Monatsarchiv 29. März 2015

VonRA Moegelin

Rechtsmittel einlegen – Gerichtstermine wahrnehmen: Hochschulbildung nicht erforderlich

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glassy-smiley-failureEine juristische Sachbearbeiterin für das Sozialversicherungsrecht erhielt zuletzt von ihrem Arbeitgeber 4.765,00 € brutto monatlich, basierend auf der Entgeltgruppe 8 des Entgelttarifvertrages der Deutschen BKK. Nach Ansicht der Volljuristin müsste sie aber nach der Entgeltgruppe 9 bezahlt werden.

Besagter Tarifvertrag regelt auszugsweise wie folgt:

„Entgeltgruppe 8: Beschäftigte mit Tätigkeiten, die sich durch das Maß der Verantwortung aus der EGr 7 herausheben, z. B.:  1. Teamleiter, dem mindestens 8 Sachbearbeiter bis EGr 7 ständig unterstellt sind, 2. Sachbearbeiter mit besonderen Aufgaben der Sachbearbeitung, der sich durch besondere Schwierigkeit oder Bedeutung oder das Maß der Verantwortung aus der EGr 7 heraushebt, 3. Fachreferent, z. B. Grundsatz für spezielle Aufgabengebiete.

Entgeltgruppe 9: Beschäftigte mit Tätigkeiten, die eine abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung oder gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. z. B.:  1. Leiter einer Filiale, 2. Leiter bei der Zentrale, 3. Fachreferent der sich durch besondere Schwierigkeit oder Bedeutung oder das Maß der Verantwortung aus der EGr 8 heraushebt, z.B. Grundsatz für umfassende Aufgabengebiete und Revision, 4. Teamleiter, die sich durch das Maß der Verantwortung aus der EGr 8 herausheben (Abwesenheitsvertreter in größeren Filialen und Abteilungen), 5. Verkaufsleiter.“

Ihre beim Arbeitsgericht geltend gemachte Eingruppierungsklage begründet die Juristin unter anderem damit, dass die ihr zugewiesenen Aufgaben zu 75 % in der eigenverantwortlichen Bearbeitung und Durchführung von zivilrechtlichen Klageverfahren. Soweit streitwertabhängig oder in Berufungssachen die Zuständigkeit der Landgerichte gegeben sei, erteile sie den konkreten Klageauftrag an Anwälte und führe die Korrespondenz. Verantwortlich und selbständig betreibe sie die gerichtlichen Verfahren, die in die Zuständigkeit der Amtsgerichte fallen und führe Beweissicherungsverfahren durch.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Bearbeiten von zivilrechtlichen Klageverfahren (unter anderem das Beurteilen der Wirtschaftlichkeit und die Erfolgsaussicht einer Klage; Erstellen von Klageschriften, Schriftsätzen und Repliken; Recherchieren von Beweismitteln; Korrespondieren mit Anwälten; Wahrnehmen von Gerichtsterminen; Einlegung von Rechtsmitteln) rechtfertigt nicht die Eingruppierung nach der Entgeltgruppe 9 des Entgelttarifvertrages der Deutschen BKK. Es handelt sich nicht um Tätigkeiten, die eine abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung oder gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne der Tarifvorschrift erfordern (Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 9. Juli 2014 11 Ca 732/14).

Bei der Durchführung von Klageverfahren handele es sich nicht um Tätigkeiten im Sinne der tariflichen Entgeltgruppe 9, die eine abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung oder gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Eine solche Qualifikation sei keine formale Voraussetzung für die Tätigkeit der Klägerin. Insbesondere sei das Einreichen von Schriftsätzen bei den Amtsgerichten nicht daran gebunden. Erst die den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit vor den Landgerichten setze eine wissenschaftliche Hochschulbildung voraus. Die Gleichstellung gleichwertiger Kenntnisse und Fähigkeiten belege, dass es nicht darauf ankommt, dass die Klägerin tatsächlich eine abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung hat.

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart: ArbG Stuttgart, Urteil vom 9. Juli 2014 – 11 Ca 732/14

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VonRA Moegelin

Sonderkündigungsschutz nach geschäftsschädigenden Facebook und YouTube Äußerungen

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iconos_redes_sociales_facebookEin Arbeitnehmer hat über Facebook und YouTube geschäftsschädigende Äußerungen über seinen Arbeitgeber verbreitet. Das BAG hatte zu klären, ob seine Eigenschaft als Bewerber für das Amt des Wahlvorstands ihn vor der Kündigung schützen konnte.

Betreffender Arbeitgeber stellt Verpackungen her. In seinem Betrieb, in dem viele Facharbeiter beschäftigt sind, fand am 10. Februar 2012 auf Einladung der Gewerkschaft ver.di eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands statt. Die Versammlung nahm einen unübersichtlichen Verlauf. Nach dem Verständnis beider Prozessparteien ist es zu einer wirksamen Wahl des Klägers nicht gekommen. Zwei Wochen später stellte ver.di beim Arbeitsgericht den Antrag, einen Wahlvorstand zu bestellen. In der Antragsschrift schlug sie als eines von dessen Mitgliedern erneut den Kläger vor. An einem der folgenden Tage gab der Kläger in einer von ver.di produzierten Videoaufzeichnung eine Erklärung des Inhalts ab, es gebe im Betrieb „Probleme“. An einzelnen Maschinen fehlten Sicherheitsvorkehrungen. Man könne „fast behaupten“, keine Maschine sei „zu 100 % ausgerüstet“. Das Problem sei, dass „keine Fachkräfte vorhanden“ seien und „das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 % erfüllt“ werde. Das Video wurde ins Internet gestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger verbreitete es zudem über „Facebook“. Mit Blick hierauf kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 15. März 2012 fristlos.

Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auf die Revision des beklagten Arbeitgebers wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Auch im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsratswahl darf ein Arbeitnehmer nicht wissentlich falsche, geschäftsschädigende Behauptungen über die betrieblichen Verhältnisse aufstellen und über digitale Medien verbreiten oder verbreiten lassen. Sachliche Kritik an den betrieblichen Gegebenheiten ist jedoch erlaubt. Für die Grenzziehung kommt es auf den Inhalt und den Kontext der Äußerungen an (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wegen vermeintlich geschäftsschädigender Äußerungen für unwirksam erachtet.

Nimmt der Arbeitgeber die Äußerungen eines „Wahlbewerbers“ zum Anlass für eine Kündigung, ist diese gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG nur wirksam, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigen, und entweder die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG oder – wenn ein Betriebsrat nicht gebildet ist – eine entsprechende gerichtliche Entscheidung vorliegt. Arbeitnehmer, die für das Amt des Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl kandidieren oder vorgeschlagen werden, sind keine Wahlbewerber im gesetzlichen Sinne. Das ergibt die Auslegung der einschlägigen Vorschriften.

Die außerordentliche Kündigung ist zwar nicht mangels gerichtlicher Zustimmung – der Kläger genoss keinen Sonderkündigungsschutz -, aber mangels wichtigen Grundes unwirksam. Die Erklärungen in dem Video waren erkennbar darauf gerichtet zu verdeutlichen, weshalb der Kläger die Bildung eines Betriebsrats als sinnvoll ansah. Der Kläger wollte dagegen nicht behaupten, die Beklagte beschäftige überwiegend ungelernte Kräfte.

Der Rechtsstreit war an das LAG zurückzuverweisen. Dieses hat nunmehr die Wirksamkeit einer auf den verspäteten Arbeitsbeginn des Klägers gestützten ordentlichen Kündigung zu prüfen.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgericht: BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13

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VonRA Moegelin

Mittelbare Diskriminierung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft

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Penguin-Couple-2-by-Merlin2525Eine Lehrerin die im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, verlangt von ihren Arbeitgeber den kinderbezogenen Bestandteils des Ortszuschlags und zwar mit Wirkung des Beginns ihrer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Im gemeinsamen Haushalt wohnen auch die beiden leiblichen Kinder der Lebenspartnerin der Klägerin. Im Vergütungssystem des damals gültigen BAT waren kinderbezogene Entgeltbestandteile vorgesehen. Der BAT wurde übergeleitet in den nunmehr gültigen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Voraussetzung für den Anspruch darauf war ein Anspruch auf Kindergeld. Für diesen werden auch vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten berücksichtigt. Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist allerdings keine Ehe. Darum stand nach dem Tarifrecht Angestellten des öffentlichen Dienstes, die Kinder ihres eingetragenen Lebenspartners in ihren Haushalt aufnahmen, kein Anspruch auf den kinderbezogenen Bestandteil im Ortszuschlag zu.

Das Arbeitsgericht hat der Klage der Klage der Lehrerin auf Zahlung des kinderbezogenen Bestandteils im Ortszuschlag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Auch die Revision war ohne Erfolg.

Die Versagung des kinderbezogenen Bestandteils im Ortszuschlag bei eingetragener Lebenspartnerschaft ist gleichheitswidrig und benachteiligt eingetragene Lebenspartner gegenüber Ehepartnern und ist deshalb gemäß Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam (BAG, Urteil vom 18. März 29010 – 6 AZR 156/09).

Der kinderbezogene Bestandteil im Ortszuschlag wurde nach Ansicht des BAG im Hinblick auf die aus der Erziehung und Betreuung von Kindern folgende finanzielle Belastung auch für in den Haushalt aufgenommene Kinder des Ehegatten gewährt, weil mit dieser Aufnahme ein familiäres Betreuungs- und Erziehungsverhältnis begründet wurde. Ausgehend von diesem Zweck gäbe es keine sachlichen Gründe, die es rechtfertigten, den kinderbezogenen Bestandteil im Ortszuschlag für in den Haushalt aufgenommene Kinder der eingetragenen Lebenspartnerin zu versagen.

Die hiergegen gerichtete Revision des beklagten Landes war daher zurückzuweisen.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 18. März 2010 – 6 AZR 156/09

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VonRA Moegelin

Die Elementenfeststellungsklage

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compounds-element-greenDas BAG hatte über die Zulässigkeit einer Feststellungsklage der eher ungewöhlichen Art zu entscheiden und zwar der sogenannten Elementenfeststellungsklage.

Diesem Fall zugrunde lag die Klage von drei Arbeitnehmern die  ursprünglich bei einem Arbeitgeber beschäftigt waren, der aufgrund seiner Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge der Metallindustrie Nordrhein-Westfalens gebunden war. Nach Abschluss des Entgeltrahmenabkommens (ERA), des Tarifvertrages zur Einführung des Entgeltrahmenabkommens (ERA-ETV) und des Tarifvertrages ERA-Anpassungsfonds (TV ERA-APF) gingen die Arbeitsverhältnisse der klagenden Parteien am 15. September 2004 infolge Verschmelzung auf die nicht tarifgebundene Beklagte über. Der ERA-ETV sieht ab dem 1. März 2003 eine vierjährige Einführungsphase vor; ab dem 1. März 2009 gilt das ERA verbindlich für alle Betriebe. Der TV ERA-APF ordnet an, dass ab dem 1. März 2006 bis zur verbindlichen betrieblichen Einführung des ERA eine Strukturkomponente zu zahlen ist. Weiterhin ist dort geregelt, dass insoweit „Auszahlungszeitpunkte, die aktuelle Bezugsbasis und ggf. weitere Einzelheiten auf Basis der Ergebnisse der Entgeltabkommen 2006“ geregelt werden. Die Klägerin und die Kläger verlangen mit ihren Klagen die Feststellung, dass die Beklagte zur Zahlung der Strukturkomponente nach dem TV ERA-APF verpflichtet ist.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufungen der klagenden Parteien, nachdem es die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, den Klagen stattgegeben. Die Revision des beklagten Arbeitgbers hiergegen war vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgreich.

Eine Feststellungsklage, die lediglich einzelne Elemente eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses zum Inhalt hat, ist dann unzulässig, wenn durch eine Entscheidung der Streit zwischen den Parteien nicht abschließend geklärt werden kann, weil nur rechtliche Vorfragen zur Entscheidung gestellt worden sind (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. April 2010 – 4 AZR 755/08).

Ob die Beklagte zur Zahlung der sogenannten ERA-Strukturkomponente verpflichtet ist, hatte das BAG  nicht zu entscheiden. Die Klagen waren unzulässig, weil es bereits am erforderlichen Feststellungsinteresse fehlte. Durch ein stattgebendes Urteil würde nicht die weitere, zwischen den Parteien umstrittene Frage geklärt, wie die Strukturkomponente im Falle einer Verpflichtung zu berechnen ist und wann ihre Fälligkeit eintritt. Dies ist durch den Tarifvertrag ERA-APF, der allein Gegenstand des Feststellungsantrages war, nicht geregelt. Aufgrund des Vorbringens der klagenden Parteien schied auch eine Auslegung der Feststellungsanträge durch das BAG aus, die den Anforderungen an das erforderliche Feststellungsinteresse genügen würde.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 21. April 2010 – 4 AZR 755/08

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VonRA Moegelin

Ladenöffnung am heiligen Sonntag

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Cross_With_HaloDas in Deutschland grundrechtlich verankerte Gottesstaats-Prinzip gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV hat das OVG Berlin-Brandenburg am 26.03.15 konsequenterweise zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, wonach die ordnungsbehördliche Verordnung der Landeshauptstadt Potsdam über Öffnungszeiten von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen für das Jahr 2015 einstweilen außer Vollzug zu setzen ist.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat auf den Antrag der Gewerkschaft ver.di in einem Eilverfahren so entschieden (OVG Berlin-Brb, Beschluss vom 26. März 2015  – 1 S 19.15). Der Beschluss ist unanfechtbar.

Nach dem Brandenburgischen Ladenöffnungsgesetz müssen Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich geschlossen bleiben. Nur aus Anlass von besonderen Ereignissen dürfen an jährlich höchstens sechs Sonn- oder Feiertagen Verkaufsstellen in der Zeit von 13.00 Uhr bis 20.00 Uhr geöffnet sein. Diese Tage und die Öffnungszeiten werden durch eine Verordnung der örtlichen Ordnungsbehörde festgesetzt. Die Stadt Potsdam hat in der streitigen Verordnung mehr als sechs, nämlich insgesamt zehn Sonntage aus Anlass bestimmter Ereignisse als verkaufsoffen ausgewiesen und diese auf verschiedene Stadtteile verteilt. Sie meint, dies sei so möglich, denn eine stadtteilbezogene Sonntagsöffnung führe nicht zu einem Verbrauch verkaufsoffener Sonntage in einem anderen Stadtteil.

Der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat die Verordnung einstweilen außer Vollzug gesetzt, weil er sie für offensichtlich unwirksam hält. Sie sei von der Ermächtigungsnorm schon dem Wortlaut nach nicht gedeckt, denn diese erlaube nur sechs – nicht jedoch zehn – verkaufsoffene Sonntage. Die örtlich beschränkte Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags bewirke, dass dieser Sonntag insgesamt und nicht nur für den betreffenden Stadtteil verbraucht sei. Das gebiete auch der Sinn des Sonntagsschutzes, der dem Schutz der Arbeitsruhe, der Erholung und der Möglichkeit zu familiärem Leben an Sonn- und Feiertagen diene. Für die aus Anlass des Osterfestes am 29. März 2015 geplante Ladenöffnung gebe es zudem keinen hinreichenden Anlass. Hierbei handele es sich hauptsächlich um ein Einkaufserlebnis, welches bloß wirtschaftlichen Umsatzinteressen der Ladeninhaber und alltäglichen Erwerbsinteressen potenzieller Käufer diene. Dies genüge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Sonntagsruhe zu rechtfertigen.

Das OVG schließt sich dem Bundesverfassungsgericht an, das zuvor unter anderem wie folgt entschieden hat: „In der neuzeitlichen Interpretation durch die großen öffentlich-rechtlich verfassten christlichen Religionsgemeinschaften kommt dem Sonntag und den religiös-christlichen Feiertagen auch die Aufgabe zu, Schutz vor einer weitgehenden Ökonomisierung des Menschen zu bieten.“ (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857/07)

Allein „weltliche“ Motive führt das OVG zur Begründung seiner Entscheidung an. Das ändert aber nichts daran, dass die Sonntagsruhe von Religionsgemeinschaften eingeführt wurde. Die grundrechtlich verankerte Sonntagsruhe basiert auf christlich-religiösen Anschauungen. Religion hat aber in einem säkularen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland Privatsache zu sein. Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV verstoßen hiergegen. Im konkreten Fall verstoßen diese Normen gegen die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte freie Berufsausübung. Die Kirchen mögen Ladenöffnung am Sonntag als „Ökonomisierung des Menschen“ ansehen. Ãœbersehen wird, dass jemand der am Sonntag arbeitet, dafür einen vollen Ausgleich durch Arbeitsruhe an einem anderen Tag bekommt. Diese Argumentation einer Ökonomisierung entbehrt also jeder Sachgrundlage, sondern stellt sich schlicht als religiös motivierte Bevormundung dar. Das ist genau der vom OVG angesprochene „Sinn“ der Sonntagsruhe, der nur auf religiösen und nicht auf sachlichen Argumenten beruht. „Arbeitsruhe“, „Erholung“, usw. kann für die Betroffenen durch einen Ausgleichstag genauso sichergestellt werden. In nahezu allen Ländern der Welt besteht am Sonntag die Freiheit, ein Geschäft zu öffnen – ob im christlich geprägten Polen oder in der islamisch geprägten Türkei, ohne dass es Beeinträchtigungen, z.B. des vom OVG angeführten „familiärem Lebens“ gibt.

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VonRA Moegelin

Zum Tod von „Emmely“ : BAG 2 AZR 541/09

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paragrafSupermarkt-Kassiererin Emmely ist tot. Ihr Fall der Unterschlagung von Pfandbons im Wert 1,30 € hat die Rechtsprechung umgewälzt. Denn dank „Emmely“ hat seitdem einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung regelmäßig eine Abmahnung vorauszugehen.

Nach den richerlichen Feststellungen ist ein Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter der Kündigung vorausgegangen. Das Gericht geht davon aus, dass „Emmely“, also die Klägerin, die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat das Gericht ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat

An dieser Rechtsprechung hält das BAG fest.

Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

Obwohl damit ein Pflichtenverstoß vorliegt, der eine außerordentliche Kündigung im Grundsatz rechtfertigt, ergibt nach Ansicht des BAG die Interessenabwägung die Unrechtmäßigkeit der Kündigung, sogar der hilfsweisen ordentlichen Kündigung. Ausreichend sei demnach eine Abmahnung gewesen.

Das BAG begründet es wie folgt:

Für die Klägerin spricht die Einmaligkeit der Pflichtverletzung bei einer beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit von gut drei Jahrzehnten. Eine zwischenzeitlich erteilte Abmahnung wegen eines anderen Vorfalls ist aus der Personalakte entfernt worden.

Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

Anders als der beklagte Arbeitgeber meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen. Es ist nur auf den konkrten Sachverhalt abzustellen, der zur Kündigung geführt hat.

Die Wertung des BAG ist sicherlich vertretbar. Andererseits sind auch die Argumente der Vorinstanz nachvollziehbar. Immerhin hat die Klägerin eine Straftat und zwar eine veruntreuende Unterschlagung begangen. Es lässt sich sehr gut argumentieren, dass das Vertrauensverhältnis zerstört ist, wenn dieses Fehlverhalten, sei es auch nur wegen eines geringen Geldbetrages, so wie hier den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betrifft und zwar wie hier die Kassierertätigkeit.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09

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