Uhr erhalten.
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(1) Auch diesen Vorwurf hat der Kläger nicht ausreichend bestritten. Auf die Ausführungen zur Abmahnung vom 10. März 2017 wird verwiesen (II. 2. a) aa) (1) der Entscheidungsgründe).
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(2) Der Kläger hat damit erneut schuldhaft gegen seine Pflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG zur unverzüglichen Mitteilung über seine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit verstoßen. Zwar hat er hier erst am Tag des Ablaufens der vorangehenden Arbeitsunfähigkeit erfahren, dass er weiterhin arbeitsunfähig krank ist. Umso mehr war Eile angesagt, um seinen Vorgesetzten rechtzeitig zu informieren. Erneut hat er aber den Weg gewählt, der zwangsläufig zu Verzögerungen führt, indem er die Bescheinigung bei der Pforte abgegeben hat, ohne seinen Vorgesetzten anzurufen. Auch das lässt nur den Schluss zu, dass es dem Kläger egal gewesen ist, wann sein Vorgesetzter tatsächlich von seiner fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit erfahren hat. Ihm war nur wichtig, dass irgendwann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei seinem Arbeitgeber eingeht. Dass sein Vorgesetzter am ersten Tag vor Arbeitsbeginn Bescheid wissen muss, dass er auf seine Arbeitskraft weiterhin verzichten und die Arbeit umorganisieren muss, ist ihm dagegen egal. Auch insofern ist dem Kläger eine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen. Er hat jedenfalls fahrlässig gehandelt. Wäre er mit derjenigen Sorgfalt vorgegangen, die normal ist (vgl. zu diesem objektiven Maßstab nur Staudinger/Caspers BGB (2019) § 276 Rn. 29), hätte er den Vorgesetzten spätestens zu Beginn der Kernzeit am 9. März 2017 angerufen, um ihn über seine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Dass dem Kläger am 9. März 2017 die Abmahnung vom 10. März 2017 noch nicht vorgelegen hat, ist daher unerheblich.
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(3) Auch diese Abmahnung enthält den Hinweis arbeitsrechtlicher Konsequenzen.
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b) Der Kläger hat sodann die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den 4. August 2017 hinaus, einen Freitag, erneut nicht rechtzeitig angezeigt. Samstag und Sonntag waren arbeitsfrei. Am Montag, den 7. August 2017, hätte der Kläger seinen Vorgesetzten über die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit informieren müssen und zwar unverzüglich und damit jedenfalls zu Beginn der Kernarbeitszeit um 9.15 Uhr. Sofern der Kläger die Meldung i.S.d. §5 Abs. 1 Satz 1 EFZG durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfüllen wollte, hatte er dafür Sorge zu tragen, dass diese bei seinem Vorgesetzten entsprechend eingeht. Das Abgeben der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um 11.08 Uhr am 7. August 2017 konnte diese Pflicht daher unter keinen Umständen mehr erfüllen, selbst wenn der Kläger an der Pforte um sofortige Weiterleitung gebeten hätte. Dem Kläger wäre eine unverzügliche Meldung und damit ohne schuldhaftes Zögern aber möglich gewesen. Er muss am 4. August 2017 beim Arzt gewesen sein, weil an diesem Tag die weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. August 2017 als Folgebescheinigung attestiert worden ist. Selbst wenn er sich auf Nr. 10.2 der Betriebsordnung verlassen hat, wonach er am ersten Arbeitstag telefonisch seinen Vorgesetzten zu verständigen hat und deshalb nicht bereits am 4. August 2017 angerufen hat, so hätte er jedenfalls am 7. August 2017 diesen Telefonanruf vornehmen müssen. Zwei Stunden nach Beginn der Kernzeit wäre schon nicht mehr unverzüglich gewesen, wenn der Kläger den Vorgesetzten angerufen hätte. Erst recht ist es nicht mehr unverzüglich, wenn der Kläger einem Boten, der Pforte, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übergibt.
38

c) Die Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus.
39

aa) Dem Kläger ist vorsätzliches Verhalten bzgl. der Pflichtverletzung, die Anlass der Kündigung gewesen ist, vorzuwerfen. In den Abmahnungen vom 10. und 15. März 2017 wurde er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Abgeben oder Zusenden der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Meldepflicht nicht genügt. Es ist sogar eine Begründung angefügt worden: Es ist nicht gewährleistet, dass dem Vorgesetzten am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer bis Kernzeitbeginn die Bescheinigung vorliegt. Der Kläger hat in Kenntnis dieses Hinweises sein Verhalten nicht geändert, sondern weitergemacht wie bisher. Er wusste, dass sein Vorgesetzter am 7. August 2017 zu Beginn der Kernarbeitszeit keine Kenntnis von seiner fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit hatte. Wenn er dennoch erst um 11.08 Uhr die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die bereits am 4. August 2017 ausgestellt worden ist, über einen Botendienst – die Pforte – auf den Weg bringt, so hat er den Umstand der fehlenden Unverzüglichkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG in seinen Willen aufgenommen. Ausreichend ist insofern ein bedingter Vorsatz, dessen Annahme voraussetzt, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. zum Vorsatz nur Staudinger/Caspers BGB (2019) § 276 Rn. 22 f.). Der Kläger konnte auf einen „glücklichen Ausgang“, d.h. die rechtzeitige Information seine Vorgesetzten, unter keinen Umständen hoffen. In diesem Fall ist jedenfalls bedingter Vorsatz zu bejahen.
40

bb) Auf die Wirksamkeit der Abmahnung vom 11. Januar 2017 kommt es nicht an. Es gibt keine Mindestzahl an Abmahnungen, bevor ein Arbeitgeber eine sozial gerechtfertigte Kündigung aussprechen kann. Bereits mit einer Abmahnung ist dem Kläger das von ihm geforderte Verhalten vor Augen geführt und vor Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses gewarnt worden. Auch wenn nicht gleich jede weitere Abmahnung diese Erinnerungs- und Warnfunktion in ihr Gegenteil verkehrte und abschwächte, da gegenüber dem Arbeitnehmer nun nicht mehr deutlich wäre, ob der Arbeitgeber dieses Verhalten auch wirklich forderte (so von Hoyningen-Huene RdA 1990, 194 ff., 208), so droht tatsächlich beim Ausspruch zu vieler Abmahnungen der Verlust des Kündigungsrechts (BAG 15. November 2001 – 2 AZR 609/00 – zu II. 3. b) bb) der Gründe). Die Beklagte hat danach eine angemessene Anzahl von Abmahnungen im März 2017 ausgesprochen. Einer weiteren – wirksamen – Abmahnung bedurfte es nicht.
41

Es kann deshalb zwar dahinstehen, ob und wenn ja welches wechselnde prozessuale Vorbringen des Klägers zu dem in der Abmahnung vom 11. Januar 2017 vorgeworfenen Fehlverhalten relevant ist. Der Kläger hat erst im Jahr 2020 vorgetragen, dass der Betrieb zwischen Weihnachten und Neujahr 2016 geschlossen gewesen sein soll. Der Darlegungslast, dass der Kläger unter die Ausnahmeregelung der Nr. 5 Buchstabe a) der BV 35/2016 gefallen ist und daher zur Arbeit verpflichtet gewesen ist, hat die Beklagte nicht zu entsprechen vermocht. Jedoch bestätigt das prozessuale Verhalten des Klägers seine Nachlässigkeit im Umgang mit der Nebenpflicht, seine Arbeitgeberin rechtzeitig über seine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Anders ist es nicht zu erklären, dass er erst nach dreijähriger Verfahrensdauer vorträgt, der Betrieb sei geschlossen und er nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen, während er erstinstanzlich vorgetragen hat, er sei arbeitsunfähig gewesen, sein Arzt aber schon im Weihnachtsurlaub, einen anderen Arzt habe er nicht gefunden, so dass rückwirkend Urlaub gewährt worden sei. Ob er nun arbeitsunfähig war oder nicht, ist bis heute unklar. Seinen erstinstanzlichen Vortrag, sein Arzt sei schon im Weihnachtsurlaub gewesen, weshalb er keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe vorlegen können, hat er bis heute nicht widerrufen. Der Kläger vergisst zudem, dass ihm vom 19. bis 23. Dezember 2016 Urlaub gewährt worden war, der Arbeitsfähigkeit vorausgesetzt hat. Gerade deshalb hätte er – sofern er das Bestehen von Arbeitsfähigkeit behaupten will – ab dem 27. Dezember 2016 eine erneute Arbeitsunfähigkeit anzeigen und mit einer Bescheinigung belegen müssen. Das prozessuale Verhalten des Klägers bringt damit zum Ausdruck, dass er meint, es sei letztendlich unerheblich, warum er nicht anwesend gewesen ist. Entweder war der Betrieb geschlossen oder aber er war arbeitsunfähig krank. Seine Behauptung, ihm sei rückwirkend Urlaub bewilligt worden, ist durch die Zeiterfassungsausdrucke, die er selbst als Anlagen zum Schriftsatz vom 23. September 2020 vorgelegt hat (Bl. 121 ff. der Berufungsakte), widerlegt worden. Darin steht ab dem 27. Dezember 2016 „unentschuldigt“. Auch das hat aber nichts an seiner Einstellung geändert – er habe eben nicht zur Arbeit kommen müssen. Zweitrangig sei, aus welchem Grund. Das entspricht weder dem Entgeltfortzahlungs- noch dem Bundesurlaubsgesetz.
42

cc) Das Verhalten des Klägers ist auch kein Einzelfall. Nach den beiden Abmahnungen im März 2017 hat der Kläger neun weitere Folgebescheinigungen sowie eine Reha-Bescheinigung bis zum Kündigungsvorfall abgegeben. Bei dreien kann die Beklagte nicht nachvollziehen, ob daneben eine rechtzeitige Mitteilung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG erfolgt ist. Bei folgenden Arbeitsunfähigkeiten ist dies jedenfalls nicht der Fall, d.h. neben der Vorlage der Bescheinigung, die nicht unverzüglich i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gewesen ist, ist keine weitere Mitteilung des Klägers erfolgt:
43

-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 14. Mai 2017 (Sonntag). Die Folgebescheinigung vom 15. Mai 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des 15. Mai 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht.
44

-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 3. Juli 2017 (Montag). Die Folgebescheinigung vom 4. Juli 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des 4. Juli 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht.
45

-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 23. Juli 2017 (Sonntag). Die Folgebescheinigung vom 21. Juli 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des 24. Juli 2017 (Montag) nach Beginn der Arbeitszeit erreicht. Die Bescheinigung ist zwar am 21. Juli 2017, einem Freitag, an der Pforte abgegeben worden. Die Verzögerung ist durch das Wochenende erklärbar. Der Kläger hat auch hier seiner Darlegungslast nicht genügt und nicht erläutert, wann er seinem Boten an der Pforte die Bescheinigung übergeben hat. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Bescheinigung bei normalem Lauf der Dinge schon am 21. Juli 2017 beim Vorgesetzten hätte angelangen müssen.
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Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 19. August 2017 auf S. 3 die Abläufe im Einzelnen dargestellt. Das im Berufungstermin am 25. November 2020 erfolgte Bestreiten des Klägers genügt seiner Darlegungslast nicht. Auf die Erläuterung unter II. 2. a) aa) (1) wird Bezug genommen. Insbesondere nachdem der Kläger zweimal wirksam im März 2017 abgemahnt worden ist, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb dem Kläger substantiierter Sachvortrag nicht möglich sein sollte, dass er sich rechtmäßig verhalten hat. Nach dem Warnhinweis in den Abmahnungen musste er mit einer Kündigung rechnen. Hätte er die Abmahnungen ernst genommen, hätte er sich im eigenen Interesse versichert, dass er die Pflichterfüllung darlegen und beweisen kann. Wenn er dies nicht kann, so lässt dies nur den Schluss zu, dass es dem Kläger egal gewesen ist, was in den Abmahnungen steht. Sein Verhalten wollte er nicht ändern.
47

dd) Hinzukommt: Auch das Verhalten des Klägers nach der Kündigung bestätigt, dass er nicht bereit ist, seine Pflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG zu erfüllen.
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Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen, wobei eine ursprünglich unwirksame Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens nicht rückwirkend zu einer begründeten werden kann (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 -Rn. 53). Nach der Kündigung entstandene Umstände können daher nur verwertet werden, indem sie die früheren Umstände, die zur Kündigung geführt haben, aufhellen und ihnen ein höheres Gewicht als Kündigungsgrund verleihen. Es dürfen also keine echten neuen Kündigungsgründe verwertet werden, sondern nur solche Erkenntnisse, die eine bessere Würdigung der alten Gründe ermöglichen. Das ist z.B. anzunehmen, wenn das Verhalten des Gekündigten nach Zugang der Kündigung erkennen lässt, dass er endgültig nicht bereit war, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen (KR-Fischermeier 12. Aufl. § 626 BGB RN. 189 m.w.N.; HK- KSchG/Gieseler 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 98a).
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Danach ist es umso bemerkenswerter, dass der Kläger nach Zugang der Kündigung am 31. August 2017 bis Ende Dezember 2017 bei fünf von zehn vorgelegten Folgebescheinigungen zum Teile mehrere Tage zu spät über seine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit informiert hat:
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-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 3. September 2017 (Sonntag). Die Folgebescheinigung vom 28. August 2017 (!) hat den Vorgesetzten im Laufe des 6. September 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht. An der Pforte abgegeben hat sie der Kläger am 5. September 2017.
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-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 8. Oktober 2017 (Sonntag). Die Folgebescheinigung vom 6. Oktober 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des 9. Oktober 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht. An der Pforte abgegeben hat sie der Kläger am selben Tag.
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-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 29. Oktober 2017 (Sonntag). Die Folgebescheinigung vom 30. Oktober 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des
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2. November 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht. An der Pforte abgegeben hat sie der Kläger am 30. Oktober 2017.
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-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 11. November 2017 (Samstag). Die Folgebescheinigung vom 13. November 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des 14. November 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht. An der Pforte abgegeben hat sie der Kläger am 13. November 2017.
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-Ende der Arbeitsunfähigkeit am 23. Dezember 2017 (Samstag). Die Folgebescheinigung vom 27. Dezember 2017 hat den Vorgesetzten im Laufe des 28. Dezember 2017 nach Beginn der Arbeitszeit erreicht. An der Pforte abgegeben hat sie der Kläger am 27. Dezember 2017.
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Der Kläger hat in der Hälfte der Fälle keine unverzügliche Mitteilung erstattet. Zum Teil sind mehrere Tage vergangen, bis zumindest eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingegangen ist. Der Kläger hat damit mehr als eindeutig sein Verhalten vor der Kündigung bestätigt, wonach er nicht gewillt ist, seiner Verpflichtung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG nachzukommen.
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ee) Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt erst 45 Jahre alt. Er ist niemandem zum Unterhalt verpflichtet. Auch das sind Umstände, die gegen ihn sprechen.
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ff) Sein Bandscheibenleiden scheint zwar von anhaltender Dauer zu sein und wird den Kläger bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung deshalb möglicherweise beeinträchtigen. Auch hierzu hat der Kläger allerdings nichts Konkretes vorgetragen. Dass die Tätigkeit bei der Beklagten den Bandscheibenvorfall aus vorwerfbaren Gründen verursacht hat, ist weder vorgetragen noch im Übrigen ersichtlich. Auch der Kläger hat erstinstanzlich nur die mangels Substanz unerhebliche vage Vermutung einer möglichen Verschlimmerung seines Leidens behauptet, weil er zwischen August und Dezember 2016 mit Schmerzen bei der Beklagten gearbeitet habe. Von dauerhaften schlechteren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt kann daher nicht ausgegangen werden.
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gg) Zugunsten des Klägers kann seine zehnjährige, fast vollständig unbelastete Betriebszughörigkeit gewertet werden. Es ist auch davon auszugehen, dass Betriebsablaufstörungen nicht eingetreten sind. Dennoch zeigt das Verhalten des Klägers eine Hartnäckigkeit, die auf Besserung nicht hoffen lässt. Zudem sind Betriebsablaufstörungen in der Zukunft möglich. Der Vorgesetzte des Klägers hat die fehlenden Mitteilungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG offensichtlich nicht als „Kavaliersdelikt“ empfunden. Ansonsten hätte er nicht regelmäßig die Personalabteilung informiert, sondern die – wenn auch verspätet – vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen genügen lassen.
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3. Weitere Rügen hat der Kläger nicht erhoben. Die tarifliche Kündigungsfrist ist eingehalten, der Betriebsrat ist angehört worden.

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VonRA Moegelin

Förderung der eigenen Qualifizierung nach dem WissZeitVG

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Bei dem mit der Wissenschaftszeitvertragsgesetz-Novelle vom 11. März 2016 (BGBL. I S. 442 ff.) zusätzlich zu den bisherigen Voraussetzungen in das Gesetz eingefügten Erfordernis „zur Förderung der eigenen Qualifizierung“ handelt es sich um ein selbständig zu prüfendes Tatbestandsmerkmal. Liegt es nicht vor, so kann die Befristung nicht auf § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG gestützt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 07. Oktober 2020 entschieden.

Die Klägerin, eine Diplom-Ingenieurin, war seit 2010 mit insgesamt fünf befristeten Verträgen bei der Beklagten beschäftigt, die eine vollständig staatlich finanzierte Ressortforschungseinrichtung ist. Der zuletzt geschlossene Vertrag vom 15. August 2018 enthielt die Bestimmung, dass das Arbeitsverhältnis zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung befristet bis zum 31.12.2019 geschlossen wird. Dem Arbeitsvertrag war als Anlage ein Qualifizierungsplan beigefügt, der für die Klägerin fachliche und weitere Qualifizierungsziele enthielt. Danach sollte sie vertiefte Kenntnisse in bestimmten Themenfeldern erwerben und hierzu ein Drittmittelprojekt bearbeiten inklusive der Erstellung eines wissenschaftlichen Abschlussberichts.

Das Landesarbeitsgericht hat die Befristung für unwirksam angesehen, weil die Beschäftigung der Klägerin nicht zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung erfolgt sei. Hierbei handele es sich um ein selbständig zu prüfendes Tatbestandsmerkmal des § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG. Dem hiervon abweichenden Willen des Gesetzgebers könne keine Geltung verschafft werden, da er in der gesetzlichen Regelung keinen Niederschlag gefunden habe. Die Auslegung des Gesetzes ergebe vielmehr, dass die Befristung nur wirksam ist, wenn sie eine wissenschaftliche Qualifizierung fördern soll, die sich nicht in der bloßen Gewinnung zusätzlicher Berufserfahrung erschöpft, sondern darüber hinausgeht. Die hierfür darlegungsbelastete Beklagte habe nicht vorgetragen, dass die Klägerin nach dem Vertragsinhalt Tätigkeiten hätte verrichten sollen, die über die Kompetenzzuwächse hinausgingen, die mit der Ausübung wissenschaftlicher Tätigkeit typischerweise und regelmäßig verbundenen seien.

Gegen das Urteil ist beim Bundesarbeitsgericht Revision eingelegt worden.

Landesarbeitsgericht Köln – Aktenzeichen 5 Sa 451/20 vom 07.10.2020; Pressemitteilung des LAG Köln vom01.02.2021

Die Entscheidung kann in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE www.nrwe.de unter Eingabe des Aktenzeichens 5 Sa 451/20 aufgerufen werden.

Dr. Amrei Wisskirchen
Die Pressedezernentin des Landesarbeitsgerichts Köln

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen Entwendung von Desinfektionsmittel in der Corona-Pandemie

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Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei einem Paketzustellunternehmen, der Beklagten, als Be- und Entlader sowie Wäscher für die Fahrzeuge beschäftigt. Die Wäsche der Wagen erfolgte in Nachtschicht mit sechs bis sieben Kollegen, wobei der Kläger seinen Wagen in der Nähe des Arbeitsplatzes abstellen konnte. Bei der stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle am 23.03.2020 gegen 07.50 Uhr fand der Werkschutz im Kofferraum des Klägers eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt ca. 40,00 Euro. Es kam damals bei der Beklagten immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte am 24.03.2020 der fristlosen Kündigung des Klägers nach Befragung von Zeugen abschließend zu, welche die Beklagte am 25.03.2020 aussprach.

Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und eventuell seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei. Die Arbeitgeberin hat behauptet, dass der Kläger dem Werkschutz gesagt habe, dass er das Desinfektionsmittel habe mitnehmen dürfen, um sich unterwegs die Hände zu desinfizieren. Sie habe mit Aushängen im Sanitärbereich darauf hingewiesen, dass das Mitnehmen von Desinfektionsmitteln eine fristlose Kündigung und Anzeige zur Folge habe.

Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat wie bereits das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Es liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Die Einlassungen des Klägers sind nicht glaubhaft. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger sich das Desinfektionsmittel zugeignet hat, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahe gelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder hatte er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen können. Schließlich war die aufgefundene Flasche nicht angebrochen. Auch in Ansehung der langen Beschäftigungszeit war keine vorherige Abmahnung erforderlich. Der Kläger hat in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware war und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit hat er zugleich in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände musste ihm klar sein, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete. Auch die Interessenabwägung fiel angesichts dieser Umstände zu Lasten des Klägers aus.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.01.2021 – 5 Sa 483/20 vgl. Pressemitteilung vom 14.01.2021
Arbeitsgericht Mönchengladbach, Urteil vom 01.07.2020 – 6 Ca 632/20

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