Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) haben „Beschäftigte“ zur Ãœberprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots im Sinne dieses Gesetzes einen Auskunftsanspruch nach Maßgabe der §§ 11 bis 16. Nach § 5 Abs. 2 EntgeltTranspG sind ua. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes. Die Begriffe „Arbeitnehmerin“ und „Arbeitnehmer“ in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sind nicht eng iSd. Arbeitnehmerbegriffs des innerstaatlichen Rechts, sondern unionsrechtskonform in Ãœbereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen. Danach können im Einzelfall auch arbeitnehmerähnliche Personen iSd. innerstaatlichen Rechts Arbeitnehmer iSv. § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgeltTranspG sein.
Die Klägerin ist für die Beklagte – eine Fernsehanstalt des öffentlichen Rechts – seit 2007 als Redakteurin tätig. Zunächst kam sie als online-Redakteurin auf der Grundlage befristeter Verträge zum Einsatz. Seit Juli 2011 befindet sie sich in einem unbefristeten Vertragsverhältnis, nach dem sie „bis auf weiteres“ als freie Mitarbeiterin gemäß einem bei der Beklagten geltenden Tarifvertrag beschäftigt wird und eine Tätigkeit als „Redakteurin mit besonderer Verantwortung“ ausübt. Aufgrund rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht fest, dass die Klägerin nicht Arbeitnehmerin iSd. innerstaatlichen Rechts ist. Mit Schreiben vom 1. August 2018 begehrte die Klägerin vom Personalrat Auskunft nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG. Dieser antwortete nach Rücksprache mit der Personalabteilung der Beklagten, dass die Klägerin als freie Mitarbeiterin nicht unter das Entgelttransparenzgesetz falle und deshalb keinen Auskunftsanspruch habe.
Das Landesarbeitsgericht hat die gegen die Beklagte gerichteten Klageanträge auf Erteilung von Auskunft über 1. die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung und 2. über das Vergleichsentgelt abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Klägerin nicht Arbeitnehmerin iSd. innerstaatlichen Rechts und als arbeitnehmerähnliche Person nicht Beschäftigte iSd. § 5 Abs. 2 EntgTranspG sei, weshalb sie keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskünfte habe.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG Auskunft über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung verlangen, da sie als freie Mitarbeiterin der Beklagten „Arbeitnehmerin“ iSv. § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG und damit Beschäftigte iSv. § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgeltTranspG ist. Die Begriffe „Arbeitnehmerin“ und „Arbeitnehmer“ in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sind unionsrechtskonform in Ãœbereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen, da es andernfalls an einer Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit im deutschen Recht fehlen würde. Eine – zwingend erforderliche – ausreichende Umsetzung ist bislang weder im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch ansonsten erfolgt. Erst das Entgelttransparenzgesetz enthält Bestimmungen, die auf die Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG zur Entgeltgleichheit gerichtet sind. Ob die Klägerin gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Erteilung von Auskunft über das Vergleichsentgelt hat, konnte der Senat aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Insoweit hat der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juni 2020 – 8 AZR 145/19 –
vgl. Pressemitteilung Nr. 17/20:
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Februar 2019 – 16 Sa 983/18 –
Ein über die Betriebsgefahr hinausgehenden Verursachungsbeitrag des Unfallverursachers bei einem Auffahrunfall hat der Unfallgegner, der Schmerzensgeld und Schadensersatz begehrt, zu beweisen. Der Beweis des ersten Anscheins dahingehend, dass der Fahrer des auffahrenden Fahrzeuges den Auffahrunfall verschuldet hat, ist im hie einschlägigen Fall nicht ausreichend.
Voraussetzung der Anwendung des Beweises ersten Anscheins ist ein sogenannter typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen. Bei einem typischen Auffahrunfall, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende entweder durch einen ungenügenden Sicherheitsabstand, durch unangepaßte Geschwindigkeit und/oder durch allgemeine Unaufmerksamkeit den Unfall schuldhaft verursacht hat.
Volltext des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 14.05.2020 – 2 O 26/18:
Tenor
Die Beklagten zu 2. und 3. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.272,43 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2017 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Kläger 75% und die Beklagten zu 2. und 3. als Gesamtschuldner 25% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. hat der Kläger, die außergerichtlichen Kosten der Beklagte zu 2. und 3. hat der Kläger zu 63% zu tragen. Im übrigen tragen die Parteien ihre Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht in der jeweilige Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 5.544,86 € festgesetzt.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Auffahrunfall.
2 Der Kläger war im Unfallzeitpunkt am 12. Juni 2017 Eigentümer und Fahrer des Personenkraftwagens Volvo V70 mit dem amtlichen Kennzeichen B-…. Der Beklagte zu 2. war Halter des Personenkraftwagens Renault Laguna mit dem amtlichen Kennzeichen B-…, welcher bei der Beklagten zu 3. haftpflichtversichert war. Bezüglich der Beklagten zu 1. trägt der Kläger in der Klageschrift vor, sie sei im Unfallzeitpunkt Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges gewesen, in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 30. April 2020 hat er vorgetragen, die Beklagte zu 1. habe das gegenständliche Fahrzeug nicht gefahren.
3 Am Unfalltag verfolgte der Kläger mit seinem vorstehend genannten Fahrzeug über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Stunden den Zeugen G., der mit seinem Personenkraftwagen unterwegs war. Er tat dies bewußt, um den Zeugen G. zu stören. Zwischen dem Kläger und dem Zeugen G. bestehen oder bestanden Mißhelligkeiten. Diese beruhen unter anderem auf einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Potsdam zum Az. 4 O 362/15, in welchem der Kläger die P. GmbH wegen einer behaupteten fehlerhaften Beratung im Zusammenhang mit einer Berufsunfähigkeitabsicherung verklagt hatte. Geschäftsführer der P. GmbH war der Beklagte zu 2.; die Falschberatung sollte nach dem Vortrag des Klägers durch den Zeugen G. erfolgt sein. Das Landgericht Potsdam wies die Klage ab, nachdem die Kammer beachtliche Zweifel daran hatte, daß der Kläger die Beratungssituation im Rahmen seiner Anhörung wahrheitsgemäß dargestellt habe.
4 Der Zeuge G. informierte am Unfalltag vor dem gegenständlichen Auffahrunfall den Beklagten zu 2., daß ihn der Kläger schon über einen längeren Zeitraum verfolge. Der Zeuge G. und der Beklagte zu 2. kamen überein, sich in der A.straße in Potsdam zu treffen. Als der Zeuge G., verfolgt vom Kläger, gegen 21:00 Uhr in der A.straße ankam, hielt er am rechten Fahrbahnrand, der Kläger einige Meter hinter ihm. Sodann bemerkte der Kläger das sich annähernde Beklagtenfahrzeug im Rückspiegel. Ferner bemerkte er, daß der Zeuge G. mit seinem Fahrzeug rückwärts auf ihn zufuhr. Der Kläger befürchtete, nun von beiden Fahrzeugen in die Zange genommen zu werden und entschloß sich zur Flucht. Zu diesem Zwecke scherte er nach links aus und fuhr stark beschleunigend in Richtung Golfplatz. Das Beklagtenfahrzeug folgte ihm. Im unmittelbaren Anschluß fuhr das Beklagtenfahrzeug mit einer Differenzgeschwindigkeit von etwa zwanzig Kilometer pro Stunde auf das klägerische Fahrzeug auf.
5 Das klägerische Fahrzeug hatte im Unfallzeitpunkt einen Wiederbeschaffungswert (netto) in Höhe von 4.200,- € sowie nach dem Unfall einen Restwert von 1.060,- €. Für ein Sachverständigengutachten wendete der Kläger 597,90 EUR und für den erforderlichen Rettungseinsatz 356,96 € auf.
6  Der Kläger behauptet, er habe unmittelbar vor dem Auffahren des Beklagtenfahrzeuges seine Geschwindigkeit lediglich durch Gaswegnehmen von einer überhöhten Geschwindigkeit auf die zulässigen fünfzig Kilometer pro Stunde reduziert. Das Beklagtenfahrzeug sei offensichtlich wegen eines zu geringen Sicherheitsabstandes aufgefahren. Durch den Unfall habe er ein HWS-Schleudertrauma und eine Stauchung der linken Hand des linken Armes erlitten. Ferner habe er einen Verdienstausfall in Höhe von insgesamt 420,- € hinnehmen müssen, da er seiner Tätigkeit als Fitneßtrainer unfallbedingt nicht mehr habe nachgehen können.
7 Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe Schmerzensgeld in Höhe von jedenfalls 1.000,- € sowie eine Unfallkostenpauschale in Höhe von 30,- € zu.
8 Der Kläger beantragt,
9 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 4.544,86 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem über den Basiszinssatz seit dem 1. September 2017 zu zahlen;
10 2. die Beklagten weiterhin als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
11 3. die Beklagten ferner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 571,44 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Â Â Die Beklagten beantragen,
13 die Klage abzuweisen.
14 Sie behaupten, unfallursächlich sei gewesen, daß der Kläger ohne Vorwarnung und ohne jeden Anlaß eine Vollbremsung eingeleitet und so den Auffahrunfall verursacht habe.
15 Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Marco G., zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Februar 2019 (Bl. 176) verwiesen. Ferner ist die Strafakte des Amtsgerichts Potsdam zum Aktenzeichen 89 Ls 23/17 zu Beweiszwecken beigezogen und mit Beschluß vom 30. April 2020 die Verwertung des im Strafverfahren eingeholten Gutachtens des Diplom-Ingenieurs Carsten Wegner vom 14. September 2017 angeordnet worden. Auf das Gutachten in der Strafakte Bl. 194 wird verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2020 ist der Sachverständige persönlich angehört worden. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
16 Die Klage ist im tenoriertem Umfange begründet, im übrigen nicht begründet.
17  Gegen die Beklagte zu 1. ist die Klage nicht begründet. Ein Anspruch ergibt sich weder aus § 18 Abs. 1 StVG noch aus § 823 Abs. 1, 2 BGB oder einem sonstigen Rechtsgrund. Der Kläger hat in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2020 angegeben, die Beklagte zu 1. habe das Beklagtenfahrzeug nicht geführt. Ein Anspruch gegen sie ist vor diesem Hintergrund aus keinem Rechtsgrund ersichtlich.
18 Dem Kläger steht gegen den Beklagten zu 2. ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG sowie gegen die Beklagte zu 3. aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG dem Grunde nach zu. Der Beklagte zu 2. und die Beklagte zu 3. haften als Gesamtschuldner (§ 115 Abs. 1 S. 4 VVG). Das Fahrzeug des Klägers wurde beim Betrieb des Beklagtenfahrzeuges beschädigt und der Kläger verletzt. Das Gericht ist davon überzeugt, daß der Kläger ein HWS-Schleudertrauma sowie eine Stauchung der linken Hand und des linken Arms durch den Unfall erlitten hat. Diese Verletzung sind typische Folgen eines Auffahrunfalls und wurden in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zum Unfallereignis ärztlich dokumentiert.
19 Dem Grunde nach ersatzfähig sind der Wiederbeschaffungsaufwand am klägerischen Fahrzeug, die Kosten für das Sachverständigengutachten und den Rettungseinsatz. Ferner ist eine Unfallkostenpauschale in Höhe von 25,- € angemessen. Nicht ersatzfähig ist hingegen der behauptete Verdienstausfall, für den der Kläger keinen Beweis angetreten hat.
20 Darüber hinaus besteht dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 400,- €. Dieses Schmerzensgeld erscheint in Anbetracht der vorgetragenen Verletzungsfolgen angemessen und vermag die erlittene Beeinträchtigung auszugleichen. Das grundsätzlich in Ansatz zu bringende Genugtuungsinteresse tritt indes vorliegend in Gänze zurück. Der Kläger hat die Eskalation des Geschehens verursacht, indem er den Zeugen G. über einen eineinhalbstündigen Zeitraum verfolgt hat, allein um dem Zeugen auf die Nerven zu gehen. Die Tatsache, daß der Kläger durch diese Pervertierung des öffentlichen Straßenverkehrs für seine Machtspielchen die gesuchte Eskalation letztendlich in Form des Unfalls gefunden hat, schafft auf seiner Seite kein berücksichtigungsfähiges Genugtuungsbedürfnis, das ein höheres Schmerzensgeld zu rechtfertigen vermöchte.
21 Dem Kläger steht jedoch nur ein Anspruch in Höhe von 50 % des dem Grunde nach entstandenen Schadens und Schmerzensgeldes zu. Dem Kläger ist nicht gelungen, einen über die Betriebsgefahr hinausgehenden Verursachungsbeitrag des Beklagtenfahrzeuges zu beweisen. Insbesondere streitet für den Kläger nicht der Beweis des ersten Anscheins dahingehend, daß der Fahrer des auffahrenden Fahrzeuges den Auffahrunfall verschuldet habe.
22 Voraussetzung der Anwendung des Beweises ersten Anscheins ist ein sogenannter typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen (MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, ZPO § 286 Rn. 48). Bei einem typischen Auffahrunfall, spricht der Anscheinsbeweis dafür, daß der Auffahrende entweder durch einen ungenügenden Sicherheitsabstand, durch unangepaßte Geschwindigkeit und/oder durch allgemeine Unaufmerksamkeit den Unfall schuldhaft verursacht hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29. September 2005 – I-10 U 203/04 –, juris). Der Gegenbeweis wird regelmäßig dadurch geführt, daß der Beweisgegner konkrete Tatsachen behauptet und zur Ãœberzeugung des Gerichts nachweist – oder sie wie vorliegend unstreitig sind -, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs im konkreten Fall ergibt. Dann ist der Schluß aus dem typischen Geschehensablauf, auf dem der Anscheinsbeweis beruht, außer Kraft gesetzt und durch die Möglichkeit ersetzt, daß ausnahmsweise ein atypischer Sachverhalt vorliegt (MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, ZPO § 286 Rn. 65).
23 Vorliegend liegt ein solcher atypischer Sachverhalt und damit gerade kein typischer Auffahrunfall vor. Ein alternativer Geschehensablauf zum typischen Auffahrunfall kommt ernsthaft in Betracht. Beim gegenständlichen Unfall handelt es sich gerade nicht um einen typischen Verkehrsvorgang, in welchem ein Verkehrsteilnehmer auf das Fahrzeug eines beliebigen anderen Verkehrsteilnehmers auffährt. Vielmehr standen die Fahrzeuge und die Fahrzeugführer sowohl durch das unmittelbare Vorgeschehen als auch durch die Beziehungen der Fahrzeugführer beziehungsweise Fahrzeughalter in einem Verhältnis zueinander, welches die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegt. Der Kläger nutzte den Straßenverkehr gerade nicht primär zur Fortbewegung, sondern um seiner – zumindest auch – auf dem verlorenen Prozeß beruhenden Abneigung gegen den Zeugen G. freien Lauf zu lassen, diesem das Leben schwer zu machen und ihn zu tyrannisieren. Der Beklagte zu 2. war der Geschäftsführer der seinerzeitigen Prozeßgegnerin des Klägers, so daß die Abneigung des Klägers naheliegenderweise auch den Beklagten zu 2. umfaßt. Der Kläger mißbrauchte den Straßenverkehr jedenfalls am Unfalltag zum Ausleben von Machtspielchen und Animositäten. Das legt jedenfalls die Möglichkeit eines atypischen Hergangs des Auffahrunfalls nahe. Gerade das Ausbremsen eines Fahrzeuges gehört zum typischen Repertoire von Personen, die den Straßenverkehr für Machtspielchen nutzen. Hierzu gehört auch die in besonderem Maße gefährliche Form des Ausbremsens, die nicht durch Betätigung der Fußbremse, sondern durch abruptes Einlegen eines deutlich niedrigeren Ganges sowie Anziehen der Handbremse erfolgt. Hierbei leuchten die Bremslichter nicht auf, so daß dem nachfolgenden Verkehr kein Warnsignal und Reaktionsbefehl für den Bremsvorgang gegeben wird. Aus Sicht des Ausbremsenden hat dies darüber hinaus den „Vorteil“, daß sich der Bremsvorgang nicht durch eine verformte Glühendwendel in den Bremslichtern nachweisen ließe.
24 Ob der Kläger so verfahren hat, vermag dahinzustehen. Es erscheint aus Sicht des Gerichts jedoch im konkreten Fall eine nicht fernliegende, vielmehr sogar naheliegende Geschehensvariante. Der Sachverständige hat in seiner persönlichen Anhörung ausgeführt, daß auf diese Weise eine hinreichende Bremsverzögerung erreicht werden könnte, die plausibel zu einem Auffahrunfall führen kann. Die Entstehung einer Bremsspur sei in diesem Fall nicht zwingend zu erwarten, im übrigen fehlten belastbare Feststellungen zu Bremsspuren ohnehin. Ferner ist das Gericht davon überzeugt, daß dem Kläger die vorstehend dargestellte Möglichkeit bekannt ist. Der Kläger war Polizeibeamter und hatte daher bereits in seiner Ausbildung Fahrtrainings absolviert. Entsprechende Kenntnisse sind bei ihm jedoch nicht nur berufsbedingt vorauszusetzen. Er stellte sich vielmehr in der mündlichen Verhandlung am 30. April 2020 als Fachmann für Verkehrsunfälle dar. Auffällig war jedoch, daß der Kläger es entgegen seiner Fachkunde als „kaum machbar“ bezeichnete, gleichzeitig herunterzuschalten und die Handbremse zu ziehen. Hierbei gestikulierte er mit der rechten Hand, um zu demonstrieren, daß diese nicht beide Handlungen gleichzeitig bewerkstelligen könnte. Dabei ist dem Kläger selbstredend hinlänglich bewußt, daß er nur zunächst bei durchgetretener Kupplung einen niedrigen Gang einlegen müßte, um sodann gleichzeitig die Handbremse mit der dann freien rechten Hand zu ziehen und die Kupplung mit dem Fuß schnell kommen zu lassen. Zudem versuchte der Kläger merklich den Finger in die „vermeintliche Wunde“ der nicht verformten Glühwendel zu legen. Auch war er erstaunlich informiert über die Bewegungsabläufe eines Fahrzeuges im Falle einer Abbremsung durch die Handbremse, obzwar er mit einer Erörterung dieser Frage nicht hatte rechnen können. Er war auffallend und ungewöhnlich kundig über die fahrdynamischen und unfallmechanischen Vorgänge im Falle einer Abbremsung eines Fahrzeuges durch Ziehen der Handbremse war. So fragte er den Sachverständigen mit bemerkenswertem Detailwissen nach dem zu erwartenden Höhenversatz bei einer Abbremsung der Hinterachse mittels der Handbremse, wobei er jedoch – mit seinen Kenntnissen nicht kompatibel – gänzlich ignorierte, daß durch das Einlegen eines niedrigen Ganges auch die Vorderräder abgebremst würden. Zudem erscheint ein solches Fahrmanöver und -verhalten im Speziellen dem Kläger nach dem Gesamteindruck ebenso wenig wesensfremd zu sein, wie das ungehemmte Ausleben von Abneigungen im öffentlichen Straßenverkehr im Allgemeinen. Dafür daß diese Geschehensvariante des provozierten Auffahrunfalls nicht fernliegend ist, spricht darüber hinaus, daß ein „typischer“ Auffahrunfall wenig plausibel erscheint. Der Fahrer oder die Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges verfolgte das Klägerfahrzeug erst seit wenigen Augenblicken und hatte daher die volle Aufmerksamkeit auf dieses Fahrzeug gerichtet. Ein Auffahren auf dieses Fahrzeug, wenn es lediglich durch Gaswegnehmen verzögert worden wäre, erscheint nachgerade fernliegend.
25 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die geltend gemachte Forderung des Klägers war wesentlich überhöht und richtete sich im übrigen auch gegen eine Person, gegen die ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Läßt die Anmahnung der überhöhten Forderung nicht erkennen, in welcher Höhe eine fällige Forderung besteht, so liegt eine genügend bestimmte Mahnung nicht vor. Der Gläubiger kann aus einer solchen Mahnung keine Rechte herleiten, da der Schuldner den wirklich geschuldeten Leistungsumfang nicht zuverlässig ermitteln kann. Es ist nicht Sache des Schuldners, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was der Gläubiger von ihm will (OLG Brandenburg, Az. 11 U 110/15, Beschluß vom 16.10.2015 [nicht veröffentlicht]; Unberath in Bamberger/Roth, BeckOK BGB, Stand 1. März 2011, § 286 BGB Rn. 27, beck-online; Löwisch/Feldmann in Staudinger, BGB, 2014, § 286 BGB Rn. 37 –, juris).
26 Die Entscheidung zu Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und der Anwendung der Baumbach’schen Kostenformel. Bei der Beurteilung des Verhältnisses des wechselseitigen Unterliegens und Obsiegens war im Rahmen der Kostenentscheidung auch das Unterliegen mit der Nebenforderung zu berücksichtigen (Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 92 Rn. 11).
27 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO, soweit der Kläger aus dem Urteil vollstrecken kann, im übrigen auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe im Fall der Gesundheitsschädigung durch Mobbing, für die Billigkeitsgesichtspunkte maßgebend sind, kann es geboten sein, eine bereits bestehende Schadenbereitschaft schmerzgeldmindernd zu berücksichtigen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Bemessungskriterien, insbesondere die Intensität der Verletzungshandlungen, die Dauer der Mobbingattacken und die Dauer deren Folgen. Schließlich stellt einen wesentlichen Bemessungsfaktor dar die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes.
Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15.03.2012 – 15 Sa 1424/11:
Leitsätze
Entscheidung nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde: Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages, Zusprechen von Schadensersatz nach ergänzender
Beweisaufnahme
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 22.10.2009 – 2 Ca 643/08 – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt,
1. an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 30.04.2008,
2. an den Kläger 10.685,74 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 5.530,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 11.07.2008 zu zahlen,
3. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 14.08.2008 zu zahlen,
4. an den Kläger weitere 6.702,56 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 4.270,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 08.10.2008 zu zahlen,
5. an den Kläger weitere 10.053,84 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 6.300,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 04.02.2009 zu zahlen,
6. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 18.02.2009 zu zahlen,
7. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 20.03.2009 zu zahlen,
8. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 15.04.2009 zu zahlen,
9. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 25.05.2009 zu zahlen,
10. an den Kläger weitere 3,351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 15.06.2009 zu zahlen,
11. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 22.07.2009 zu zahlen,
12. an den Kläger 2.088,32 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 03.08.2009 zu zahlen,
13. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 14.08.2009 zu zahlen,
14. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 09.09.2009 zu zahlen,
15. an den Kläger weitere 3.351,28 Euro brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 210,00 Euro und abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.422,36 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 07.10.2009 zu zahlen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Nichtzu-lassungsbeschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten weiterhin um Ansprüche des Klägers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Der Rechtsstreit ist vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 18.8.2011 – 8 AZN 362/11 – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden.
3
Der am 23.09.1954 geborene Kläger ist seit April 1982 bei der Beklagten, die mit etwa 65 Arbeitnehmern ein Unternehmen für LKW-Reparaturen und Fahrzeugbau betreibt, beschäftigt. Er war zuletzt tätig als Leiter der Abteilung Fahrzeugbau zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt von 3.500,00 EUR.
4
Seit etwa drei Jahren übergibt der vormalige alleinige Geschäftsführer F1 M1 die Geschäftstätigkeit zunehmend an seinen Sohn und Mitgeschäftsführer F1-H1 M1.
5
Das Arbeitsverhältnis ist zwischenzeitlich durch die Beklagte gekündigt worden, und zwar fristgemäß unter dem 28.04.2010 (zum 30.11.2010) und anschließend fristlos unter dem 14.05.2010. Hierzu sind Kündigungsschutzverfahren anhängig beim Arbeitsgericht Rheine (zu den Az: 4 Ca 1060/10 und 4 Ca 1135/10).
6
In der Zeit vom 01.07.2007 bis 07.02.2008 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und erhielt anschließend Freizeitausgleich, bevor er im Zeitraum 18.02. bis 25.03.2008 erneut arbeitsunfähig erkrankte. Unter Entgeltfortzahlung stellte die Beklagte den Kläger vom 26.03. bis zum 04.04.2008 von der Arbeitsleistung frei. Seit dem 07.04.2008 war der Kläger sodann durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
7
Der Kreis S1 stellte durch Bescheid vom 15.05.2008 die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers fest.
8
Die Beklagte hatte ab März 2007 ein neues, durch eine Software unterstütztes Auftragsabwicklungsmanagement eingeführt mit der Folge gravierender Betriebsablaufänderungen. Im Mai 2007 zog die Beklagte den externen Unternehmensberater F2 H2 hinzu.
9
Ebenfalls ab dem Monat März 2007 kam es wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten/Streitigkeiten zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer F1-H1 M1, so konkret am 07.03. und 28.03.2007. Unstimmigkeiten traten zudem auf im Zusammenhang mit dem 25-jährigen Betriebsjubiläum des Klägers. Für die Einzelheiten wird auf den erstinstanzlichen Tatbestand (S. 3, 4) verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
10
Anfang August 2007 übertrug die Beklagte dem Mitarbeiter S2 die Leitung des Lagers, ohne hierüber zuvor mit dem Kläger gesprochen zu haben.
11
Die Beklagte erteilte dem Kläger beginnend mit dem 29.08.2007 insgesamt 7 Abmahnungen, die sämtlich von dem Kläger zur Überprüfung durch das Arbeitsgericht gestellt worden sind. Es wird auch insoweit verwiesen auf die entsprechenden Ausführungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (dort S. 4, 6, 7, 8).
12
Ein von dem Kläger erstelltes Konzept zum Umbau des Lagers lehnte die Beklagte als zu teuer ab.
13
Im Zusammenhang mit einer Bestellung von Bodenbelag im Dezember 2007 äußerte sich der Geschäftsführer F1-H1 M1 gegenüber dem Kläger, dieser würde unnötigerweise alles so teuer machen.
14
Am 22.01.2008 hielt der Betriebsberater H2 in Anwesenheit der im Fahrzeugbau beschäftigten Arbeitnehmer dem Kläger, der zuvor Vorstellungen über die Verbuchung von Artikelverbräuchen im Fahrzeugbau geäußert hatte, vor, er habe immer etwas zu meckern.
15
Am 30.01.2008 erklärte der Betriebsberater H2 dem Kläger gegenüber während einer Besprechung zu einer EDV-Problematik erneut, dieser habe immer etwas, wo er meckern könne.
16
Die Beklagte entzog dem Kläger den in der Vergangenheit separat entgoltenen Auftrag, Gestelle für Radcontainer in der privaten Werkstatt zuhause zu fertigen.
17
Unter dem 01.02.2008 forderte die Beklagte den Kläger auf, seine Überstunden abzubauen; unter dem 26.03.2008, seine Arbeitsfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen.
18
Der Betriebsberater H2 verlangte von dem Kläger am selben Tage die Herausgabe sämtlicher Betriebsschlüssel.
19
Mit seiner am 23.04.2008 bei dem Arbeitsgericht Rheine eingegangenen Klage hat der Kläger von der Beklagten im Wesentlichen die Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz begehrt.
20
Er hat die Ansicht vertreten, Anspruch auf eine billige Entschädigung in Geld zu haben wegen der Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten ihm gegenüber durch die Geschäftsführung und deren Erfüllungsgehilfen F2 H2.
21
Zudem habe er Anspruch auf Ersatz des durch die Verletzungshandlungen bei ihm eingetretenen wirtschaftlichen Schadens, nämlich in Höhe der Differenz zwischen dem ohne Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu zahlenden Entgelt und dem Krankengeld.
22
Die Beklagte habe ihn vorsätzlich oder zumindest fahrlässig in seiner Gesundheit widerrechtlich verletzt.
23
Seit März 2007, so hat der Kläger behauptet, sei er einer Mobbingsituation ausgesetzt gewesen, herbeigeführt durch die Geschäftsführer der Beklagten bzw. F2 H2.
24
Die begangenen Persönlichkeitsverletzungen seien für seine Erkrankung ursächlich gewesen. Dies ergebe sich sowohl aus der ärztlichen Stellungnahme des Dr. K1 vom 25.02.2008 wie auch aus dem durch das Arbeitsgericht eingeholten ärztlichen psychiatrischen Fachgutachten vom 08.05.2009 (Prof. Dr. med. S3 M4, Dr. med. Z1; Bl. 170 – 209 d.A.).
25
Der Kläger hat weiter vorgetragen, verschiedene Vorfälle im Zeitraum zwischen März 2007 und April 2008 erfüllten den Vorwurf des Mobbings. Für die weiteren Einzelheiten in diesem Zusammenhang wird auf die ausführliche Darstellung im Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Rheine (dort S. 9 – 13) gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG verwiesen.
26
Der Kläger hat beantragt:
27
1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 22.04.2008 zu zahlen.
28
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.685,74 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 5.530,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 08.07.2008 zu zahlen.
29
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 12.08.2008 zu zahlen.
30
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 6.702,56 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 4.270,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 02.10.2008 zu zahlen.
31
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 12.064,61 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 6.300,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 26.01.2009 zu zahlen.
32
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 13.02.2009 zu zahlen.
33
7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 13.03.2009 zu zahlen.
34
8. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 07.04.2009 zu zahlen.
35
9. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 19.05.2009 zu zahlen.
36
10. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 08.06.2009 zu zahlen.
37
11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 16.07.2009 zu zahlen.
38
12. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 2.088,32 EURO brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 30.07.2009 zu zahlen.
39
13. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 11.08.2009 zu zahlen.
40
14. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 04.09.2009 zu zahlen.
41
15. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 3.351,28 EURO brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 210,00 EURO und abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.422,36 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 01.10.2009 zu zahlen.
42
Die Beklagte hat beantragt,
43
die Klage abzuweisen.
44
Sie hat die Auffassung vertreten, die von dem Kläger benannten Einzelsachverhalte seien weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit geeignet, diesem einen Schaden zuzufügen. Die Sachverhalte seien in einer Vielzahl von Punkten bereits objektiv nicht als Mobbingtatbestände zu sehen. Es handele sich vielmehr um übliche betriebliche Vorkommnisse, die insbesondere von dem Kläger selbst veranlasst und zu vertreten seien.
45
Die Beklagte hat die behaupteten psychischen Schäden bestritten und hierzu behauptet, das Attest des Dr. K1 sei offensichtlich ein Gefälligkeitsschreiben. Zudem folge aus dem fachpsychiatrischen Gutachten, dass eine psychische Erkrankung des Klägers nicht auf ihr – der Beklagten – Verhalten zurückzuführen sei.
46
Für die Einzelheiten des Vortrags der Beklagten zu den verschiedenen Vorfällen zwischen März 2007 und April 2008 wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen (dort S. 17 – 21).
47
Mit Teilurteil vom 22.10.2009 hat das Arbeitsgericht Rheine die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.500,00 EUR nebst gesetzlicher Zinsen zu zahlen und die Klage im übrigen abgewiesen (mit Ausnahme eines noch nicht ausgeurteilten Betrages in Höhe von 2.010,77 EUR brutto nebst Zinsen, von dem Kläger als Jahressonderzahlung 2008 verlangt).
48
Das Arbeitsgericht hat ausgeführt:
49
Der Kläger habe Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte in Höhe eines durchschnittlichen Bruttomonatsentgelts, mithin 3.500,00 EUR. Keinen Anspruch auf Schadensersatz habe er hinsichtlich der Differenz zwischen fiktiver Vergütung und gezahltem Krankengeld.
50
Der Anspruch des Klägers auf Ersatz seines immateriellen Schadens bestehe gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hafte für Handlungen ihrer Geschäftsführer gemäß § 31 BGB, für Handlungen des Unternehmensberaters H2 gem. § 831 BGB.
51
Aus einer Gesamtschau einzelner Verletzungshandlungen des Geschäftsführers F1-H1 M1 und des Unternehmensberaters H2 dem Kläger gegenüber ergebe sich das Vorliegen einer objektiv erheblich ins Gewicht fallenden Persönlichkeitsverletzung. Die Beklagte habe ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen und dadurch das Ansehen und die Würde des Klägers verletzt. Für die Einzelheiten der Verletzungshandlungen wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils unter II.1 e) (dort S. 25 – 28) verwiesen. Die Beklagte habe sich in dem Konflikt, der sich offensichtlich zwischen ihr und dem Kläger aufgebaut hätte, nicht sozial adäquat verhalten und durch systematische Schikane und Anfeindung das Selbstwertgefühl und das Ansehen des Klägers systematisch untergraben. Dies gelte insbesondere für die Handlungen der Beklagten ab März 2008. Hinsichtlich dieser Handlungen wird Bezug genommen auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe unter II.1 g) (Urteil S. 29, 30).
52
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes seien allein die unter II.1 e) der Entscheidungsgründe dargestellten Sachverhalte zu berücksichtigen, nicht dagegen die von dem Kläger angeführten Abmahnungen; diese stellten keine Schikane dar, da nicht davon ausgegangen werden könne, für sie habe es an jeglichem sachlichen Anlass gefehlt. Auch könne der Kläger – wie geschehen – gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wenn er die Abmahnungen für unberechtigt halte.
53
Die weiteren von dem Kläger behaupteten Handlungsweisen hätten sich im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bestätigt.
54
Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes aufgrund einer bei dem Kläger eingetretenen psychischen Erkrankung sei nicht in Frage gekommen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts nicht feststehe, dass die Erkrankung des Klägers durch die von der Beklagten zu vertretenden Persönlichkeitsverletzungen verursacht worden sei. Das sorgfältig gefertigte fachpsychiatrische Gutachten einschließlich des testpsychologischen Zusatzgutachtens bescheinige zwar, dass das Krankheitsbild bei dem Kläger ohne die von diesem als Mobbing erlebte Situation nicht entstanden wäre, gebe jedoch gleichzeitig an, dass es schwer beurteilbar sei, ob die von der Beklagten durchgeführten Maßnahmen allein sachlichen Zielen gedient oder primär die Intention gehabt hätten, den Kläger aus seiner Arbeit heraus zu mobben.
55
Letztlich sei die Erkrankung des Klägers das Ergebnis der gesamten von ihm erlebten Umstände im Arbeitsverhältnis, nämlich sowohl die festgestellten Persönlichkeitsverletzungen wie auch alle übrigen von dem Kläger aufgezählten Handlungen – wie wohl zum Teil nicht erwiesen –, die zum Teil jedenfalls als sozial adäquates Verhalten der Beklagten vom Kläger hinzunehmen gewesen seien.
56
Ein Schadensersatzanspruch hinsichtlich der Differenz zwischen fiktiver Vergütung und gezahltem Krankengeld stehe dem Kläger nicht zu, da die festgestellten unerlaubten Handlungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Ursache der Arbeitsunfähigkeit des Klägers gewesen seien. Es fehle somit bereits an der Kausalität für den festgestellten Schaden.
57
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Bl. 312 – 352 d.A. verwiesen.
58
Gegen das ihm am 05.03.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.03.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.06.2010 am 07.06.2010 eingehend begründet.
59
Die Beklagte hat gegen das ihr am 08.03.2010 zugestellte Urteil am 08.04.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 10.05.2010 (Montag) eingehend begründet.
60
Der Kläger hat das erstinstanzliche Urteil für fehlerhaft gehalten und vorgetragen:
61
Da das Arbeitsgericht in seinem Urteil Feststellungen dazu getroffen habe, welche Maßnahmen der Beklagten tatsächlich Mobbinghandlungen gewesen seien und welche nicht, wäre es erforderlich gewesen festzustellen, ob das Krankheitsbild ohne die Belastung, die das Arbeitsgericht als Mobbing gewertet habe, nicht entstanden wäre.
62
Der Kläger behauptet, dass nach dem 01.02.2008 erfolgte Mobbingmaßnahmen seine Wiedererkrankung verursacht, seinen Genesungsprozess beeinträchtigt und seine Erkrankungen verschlimmert haben könnten. Hierzu habe das Gutachten keine Feststellungen getroffen.
63
Der Gutachter sei danach zu befragen, ob sein Krankheitsbild ohne die von dem Arbeitsgericht Rheine als Mobbingmaßnahmen angesehenen Maßnahmen aus der Zeit vor dem 01.02.2008 nicht entstanden wäre.
64
Zudem sei der Gutachter danach zu befragen, ob das Krankheitsbild ohne die Maßnahmen, die das Arbeitsgericht unzutreffend nicht als Mobbing gewertet habe – für die Einzelheiten s. Bl. 472, 473 d.A. -, nicht entstanden wäre.
65
Es liege auch keineswegs auf der Hand, dass die dem Kläger erteilten mehreren Abmahnungen nicht Teil des systematischen Handelns der Beklagten seien und deshalb kein Mobbing bedeuten könnten. Inzwischen, so trägt der Kläger weiter vor, lägen weitere Persönlichkeitsverletzungen durch die Beklagte vor. Es wird insoweit verwiesen auf Bl. 473 f. d.A..
66
Dementsprechend, so meint der Kläger, stehe ihm ein weiteres Schmerzensgeld zu; angemessen sei ein weitaus höherer Schmerzensgeldbetrag.
67
Auch sei der Schadensersatzanspruch gerechtfertigt, und zwar aus denselben Gründen, aus denen eine Erhöhung des Schmerzensgeldes gegeben sei.
68
Der Kläger hat beantragt,
69
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 22.10.2009 – 2 Ca 643/08 – teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
70
1. an den Kläger über das bereits zugesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 3.500,00 EUR hinaus ein weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB sei Zustellung der Klageschrift vom 22.04.2008,
71
2. an den Kläger 10.685,74 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 5.530,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 08.07.2008 zu zahlen,
72
3. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 12.08.2008 zu zahlen,
73
4. an den Kläger weitere 6.702,56 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 4.270,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 02.10.2008 zu zahlen,
74
5. an den Kläger weitere 10.053,84 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 6.300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 26.01.2009 zu zahlen,
75
6. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 13.02.2009 zu zahlen,
76
7. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 13.03.2009 zu zahlen,
77
8. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 07.04.2009 zu zahlen,
78
9. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 19.05.2010 zu zahlen,
79
10. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 08.06.2009 zu zahlen,
80
11. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 16.07.2009 zu zahlen,
81
12. an den Kläger weitere 2.088,32 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 30.07.2009 zu zahlen,
82
13. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 11.08.2009 zu zahlen,
83
14. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 04.09.2009 zu zahlen,
84
15. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 210,00 EUR und abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.422,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 01.10.2009 zu zahlen.
85
Die Beklagte hat beantragt,
86
1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Rheine vom 22.10.2009, 2 Ca 643/08, die Klage abzuweisen;
87
2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
88
Der Kläger hat weiter beantragt,
89
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
90
Die Beklagte hat ausgeführt:
91
Es fehle an dem Tatbestand einer Persönlichkeitsverletzung in bezug auf die einzelnen Verhaltensweisen, die ihr das Arbeitsgericht unter II.1 e) aa) – gg) seiner Entscheidungsgründe zum Vorwurf mache. Für die Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten hierzu wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 10.05.2010 unter II. (Bl. 419 – 429 d.A.).
92
Auch fehle es in der Gesamtwürdigung aller unstreitigen Tatsachen an der erforderlichen sog. Täter-Opfer-Konstellation. Da die einzelnen Handlungen letztlich neutral zu sehen seien, fehle es einem planmäßigen, systematischen, von einer Absicht getragenen Verhalten des Arbeitgebers, welches die einzelnen Vorfälle als ein Ganzes erscheinen ließe.
93
Die Beklagte verteidigt im Übrigen das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Sie ist der Auffassung, die mit der Berufung des Klägers weiter verfolgten Vorfälle stellten tatsächlich keine Persönlichkeitsverletzungen dar. Das gelte für die ausgesprochenen Abmahnungen ebenso wie für die einzelnen Vorfälle, beginnend mit der Frage der Lagerleitung bis zu ihrer Entscheidung, die Fertigung der sog. Radcontainer in der Privatwerkstatt des Klägers zu beenden. Es wird insoweit auf die Ausführungen auf Bl. 506 – 508 d.A. verwiesen.
94
Das Gutachten, so meint die Beklagte, liefere keinen Beweis, dass der Kläger an einer Erkrankung leide, die auf vorwerfbare Handlungen ihrerseits zurückzuführen sei. Es lasse allerdings eine Auseinandersetzung mit anderen Ursachen für die Symptomatik des Klägers vermissen, so etwa sein privates Umfeld. Auch bestätige das Gutachten nicht, dass das Krankheitsbild das Maß einer Arbeitsunfähigkeit erreicht habe.
95
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung bezogen auf das ausgeurteilte Schmerzensgeld. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten könne die Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht in Zweifel ziehen. Die Beklagte halte diesen lediglich entgegen, dass es an einem planmäßig systematischen, von einer Absicht getragenen Verhalten des Arbeitgebers fehle, welche die einzelnen Vorfälle als ein Ganzes erscheinen lasse.
96
Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.11.2010 – 15 Sa 455/10 – die Berufungen von Kläger und Beklagter zurückgewiesen und sich für den erstinstanzlich ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag der nach umfassend durchgeführter Beweisaufnahme sorgfältigen Begründung des Arbeitsgerichts (Bl. 336 – 341 d.A.) angeschlossen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Es hat insbesondere eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers ( Bl. 563 f. d.A.) sowie das Vorliegen einer sog. Täter-Opfer-Konstellation angenommen. Da die Persönlichkeitsrechtsverletzung durch den Geschäftsführer M1 und den Unternehmensberater H2 schuldhaft verursacht worden seien, stehe dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 3.500 Euro zu.
97
Mit dem Arbeitsgericht ist auch das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger keinen weitergehenden Schmerzensgeldanspruch hat. Insbesondere stehe ihm ein weiteres Schmerzensgeld nicht zu aufgrund einer durch ein Mobbingverhalten der Beklagten eingetretenen psychischen Erkrankung. Denn die Persönlichkeitsrechtsverletzungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich für die Erkrankung geworden. Das fachpsychiatrische Gutachten lasse ausdrücklich die Möglichkeit einer individuellen Prädisposition offen.
98
Der weitere Anspruch des Klägers auf Schadensersatz hinsichtlich der Differenz zwischen Bruttoentgelt und bezogenem Krankengeld scheitere ebenfalls daran, dass die Pflichtverletzungen/unerlaubten Handlungen der Beklagten nicht hinreichend wahrscheinlich Ursache der Arbeitsunfähigkeit des Klägers gewesen seien.
99
Das Landesarbeitsgericht hat in dem Tenor seiner Entscheidung die Revision nicht zugelassen.
100
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 18.8.2011 – 8 AZN 362/11 – das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass das Urteil des Landesarbeitsgerichts den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG) verletze. Beabsichtige ein Arbeitsgericht, sich bei seiner Entscheidung auf ein Sachverständigengutachten zu stützen, sei den Parteien auf Antrag die Gelegenheit zur weiteren Erläuterung des Gutachtens einzuräumen. Mit der Berufungsbegründung habe der Kläger seinen Antrag auf mündliche Erörterung und Befragung des Sachverständigen geltend gemacht.
101
Der Kläger beantragt weiterhin:
102
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 22.10.2009 – 2 Ca 643/08 – teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
103
1. an den Kläger über das bereits zugesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 3.500,00 EUR hinaus ein weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB sei Zustellung der Klageschrift vom 22.04.2008,
104
2. an den Kläger 10.685,74 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 5.530,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 08.07.2008 zu zahlen,
105
3. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 12.08.2008 zu zahlen,
106
4. an den Kläger weitere 6.702,56 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 4.270,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 02.10.2008 zu zahlen,
107
5. an den Kläger weitere 10.053,84 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 6.300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 26.01.2009 zu zahlen,
108
6. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.100,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 13.02.2009 zu zahlen,
109
7. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 13.03.2009 zu zahlen,
110
8. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 07.04.2009 zu zahlen,
111
9. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 19.05.2010 zu zahlen,
112
10. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 08.06.2009 zu zahlen,
113
11. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 16.07.2009 zu zahlen,
114
12. an den Kläger weitere 2.088,32 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 30.07.2009 zu zahlen,
115
13. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 11.08.2009 zu zahlen,
116
14. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 2.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 04.09.2009 zu zahlen,
117
15. an den Kläger weitere 3.351,28 EUR brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 210,00 EUR und abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.422,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klageschrift vom 01.10.2009 zu zahlen.
118
Die Beklagte beantragt,
119
1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Rheine vom 22.10.2009, 2 Ca 643/08, die Klage abzuweisen;
120
2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
121
Der Kläger beantragt weiter,
122
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
123
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
124
Wegen der Inhalte der bereits in diesem Rechtsstreit ergangenen Urteile und des Beschlusses wird auf die entsprechenden Entscheidungen verwiesen.
125
Das Berufungsgericht hat mit Beweisbeschluss vom 14.09.2011 (Bl. 603 d.A.) die Sachverständige Dr. Z1 zwecks mündlicher Erläuterung ihres Gutachtens vom 08.05.2009 und weiterer Befragung zum Kammertermin vom 15.12.2011 geladen. Im Einverständnis der Parteien hat das Gericht mit Schreiben vom 01.12./14.12.2011 (Bl. 638 – 641, 657 d.A.) die Gutachterin Dr. Z1, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die derzeit wohnhaft in B2 (Italien) ist, um die nurmehr schriftliche Erläuterung ihres Gutachten vom 08.05.2009 gebeten. Unter dem 14.12.2011 hat die Gutachterin ein schriftliches psychiatrisches Zusatzgutachten (Bl. 659 – 665 d.A.) vorgelegt, dessen Inhalt im Kammertermin vom 15.12.2011 mit den Parteien umfassend erörtert wurde.
126
Darüber hinaus hat das Berufungsgericht zur weiteren Erläuterung des Gutachtens vom 08.05.2009 als Sachverständigen den Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Prof. Dr. H4 S3 M4, ergänzend vernommen. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 15.12.2011 (dort insbesondere Bl. 673, 674 d.A.). Die ergänzende Fragestellung war durch gerichtliches Schreiben vom 01.12.2011 (Bl. 643, 644 d.A.) an den Sachverständigen vorbereitet worden.
Entscheidungsgründe
I.
129
Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 22.10.2009 sind weiterhin gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
130
Der Kläger hat gegen die Beklagte Ansprüche auf ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 5.500 Euro und einen Schadensersatz in Höhe der monatlichen Differenz zwischen Bruttoentgelt und erhaltenem Krankengeldes für den Zeitraum 12.04.2008 bis 30. 09.2009, beide nebst gesetzlicher Zinsen.
131
Die Berufung der Beklagten bleibt unbegründet.
132
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage sind nicht ersichtlich.
133
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) in Höhe von 5.500,00 EUR aus §§ 241 Abs. 2, 253 Abs. 2, 278, 280 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 1, 831 BGB, Art. 1, 2 GG.
134
a) Im Rahmen seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB hat der Arbeitgeber auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Dafür, was die vertragliche Rücksichtnahmepflicht im Einzelnen gebietet, ist in besonderer Weise auf die in den Grundrechten zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidungen des Grundgesetzes abzustellen. Danach dürfen der Arbeitgeber und seine Repräsentanten das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nicht verletzen. Auch hat der Arbeitgeber die Pflicht, seine Arbeitnehmer vor Belästigungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Dritte, auf die er Einfluss nehmen kann, zu schützen und ihnen einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen (vgl. BAG vom 13.03.2008 – 2 AZR 88/07; vom 25.10.2007 – 8 AZR 593/06).
135
Repräsentanten des Arbeitgebers in diesem Sinne sind Arbeitnehmer und dritte Personen, die von ihm als Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB eingesetzt sind. Der Arbeitgeber haftet, wenn die schuldhafte Handlung des als Erfüllungsgehilfen eingesetzten Dritten in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Arbeitgeber ihm als Erfüllungsgehilfen zugewiesen hat. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Erfüllungsgehilfe gegenüber dem betroffenen Mitarbeiter die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisiert bzw. wenn er ihm gegenüber Weisungsrechte hat (vgl. BAG vom 25.10.2007 a.a.0.).
136
Mobbing ist kein Rechtsbegriff. Zur Erfassung von Verletzungen des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers durch Belästigungen ist vielmehr ausgehend von der Definition des Begriffs der Belästigung in § 3 Abs. 3 AGG festzustellen, dass unerwünschte Verhaltensweisen – unabhängig von den Gründen nach § 1 AGG – bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betroffenen Person verletzt und ein von Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Grundsätzlich kommt es auf die Zusammenschau der einzelnen „unerwünschten“ Verhaltensweisen an. Ein Umfeld wird nicht durch ein einmaliges, sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen. Damit sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung einzubeziehen. Einzelne zurückliegende Handlungen bzw. Verhaltensweisen dürfen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben, denn für sich allein betrachtet kommt einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen oft keine rechtliche Bedeutung zu (vgl. BAG vom 25.10.2007, a.a.0.; LAG Hamm vom 16.07.2009 – 17 Sa 619/09). Kurz zusammengefasst kann Mobbing definiert werden als das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte (BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Mobbing; LAG Hessen 13.05.2011 – 3 Sa 1514/10, juris).
137
Ob Rechte des Arbeitnehmers verletzt worden sind, ist aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung unter sorgsamer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. BAG vom 25.10.2007, a.a.0.). Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers hat Angriffsqualität und ist schon eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht. Auch die Quantität der Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der Umstand, dass Sachstreitigkeiten von dem Arbeitgeber aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und des Rollenverständnisses in unangemessener Weise, in intoleranter Form ausgetragen werden, lässt nicht per se den Schluss auf eine verwerfliche Motivation zu. Keine Bedeutung für die Feststellung einer rechtswidrigen Persönlichkeitsverletzung haben im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, die sich durchaus auch über einen längeren Zeitraum erstrecken können, wenn es um sozial- und rechtsadäquate Verhaltensweisen des Arbeitgebers und seiner Repräsentanten geht. Diese sind aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise und ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers zu bewerten. Nicht jeder Personalvorgesetzte beherrscht die Kunst der Personalführung fehlerfrei. Es kann von Fehlern in der Führung des zugeordneten Personals nicht ohne Weiteres auf eine feindliche Einstellung gegenüber den Beschäftigten geschlossen. Weisungen, denen sachlich nachvollziehbare Erwägungen des Arbeitgebers zugrunde liegen, können auch dann, wenn der Arbeitgeber sein Weisungsrecht überschreitet, regelmäßig nicht als Ausdruck einer feindlichen Einstellung gewertet werden. Schließlich können auch Verhaltensweisen von Arbeitgebern und Vorgesetzten nicht in die Prüfung einbezogen werden, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich in seinen Rechten verletzten Arbeitnehmer darstellen. Insofern fehlt es an der notwendigen eindeutigen sog. Täter-Opfer-Konstellation (BAG vom 16.05.2007, a.a.0.; vom 25.10.2007, a.a.0.; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 13.01.2009 – 5 Sa 86/08; LAG Hamm vom 16.07.2009, a.a.0.).
138
Dem Sachvortrag der Parteien lässt sich entnehmen, dass es ab März 2007 zunehmend zu Konflikten in ihrem Arbeitsverhältnis kam. Zutreffend weist das erstinstanzliche Gericht darauf hin, dass zwar bei der Beurteilung von Handlungen des Arbeitgebers (und seiner Erfüllungsgehilfen) zu berücksichtigen ist, dass im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, selbst wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, nicht geeignet sind, die rechtliche Qualität von Persönlichkeitsverletzungen aufzuweisen. Ob das Verhalten des Arbeitgebers oder von Vorgesetzten unter Einbeziehung einer Gesamtwürdigung als rechtswidrige Pflichtverletzung anzusehen ist, ist bei – wie vorliegend – der Verletzung des Persönlichkeitsrechts aufgrund einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung festzustellen (LAG Niedersachsen vom 09.02.2010 – 13 Sa 896/09).
139
Zu Recht hat das Arbeitsgericht eine objektiv erheblich ins Gewicht fallende Persönlichkeitsverletzung des Klägers durch Handlungen des Geschäftsführers F1-H1 M1 der Beklagten (§ 31 BGB) und des Unternehmensberaters H2 als dessen Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) bejaht. Deren Gesamtverhalten stellt sich als eine erhebliche Persönlichkeitsverletzung dar. Die Beklagte hat in der Zeit von März 2007 bis April 2008 gegenüber dem Kläger durch verschiedene Handlungen ein betriebliches Umfeld geschaffen, das durch Einschüchterung, Erniedrigung, Anfeindung und Entwürdigung des Klägers bestimmt war. Die Kammer schließt sich insoweit zunächst der nach umfassender Beweisaufnahme sorgfältigen Begründung des Arbeitsgerichts an (Bl. 336 – 341 d.A.), § 69 Abs. 2 ArbGG.
140
aa) Die Berufung der Beklagten gibt allerdings zu folgenden Ergänzungen Anlass:
141
(1) Unzutreffend ist die Beklagte der Auffassung, dass es an dem Tatbestand einer Persönlichkeitsverletzung in bezug auf die einzelnen Verhaltensweisen fehle, die das erstinstanzliche Gericht unter II.1 e aa) bis gg) ihr vorwerfe.
142
(a) Die Begründung zu dem Punkt „Leitung der Kommunalen Abteilung“ ist nicht zirkelschlüssig. Der Vortrag der Beklagten, für alle Beteiligten habe es sich in bezug auf die Schließung der Abteilung um keine ernstgemeinte Ankündigung gehandelt, und die Empörung des Klägers sei nur gespielt gewesen, ist unsubstantiiert geblieben. Tatsachen vermochte die Beklagte insoweit nicht vorzubringen. Dass der Kläger den Zeugen G1 zuvor provoziert hatte, hat die erstinstanzliche Entscheidung berücksichtigt.
143
(b) Hinsichtlich des weiteren Punktes „Änderung der Lackierpläne ohne Beteiligung des Klägers“ erschließt sich nicht, dass es einer Beweiserhebung über den Zeitpunkt der Lackierplanänderung bedurft hätte. Es handelt sich nicht um ein substantiiertes Bestreiten, wenn die Beklagte behauptet, sie könne sich nicht an die Umstellung des Lackierplanes erinnern, zugleich aber vorträgt, dass dies möglicherweise an zwei kalendermäßig bestimmten Tagen geschehen sei. Dass es sich bei der Änderung des Lackierplans zudem nicht um einen Alltagsvorgang (vgl. BGH vom 19.04.2001 – I ZR 238/98) handelt, ergibt sich daraus, dass die Lackierplanumstellung an sich zu den Aufgaben des Klägers gehörte.
144
(c) Die Beklagte hat den Kläger am 27.03.2007 über die direkte Auftragserteilung an die Endmontage nicht informiert. Hier gilt das unter (b) oben Ausgeführte entsprechend.
145
(d) Die Berufung behauptet nicht, dass es nicht den üblichen Gepflogenheiten im Unternehmen entspreche, keine Gratulation zum 25-jährigen Betriebsjubiläum zu erhalten. Die Schlussfolgerung des arbeitsgerichtlichen Urteils, dadurch, dass die Beklagte dem Kläger nicht gratuliert hat, drücke sie ihre fehlende Wertschätzung aus, ist daher nicht zu beanstanden.
146
(e) Auch die Ausführungen der Entscheidung erster Instanz zu den weiteren Punkten „Ausbildungsnachweise“ und „Freistellung bei Abgabe der Betriebsschlüssel“ halten der rechtlichen Ãœberprüfung stand. Auch sie zeigen die fehlende Wertschätzung der Beklagten gegenüber dem Kläger.
147
Zum einen überzeugt die Begründung der Beklagten, sie müsse – nach 25-jähriger Betriebszugehörigkeit – die Personalakte des Klägers vervollständigen, da der Kläger in leitender Position beschäftigt sei, nicht. Scheinbar bestand die Notwendigkeit einer Durchsicht der Personalakten auch nur gegenüber dem Kläger, nicht aber anderen Arbeitnehmern gegenüber. Das ist indes sachlich nicht nachvollziehbar.
148
Ohne dem Kläger gegenüber den Anlass für die Aufforderung, die Hallenschlüssel abzugeben, zu erläutern, bleibt es bei der Feststellung des Arbeitsgerichts, die Beklagte bringe dem Kläger keine Wertschätzung entgegen.
149
(f) Indem die Beklagte dem Kläger mit verschiedenen Schreiben aus April 2008 aufforderte, Arbeiten in der Reparaturabteilung zu erbringen, wies sie ihn an, auf einer anderen Hierarchieebene tätig zu werden. Da der Kläger bei der Beklagten die Funktion des Leiters der Fahrzeugabteilung inne hatte, stellte die Zuweisung von Arbeiten unter der Weisungsbefugnis des Schichtleiters der Reparaturabteilung eine Degradierung des Klägers dar, die wiederum die fehlende Wertschätzung der Beklagten ihm gegenüber verdeutlicht. Auch insoweit überzeugen die Ausführungen des Arbeitsgerichts.
150
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es unter Berücksichtigung einer Gesamtwürdigung aller unstreitigen Tatsachen nicht an der erforderlichen eindeutigen sog. Täter-Opfer-Konstellation (vgl. zu dieser Notwendigkeit: BAG vom 16.05.2007, a.a.0.; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 13.01.2009 – 5 Sa 86/08; LAG Hamm vom 16.07.2009, a.a.0.).
151
Auch die erkennende Kammer nimmt eine eindeutige Täter-Opfer-Konstellation nicht an, wenn Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder vorgesetzten Personen lediglich eine Reaktion auf Provokationen auf den vermeintlich in seinen Rechten verletzten Arbeitnehmer darstellen.
152
Zwar kann wohl davon ausgegangen werden, dass sich zwischen den Parteien ein ihr Arbeitsverhältnis mehr oder weniger gravierend beeinträchtigender Konflikt aufgebaut hatte, der möglicherweise mit dem Generationenwechsel in der Geschäftsleitung der Beklagten ab 2005 seinen Ausgang nahm (vgl. auch fachpsychiatrisches Gutachten vom 08.05.2009, dort S. 26 – 28, Bl. 196 – 198 d.A.). Tatsächlich dürfte es dem Kläger auch schwergefallen sein, mit dieser Situation angemessen umzugehen. Hingegen gibt der Sachverhalt nichts dafür her, dass die unter II.1 e der Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils dargestellten Verhaltensweisen der Beklagten Reaktionen auf vorausgegangene Provokationen des Klägers waren. Dies behauptet auch die Beklagte nicht. Inwieweit der Kläger in anderen Zusammenhängen seinerseits dafür gesorgt hat, Schärfe in die Auseinandersetzung zu bringen, kann an dieser Stelle dahinstehen. Die Vorderrichter haben somit im Ergebnis eine Täter-Opfer-Konstellation zutreffend angenommen.
153
(3) Gesamtschau und Gesamtwürdigung der unter II. 1 e der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils dargestellten Verhaltensweisen der Beklagten belegen eine feindliche Einstellung und schikanöse Tendenz dem Kläger gegenüber. Ihnen liegen keine sachlich nachvollziehbaren Erwägungen des Geschäftsführers F1-H1 M1 und des Unternehmensberaters H2 zugrunde.
154
Die Berufungskammer verweist insoweit auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II.1 f der Entscheidungsgründe, denen sie sich anschließt, § 69 Abs. 2 ArbGG.
155
bb) Der Geschäftsführer F1-H1 M1 und der Unternehmensberater H2 haben die Persönlichkeitsverletzungen des Klägers auch schuldhaft verursacht. Beide haben schuldhaft gegen ihre arbeitsvertraglichen bzw. ihre vertraglich übertragene Verpflichtung verstoßen, Verhaltensweisen zu unterlassen, die es bezwecken und bewirken, dass die Würde des Klägers verletzt und ein von Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung und Entwürdigung gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
156
cc) Der Kläger kann wegen der von dem Geschäftsführer F1-J1 M1 (§§ 31, 89 BGB) und dem Unternehmensberater H2 (§ 278 BGB) schuldhaft verursachten Persönlichkeitsverletzung eine billige Entschädigung in Geld von der Beklagten verlangen.
157
dd) Dem Kläger steht zunächst mit der erstinstanzlichen Entscheidung ein Schmerzensgeldanspruch von 3.500,00 EUR zu.
158
Die Höhe der Geldentschädigung ist gem. § 253 Abs. 2 BGB nach der Billigkeit festzusetzen (BAG vom 25.10.2007, a.a.0.). Zu berücksichtigen sind alle für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgebenden Umstände, insbesondere auch ein Mitverschulden des Klägers, § 254 BGB.
159
Unter Berücksichtigung der Intensität der Verletzungshandlungen, der mit dem Schmerzensgeld bezweckten Genugtuung des geschädigten Klägers bei gleichzeitiger Abwesenheit eines klägerischen Mitverschuldens ist die Festsetzung in Höhe eines durchschnittlichen Monatsentgelts rechtlich nicht zu beanstanden.
160
b) Der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch folgt in Höhe eines Betrages von 3.500,00 EUR auch aus §§ 823 Abs. 1, 831 BGB, Art. 1, 2 GG.
161
Für die Begründung dieser Anspruchsgrundlage wird auf die zutreffenden (s.a. oben unter I.2 a) Erwägungen der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe (Bl. 333 ff. d.A.) verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
162
c) Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
163
3. Dem (Berufungs-)Kläger steht gegen die Beklagte ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro zu.
164
a) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann der Kläger insbesondere nach dem Ergebnis der durchgeführten ergänzenden Beweiserhebung ein weiteres Schmerzensgeld von der Beklagten beanspruchen.
165
aa) Zwar stellen insbesondere die dem Kläger erteilten Abmahnungen keine Persönlichkeitsverletzungen dar, die geeignet wären, einen Schmerzensgeldanspruch zu rechtfertigen.
166
Die insgesamt 7 Abmahnungen mögen auf den ersten Blick den Schluss nahelegen, mit ihnen habe der Arbeitgeber zielgerichtet ein Umfeld der ständigen Verunsicherung und Einschüchterung schaffen wollen. Bei Würdigung aller Umstände des Sachverhalts lässt sich jedoch eine eindeutige Täter-Opfer-Konstellation nicht feststellen.
167
Es kann dahinstehen, ob – wie das Arbeitsgericht meint – der Ausspruch von Abmahnungen bereits deshalb keine Schikane darstellen könne, weil der Arbeitnehmer gegen ihm erteilte Abmahnungen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könne, wenn er diese für unberechtigt hält. Dies nimmt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hannover vom 09.03.2009 (9 Sa 378/08) auch nur für den Ausspruch einer einmaligen Abmahnung an.
168
Zutreffend jedenfalls stellt das Arbeitsgericht fest, dass Abmahnungen schikanierenden Charakter haben müssen, um rechtlich erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen auslösen zu können. Den Bewertungen der Abmahnungen vom 07.02. und 29.08.2007 sowie vom 14.02. und 25.02.2008 schließt sich die Kammer an. Keine dieser Abmahnungen zeigt eine feindliche Einstellung oder schikanöse Tendenz der Beklagten gegenüber dem Kläger. Ihnen liegen durchweg sachlich nachvollziehbare Erwägungen der Beklagten zugrunde. Dabei ist es nicht von Bedeutung, dass der Kläger in drei Fällen mit Klagen gegen die Rechtswirksamkeit der Abmahnungen obsiegt hat. Das Berufungsgericht hält insoweit die Beurteilung des Arbeitsgerichts für zutreffend. Auch eine willkürliche, ohne jeden vertretbaren Anlass erfolgte Erteilung dieser und auch der weiteren, inhaltlich unsubstantiiert gebliebenen Abmahnungen folgt aus dem Sachvortrag des Klägers nicht.
169
bb) Bestimmte weitere von dem Kläger behaupteten Verhaltensweisen der Beklagten bzw. deren Erfüllungs-/Verrichtungsgehilfen vermögen hingegen einen Schmerzensgeldanspruch nicht zu rechtfertigen.
170
(1) Das gilt hinsichtlich der Aufforderung an den Kläger, Überstunden abzubauen. Die Beweisaufnahme hierzu hat ergeben, dass die Reduzierung der Überstunden mit dem Kläger besprochen wurde mit der Intention einer Situationsberuhigung und dieser sich gegen diese Maßnahme auch nicht gewandt habe. Dass der Abbau von Überstunden, wie die Berufung vorträgt, nicht im Interesse des Klägers gelegen habe, mag zutreffend sein, führt jedoch nicht zu seiner Persönlichkeitsrechtsverletzung.
171
(2) Die von dem Kläger behaupteten Verhaltensweisen Vorwürfe des Meckerns, eines Konstruktionsfehlers sowie im Zusammenhang mit dem Fahrradcontainer sind durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden und können daher eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht begründen. Rechtliche Anhaltspunkte, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, sind nicht gegeben.
172
cc) Dem Kläger steht allerdings ein weiteres Schmerzensgeld zu aufgrund einer durch das Mobbingverhalten der Beklagten eingetretenen psychischen Erkrankung. Die von der Beklagten zu vertretenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind auch
173
ursächlich geworden für die Erkrankung des Klägers.
174
(1) Zunächst kommt das fachpsychiatrische Gutachten vom 08.05.2009 (Bl. 170 – 209 d.A.) in seiner zusammenfassenden Beurteilung im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass
175
die Beschwerden des Klägers Symptome einer Reaktion auf schwere erlebte Belastungen und Anpassungsstörungen sind,
176
davon auszugehen sei, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre,
177
es bei dem Kläger mehrfach zu einer Erschütterung zentraler Grundannahmen wie Fairness und Ehrlichkeit gekommen sei, was bei ihm zu einer beginnenden Verbitterungssymptomatik mit depressiven und vegetativen Begleitsymptomen geführt habe,
178
von einer Chronifizierung des Krankheitsbildes auszugehen sei,
179
nicht sicher zu beantworten sei, inwieweit die individuelle Prädisposition des Klägers seine Reaktionen begünstigt habe,
180
schwer zu beurteilen sei, ob die von Seiten der Beklagten durchgeführten Maßnahmen allein sachlichen Zielen gedient oder primär die Intention gehabt hätten, den Kläger aus seiner Arbeit heraus zu mobben,
181
der Kläger die Situation als Mobbing erlebt habe und das Krankheitsbild ohne diese Belastung nicht entstanden wäre.
182
Im Rahmen der eigenen Angaben des Klägers zu seiner Person und zur Krankengeschichte (S. 24 ff. des Gutachtens, Bl. 194 ff. d.A.) spricht dieser davon, dass
183
er sich mit dem Seniorchef, der ein sozialer Arbeitgeber gewesen sei, gut verstanden habe und von diesem zu vielen Entscheidungen hinzugeholt worden sei,
184
bis 2005 eigentlich alles normal gewesen sei,
185
das Verhältnis zu dem Juniorchef sich allmählich abgekühlt habe,
186
seine Kompetenzen nach und nach immer mehr eingeschränkt worden seien,
187
er Anfang 2008 bemerkt habe, bei der Beklagten wohl keine Zukunft mehr zu haben.
188
Das insgesamt sehr sorgfältig erstellte Gutachten einschließlich des testpsychologischen Zusatzgutachtens vom 26.03.2009 (Bl. 162 – 169 d.A.) hat den gesamten Prozessstoff berücksichtigt und seine Schlussfolgerungen aufgrund umfassender Sachverhaltsermittlung unter Einbeziehung einer ausführlichen Exploration des Klägers sowie eines von dem Kläger angelegten sog. Mobbing-Tagebuchs gezogen.
189
(2) Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht insbesondere nach durchgeführter ergänzender Beweisaufnahme nicht darin, dass die festgestellten Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Ursache der Erkrankung des Klägers waren und dass die Erkrankung vielmehr ihre Ursache hatte in den insgesamt von dem Kläger erlebten Umständen seines Arbeitsverhältnisses, also neben den festgestellten Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch den nicht erwiesenen weiteren Handlungen und denen, die hinnehmbares sozialadäquates Verhalten der Beklagten darstellen. Daran vermag auch nichts zu ändern die aus dem Gutachten gewonnene Auffassung, dass der Kläger nur sehr schwer mit dem Generationenwechsel in der Geschäftsleitung der Beklagten umgehen konnte. Der Kläger selbst hat Anfang 2008 den Eindruck gewonnen, dass er bei der Beklagten wohl keine Zukunft mehr habe.
190
Vielmehr erbringen das fachpsychiatrische Gutachten vom 08.05.2009 (Bl. 170 – 209 d.A.), das ergänzende psychiatrische Gutachten vom 13.12.2011 (Bl. 659 – 665 d.A.) sowie die zuletzt durchgeführte Beweisaufnahme durch Einholung eines ergänzenden mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. S3 M4 zur Überzeugung der Berufungskammer den Beweis dafür, dass die Erkrankung des Klägers ursächlich auf vorwerfbare Verhaltensweisen der Beklagten zurückzuführen ist. Die Möglichkeit einer individuellen Prädisposition und Vulnerabilität des Klägers steht diesem Ergebnis nicht entgegen.
191
(a) Dem Kläger war auf seinen in der Berufungsbegründung formulierten Antrag hin gem. §§ 397, 402 ZPO die Gelegenheit einzuräumen, den Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen (vgl. OLG Frankfurt/M. 18.02.2004 – 7 U 175/02, VersR 2004. 1122). Dieses Recht steht jeder Prozesspartei zu, unabhängig von der nach § 411 Abs. 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen. Dabei ist es dem Gericht überlassen, auf welchem Wege die gewünschte Erläuterung herbeigeführt wird (BVerfG 14.05.2007 – 1 BvR 2485/06, BauR 2007, 1786).
192
(b) Die Gutachterin Dr. Z1 gelangt in ihrem schriftlichen Zusatzgutachten mit nachvollziehbarer und ihr Ergebnis des Gutachtens vom 08.05.2009 bestärkender Begründung zu der Schlussfolgerung, dass
193
„aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen den vom Arbeitsgericht Rheine als Mobbing gewerteten Ereignissen und den ersten Symptomen der Anpassungsstörung davon auszugehen ist, dass ohne dieselbigen die Symptomatik entweder nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaße aufgetreten wäre“.
194
Auch, so die Gutachterin, wenn bei dem Kläger die individuelle Prädisposition oder Vulnerabilität (im Sinne einer Empfindlichkeit gegen psychische Erkrankungen) bei dem Auftreten und der Form der Anpassungsstörung eine Rolle spielten, sei davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre. Erste Krankheitssymptome seien bald nach den Ereignissen im März 2007 aufgetreten. Nicht so sehr die Stärke oder das objektive Ausmaß der äußeren Belastung, sondern der Zustand der subjektiven Bedrängnis und der emotionalen Beeinträchtigung, hervorgerufen durch die äußere Belastung, seien maßgeblich Hingegen sei nicht genau zu sagen, in welchem Ausmaß die nicht als Mobbing bewerteten belastenden Ereignisse die Symptomatik bei dem Kläger im weiteren Verlauf verschlimmert hätten.
195
(c) Der Sachverständige Prof. S3 M4 hat sich den Inhalt des fachpsychologischen Gutachtens vom 08.05.2009, erstellt von der Assistenzärztin Dr. Z1, zu eigen gemacht.
196
Erklärt der Sachverständige, er habe die Auswertung nachvollzogen und sich zu Eigen gemacht bzw. er sei mit der Befunderhebung und Beurteilung einverstanden, ist eine Delegation von Sachverständigentätigkeiten rechtlich nicht zu beanstanden. Es muss jedoch in jedem Fall sichergestellt sein, dass der beauftragte Sachverständige die volle fachliche, zivil- und strafrechtliche Verantwortung für das Gutachten übernimmt (OLG Frankfurt/M. 18.02.2004, a.a.O. m.w.N.).
197
Der durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 29.01.2009 (Bl. 122 d.A.) zum Sachverständigen bestimmte Prof. S3 M4 hat das vollständige schriftliche Gutachten vom 08.05.2009 auf der letzten Seite 39 (Bl. 209 d.A.) mit dem Vermerk „Einverstanden aufgrund eigener Kenntnis und Urteilsbildung“ unterzeichnet in seiner Funktion als Ärztlicher Direktor, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Damit hat er die volle Ãœbernahme der Verantwortung für das Gutachten seiner Hilfskraft hinreichend erklärt.
198
(d) Bei seiner ergänzenden Vernehmung zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens im Kammertermin vom 15.12.2011 hat der Sachverständige Prof. S3 M4 bekundet, er könne eindeutig sagen, dass durch die Maßnahmen, die in dem gerichtlichen vorbereitenden Schreiben vom 01.12.2011 beschrieben sind, bei dem Kläger die krankhafte Symptomatik ausgelöst worden sei. Ohne die vier oder fünf Maßnahmen wären die Symptome bei dem Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht entstanden. Insbesondere das Angebot der Ãœbernahme der Kommunalen Abteilung sei von dem Kläger, hier unterstütze er – der Sachverständige – die entsprechende Aussage in dem Zusatzgutachten vom 13.1.22011, Seite 6, letzter Satz. Wichtigster Faktor für das Entstehen der Krankheitssymptomatik sei die erste Maßnahme am 12.03.2007 gewesen. Die weiteren Maßnahmen des Arbeitgebers hätten zu einer Verschlimmerung der bestehenden Symptomatik geführt und wohl die bei ihm entstandene Kränkung verstärkt. Ohne die bei dem Kläger vorhandene individuelle Prädisposition und Vulnerabilität wäre die Krankheitssymptomatik indes nicht entstanden.
199
(e) Die vom Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 nachgeholte Erläuterung des Gutachtens der Frau Dr. Z1 sowie deren ergänzende schriftliche Begutachtung vom 13.12.2011 verhelfen dem Kläger zu einem weiteren Schmerzensgeld.
200
Nach den gutachterlichen Feststellungen ist die Kausalität zwischen den Pflichtverletzungen der Beklagten und der mobbingtypischen Erkrankung des Klägers zur Ãœberzeugung der Berufungskammer erwiesen. Sowohl die sachverständige Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Z1 wie auch der Sachverständige Prof. S3 M4 kommen abschließend zu dem Ergebnis, dass die vom Arbeitsgericht festgestellten Mobbingmaßnahmen bei dem Kläger die Krankheitssymptomatik ausgelöst wurde bzw. dass ohne diese Maßnahmen die entsprechenden Symptome bei dem Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgetreten wären. Der Sachverständige Prof. S3 M4 konnte sogar „eindeutig sagen“, dass durch die belastenden Maßnahmen die Krankheit ausgelöst wurde. Nachvollziehbar beschrieb der Sachverständige bei seiner Vernehmung, dass die erste Maßnahme vom 12.03.2007 (Ãœbernahme der Kommunalen Abteilung) den Kläger auslösend am meisten belastete. Die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen, dem die beiden schriftlichen Gutachten in jeder Weise präsent zu sein schienen, wirkten auf die Berufungskammer durchgehend sehr fachkompetent. Seine Aussagen waren bestimmt und klar, in sich schlüssig und widerspruchfrei, auch bezogen auf die schriftlich vorliegenden Gutachten. Ein Widerspruch ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darin zu sehen, dass der Sachverständige einen singulären Sachverhalt, hier das Angebot zur Ãœbernahme der Kommunalen Abteilung, als krankheitsauslösend begreift. Damit stellt er keineswegs in Abrede, dass die Mobbingtatbestände in ihrer Gesamtheit die Krankheit hervorgerufen haben. Ein einzelnes Ereignis hat jedoch als wichtigster Faktor die Symptomatik ausgelöst (nicht verursacht).
201
Des Weiteren kann die Beklagte für sich nichts aus der Feststellung des Sachverständigen herleiten, wonach ohne die den Kläger belastenden Maßnahmen die Krankheitssymptomatik mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgetreten wäre. Für die Berufungskammer genügt hier die hinreichende Gewissheit, dass die psychische Erkrankung ohne die Mobbingmaßnahmen dem Kläger erspart geblieben wäre. Eine Vorhersehbarkeit der aus der Verletzungshandlung resultierenden Folgeschäden für den Schädiger ist nicht erforderlich (BGH 30.04.1996 – VI ZR 55/95, NJW 1996, 2425).
202
Widersprüchlich ist auch nicht die Aussage des Sachverständigen, dass ohne eine individuelle Prädisposition und Vulnerabilität, die der Kläger in sich habe, die Krankheitssymptomatik nicht entstanden wäre. Seit langem schon ist insbesondere in der Rechtsprechung der Zivilgerichte anerkannt, dass der Schädiger sich nicht darauf berufen kann, dass der Geschädigte infolge bestimmter persönlicher Dispositionen für die Krankheit besonders anfällig gewesen sei (BGH 30.04.1996, a.a.O., m.w.N.).
203
(f) Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25.01.2012 überreichte schriftliche gutachtliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie o.D. (Bl. 696 – 703 d.A.) war ungeachtet seiner rechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit nicht geeignet, das Ergebnis der gesamten Beweiserhebung in Frage zu stellen. Zum einen stellt es keine Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme dar. Wie ausgeführt, waren die gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. S3 M4 für die Berufungskammer sehr wohl nachvollziehbar. Die Notwendigkeit eines weiteren (privat in Auftrag gegebenen) Sachverständigengutachtens ist daher schon nicht erkennbar. Zum anderen kommt dem Gutachten, das sich allein mit Urteilen, gerichtlichen Verfügungen und im Rahmen eines Rechtsstreits erhobenen gutachterlichen Feststellungen auseinandersetzt, ohne den zur Begutachtung anstehenden Kläger persönlich gesprochen, geschweige denn untersucht zu haben, zur Überzeugung des Gerichts keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
204
Den weiteren Bewertungen des Arbeitsgerichts zu dem fachpsychiatrischen Gutachten vom 08.05.2009 sowie den weiteren Inhalten der erstellten Sachverständigengutachten schließt sich die Kammer an.
205
b) Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe, für die – wie oben bereits ausgeführt – Billigkeitsgesichtspunkte maßgebend sind, kann es geboten sein, eine bereits bestehende Schadenbereitschaft schmerzgeldmindernd zu berücksichtigen (OLG Celle 01.02.2011 – 14 W 47/10, BeckRS 2011, 03335; BGH 05.11.1996 – VI ZR 275/95, NJW 1997, 455). Im Übrigen gelten die allgemeinen Bemessungskriterien, insbesondere die Intensität der Verletzungshandlungen, die Dauer der Mobbingattacken und die Dauer deren Folgen. Schließlich stellt einen wesentlichen Bemessungsfaktor dar die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes (LAG Rheinland-Pfalz 04.10.2005 – 5 Sa 140/05, juris).
206
Die Kammer hat insoweit berücksichtigt, dass in der Person des Klägers eine individuelle Prädisposition/Vulnerabilität gegeben ist. Zudem konnte eine hohe Intensität der Verletzungshandlungen nicht festgestellt werden. Auszugehen war von nur wenigen Mobbinghandlungen, die allerdings, wie die Gutachten nebst deren mündlicher Erläuterung deutlich herausgestellt haben, krankheitsauslösend waren. Die Dauer der Mobbingattacken erstreckte sich über einen nicht sehr erheblichen Zeitraum im Jahr 2007. Die Folgen des Mobbings waren in zeitlicher Hinsicht beschränkt auf die Zeiten der Tätigkeiten des Klägers bei der Beklagten (s. ärztliche Bescheinigungen Bl. 710, 728 d.A.).
207
Die Berufungskammer hält daher ein zusätzliches Schmerzensgeld von 2.000 Euro für angemessen (vgl. zur Höhe bei einem Fall massiven Mobbings: LAG Rheinland-Pfalz 16.08.2001 – 6 Sa 415/01, NZA-RR 2002, 121), so dass dem Kläger ein Schmerzensgeld für die Persönlichkeitsrechts- und Gesundheitsverletzung von insgesamt 5.500 Euro zusteht.
208
4. Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem in der Zeit vom 12.04.2008 bis 30.09.2009 zu beanspruchenden Bruttoentgelt und dem während dieser Zeit bezogenen Krankengeld, §§ 241 Abs.2, 253 Abs. 2, 278, 280 Abs. 1 BGB, §§ 823 Abs.1, 253 Abs. 2 BGB, §§ 831, 253 Abs.2 BGB.
209
a) Der Schadensersatzanspruch des Klägers besteht sowohl als vertraglicher wie auch als gesetzlicher Anspruch. Für seine Begründung wird auf die getroffenen Feststellungen zur Verletzung der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers und seines Erfüllungsgehilfen im bestehenden Arbeitsverhältnis (§ 241 Abs. 2 BGB) sowie die Verletzung des Gesundheit des Klägers (§ 823 Abs. 1 BGB) zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
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Gleiches gilt für die Kausalität zwischen dem festgestellten Mobbingverhalten der Beklagten und der bei dem Kläger eingetretenen Gesundheitsbeschädigung. Es wird insoweit verwiesen auf die Ausführungen unter I 3.
211
b) Da die Höhe der monatlichen Differenzbeträge zwischen den Parteien unstreitig geblieben ist, war entsprechend den gestellten Klageanträgen zu entscheiden
212
c) Die beanspruchten Zinsen stehen dem Kläger zu aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
213
II.
214
1. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens waren der Beklagten aufzuerlegen, § 91 Abs.1 ZPO.
215
2. Im Hinblick darauf, dass gemäß § 563 Abs. 2 ZPO der Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde zu legen war, kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung zu, so dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorlagen.
Das Pflichtpraktikum eines Rettungsassistenten gemäß § 7 RettAssG ist kein Arbeitsverhältnis. Auch Mängel im Rahmen der Ausbildung, z.B. schlechte Betreuung des Praktikanten, führen nicht dazu, dass das Ausbildungsverhältnis rechtlich als Arbeitsverhältnis zu bewerten wäre.
Volltext des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg vom 12.03.2020 – 10 Sa 1953/19:
Leitsatz
Das Pflichtpraktikum nach § 7 RettAssG ist kein Arbeitsverhältnis
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Oktober 2019 – 56 Ca 8023/17 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die (Un-)Wirksamkeit einer sachgrundlosen Befristung.
2 Die Klägerin ist 44 Jahre alt (geb. …. 1975) und war vom 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2017 beim beklagten Land als Rettungsassistentin mit einer durchschnittlichen Monatsvergütung von 2.500,00 EUR beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war sachgrundlos befristet.
3 Mit der am 29. Juni 2017 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe.
4 Bereits vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 bestand zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis. In dem Praktikantenvertrag vom 20. März 2007 ist in § 1 geregelt:
5 Die Praktikantin wird während der praktischen Tätigkeit, die nach der Ausbildungsordnung gem. RettAssG und RettAssAPrV der staatlichen Anerkennung bzw. der Erlaubnis als Rettungsassistentin vorauszugehen hat, beschäftigt.
6  Entsprechend einer Bescheinigung vom 11. Januar 2008 nahm die Klägerin vom 7. Januar 2008 bis 11. Januar 2008 am Unterricht im Rettungsassistenten-Berufspraktikum gemäß § 2 RettAssAPrV teil.
7 Die Klägerin geht davon aus, dass es sich bei dem Praktikumsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis und damit um eine Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG gehandelt habe. Da entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 6. Juni 2018 (1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) nicht davon auszugehen sei, dass eine Unterbrechung von mehr als drei Jahren unschädlich für eine weitere Befristung sei, handele es sich bei dem angegriffenen Arbeitsverhältnis um eine unzulässige Befristung.
8 Die Klägerin habe vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 weisungsgebunden fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Sie sei fest einer Feuerwache zugeteilt gewesen. Es sei weder eine theoretische noch eine praktische Schulung/Ausbildung während der Einsätze erfolgt. Sie habe vollwertig neben anderen Rettungsassistenten im Notfallrettungsdienst die konkret genannten Tätigkeiten dieses Dienstes geleistet. Maximal 10 Schichten sei sie zusammen mit einem Praktikantenbegleiter/Ausbilder zusammen eingesetzt gewesen.
9 Das beklagte Land erwidert, dass das Praktikantenverhältnis kein Arbeitsverhältnis gewesen sei. Ein Praktikant sei üblicherweise, so auch die Klägerin, im Betrieb tätig, um sich die für die Vorbereitung auf den Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen.
10  Mit Urteil vom 9. Oktober 2019 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Bei der Beschäftigung der Klägerin vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 habe es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis gehandelt. Das ergebe sich bereits daraus, dass die Klägerin diese Beschäftigung im Rahmen ihrer Ausbildung zur Rettungsassistentin ausdrücklich als Praktikumszeit angegeben habe. Die Klägerin verhalte sich widersprüchlich, wenn sie einerseits gegenüber der für ihre Berufsausbildung zuständigen Stelle angebe, in der fraglichen Zeit ausdrücklich ein Praktikum absolviert zu haben, sich andererseits im vorliegenden Gerichtsverfahren aber darauf berufe, es habe kein Praktikum stattgefunden. Das Arbeitsgericht halte die Klägerin an ihrer ursprünglichen und für die Berufsausbildung maßgeblichen Behauptung fest, dass sie in der Zeit vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 ein Praktikum absolviert habe.
11  Gegen dieses den Klägerinvertretern am 17. Oktober 2019 zugestellte Urteil legten diese am 15. November 2019 Berufung ein und begründeten diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist mit einem am 17. Januar 2020 eingegangenen Schriftsatz.
12  Die Klägerin geht weiter davon, dass die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf den 30. Juni 2017 aufgrund der Vorbeschäftigung während der Zeit vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 unwirksam sei. Das Arbeitsgericht sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass es sich bei der Vorbeschäftigung nicht um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Dieses habe das Arbeitsgericht allein damit begründet, dass die Klägerin diese Zeit als Praktikumszeit im Rahmen ihrer Ausbildung zur Rettungsassistentin angegeben habe.
13  Die Klägerin habe jedoch auch während der Vorbeschäftigung dieselben Tätigkeiten zu erbringen gehabt wie ab dem 1. Juli 2016. Das RettAssG habe zwar in § 7 im Rahmen der Ausbildung 1.600 Stunden praktische Tätigkeit verlangt. In welchem Rechtsverhältnis diese zu leisten gewesen seien, habe das Gesetz jedoch nicht vorgegeben. Es sei nach objektiven Kriterien zu entscheiden, ob ein Arbeitsverhältnis vorliege.
14 Die Kläger beantragt,
15 das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Oktober 2019 – 56 Ca 8023/17 – abzuändern und
16  festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung im Arbeitsvertrag vom 1. Juli 2016 zum 30. Juni 2017 beendet ist, sondern zu unveränderten Bedingungen unbefristet weiter fortbesteht.
17Â Das beklagte Land beantragt,
18 die Berufung zurückzuweisen.
19 Das beklagte Land hält das Urteil des Arbeitsgerichts – jedenfalls im Ergebnis – für richtig und die Berufung deshalb für unbegründet. Insbesondere liege eine Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht vor. Das Praktikum sei außerhalb eines Arbeitsverhältnisses durchgeführt worden. Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses habe die darlegungspflichtige Klägerin nichts vorgetragen.
20 Die Parteien hätten ausdrücklich einen Praktikantenvertrag geschlossen. In diesem seien der Klägerin keinerlei Pflichten auferlegt worden, die denen einer Arbeitnehmerin entsprechen würden. Es sei weder eine Anwesenheitspflicht noch eine Arbeitszeit geregelt worden. Auch eine Tätigkeit oder Leistung, deren Erbringung die Klägerin dem beklagten Land schulde, sei nicht vereinbart worden. Ganz im Gegenteil sei gerade auf das geltende Ausbildungsrecht verwiesen worden. Mit dem Verweis auf § 19 BBiG (heute: § 26 BBiG) sei ausdrücklich deutlich gemacht worden, dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handele. Mit dem Urteil vom 29. April 2015 (9 AZR 78/14) habe das BAG ausdrücklich festgestellt, dass ein Praktikantenvertrag mit einem Verweis auf das RettAssG und die RettAssAPrV kein Arbeitsverhältnis sei.
21  Da die vertraglichen Absprachen der Parteien bereits gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen würden, hätte die Klägerin vortragen müssen, inwiefern die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses den schriftlichen Regelungen widersprochen hätte. Das habe die Klägerin aber nicht getan.
22 Soweit die Klägerin ausgeführt habe, dass sie vollwertig neben anderen Rettungsassistenten eingesetzt worden sei, ebenso wie diese auf einer Wache gearbeitet und im Schichtplan eingeteilt worden sei, sei die Klägerin offenbar der Auffassung, dass sich ein Praktikum grundsätzlich in Art und Umfang des Einsatzes von der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers unterscheide. Das könne man vielleicht für ein Schüler- oder Studentenpraktikum annehmen, nicht aber bei der praktischen Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung zum Rettungsassistenten. Der von der Klägerin vermisste Schulungsanteil sei in der vorgeschalteten theoretischen Ausbildung nach § 4 RettAssG enthalten gewesen. Das dort theoretisch erlernte habe die Klägerin unter realen Bedingungen trainieren sollen. Die möglichst umfassende Einbindung in die Betriebsabläufe werde diesem Ausbildungsziel gerecht.
23 Soweit die Klägerin darauf verwiesen habe, dass sie lediglich 10 Schichten mit einem Praktikantenbegleiter/Ausbilder absolviert habe, sei zu berücksichtigen, dass § 7 RettAssG nur verlangt habe, dass die praktische Tätigkeit „unter Aufsicht“ erfolge. Eine gleichzeitige Anwesenheit einer Betreuungs- bzw. Ausbildungsperson habe das RettAssG nicht vorgesehen gehabt.
24 Die Begleitung in 10 Schichten und die Teilnahme am Unterricht im Rettungsassistenten-Berufspraktikum spreche gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Es habe hier der Ausbildungszweck im Vordergrund gestanden. Denn die praktische Tätigkeit sei im Rahmen einer Gesamtausbildung erfolgt und sei zwingende Voraussetzung für die Zulassung zum Beruf gewesen. Gerade diese Zweckgerichtetheit unterscheide die Tätigkeit der Klägerin von einem Scheinpraktikum eines bereits ausgebildeten Berufsanfängers.
25  Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Klägerin vom 17. Januar 2020 und ihren Schriftsatz vom 10. März 2020 sowie den vorgetragenen Inhalt der Berufungserwiderung des beklagten Landes vom 22. Februar 2020 und das Sitzungsprotokoll vom 12. März 2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
26  Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden. Sie ist zulässig aber nicht begründet.
II.
27 Das Praktikumsverhältnis der Parteien vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 war kein Arbeitsverhältnis. Da es kein Arbeitsverhältnis war, verstößt die Befristung des Arbeitsvertrages vom 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2017 auch nicht gegen das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG.
28 Wie das beklagte Land zutreffend ausführt und auch das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, ist es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zunächst maßgeblich, welchen Vertrag die Parteien geschlossen haben. Nur wenn die praktische Durchführung des Vertrages von der vertraglichen Vereinbarung abweicht, kommt es auf die tatsächliche Handhabung an.
29 Die Klägerin ist aber vom 1. April 2007 bis 31. März 2008 mit der praktischen Tätigkeit nach § 7 Abs. 1 RettAssG beschäftigt worden. Bei zehn Schichten (entsprechend 5-10% der Gesamtzeit) wurde die Klägerin von einem Praktikantenbegleiter/Ausbilder begleitet. Die Klägerin hat vom 7. Januar 2008 bis 11. Januar 2008 am die praktische Tätigkeit nach § 7 RettAssG begleitenden Unterricht im Rettungsassistenten-Berufspraktikum gemäß § 2 RettAssAPrV teilgenommen. Dass das hinsichtlich des Inhalts der praktischen Tätigkeit ähnlich einem Arbeitsverhältnis passiert, liegt angesichts des Ausbildungsziels (§ 3 RettAssG) auf der Hand.
30   Selbst wenn man annehmen sollte, dass das Praktikum hätte besser betreut werden können, wird daraus kein Arbeitsverhältnis. Denn Mängel im Rahmen einer Ausbildung führen nicht dazu, dass das Ausbildungsverhältnis rechtlich als Arbeitsverhältnis zu bewerten wäre (so Hessisches LAG 12. September 2005 – 10 Sa 1843/04, insoweit auch vom BAG in dem Urteil vom 29. April 2015 – 9 AZR 78/14 zitiert).
31 Dass es sich um ein Scheinpraktikum gehandelt hätte, hat die Klägerin selbst nicht vorgetragen. Wie bereits vom BAG in dem Urteil vom 29. April 2015 – 9 AZR 78/14 festgestellt, wird zutreffend ein Praktikumsverhältnis angenommen, wenn bei diesem nach dem Praktikantenvertrag das RettAssG und die RettAssAPrV Inhalt des Rechtsverhältnisses sind. Das entspricht auch § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG. Danach sind Praktikanten ausnahmsweise dann keine Arbeitnehmer im Sinne des MiLoG, wenn das Praktikum, wie hier, verpflichtend aufgrund einer Ausbildungsordnung geleistet wird.
III.
32 Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
33 Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren bemisst sich nach der dreifachen Bruttomonatsvergütung der Klägerin in Höhe von jeweils 2.500,00 EUR.
34 Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.