Die auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag eines Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten soll, ist unbestimmt und damit unwirksam.
Volltext der Pressemitteilung Nr. 14/2024 des Arbeitsgerichts Solingen vom 02.10.2024:
Das Arbeitsgericht Solingen hat heute der Klage des ehemaligen Trainers des Bergischen Handball Clubs 06 e. V. (im Folgenden: „BHC 06“ genannt) in vollem Umfang stattgegeben.
Der Kläger ist seit Juli 2022 bei der Beklagten, der BHC Marketing GmbH, als Trainer der 1. Handballmannschaft der Herren des BHC 06 beschäftigt. Der BHC06 spielte in der Spielzeit 2023/2024 in der 1. Handball-Bundesliga und stieg sodann in die 2. Handball-Bundesliga ab. Der Kläger war bereits seit April 2024 freigestellt. Im Juni 2024 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Vertrag aufgrund des Abstiegs des BHC 06 in die 2. Handball-Bundesliga zum 30.06.2024 ende. Hiergegen wendete sich der Kläger und machte das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses sowie weitere Zahlungsansprüche geltend.
Die Kammer hat entschieden, dass die auflösende Bedingung in dem Arbeitsvertrag des Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten und der Arbeitsvertrag bei Abstieg oder Lizenzverlust/-rückgabe enden soll, unwirksam ist. Die Klausel ist bereits wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam. Ihr ist nicht zu entnehmen, zu welchem Enddatum der Arbeitsvertrag „bei Abstieg“ gelten soll und der „Bereich der 1. Handballbundesliga“ verlassen wird. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vermischung der Bedingung „Abstieg“ mit der (unwirksamen) Bedingung „Lizenzverlust/-rückgabe“ der Bedingungseintritt intransparent und im Zweifelsfall nicht eindeutig bestimmbar ist.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingelegt werden.
Arbeitsgericht Solingen, 3 Ca 728/24, Termin vom 01.10.2024
Wer über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, muss eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Bei einem Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes und unfallursächliches Fehlverhalten des vom Bordstein einfahrenden Fahrers. Rechts vor links gilt in diesem Fall nicht.
Volltext des Urteils des Landgerichts Lübeck vom 26.01.2024 – 17 O 158/22:
Tenor
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.213,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.08.2022 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwaltskanzlei ….., ……..in Höhe von 627,13 € freizuhalten.
Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.234,30 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 04. Juli 2022 in Bad Oldesloe.
Randnummer2
Der Kläger befuhr am 04. Juli 2022 mit seinem Fahrzeug mit amtlichem Kennzeichen ….. die Johannes-Ströh-Straße in Bad Oldesloe. In Fahrtrichtung links der Johannes-Ströh-Straße befinden sich Parkplätze quer zur Straße, in Fahrtrichtung rechts zur Johannes-Ströh-Straße befindet sich ein P+R-Parkplatzgelände, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Johannes-Ströh-Straße und die Parkplätze in Fahrtrichtung links ein einheitliches P+R-Parkplatzgelände mit den Parkplätzen in Fahrtrichtung rechts bilden, oder ob die vorbenannte Straße eine vom P+R-Gelände getrennte öffentliche Straße darstellt. Auf dem Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts befinden sich zwischen den Parkplatzreihen Fahrgassen, die in Richtung der Johannes-Ströh-Straße führen. Die Fahrgassen weisen am Übergang zur Johannes-Ströh-Straße einen abgesenkten Bordstein auf. Von der Johannes-Ströh-Straße auf das Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts blickend befindet sich ein Schild mit der Beschriftung „P+R“. Weiter ist die vorbenannte Straße durch ein in Fahrtrichtung links befindliches Schild als Einbahnstraße ausgewiesen (Verkehrszeichen Nr. 220). Zur Veranschaulichung der Unfallumgebung wird auf die Anlagen K1, K2 und K8 verwiesen.
Randnummer3
Die Beklagte zu Ziff. 2 fuhr mit ihrem bei der Beklagten zu Ziff. 1 haftpflichtversicherten PKW mit amtlichem Kennzeichen …..von dem Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts des Klägers nach rechts abbiegend auf die Johannes-Ströh-Straße ein, woraufhin es zur Kollision zwischen dem Klägerfahrzeug und dem Beklagtenfahrzeug kam. Zur Veranschaulichung der Kollision wird auf die Anlagen K2 und K3 verwiesen.
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Ausweislich eines durch die Klägerseite eingeholten Gutachtens sind für die Reparatur des Klägerfahrzeuges Kosten in Höhe von 4.350,95 € netto erforderlich, wobei zwischen den Parteien Kosten in Höhe von 4.330,35 € netto unstreitig sind. Die Kosten für das Gutachten betragen 863,35 € brutto. Weiter macht die Klägerseite eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 € geltend.
Randnummer5
Die Beklagte zu Ziff. 1 verweigerte gegenüber der Klägerseite mit Ablehnungsschreiben vom 12. Juli 2022, 03. August 2022 und 18. August 2022 die Regulierung des Schadens (vgl. Anlagenkonvolut K5). Dies begründete die Beklagte zu Ziff. 1 damit, dass sich der Unfall auf einem Parkplatzgelände abgespielt habe und die Beklagte zu Ziff. 2 von rechts kommend vorfahrtsberechtigt gewesen sei. Mit Mail vom 16. November 2022 (vgl. Anlage K7) forderte die Klägerseite die Beklagte zu Ziff. 1 letztmalig zur Regulierung bis zum 23.11.2022 auf. Die Beklagte zu Ziff. 1 lehnte die Regulierung weiterhin ab.
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Der Kläger macht weiter die Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 € geltend. Dem legt die Klägerseite einen Gegenstandswert in Höhe von 5.234,30 €, eine 1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG sowie eine Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 € zzgl. Mehrwertsteuer zugrunde.
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Der Kläger meint, er sei gegenüber der Beklagten zu Ziff. 2 vorfahrtsberechtigt gewesen, da die Klägerin von einem Grundstück auf eine Straße eingefahren beziehungsweise über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn eingefahren sei.
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Nachdem der Kläger mit seinem Antrag zu Ziff. 1 zunächst beantragt hat, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.234,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, beantragt er nunmehr nach teilweiser Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
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1. an den Kläger 5.213,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 04.08.2022 zu zahlen,
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2. den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwaltskanzlei ….., G. 44, … Hamburg in Höhe von 627,13 € freizuhalten.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meinen, die Beklagten zu Ziff. 2 sei von rechts kommend vorfahrtsberechtigt gewesen.
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Das Gericht hat im Rahmen der Güteverhandlung die Anlage K2, das erste Foto, Blatt 2 des Anlagenbandes Kläger sowie die Anlage K8, das erste Foto, Blatt 4 des Anlagenbandes Kläger in Augenschein genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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I. Die teilweise Klagerücknahme in Höhe von 20,60 € im Termin vom 05.01.2024 mit Einwilligung der Beklagten ist gemäß § 269 Abs. 1 ZPO zulässig.
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II. Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 627,13 €.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte zu Ziff. 2 einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie Freihaltung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 627,13 € aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG.
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Gemäß § 7 Abs. 1 StVG hat der Halter eines Kraftfahrzeuges dem Verletzten denjenigen Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, dass beim Betrieb des Kraftfahrzeuges eine Sache beschädigt wurde. Das Fahrzeug des Klägers ist bei Betrieb des Kraftfahrzeuges der Beklagten zu Ziff. 2 beschädigt worden.
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Ein Ausschluss der Haftung der Beklagten zu Ziff. 2 beziehungsweise des Klägers gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nicht ersichtlich, da der Unfall nicht auf einem unabwendbaren Ereignis beruht. Gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Geboten ist dabei eine besonders sorgfältige Reaktion. Es muss ein schadenstiftendes Ereignis vorliegen, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 15). Im vorliegenden Fall hätte die Kollision der Fahrzeuge beiderseitig bei Beachtung der äußerst möglichen Sorgfalt abgewendet werden können.
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Die Beklagte zu Ziff. 2 haftet mit einer Quote von 100 %. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 StVG führt zur alleinigen Haftung der Beklagtenseite.
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Gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt die Haftung zwei an einer Schadensverursachung beteiligter Kraftfahrzeughalter untereinander im Verhältnis zueinander davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für die Bewertung der Verursachungsbeiträge sind zunächst die wechselseitigen Verantwortungsbeiträge festzustellen. Anschließend müssen diese unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gegeneinander abgewogen werden (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 28).
Randnummer23
Die Beklagte zu Ziff. 2 hat vorliegend einen Verstoß gegen § 10 StVO begangen. Danach hat sich wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Bei einem Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes und unfallursächliches Fehlverhalten des Einfahrenden (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 70).
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Im vorliegenden Fall spricht aufgrund der in den Anlagen K2 und K8 erkennbaren Beschilderung (u.a. Verkehrszeichen 220) viel dafür, dass es sich bei der Johannes-Ströh-Straße um eine von der P+R-Anlage getrennte öffentliche Straße handelt, und die Beklagte zu Ziff. 2 somit von einem Grundstück auf die Straße einfuhr. Im Ergebnis kann es jedoch dahinstehen, ob eine abgetrennte öffentliche Straße oder aber ein einheitliches P+R-Parkplatzgeländes vorliegen. Unterstellt, dass die vom Kläger befahrene Fahrbahn Teil eines einheitlichen P+R-Gelände wäre, wäre die Beklagte zu Ziff. 2 jedenfalls über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn eingefahren. Die Regelungen der StVO sind dabei auch in letzterem Fall grundsätzlich auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz anwendbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 m.w.N.).
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Eine Erschütterung des ersten Anscheins ist vorliegend nicht gegeben. Dazu hätte die Beklagtenseite Umstände darlegen und beweisen müssen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt (Zöller/Greger, 35. Aufl., ZPO Vor. § 284 Rn. 29). Entsprechende Umstände sind nicht ersichtlich.
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Ein entsprechender Verstoß gegen § 10 StVO wiegt in der Regel so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.04.2015 – 19 U 189/14, r+s 2016, 312 Rn. 16).
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Dem Kläger ist durch die Kollision ein gemäß § 249 BGB zu ersetzender Schaden in Gestalt von Reparaturkosten in Höhe von jedenfalls 4.330,35 € netto sowie Gutachterkosten in Höhe von 863,35 € entstanden. Weiter kann der Kläger eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 € geltend machen (vgl. OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 23.04.2021 – 7 U 10/21; BeckRS 2021, 36254, Rn. 10). Die Beklagte zu Ziff. 2 hat den Kläger ferner im Rahmen des zu ersetzenden Schadens von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizuhalten, deren Höhe sich aus dem RVG ergeben.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte zu Ziff. 1 einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie auf Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 € aus § 115 Abs. 1 VVG in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, da es sich bei der Beklagten zu Ziff. 1 um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach § 1 PflVG bestehenden Versicherungspflicht der Beklagten zu Ziff. 2 handelt.
Der von der Gewerkschaft ver.di ab 30.09.2024 ausgerufene Kita-Streik ist rechtswidrig. ver.di hat mit seinen Streikforderungen, mit denen Entlastungsmaßnahmen für Erzieher und ein Mehr an Zeit für Auszubildende durchgesetzt werden sollen, gegen die Friedenspflicht während laufender Tarifverträge verstoßen, weil bereits entsprechende tarifliche Regelungen existierten.
Volltext der Pressemitteilung Nr. 18/24 des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.09.2024 – 56 Ga 11777/24:
Das Arbeitsgericht Berlin hat heute auf den Antrag des Landes Berlin im gerichtlichen Eilverfahren den von der Gewerkschaft ver.di ab dem 30.09.2024 angekündigten Streik in den Kitas der Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin untersagt.
Zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Land Berlin waren seit April 2024 Gespräche über die pädagogische Qualität und über Entlastungen der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Auszubildenden in diesem Bereich geführt worden, die erfolglos blieben. Zu dem unbefristeten Streik ab dem 30.09.2024 hatte die Gewerkschaft ver.di am 26.09.2024 ihre Mitglieder aufgerufen, nachdem in einer Urabstimmung 91,7 % der Mitglieder dafür gestimmt hatten. Ziel des Streiks war die Erzwingung von Tarifverhandlungen über die Regelung einer Mindestpersonalausstattung, über Regelungen zum Belastungsausgleich (Konsequenzenmanagement) und für eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen.
Das Land Berlin sah sich rechtlich als Arbeitgeber nicht zu Tarifverhandlungen mit ver.di in der Lage, weil es als Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) nach deren Satzung keine von den Regelungen des Tarifvertrags der Länder (TV-L) abweichenden Tarifverträge schließen dürfe. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Berliner Eigenbetriebs-Kitas richten sich nach dem TV-L. Nachdem das Land Berlin im Jahr 2020 mit der Zusage der Hauptstadtzulage von den tariflichen Bedingungen des TV-L abgewichen war, hatte die TdL für den Fall eines weiteren Verstoßes des Landes Berlin gegen die Satzung seinen Ausschluss aus der TdL beschlossen. Das Land Berlin ist außerdem davon ausgegangen, dass ver.di mit den Streikforderungen betreffend Entlastungsmaßnahmen für Erzieherinnen und Erzieher und für ein Mehr an Zeit für Auszubildende gegen die Friedenspflicht während laufender Tarifverträge verstoße, weil bereits entsprechende tarifliche Regelungen existierten.
Das Arbeitsgericht hat den ab dem 30.09.2024 angekündigten Streik untersagt und der Gewerkschaft aufgegeben, ihren Streikaufruf öffentlich zu widerrufen. Es ist von einer fehlenden Rechtmäßigkeit des Streiks ausgegangen. Die Gewerkschaft ver.di verstoße mit diesem Streik gegen die Friedenspflicht wegen der bestehenden tariflichen Regelungen zur Zulage für Beschäftigte in Eigenbetriebs-Kitas des Landes Berlin im TV-L und wegen der bestehenden Entlastungsregelungen für Auszubildende im maßgeblichen Ausbildungstarifvertrag. Daneben seien auch verbandspolitische Erwägungen des Landes Berlin von der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützt, weil das Land als Arbeitgeber berechtigt sei, sich in der Tarifgemeinschaft der Länder zu organisieren. Das Risiko eines Ausschlusses aus der TdL bei einem eigenständigen Tarifabschluss müsse das Land Berlin nicht eingehen. Das grundgesetzlich garantierte Streikrecht der Gewerkschaft aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz überwiege insoweit nicht.
Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts kann das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 27.09.2024, 56 Ga 11777/24
Das Landesarbeitsgericht Köln hat entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bei fehlendem Präventionsverfahren keine Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hat.
Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24:
Arbeitgeber sind verpflichtet, auch innerhalb der sog. Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, §§ 173 Abs. 1, 168 SGB IX, in denen ein schwerbehinderter Mensch noch keinen Kündigungsschutz genießt, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln heute entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur bis 2017 geltenden Vorgängernorm des § 84 SGB IX entschieden. Da die beklagte Kommune im vorliegenden Einzelfall jedoch widerlegen konnte, dass sie dem Kläger wegen der Schwerbehinderung gekündigt hatte, führte dies nicht zur Unwirksamkeit der Probezeitkündigung des Klägers.
Der 1984 geborene Kläger verfügt über einen Grad der Behinderung von 80 und war bei der beklagten Kommune seit dem 1. Januar 2023 im Bauhof beschäftigt. Am 22. Juni 2023 kündigte die Beklagte dem Kläger innerhalb der Probezeit ohne zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt zu haben. Das Präventionsverfahren nach §167 SGB IX stellt ein kooperatives Klärungsverfahren dar, das Arbeitgeber unter Beteiligung internen und externen Sachverstandes (insb. Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Rehabilitationsträger) durchführen müssen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährdet ist. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Denn in einem solchen Fall wird vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens diskriminiert hat.
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14) hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchzuführen. Nach Auffassung der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts ergibt sich die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene zeitliche Begrenzung weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch stützt eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen dieses Ergebnis. Wegen der auch vom Bundesarbeitsgericht angenommenen strukturellen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der ersten sechs Monate („Probezeit“) zum Abschluss zu bringen, hat das Landesarbeitsgericht für diese Sonderkonstellation aber eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vorgenommen, um die Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen.
Im konkreten Einzelfall ist das Landesarbeitsgericht Köln aufgrund der unstreitigen Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung nicht wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war und hat die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24.
Die Entscheidung kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE http://www.nrwe.de/unter Eingabe des Aktenzeichens (6 SLa 76/24) aufgerufen werden.
Dr. Sonja Schramm
Pressedezernentin
Für Fragen, Kommentare und Anregungen steht wir Ihnen zur Verfügung:
(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. […]
§ 164 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX): Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen
[…]
(2) Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Ein Arbeitnehmer, der einer Kollegin auf einer Betriebsfeier einen Klaps auf den Po gibt, kann fristlos gekündigt werden. Es handelt sich um eine unzulässige sexuelle Belästigung. Der betroffene Arbeitnehmer erhielt bereits zuvor eine Abmahnung wegen unflätigen Verhaltens und Alkoholkonsums.
Volltext der Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Siegburg – 3 Ca 387/24 vom 28.08.2024:
Ein Arbeitnehmer, der einer Kollegin einen Klaps auf den Po gibt, sie an sich zieht und gegen ihren erkennbaren Willen festhält, kann deswegen außerordentlich gekündigt werden, auch wenn sich der Vorfall in der lockeren Atmosphäre einer Betriebsfeier ereignete. Dies hat das Arbeitsgericht Siegburg entschieden.
Der Kläger war seit einem Jahr bei dem beklagten Arbeitgeber als Außendienstmitarbeiter beschäftigt und wegen unflätigen Verhaltens und Alkoholkonsums bereits abgemahnt worden. Bei einer Betriebsfeier schlug der Kläger einer vorbeigehenden Kollegin auf den Po. Als diese seine Hand wegstieß, zog er sie an sich und sagte, sie solle das als Kompliment betrachten. Der Arbeitgeber kündigte dem Kläger daraufhin fristlos.
Mit Urteil vom 24.07.2024 hat das Arbeitsgericht Siegburg die Kündigungsschutzklage des Außendienstmitarbeiters abgewiesen. Nach der Vernehmung der Kollegin als Zeugin stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sie durch sein Verhalten anlässlich der Betriebsfeier sexuell belästigt habe. Seine Äußerung, sie solle den Klaps auf den Po als Kompliment auffassen, lasse seine sexuell bestimmte Motivation erkennen. Zudem stelle das Festhalten der Kollegin gegen ihren Willen einen nicht hinnehmbaren Eingriff in ihre Freiheit dar. Gibt ein Mitarbeiter bei einer Betriebsfeier einer Kollegin einen Klaps auf den Po, zieht diese an sich und hält sie fest, obwohl sie dies erkennbar nicht will, stellt dies einen Grund für eine fristlose Kündigung dar.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Arbeitsgericht Siegburg – Aktenzeichen 3 Ca 387/24 vom 24.07.2024
Die Entscheidung kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE http://www.nrwe.de/ unter Eingabe des Aktenzeichens (3 Ca 387/24) aufgerufen werden.
Eine Regelung im Tarifvertrag, die den Bezug von Entgelt an mindestens einem Tag als Anspruchsvoraussetzung für den Inflationsausgleich festlegt. Weil das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit ruht, ist eine Differenzierung, die sachlich gerechtfertigt ist und keine mittelbare Diskriminierung darstellt.
Volltext der Pressemitteilung Nr. 10/2024 des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14.08.2024:
Die Klägerin ist bei einer Kommune im Technischen Dienst beschäftigt. Sie befand sich vom 14.06.2022 bis zum 13.04.2024 in Elternzeit. Ab dem 14.12.2023 bis zum Ende der Elternzeit arbeitete sie mit 24 Wochenstunden in Teilzeit (Vollzeit = 39 Wochenstunden).
Der auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwendende Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (TV Inflationsausgleich) sah im Juni 2023 einen Inflationsausgleich von einmalig 1.240,00 Euro und in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 von monatlich 220,00 Euro vor. Die Kommune zahlte der Klägerin diesen Inflationsausgleich nur für die Monate Januar und Februar 2024 in Höhe von 135,38 Euro (24/39 von 220,00 Euro).
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die tariflichen Voraussetzungen in §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 TV Inflationsausgleich, wonach an mindestens einem Tag ein Anspruch auf Entgelt bestanden haben muss, sie als Arbeitnehmerin in Elternzeit unzulässig wegen des Geschlechts diskriminiere. Es liege eine mittelbare Diskriminierung vor, weil Mütter länger in Elternzeit gingen als Väter. Diese Ungleichbehandlung sei mit dem Zweck des Inflationsausgleichs nicht vereinbar. Vielmehr sei sie in Elternzeit in besonderem Maße von den steigenden Preisen betroffen. Dem tritt die Arbeitgeberin entgegen und verweist u.a. auf die Tarifautonomie.
Die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat heute anders als das Arbeitsgericht Essen den Antrag der Klägerin auf Zahlung des vollen Inflationsausgleichs zurückgewiesen. Die tarifliche Regelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie ist wirksam. Die Tarifvertragsparteien dürfen den Bezug von Entgelt an mindestens einem Tag als Anspruchsvoraussetzung für den Inflationsausgleich festlegen. Weil das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit – ausgenommen die Teilzeittätigkeit – ruht, erfüllt die Klägerin diese Voraussetzung nicht. Sie hat keinen Entgeltanspruch. Diese Differenzierung ist sachlich gerechtfertigt und stellt keine mittelbare Diskriminierung dar, weil der tarifliche Inflationsausgleich auch einen Vergütungszweck verfolgt. Er ist arbeitsleistungsbezogen ausgestaltet. Fehlt es daran völlig, weil nicht an einem Tag ein Entgeltanspruch besteht, besteht kein Anspruch. Soweit Beschäftigte, die Krankengeld bzw. Kinderkrankengeld beziehen, einen Inflationsausgleich erhalten, erfolgt dies aus sozialen Gründen zur Abmilderung besonderer Härten. Für diese durften die Tarifvertragsparteien andere Regelungen vorsehen als für Beschäftigte in Elternzeit. Die Inanspruchnahme einer Elternzeit ist im Regelfall planbar, die eigene oder die Erkrankung des Kindes tritt dagegen typischerweise plötzlich und unerwartet auf.
Die Kammer hat der Klägerin lediglich aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit für den Monat Dezember 2023 einen Inflationsausgleich von 220,00 Euro zugesprochen. Sie hatte in diesem Monat an einem Tag Anspruch auf Arbeitsentgelt. Für die Höhe der Inflationsausgleichsprämie ist die am ersten Tag des Bezugsmonats vereinbarte Arbeitszeit maßgeblich. Diese war am 01.12.2023 noch fiktiv 100%. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 8.000,00 Euro wegen unzulässiger Geschlechtsdiskriminierung (§ 15 Abs. 2 AGG) hatte keinen Erfolg, weil die Kommune die Klägerin nicht wegen des Geschlechts diskriminiert hat.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.08.2024 – 14 SLa 303/24
Arbeitsgericht Essen, Urteil vom 16.04.2024 – 3 Ca 2231/23
Auszug: „Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (TV Inflationsausgleich) § 2 Inflationsausgleich 2023
(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten eine einmalige Sonderzahlung mit dem Entgelt für den Monat Juni 2023 (Inflationsausgleich 2023), wenn ihr Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
…
§ 3 Monatliche Sonderzahlungen
(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 (Bezugsmonate) monatliche Sonderzahlungen. Die Auszahlung erfolgt mit dem Entgelt des jeweiligen Bezugsmonats. Der Anspruch auf den monatlichen Inflationsausgleich besteht jeweils nur, wenn in dem Bezugsmonat ein Arbeitsverhältnis besteht und an mindestens einem Tag im Bezugsmonat Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
…
§ 4 Gemeinsame Bestimmungen für die Sonderzahlungen nach §§ 2 und 3
(1) Der Inflationsausgleich 2023 nach § 2 sowie die monatlichen Sonderzahlungen nach § 3 werden jeweils zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Entgelt gewährt. Es handelt sich jeweils um einen Zuschuss des Arbeitgebers zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise im Sinne des § 3 Nummer 11c des Einkommensteuergesetzes.
(2) Anspruch auf Entgelt im Sinne des § 2 Absatz 1 bzw. § 3 Absatz 1 Satz 3 sind auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus Anlass der in § 21 Satz 1 TVöD bzw. § 6 Absatz 3 TV-V und § 11 TV-Fleischuntersuchung genannten Ereignisse und der Anspruch auf Krankengeldzuschuss (§ 22 Absatz 2 und 3 TVöD bzw. § 13 Absatz 1 S. 2 TV-V und § 12 TV-Fleischuntersuchung), … Einem Anspruch auf Entgelt gleichgestellt ist der Bezug von Krankengeld nach § 45 SGB V oder entsprechender gesetzlicher Leistungen, Leistungen nach § 56 IfSG, Kurzarbeitergeld und Leistungen nach §§ 18 bis 20 MuSchG.