Schlagwort-Archiv KSchG

VonRA Moegelin

Änderungsangebot der Änderungskündigung des Arbeitgebers

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Eine betriebsbedingte Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG durch den Arbeitgeber ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen. Dabei ist vom Arbeitsgericht die soziale Rechtfertigung einer Änderung der bestehenden Vertragsbedingungen zu überprüfen. Das Änderungsangebot des Arbeitgebers ist daran zu messen, ob es durch dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat.

Verhältnismäßigkeit der geplanten Änderung

Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise akzeptieren muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle vorgesehenen Änderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich von deren Inhalt nicht weiter entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist.

Inhalt des Änderungsangebots

Das mit der Kündigung unterbreitete Änderungsangebot muss konkret gefasst, dh. eindeutig bestimmt, zumindest bestimmbar sein. Für den Arbeitnehmer muss ohne Weiteres klar sein, welche Vertragsbedingungen zukünftig gelten sollen. Nur so kann er eine abgewogene Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots treffen. Der Arbeitnehmer muss von Gesetzes wegen innerhalb einer recht kurzen Frist auf das Vertragsangebot des Arbeitgebers reagieren und sich entscheiden, ob er es ablehnt, ob er es mit oder ob er es ohne Vorbehalt annimmt. Schon im Interesse der Rechtssicherheit muss deshalb das Änderungsangebot zweifelsfrei klarstellen, zu welchen Vertragsbedingungen das Arbeitsverhältnis künftig fortbestehen soll. Unklarheiten gehen zu Lasten des Arbeitgebers. Sie führen zur Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen.

Dringendes betriebliches Änderungserfordernis

Ein dringendes betriebliches Änderungserfordernis gemäß § 1 Abs. 2 KSchG kann sich aus der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers ergeben. Der Eingriff in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ist allenfalls gerechtfertigt, wenn bei dessen Beibehaltung betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen müssten. Regelmäßig bedarf es zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs eines umfassenden Sanierungsplans, der alle im Vergleich mit der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ebenfalls ausschöpft. Vom Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang zu verlangen, dass er die Finanzlage des Betriebs, den Anteil der Personalkosten und die Auswirkung der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitnehmer darstellt und darlegt, warum andere Maßnahmen nicht ausreichen oder nicht in Betracht kommen.

(vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2013 – BAG 2 AZR 396/12)

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VonRA Moegelin

Massenentlassung von Arbeitnehmern

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New-Year-Sports-1-2015010741Massenentlassungen sorgen oft für großes Aufsehen in den Medien, wie z.B. im Fall von Schlecker. Der Insolvenzverwalter erklärte die Kündigung für rund 10.000 Mitarbeiter. Der Arbeitgeber hat im Fall von Massenentlassungen die Verfahrensvorschriften gemäß §§ 17 ff. KSchG zu beachten. Der Begriff „Entlassung“ in § 17 Abs. 1 KSchG bedeutet „Kündigung“ oder „Ausspruch der Kündigung“ (BAG, Urteil vom 23. März 2006 – 2 AZR 343/05 – Rn. 18).

Schon ab 5 zu entlassenden Arbeitnehmern kommt eine „Massen“-Entlassung per Gesetz in Betracht. Vor der geplanten Entlassung muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit hierüber Anzeige erstatten, bevor er z.B. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer, innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. In § 17 Abs. KSchG finden sich weitere Staffelungen.

Massenentlassungen erfolgen üblicherweise in großen Betrieben, die meist auch einen Betriebsrat haben. In diesem Fall hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Mitbestimmen kann der Betriebsrat jedoch nicht.

Soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach den Absätzen 1 und 2 zulässig sind, durchgeführt werden, bedarf es unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 einer erneuten Anzeige.

Eine „erneute Anzeige“ im Sinne von § 18 Abs. 4 KSchG ist nicht erforderlich, wenn Kündigungen nach einer ersten Anzeige vor Ablauf der Freifrist ausgesprochen werden, die Arbeitsverhältnisse wegen langer Kündigungsfristen aber erst nach Ablauf der Freifrist enden (BAG, Urteil vom 23. Februar 2010 – 2 AZR 268/08).

Das BAG führt in besagter Entscheidung aus, dass es einer erneuten Anzeige nach § 18 Abs. 4 KSchG schon deshalb nicht bedarf, da sie nur „unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG“ notwendig ist. Hierzu gehört, dass der Arbeitgeber den Ausspruch einer Massenkündigung beabsichtigt. Nur wenn er entsprechende Willenserklärungen abgeben will, bedarf es der Anzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG. Daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf der sogenannten Freifrist nicht mehr den Ausspruch von Kündigungen beabsichtigte. Dafür besteht kein Anlass, wenn er bereits gekündigt hatte. Ein anderes Verständnis der gesetzlichen Anordnung in § 18 Abs. 4 KSchG würde den Arbeitgeber zum erneuten Ausspruch einer Kündigung zwingen, was die Bestimmung erkennbar nicht beabsichtigt. Es käme ansonsten bei Kündigungsfristen, die länger als die Freifrist sind, zu einer unendlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

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VonRA Moegelin

Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

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penguinadminDas BAG hatte über die Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers wegen einer betriebsbedingten Kündigung die im März 2006 erteilt wurde zu entscheiden, der in der Betriebsstätte Hamburg des beklagten Arbeitgebers seit 1990 als Hausmeister und Haustechniker tätig war. Dort waren sechs Arbeitnehmer beschäftigt und in einem weiteren Standort in Leipzig mindestens acht Arbeitnehmer. Der Betriebsleiter im Standort Hamburg soll nach der Behauptung des Klägers für Einstellungen und Entlassungen bevollmächtigt gewesen sein.

Die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, wonach es das Kündigungsschutzgesetz für anwendbar hält, weil die Kapitalausstattung der Beklagten nicht gering gewesen sei und ihr Geschäftsführer in Hamburg nicht mitgearbeitet habe, hielt das Bundesarbeitsgericht aus folgenden Gründen für unzutreffend.

Gemäß § 23 Abs. 1 des KSchG besteht kein Kündigungsschutz für Arbeitnehmer in Betrieben, in denen in der Regel nur zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die darin liegende Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern größerer und kleinerer Betriebe verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Sie ist nach Ansicht des BAG sachlich gerechtfertigt, weil Kleinbetriebe typischerweise durch enge persönliche Zusammenarbeit, geringere Finanzausstattung und einen Mangel an Verwaltungskapazität geprägt sind. Auch wenn ein Unternehmer mehrere Kleinbetriebe unterhält, werden die Zahlen der dort Beschäftigten nach der Rechtsprechung nicht automatisch zusammengerechnet, wenn es sich tatsächlich um organisatorisch hinreichend verselbständigte Einheiten und deshalb um selbständige Betriebe handelt. Es ist aber sicherzustellen, dass damit aus dem Geltungsbereich des Gesetzes nicht auch Einheiten größerer Unternehmen herausfallen, auf die die typischen Merkmale des Kleinbetriebs (enge persönliche Zusammenarbeit etc.) nicht zutreffen, was wiederum ist nicht stets schon dann der Fall ist, wenn dem Betrieb auch nur eines dieser typischen Merkmale fehlt.

Die Revision des beklagten Arbeitgebers war daher erfolgreich. Vom Landesarbeitsgericht, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, ist nun zu klären, ob die beiden Betriebsstätten organisatorisch selbständig sind.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08

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Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht wegen leichtfertiger Verdächtigungen

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warning-14Das Arbeitsgericht kann auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auflösen, was in diesem Fall durch unglückliches Agieren des Arbeitgeber-Anwalts erfolgte.  Eine Voraussetzung der Abfindung ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Inwieweit leichtfertige Verdächtigungen durch den Arbeitgebers hinsichtlich angeblicher Straftaten durch den Arbeitnehmer die Unzumutbarkeit begründen, hatte das Landesarbeitsgericht Mainz zu entscheiden.

Ein seit rund 6 Jahren als Lkw-Fahrer und Monteur beschäftigter Arbeitnehmer erhielt eine Kündigung, aus betriebsbedingten Gründen. Im Kündigungsschutzverfahren erklärte der beklagte Arbeitgeber schriftsätzlich, die Kündigung zurückzunehmen.

Zum Prozesskostenhilfeantrag des Klägers nahm die Beklagte unter anderem wie folgt Stellung: „Der Kläger neigt zu wahrheitswidrigen betrügerischen Angaben. Anlässlich einer Arbeitsunfähigkeit im Herbst hat er bei der Beklagten angegeben, ihm sei der  Küchenschrank auf den Brustkorb gefallen. Tatsächlich wurde der Kläger bei seiner Nebentätigkeit als Türsteher von einem Dritten verletzt. Ihm ist offensichtlich „ein ganz anderer Schrank“ auf den Brustkorb gefallen. Der Kläger hat sich damit seine Lohnfortzahlung erschlichen. Durch seine unwahren Angaben hat der Kläger der Beklagten die Möglichkeit des Forderungsübergangs betreffend der Dritthaftung gemäß § 6 Entgeltfortzahlungsgesetz genommen. Die Beklagte wird einen Regress gegenüber diesem Schädiger geltend machen.“

Im Kammertermin wurde wie folgt zu Protokoll gegeben: „Der Beklagtenvertreter erklärt, die Beklagte habe ihm gestern in einem Gespräch noch einmal ausdrücklich erklärt, er möge darauf hinweisen, dass die Information über die Nebentätigkeit des Klägers als Türsteher und dessen Gewerbeanmeldung von ihr, der Beklagten, stamme, die schriftsätzlich vorgetragene Neigung des Klägers zu wahrheitswidrigen betrügerischen Angaben hingegen nicht, sondern es sich dabei um eine rechtliche Wertung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten handele. Auch der Vorwurf des Erschleichens der Lohnfortzahlung stamme nicht von der Beklagten, sondern stelle ebenfalls eine rechtliche Wertung von ihren Prozessbevollmächtigten dar.“

Die Beklagte weist darauf hin, dass keinerlei Sanktionen gegenüber dem Kläger eingeleitet worden seien.

Das Arbeitsgericht Trier hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst wurde, aber durch Antrag des Klägers gemäß § 9 KSchG aufgelöst wurde. Und es hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 9.000,00 € brutto zu zahlen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das LAG Mainz zurückgewiesen.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitnehmers dann, wenn es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht aufgelöst, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer jedoch nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen.

Als Auflösungsgründe kommen nur solche Umstände in Betracht, die in einem inneren Zusammenhang mit der vom Arbeitgeber erklärten sozialwidrigen Kündigung stehen oder die im Laufe des Kündigungsschutzrechtsstreits, z.B. wenn der Arbeitgeber leichtfertig und ohne Vorhandensein objektiver Tatsachen einen Arbeitnehmer verdächtigt, eine Straftat begangen zu haben.

Die Beklagte hat mit oben zitiertem Schriftsatz Vorwürfe erhoben, die das Gericht als ehrverletzend und durch keinerlei tatsächliche Umstände näher substantiiert einstuft, so dass Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vorliegt und eine Abfindung von 9.000,00 € rechtfertigt.

Die Erklärung des Prozessvertreters, infolge einer verstimmten Rückmeldung seiner Mandantschaft, habe er ausdrücklich zu Protokoll erklärt, bei den Äußerungen der Erschleichung der Lohnfortzahlung und der Neigung zu wahrheitswidrigen betrügerischen Angaben handele es sich nicht um Äußerungen der Beklagten, sondern lediglich und ausschließlich um Äußerungen der prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin, ändert daran nichts, wie das Gericht ausführt: Denn zum einen hat die Prozessbevollmächtigte die vorgenannten Äußerungen im Rahmen eines für die Beklagte verfassten und abgegebenen Schriftsatzes getätigt. Sie sind der von ihr vertretenen Partei, also der Beklagten, nach § 85 ZPO zuzurechnen. Hinzu kommt entscheidend, dass die Beklagte diese Äußerung über Monate hinweg hat im Raum stehen lassen, also ohne weiteres auch gebilligt hat. Diese Vorwürfe, ob sie nun, im Betrieb der Beklagten Allgemeingut geworden sind oder nicht, genügen vollauf, um eine Vertrauensbasis für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als nicht gegeben anzusehen und den Auflösungsantrag für begründet zu erachten. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass es sich um Ausführungen der Beklagten im Rahmen einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung (!) handelt, noch dazu im Rahmen eines die Beklagte unmittelbar rechtlich gar nicht betreffenden Nebenverfahren, nämlich dem Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren. Wie vor diesem Hintergrund eine gedeihliche Zusammenarbeit vorstellbar sein soll, erschließt sich nicht.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, es seien keinerlei Sanktionen gegenüber dem Kläger eingeleitet worden, sei die Herabwürdigung eines Arbeitnehmers gegenüber dem Gericht ausreichend, um von der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auszugehen.

Aus der protokollierten Erklärung des Beklagtenvertreters im Kammertermin geht nach Ansicht des Gerichts hervor, dass er sich nicht nachvollziehbar von seinen Äußerungen distanziert habe, auch wenn starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzt werden können, um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen, aber eben nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Insbesondere dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden, deren Unhaltbarkeit -wie hier- ohne weiteres auf der Hand liegt.

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Mainz: LAG Mainz, Urteil vom 11. Dezember 2014 – 3 Sa 556/14

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Sonderkündigungsschutz nach geschäftsschädigenden Facebook und YouTube Äußerungen

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iconos_redes_sociales_facebookEin Arbeitnehmer hat über Facebook und YouTube geschäftsschädigende Äußerungen über seinen Arbeitgeber verbreitet. Das BAG hatte zu klären, ob seine Eigenschaft als Bewerber für das Amt des Wahlvorstands ihn vor der Kündigung schützen konnte.

Betreffender Arbeitgeber stellt Verpackungen her. In seinem Betrieb, in dem viele Facharbeiter beschäftigt sind, fand am 10. Februar 2012 auf Einladung der Gewerkschaft ver.di eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands statt. Die Versammlung nahm einen unübersichtlichen Verlauf. Nach dem Verständnis beider Prozessparteien ist es zu einer wirksamen Wahl des Klägers nicht gekommen. Zwei Wochen später stellte ver.di beim Arbeitsgericht den Antrag, einen Wahlvorstand zu bestellen. In der Antragsschrift schlug sie als eines von dessen Mitgliedern erneut den Kläger vor. An einem der folgenden Tage gab der Kläger in einer von ver.di produzierten Videoaufzeichnung eine Erklärung des Inhalts ab, es gebe im Betrieb „Probleme“. An einzelnen Maschinen fehlten Sicherheitsvorkehrungen. Man könne „fast behaupten“, keine Maschine sei „zu 100 % ausgerüstet“. Das Problem sei, dass „keine Fachkräfte vorhanden“ seien und „das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 % erfüllt“ werde. Das Video wurde ins Internet gestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger verbreitete es zudem über „Facebook“. Mit Blick hierauf kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 15. März 2012 fristlos.

Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auf die Revision des beklagten Arbeitgebers wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Auch im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsratswahl darf ein Arbeitnehmer nicht wissentlich falsche, geschäftsschädigende Behauptungen über die betrieblichen Verhältnisse aufstellen und über digitale Medien verbreiten oder verbreiten lassen. Sachliche Kritik an den betrieblichen Gegebenheiten ist jedoch erlaubt. Für die Grenzziehung kommt es auf den Inhalt und den Kontext der Äußerungen an (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wegen vermeintlich geschäftsschädigender Äußerungen für unwirksam erachtet.

Nimmt der Arbeitgeber die Äußerungen eines „Wahlbewerbers“ zum Anlass für eine Kündigung, ist diese gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG nur wirksam, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigen, und entweder die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG oder – wenn ein Betriebsrat nicht gebildet ist – eine entsprechende gerichtliche Entscheidung vorliegt. Arbeitnehmer, die für das Amt des Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl kandidieren oder vorgeschlagen werden, sind keine Wahlbewerber im gesetzlichen Sinne. Das ergibt die Auslegung der einschlägigen Vorschriften.

Die außerordentliche Kündigung ist zwar nicht mangels gerichtlicher Zustimmung – der Kläger genoss keinen Sonderkündigungsschutz -, aber mangels wichtigen Grundes unwirksam. Die Erklärungen in dem Video waren erkennbar darauf gerichtet zu verdeutlichen, weshalb der Kläger die Bildung eines Betriebsrats als sinnvoll ansah. Der Kläger wollte dagegen nicht behaupten, die Beklagte beschäftige überwiegend ungelernte Kräfte.

Der Rechtsstreit war an das LAG zurückzuverweisen. Dieses hat nunmehr die Wirksamkeit einer auf den verspäteten Arbeitsbeginn des Klägers gestützten ordentlichen Kündigung zu prüfen.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgericht: BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13

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VonRA Moegelin

Kind vergessen bei Sozialauswahl der betriebsbedingten Kündigung

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Anonymous-BabyAufgrund von Auftragsrückgängen beschloss die Geschäftsleitung des beklagten Arbeitgebers ihre Produktionskapazitäten zu verringern. Sie reduzierte unter anderem die Anzahl der Stellen für Montageschlosser um 65, von ursprünglich 237 auf 172 Stellen. Bei der sozialen Auswahl ging sie nach einem Punkteschema vor. Für jedes unterhaltsberechtigte Kind vergab sie 10 Punkte. Auf Grundlage dieses Schemas vergab sie dem Kläger -einem Montageschlosser- 10 Punkte, gemäß der einen Unterhaltsverpflichtung die auf seiner Lohnsteuerkarte ausgewiesen ist. Auf der Lohnsteuerkarte war nur ein Kinderfreibetrag von 0,5 eingetragen. Der Kläger hatte zuvor unstreitig zwei Elternzeiten bei der Beklagten beantragt. Innerhalb der Vergleichsgruppe „Montageschlosser“ erklärte die Beklagte den Arbeitnehmern, die bis einschließlich 92 Punkte erzielten, eine Beendigungskündigung. Der Kläger erzielte nach der Berechnung der Beklagten 84 Punkte und erhielt die Kündigung.

Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte in beiden Instanzen Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die für die Sozialauswahl einer betriebsbedingten Kündigung maßgeblichen familienrechtlichen Unterhaltspflichten lassen sich der Lohnsteuerkarte nicht zuverlässig entnehmen (Landesarbeitsgericht Mainz, Urteil vom 29. Januar 2015 – 5 Sa 390/14).

Die Beklagte hätte daher nicht auf die aus der Lohnsteuerkarte ersichtlichen Angaben vertrauen dürfen, um auf dieser Grundlage die Sozialauswahl zu treffen. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG spricht ausschließlich von “Unterhaltspflichten”, die ausreichend zu berücksichtigen sind. Darunter sind die familienrechtlichen Unterhaltspflichten zu verstehen. Da die kinderbezogenen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte nur begrenzt etwas über das Bestehen dieser familienrechtlichen Verhältnisse aussagen, drängt es sich nach Ansicht des Gerichts auf, dass gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht  die in die Lohnsteuerkarte eingetragenen Kinderfreibeträge maßgeblich sind, so dass es auf die tatsächlichen, nicht aber auf die in die Lohnsteuerkarte eingetragenen Daten ankommt.

Die Kündigungsschutzklage hatte damit auch in der 2. Instanz Erfolg. Obwohl das LAG Mainz einen dringenden betrieblichen Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG als einschlägig ansah, habe der beklagte Arbeitgeber bei der Auswahl des Klägers soziale Gesichtspunkte gemäß § 1 Abs. 3 KSchG nicht ausreichend berücksichtigt. Die Beklagte habe bei der Auswahlentscheidung nach ihrem Punkteschema zu Unrecht nur Unterhaltspflichten für ein Kind berücksichtigt. Tatsächlich hat der Kläger aber zwei Kinder. Auf der Lohnsteuerkarte war nur ein Kinderfreibetrag von 0,5 eingetragen, obwohl der Beklagten aufgrund der unstreitigen zwei Elternzeiten des Klägers bekannt gewesen war, dass er zwei unterhaltsberechtigte Kinder hatte. Folglich hat der Kläger 94 statt nur 84 Sozialpunkte erzielt. Bei Berücksichtigung von den tatsächlich zwei Unterhaltspflichten hätte der Kläger in der Vergleichsgruppe „Montageschlosser“ nicht zur Kündigung angestanden, denn er hätte mit 94 Punkten einen Listenplatz erreicht, von dem ab keine Kündigungen mehr erfolgten.

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Mainz: LAG Mainz, Urteil vom 29.Januar 2015 – 5 Sa 390/14

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