Monatsarchiv 27. März 2021

VonRA Moegelin

Ärztlicher Hintergrunddienst als Rufbereitschaft

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Ob ärztlicher Hintergrunddienst nach § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) zu vergütende Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine Vorgabe insbesondere hinsichtlich der Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und damit eine faktische Aufenthaltsbeschränkung vorgibt. Das gilt auch, wenn der ärztliche Hintergrunddienst mit einer Telefonbereitschaft verbunden ist.

Der als Oberarzt beschäftigte Kläger leistet im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, auf das der TV-Ärzte/TdL Anwendung findet, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste. Während dieser Zeit ist er verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, macht die Beklagte nicht. Im Rahmen des Hintergrunddienstes kann es sowohl zu Einsätzen des Klägers im Klinikum der Beklagten als auch zu rein telefonischen Inanspruchnahmen kommen, wobei letztere überwiegen. Dabei hat der Kläger auch mögliche Organtransplantationsangebote der Stiftung Eurotransplant zu bearbeiten. Hierzu hat er nach dem telefonischen Angebot aufgrund einer Vorgabe der Stiftung Eurotransplant innerhalb von 30 Minuten die mitgeteilten Daten bezüglich Spender, Organ, Patient und Dialysearzt zu prüfen, den in Frage kommenden Patienten sowie den zuständigen Dialysearzt telefonisch zu kontaktieren sowie gegenüber Eurotransplant zu erklären, ob das Organspendeangebot angenommen wird. Die dafür erforderlichen Informationen entnimmt der Kläger einem mitzuführenden Aktenordner. Die Beklagte vergütet die Hintergrunddienste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL als Rufbereitschaft iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL.

Der Kläger meint, die Hintergrunddienste seien aufgrund der mit ihnen verbundenen Beschränkungen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tatsächlichen Inanspruchnahmen Bereitschaftsdienst und als solcher zu vergüten. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger für den Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 eine Vergütungsdifferenz von knapp 40.000,00 Euro brutto zugesprochen.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Bei dem vom Kläger geleisteten Hintergrunddienst handelt es sich um Rufbereitschaft. Ob ein vom Arbeitgeber im Anwendungsbereich des TV-Ärzte/TdL angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft ist, richtet sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen kann. Maßgeblich ist also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung. Dabei ist der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit von dem Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann. Das ist bei dem von der Beklagten angeordneten Hintergrunddienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestehen nicht. Dass uU nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, steht im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.

Allerdings untersagt § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Das trifft vorliegend zu. Der Kläger wird in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und leistet zu 4 % aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit. Dabei kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen sind, was in mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften vorkommt. In der Gesamtschau dieser Umstände hätte sie die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste daher nicht anordnen dürfen. Gleichwohl führt dies nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergütung. Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien haben damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen hat der Senat respektiert.

vgl. Pressemitteilung Nr. 6/21 des BAG;
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. März 2021 – BAG 6 AZR 264/20
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 4. März 2020 – 3 Sa 218/19

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VonRA Moegelin

Arbeitsort von Flugpersonal

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Im Flugdienst tatsächlich tätiges Flugpersonal hat im Regelfall keinen Arbeitsort im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 1 ArbGG. Im Normalfall liegt dann der Gerichtsstand des Arbeitsortes nach § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG vor: Der Stationsort (Homebase) ist der Ort, von wo aus die Arbeit gewöhnlich im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG verrichtet wird.

Leitsatz

1. § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG gilt auch und gerade dann, wenn das Arbeitsverhältnis beendet worden ist oder werden soll.
2. § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG stellt auf die tatsächlichen einvernehmlichen Arbeitsbedingungen ab. Nach § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG reicht für den Gerichtsstand des Arbeitsortes der Ort aus, von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit „zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.“
3. Der Ort, von wo aus der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich zuletzt verrichtet hat, ändert sich durch eine Versetzung nicht, wenn der Arbeitnehmer sich im Zeitpunkt seiner Versetzung in „Kurzarbeit Null“ befindet und es zu keiner tatsächlichen Arbeit von einem neuen Ort aus kommt.
4. Im Flugdienst tatsächlich tätiges Flugpersonal hat im Regelfall keinen Arbeitsort im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 1 ArbGG. Im Normalfall liegt dann der Gerichtsstand des Arbeitsortes nach § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG vor: Der Stationsort (Homebase) ist der Ort, von wo aus die Arbeit gewöhnlich im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG verrichtet wird. Dies aus tatsächlichen, nicht aus rechtlichen Gründen. Eine Umstationierung von Flugpersonal ändert an der Maßgeblichkeit des bisherigen Stationsortes gemäß § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG nichts, wenn das Flugpersonal vom neuen Stationsort aus nicht tatsächlich arbeitet. Ein neuer Stationsort, in oder von dem aus ein Flugkapitän nicht arbeitet, begründet nach § 48 Absatz 1a ArbGG keinen Gerichtsstand des Arbeitsortes.

Tenor

Das Arbeitsgericht Berlin erklärt sich für örtlich zuständig.

Gründe

(1) I. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 03.12.2018 angestellt, zuletzt als Flugkapitän. Stationsort (Homebase) des Klägers war der Flughafen Berlin-Tegel (TXL). Die Beklagte ordnete für den Kläger Kurzarbeit Null an. Mit E-Mail vom 03.10.2020 wies die Beklagte dem Kläger als neuen Stationsort den Flughafen Berlin Brandenburg (BER) zu. Der Kläger hat vom BER aus keine Arbeiten verrichtet. Im November 2020 endete am Flughafen Berlin-Tegel der planmäßige Flugbetrieb. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 25.11.2020 das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2021 und stellte den Kläger für die Zeit ab dem 01.12.2020 unwiderruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

(2) Der Kläger macht mit der beim Arbeitsgericht Berlin anhängig gemachten Klage insbesondere die Unwirksamkeit der Kündigung geltend. Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgericht Berlin. Örtlich zuständig sei das für den BER in Schönefeld (Brandenburg) zuständige Arbeitsgericht Cottbus.

(3) Die Beklagte ist der Ansicht, dass mit dem Wechsel des Stationsortes sich auch der besondere Gerichtsstand des Arbeitsorts geändert habe. Diese Änderung sei auch nicht nur vorübergehend, sondern auf Grund der Schließung des operativen Betriebes der Base Berlin-Tegel (TXL) definitiv. Entscheidend sei daher, dass der Kläger dem Flughafen BER dauerhaft zugeordnet sei. Der Passus „zuletzt gewöhnlich verrichtet hat“ in § 48 Abs. 1a ArbGG sei nur auf Fälle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses anwendbar. Der Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichte, sei der Ort, an dem (oder von dem aus) der Arbeitnehmer die mit seinem Arbeitgeber vereinbarten Tätigkeiten gewöhnlich ausübe bzw. ausüben soll. Nach der Rechtsprechung sei der besondere Gegenstand des Arbeitsortes in der Regel die Heimatbasis. Dies sei in diesem Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift der Flughafen BER in Brandenburg. Eine engere Verknüpfung zum Flughafen Berlin-Tegel bestehe auf Grund der Versetzung und der Schließung des Flughafens Berlin-Tegel nicht. Die Versetzung an den Flughafen BER sei nicht nur vorübergehend. Zum Zeitpunkt der Versetzung habe auch nicht festgestanden, ob die Beklagte dem Kläger kündige. Die Kurzarbeit und die Freistellung des Klägers begründeten keinen eigenen Arbeitsort des Klägers.

(4) II. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Berlin ergibt sich aus § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG. Der Kläger hat zum Zeitpunkt der Klageerhebung zuletzt und gewöhnlich seine Arbeit vom Flughafen Berlin-Tegel aus verrichtet.

(5) 1. Der subsidiäre § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG ist anwendbar, da beim Flugpersonal im Flugdienst in der Regel und konkret auch beim Kläger kein Arbeitsort i.S.d. § 48 Absatz 1a Satz 1 ArbGG feststellbar ist.

(6) 2. Nach § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG ist das Arbeitsgericht örtlich zuständig, „von dessen Bezirk aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.“

(7) 3. Vor dem Beginn der Kurzarbeit Null und anschließender Freistellung hatte der am Flughafen Berlin-Tegel stationierte und im Flugdienst tätige Kläger gewöhnlich seine Arbeit vom Flughafen Berlin-Tegel aus verrichtet. Es war für ihn daher der Gerichtsstand des § 48 Absatz 1a Satz 2 1. Alternative ArbGG begründet.

(8) 4. Auf Grund der Kurzarbeit Null und der Freistellung hat der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung weder vom Flughafen Berlin-Tegel noch vom Flughafen Berlin Brandenburg (BER) im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 2 1. Alternative ArbGG ausgearbeitet.

(9) 5. Der Kläger hat aber im Sinne des § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG vom Flughafen Berlin-Tegel aus seine Arbeit zuletzt gewöhnlich verrichtet. Unstreitig hat der Kläger vom Flughafen Berlin Brandenburg (BER) aus keine Flug- oder sonstige Dienste verrichtet.

(10) 6. § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG ist auch und gerade dann anwendbar, wenn das Arbeitsverhältnis beendet worden ist (vgl. BAG [26.09.2000] – 3 AZN 181/00 – Rn. 6 = NJW 2001, 390) oder beendet werden soll.

(11) 7. Befindet sich ein Arbeitnehmer in Kurzarbeit Null und wird er während der Kurzarbeit versetzt, ohne dass es zu Arbeitsleistungen an dem neuen Arbeitsort kommt, hat die Versetzung keinen Einfluss auf den Gerichtsstand des Arbeitsortes i.S.d. § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG und somit auch nicht i.S.d. § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG. § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG stellt auf die tatsächlichen Verhältnisse ab (vgl. ErfK/Koch, 21. Aufl. 2021, ArbGG § 48 Rn. 20).

(12) 8. Dies gilt auch im Fall einer Umstationierung. Ein als Stationsort festgelegter Flughafen ist für Flugpersonal im Fall der Erbringung von Flugdiensten nicht aus rechtlichen, sondern aus tatsächlichen Gründen typischerweise ein Arbeitsort i.S.d. § 48 Absatz 1a Satz 2 ArbGG. Eine Umstationierung während einer Kurzarbeit Null oder einer Freistellung führt zu keiner tatsächlichen Arbeitsleistung anderswo. An der Tatsache des letzten Arbeitsortes ändert sich dadurch nichts. Es ist unerheblich, welchem neuen Stationsort der Kläger zugeordnet wurde, wenn er dort tatsächlich nicht gearbeitet hat. Es kommt also nicht darauf an, dass die Umstationierung dauerhaft beabsichtigt war, da sie an der tatsächlichen Situation des Klägers, geprägt durch seine tatsächliche Arbeitsleistung vom Flughafen Berlin-Tegel aus, nichts geändert hat.

(13) 9. Ein solches Normverständnis ergibt sich zwanglos aus dem Wortlaut, der Systematik, der Gesetzgebungsgeschichte und dem Normzweck:

(14) 9.1 § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG stellt darauf ab, von wo „aus der Arbeitnehmer seine Arbeit … zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.“ Als am Flughafen Berlin-Tegel stationierter Flugkapitän hat der Kläger gewöhnlich von Berlin aus seine Arbeit verrichtet. Dies „zuletzt“, da es zu einer Arbeitsleistung vom Flughafen Berlin Brandenburg (BER) aus nicht gekommen ist.

(15) 9.2 § 48 Absatz 1a ArbGG ist ein nachträglich in § 48 ArbGG eingefügter Absatz, der über die allgemeinen Gerichtsstandsbestimmungen der §§ 12 ff. ZPO hinaus als Arbeitnehmerschutznorm Arbeitnehmern die Klageerhebung erleichtern soll (BT-Drs. 16/7716, S. 2).

(16) Der tatsächliche Arbeitsort ist typischerweise ein wichtiger Faktor für die Wohnortwahl des Arbeitnehmers. Das wirkt sich im Fall eines Stationsortwechsels von TXL nach BER zwar nicht erheblich aus. Die Beklagte hätte den Kläger virtuell aber auch beispielsweise nach München versetzen können. Bei ceteris paribus – Bedingungen läuft die Rechtsauffassung der Beklagten darauf hinaus, dass der in Berlin wohnhafte Kläger dann nicht in Berlin klagen könnte, obwohl er nur von Berlin aus und nie von München aus für die Beklagte gearbeitet hätte. München wäre ihm zudem als Gerichtsstand verschlossen. Er müsste die Beklagte dann an ihrem Sitz in London verklagen. Dies widerspräche eklatant dem Normzweck des § 48 Abs. 1a ArbGG.

(17) 10. Soweit in Parallelprozessen der Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit verwiesen wurde, erfolgte dies mit ersichtlich unzutreffender Argumentation.

(18) Zum einen ist es verfehlt anzunehmen, es komme allein auf den neuen Stationsort an, weil es bei einem Bestandsschutzrechtsstreit um den zukünftigen Arbeitsplatz gehe. Dies ist contra legem, da sowohl Satz 1 wie auch Satz 2 des § 48 Absatz 1a ArbGG als je zweite Alternative den Ort ausreichen lassen, von wo aus der Arbeitnehmer seine Arbeit „zuletzt gewöhnlich verrichtet hat“. Von der Maßgeblichkeit eines zukünftigen Arbeitsplatzes ist nirgends die Rede.

(19) Entsprechend kommt es nicht darauf an, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung es den Flughafen Berlin-Tegel als Arbeitsort nicht mehr gab. Ausreichend ist, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung der Kläger seine Arbeit vom Flughafen Berlin-Tegel (TXL) und nicht von Flughafen Berlin Brandenburg (BER) aus „zuletzt gewöhnlich verrichtet hat“.

(20) Es ist auch zirkulär, damit zu argumentieren, dass der Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr existiert habe. Der „Gerichtsstand“ ist ein Rechtsbegriff. § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG lässt für diesen den letzten gewöhnlichen tatsächlichen Arbeitsort genügen. Der Gerichtsstand verschwindet nicht mit dem Arbeitsort, sondern der letzte gewöhnliche Arbeitsort bestimmt den besonderen Gerichtsstand des § 48 Absatz 1a Satz 2 2. Alternative ArbGG.

(21) 11. Der Argumentation der Beklagten ist nicht zu folgen. Sie wäre nur dann zutreffend, wenn der Kläger vom BER aus (nicht nur kurzzeitig) geflogen wäre. Der Arbeitsort im Sinne des § 48 Absatz 1a ArbGG wird nicht bestimmt durch eine nominelle Zuordnung zu einem Stationsort, sondern durch die Arbeit dort. Diese fand aber nur vom Flughafen Berlin-Tegel aus statt.

(22) Es kommt deshalb auch nicht auf den finalen und dauerhaften Charakter der Versetzung an. Mangels tatsächlicher Arbeit hat die Versetzung und die damit verbundene Änderung der organisatorischen Zuordnung des Klägers an dem letzten tatsächlichen Arbeitsort des Klägers nichts geändert.

(23) Die Stationierung des Klägers am BER steht „nur auf dem Papier“ der Beklagten bzw. ist virtuell im Personalrechner der Beklagten abgespeichert. Der für den Kläger letzte reale Flugbetrieb fand allein vom Flughafen Berlin-Tegel aus statt. Für die maßgebliche Realität ist es unerheblich, dass dies bei Teilnahme des Klägers an einem Freiwilligenprogramm auch hätte anders sein können.

(24) 12. Gegen diese Entscheidung ist nach § 48 Ziffer 1 ArbGG kein Rechtsmittel gegeben.

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VonRA Moegelin

Bußgeld wegen Handy am Ohr

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Wer im Auto ein Handy am Ohr hat, riskiert ein Bußgeld.

Die Nutzung eines zwischen Ohr und Schulter eingeklemmten Mobiltelefons während der Fahrt kann eine bußgeldbewehrte Nutzung im Sinne des § 23 Abs. 1a) der Straßenverkehrsordnung (StVO) darstellen. Dies hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Köln in einem Beschluss vom 4. Dezember 2020 entschieden.

In dem Fall war auf einem im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Messfoto zu erkennen, dass die Fahrzeugführerin ein Mobiltelefon zwischen der Schulter und dem Kopf eingeklemmt hatte. Sie hatte im gerichtlichen Verfahren auch eingeräumt, dass sie dieses zum Telefonieren genutzt habe. Sie habe aber das Telefon bereits vor Fahrtantritt in der abgebildeten Haltung gehabt und war der Auffassung, dass es sich hierbei nicht um ein „Halten“ im Sinne der Verordnung handele, da dieses ein Halten in der Hand voraussetzte. Gleichwohl war sie vom Amtsgericht zu einem Bußgeld verurteilt worden, wogegen sie sich mit der Rechtsbeschwerde zur Wehr setzen wollte.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat der Senat ausgeführt, dass sprachlich das „Halten“ eines Gegenstandes nicht notwendig die Benutzung der Hände voraussetze. Die Bußgeldbewehrung stehe auch mit dem Zweck der Verordnung in Einklang: In dem Einklemmen des Mobiltelefons liege ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial, weil das Risiko bestehe, dass das Mobiltelefon sich aus seiner „Halterung“ lösen könne und den Fahrer dann zu unwillkürlichen Reaktionen verleite, um zu verhindern, dass es – etwa – im Fußraum des Fahrzeugs unauffindbar wird. Schon um diesem Risiko entgegenzuwirken, werde – was die Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO verhindern wolle – der Fahrer einen ansonsten dem Verkehrsgeschehen zuzuwendenden Teil seiner Aufmerksamkeit seinem Mobiltelefon schenken. Dieser Umstand unterscheide eine solche Nutzung eines Mobiltelefons auch von derjenigen mittels einer Freisprecheinrichtung, bei welcher sich der Fahrer um die Stabilität der Halterung regelmäßig keine Gedanken machen müsse. Dass in der amtlichen Begründung zur StVO davon ausgegangen werde, dass unter „Halten“ im Sinne von § 23 Abs. 1a) StVO ein „in der Hand halten“ zu verstehen sei, stehe dem nicht entgegen.

(Pressemitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln; Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 04.12.2020 – Az. III-1 RBs 347/20.)
Dr. Georg Winkel
Dezernent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Auszug aus der Straßenverkehrsordnung (StVO):
§ 23 Sonstige Pflichten von Fahrzeugführenden
(…)
(1a) 1Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn
1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und
2. entweder
a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist. 2Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. (…)

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VonRA Moegelin

Haftung des Gerichtsvollziehers bei unrichtiger Zustellung

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Der Gerichtsvollzieher haftet nicht für eine unrichtige Zustellung, wenn das Vollstreckungsgericht ihm eine falsche Adresse mitteilt. Er kann seine Kosten beim Gläübiger geltend machen. Dem Gläubiger bleibt nur die Möglichkeit, beim Vollstreckungsgericht im Wege der Amtshaftung Regress zu nehmen.

Volltext des Beschlusses des Amtsgerichts Mitte vom 18.02.2021 – 36 M 2/21:

Tenor

1. Die Erinnerung der Gläubigerin gegen die Kostenrechnung der Gerichtsvollzieherin vom 11.11.20 zu DR II 2252/20 wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Gläubiger beantragte beim AG Fürstenwalde den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und gab die Anschrift des Schuldners in Schöneiche an. Mit Schriftsatz vom 26.09.20 teilte der Gläubigervertreter die neue Anschrift des Schuldners in Hohe Börde mit. Mit Beschluss vom 30.09.20 hat das Amtsgericht Fürstenwalde das Verfahren an das AG Haldensleben verwiesen. Dieses erließ am 07.10.20 den beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, AZ 6 M 2519/20. In diesem Beschluss ist die nicht zutreffende Anschrift des Schuldners in Schöneiche angegeben.

Das AG Haldensleben übermittelte am 27.10.20 den Beschluss an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle zur Zustellung. Die Zustellung an den Schuldner unter der im Beschluss genannten Anschrift in Schöneiche scheiterte. Die Gerichtsvollzieherin erstellte dazu die Kostenrechnung vom 11.11.20 zu DR II 2252/20 über 33,65 €.

Hiergegen legte der Gläubiger am 14.11.20 die Erinnerung ein, da nicht nachvollziehbar sei, dass die Zustellung unter der nicht mehr aktuellen Anschrift versucht wurde, und nicht unter der Anschrift, die er dem AG Fürstenwalde schon zuvor mit Schriftsatz vom 26.09.2020 mitgeteilt habe.

Die Gerichtsvollzieherin hat mit Schreiben vom 18.11.20 die Kosten der Zustellung nicht niedergeschlagen, sondern nur darauf verwiesen, dass der Fehler offensichtlich bei dem erlassenen Amtsgericht liege.

Der Bezirksrevisor hat sich in einem handschriftlichen Vermerk vom 30.11.20 wie folgt geäußert:
Aus hiesiger Sicht ist die Erinnerung begründet. Dass der Fehler nicht bei der Gerichtsvollzieherin, sondern beim Vollstreckungsgericht lag, ist dabei unerheblich. Die Gebühr für die Zustellung unter der Adresse in Schöneiche ist von der Gerichtsvollzieherin zu Lasten des Gläubigers nicht zu erheben.

II.
Die Erinnerung hat in der Sache keinen Erfolg, da die Gerichtsvollzieherin die Sache nicht unrichtig behandelt hat. Die Kostenrechnung vom 11.11.20 (DR II 2252/20) ist nicht zu beanstanden. Die Kosten sind nicht niederzuschlagen, da diese nicht aufgrund einer unrichtigen Sache i.S.d. § 7 Abs. 1 GvKostG durch die Gerichtsvollzieherin entstanden sind.

Die Zustellung Pfändungs-und Überweisungsbeschlusses erfolgt im Parteibetrieb (§§ 829 Abs. 2 Satz 1, 835 ZPO), wobei der Gläubiger dazu den Gerichtsvollzieher unter Vermittlung des Gerichts beauftragen kann (§§ 191, 192 Abs. 3 ZPO).

Da es sich folglich um eine Zustellung im Parteibetrieb handelt und das AG Haldensleben nur den Antrag des Gläubigers auf Zustellung vermittelte, bleibt es eine Angelegenheit des Gläubigers. Wenn das AG Haldensleben nun im Beschluss eine Adresse des Schuldners aufnimmt, die unzutreffend ist, und den Zustellauftrag vermittelt, fällt dieser Fehler des Gerichts beim Erlass des Pfändungs-und Überweisungsbeschlusses nicht zurechnen lassen müssen. Dieser Fehler ist auch für sie nicht erkennbar.

Engegen der mit Schriftsatz vom 10.02.2021 mitgeteilten Ansicht der Gläubigerin ist nicht entscheidend, ob das den Pfändungs-und Überweisungsbeschluss erlassene Gericht und der Gerichtsvollzieher als Einheit auftreten, denn dies ändert nichts an der gesetzlichen Regelung, dass das Gericht den Vollstreckungsauftrag des Gläubigers nur vermittelt.

Es ist auch nicht maßgeblich, dass der Gerichtsvollzieher ein selbständiges Organ der Zwangsvollstreckung ist und unter der Fachaufsicht des Gerichts steht, denn das dienstliche Vorgehen der Gerichtsvollzieherin wäre auch im Rahmen der Fachaufsicht nicht zu beanstanden, denn der Fehler des AG Haldenleben konnte ihr nicht ersichtlich sein.

Es ist die Sache des Gläubigers, diese Kosten ggf. im Regresswegen vom AG Haldensleben einzufordern. Es kann für dieses Erinnerungsverfahren dahinstehen, ob die Voraussetzungen dafür im Konkreten vorliegen, was sich nur anhand der dortigen Aktenlage beurteilen lässt.

Die Beschwerde nach § 66 Abs. 2 Satz 2 GKG i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 2 GvKostG war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage hat.

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