Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat entschieden, dass für die Befristung des Arbeitsvertrags einer Lehrkraft die generell erteilte Zustimmung der Gleichstellungsbeauftragten ausreichend ist. Die fehlende Unterrichtung der Gleichstellungsbeauftragtet von der Befristung des Arbeitsvertrags steht der Wirksamkeit der Befristung angesichts der generellen Zustimmung zu auch befristeten Einstellungen nicht entgegen.
Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.05.2023:
Der Kläger war zunächst von 07.09.2015 bis zum 02.12.2015 als Lehrkraft bei dem beklagten Land Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Es erfolgten ab dem 30.11.2020 mehrere Arbeitsverträge als Lehrer an einer Gesamtschule, wobei der erste Vertrag bis zum 24.03.2021 befristet war. Es folgten befristete Verlängerungen bis zum 17.08.2021 und bis zum 09.11.2022. Zuletzt wurde der Arbeitsvertrag mit dem Kläger am 10.01.2022 bis zum 24.04.2022 verlängert. Als Grund für diese Befristung war angegeben, „konkreter Vertretungsbedarf wegen Erkrankung“ einer namentlich genannten Lehrerin. Zu dieser Befristung beteiligte die zuständige Abteilung der Bezirksregierung den Personalrat. Eine konkrete und auf diese Befristung bezogene Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten erfolgte nicht. Das zuständige Dezernat der Bezirksregierung hatte am 17.10.2018 mit den Gleichstellungsbeauftragten aller Schulformen eine Vereinbarung geschlossen, die u.a. folgende generelle Zustimmungserklärung enthielt:
„2. Generelle Zustimmungserklärung
Die Gleichstellungsbeauftragten erteilen ihre allgemeine und im Einzelfall widerrufliche Zustimmung in nachfolgenden Fällen, die nicht belastend für die Lehrkraft und in denen Dritte nicht betroffen sind. Dies ist grundsätzlich bei den u. g. Vorgängen der Fall, die antragsgemäß beraten und entschieden werden. Diese generelle Zustimmung dient der organisatorischen und zeitlichen Straffung von Verfahrensabläufen; die Ziele des Landesgleichstellungsgesetzes NRW werden hierdurch nicht unterlaufen. Bei den im folgenden aufgelisteten Tatbeständen gilt die Zustimmung. als generell erteilt. Es besteht jedoch ein Rückholrecht im Einzelfall.
• Einstellung (befristet und unbefristet)
…“
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die zuletzt vereinbarte Befristung und hält diese für unwirksam. Er hat die Beteiligung des Personalrats sowie der Gleichstellungsbeauftragten gerügt. Die Befristung sei rechtsmissbräuchlich. Dem widerspricht das beklagte Land, welches die Befristung für wirksam erachtet.
Die Entfristungsklage des Klägers hatte heute vor der 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf ebenso wenig Erfolg wie vor dem Arbeitsgericht Duisburg. Die letzte, maßgeblich zu überprüfende Befristung bis zum 24.04.2022 war wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf dieses Datums beendet. Es liegt für die Befristung aufgrund des konkret nachgewiesenen Vertretungsbedarf für eine erkrankte Lehrkraft der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TzBfG vor. Anhaltspunkte für einen institutionellen Rechtsmissbrauch bestehen angesichts von Dauer und Anzahl der Befristungen nicht. Der Personalrat wurde ordnungsgemäß beteiligt. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Gleichstellungsbeauftragte in ausreichendem Maße beteiligt worden. Grundlage der generellen Zustimmungserklärung ist § 18 Abs. 6 LGG NRW. Diese Vorschrift sieht Verfahrensvereinbarungen vor, wobei eine gleichstellungsrechtliche Zustimmungsfiktion ausdrücklich genannt ist. Alleine der Umstand, dass die Gleichstellungsbeauftragte im konkreten Fall nicht von der Befristung des Arbeitsvertrags unterrichtet wurde, steht der Wirksamkeit der Befristung angesichts der generellen Zustimmung zu auch befristeten Einstellungen nicht entgegen. Es bleibt offen, ob eine etwaige Rechtswidrigkeit der Befristung gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 LGG NRW überhaupt die Rechtsunwirksamkeit der Befristung mit der Folge des unbefristeten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses zur Folge hat.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2023 – 7 Sa 770/22
Arbeitsgericht Duisburg, Urteil vom 26.10.2022 – 4 Ca 627/22
Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern für das Land Nordrhein-Westfalen (LGG)
„§ 17 Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten
(1) Die Gleichstellungsbeauftragte unterstützt und berät die Dienststelle und wirkt mit bei der Ausführung dieses Gesetzes sowie aller Vorschriften und Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann haben oder haben können. Ihre Mitwirkung bezieht sich insbesondere auf
1. personelle Maßnahmen, einschließlich Stellenausschreibungen, Auswahlverfahren und Vorstellungsgespräche,
2. …
§ 18 Rechte der Gleichstellungsbeauftragten
(1) Die Gleichstellungsbeauftragte ist frühzeitig über beabsichtigte Maßnahmen zu unterrichten und anzuhören. Ihr sind alle Akten, die Maßnahmen betreffen, an denen sie zu beteiligen ist, vorzulegen. …
(2) Der Gleichstellungsbeauftragten ist innerhalb einer angemessenen Frist, die in der Regel eine Woche nicht unterschreiten darf, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bei fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen beträgt die Frist drei Arbeitstage. Die Personalvertretung kann in diesen Fällen zeitgleich mit der Unterrichtung der Gleichstellungsbeauftragten beteiligt werden. … Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten zu dokumentieren. Sofern die Dienststelle beabsichtigt, eine Entscheidung zu treffen, die dem Inhalt der Stellungnahme entgegensteht, hat sie dies vor Umsetzung der Entscheidung gegenüber der Gleichstellungbeauftragten schriftlich oder elektronisch darzulegen.
(3) Wird die Gleichstellungsbeauftragte nicht oder nicht rechtzeitig an einer Maßnahme beteiligt, ist die Maßnahme rechtswidrig. § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 1999 (GV. NRW. S. 602), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. November 2016 (GV. NRW. S. 934) geändert worden ist, bleibt unberührt. Ist eine Maßnahme, an der die Gleichstellungsbeauftragte nicht oder nicht rechtzeitig beteiligt wurde, noch nicht vollzogen, ist sie auszusetzen und die Beteiligung ist nachzuholen….
…
(6) Die Gleichstellungsbeauftragten und die Dienststelle können Vereinbarungen über die Form und das Verfahren der Beteiligung treffen, die zu dokumentieren sind. Die Ziele dieses Gesetzes dürfen durch Verfahrensabsprachen nicht unterlaufen werden. Gesetzlich vorgegebene Beteiligungspflichten sind nicht abdingbar. Die gleichstellungsrechtliche Beteiligung, auch die Inanspruchnahme einer gleichstellungsrechtlichen Zustimmungsfiktion, ist zu dokumentieren. Die Gleichstellungsbeauftragte kann jederzeit einzelfallbezogen ihre Beteiligung nach Maßgabe dieses Gesetzes verlangen.
Die Ausübung des Widerspruchsrechts verstößt gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dies stellt eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar. Dies gilt für den Fall, in dem dem Versicherungsnehmer die unrichtige Information über ein Recht zum schriftlichen Widerspruch erteilt wurde, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung ein Widerspruch in Textform genügte.
Volltext der Pressemitteilung vom 15.02.2023 – BGH IV ZR 353/21:
Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über einen Fall entschieden, in dem Versicherungsnehmer unrichtig über die Form ihrer Widerspruchserklärung informiert worden waren. Der Senat hat in diesem Fall angenommen, dass ein Bereicherungsanspruch jedenfalls nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (nachfolgend: a.F.) ausgeschlossen ist, weil den Versicherungsnehmern durch den im Streitfall geringfügigen Belehrungsfehler nicht die Möglichkeit genommen worden ist, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
Sachverhalt und Prozessverlauf:
Die Klägerin machte aus behauptet abgetretenem Recht Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung fondsgebundener Lebens- und Rentenversicherungsverträge geltend. Diese Verträge wurden zwischen den jeweiligen Versicherungsnehmern und der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 1. November und 1. Dezember 2002 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. abgeschlossen. Die Versicherungsnehmer kündigten die Verträge 2016 und 2017 und erklärten jeweils 2018 den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrags komme in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die den Schluss darauf zuließen, dass der Versicherungsnehmer auch in Kenntnis seines Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten hätte. Dies sei hier der Fall. Der Fehler der Belehrung über die einzuhaltende Schriftform anstelle der ausreichenden Textform für die Widerspruchserklärung könne die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung geltenden Frist abgehalten haben.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Die Entscheidung des Senats:
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dies stellt eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht dies für den hier zu beurteilenden Fall angenommen, in dem den Versicherungsnehmern die unrichtige Information über ein Recht zum schriftlichen Widerspruch erteilt wurde, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung ein Widerspruch in Textform genügte.
Die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerspruchsrechts in diesem Fall steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU: C:2019:1123 = NJW 2020, 667), sodass eine Vorlage an diesen nicht veranlasst war. Dass der Gerichtshof hiervon mit seinem Urteil vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) abweichen wollte, ist nicht ersichtlich. Diese Entscheidung bezieht sich auf Fälle, in denen eine der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133 S. 66) vorgesehenen zwingenden Angaben fehlt. Insoweit äußert sich der Gerichtshof zu der von ihm im Versicherungsvertragsrecht vorgenommenen Differenzierung nach der Bedeutung des Belehrungsmangels nicht.
Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, war ferner nicht entscheidungserheblich. Auch im Fall einer unterstellten Unionswidrigkeit des Policenmodells ist es dem – im Wesentlichen – ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer, der sich aus den genannten Gründen nicht auf die geringfügige Fehlerhaftigkeit der Belehrung berufen kann, nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.
Zum Einwand von Treu und Glauben war eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ebenfalls nicht erforderlich. Die Maßstäbe für dessen Berücksichtigung sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden damit in Einklang. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zum unionsrechtlichen Grundsatz des Rechtsmissbrauchs in dessen Entscheidung vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a. aaO). Für den Bereich der Lebensversicherungen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts und der Mitteilung von Informationen, insbesondere zur Ausübung dieses Rechts, im Einzelnen regeln können. Das gilt sowohl für die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung als auch für die Richtlinien 2002/83/EG und die Solvabilität II-Richtlinie. Dabei müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinien gewährleistet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a. aaO). Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof im Anschluss an seine Entscheidung vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a. aaO) für die Rechtsfolgen der Nichterfüllung oder der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der in den Richtlinien vorgesehenen vorvertraglichen Mitteilungspflicht sowie in Bezug auf das dort niedergelegte Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Versicherungsvertrag bestätigt (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Februar 2022, A u.a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge], C-143/20 und C-213/20, EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513 zur Richtlinie 2002/83/EG). Damit kommt es auf den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts zum Rechtsmissbrauch und dessen Voraussetzungen hier nicht an, sondern im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien ist ein Rückgriff auf den nationalen Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB zulässig, soweit die praktische Wirksamkeit der Richtlinien – wie hier – nicht beeinträchtigt wird.
Vorinstanzen:
Kammergericht – Beschluss vom 9. Juli 2021 – 6 U 1139/20
LG Berlin – Urteil vom 22. Oktober 2020 – 24 O 26/20
(1) 1Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widerspricht.
Urteil vom 15. Februar 2023 – BGH IV ZR 353/21
Karlsruhe, den 15. Februar 2023
Macht der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn geltend, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast. Da der im Hinblick auf § 11 Nr. 1 und 2 KSchG primär darlegungs-belastete Arbeitgeber keine Kenntnis von anrechenbaren Einkünften oder böswillig unterlassenem Zwischenverdienst hat, trifft den Arbeitnehmer die prozessuale Pflicht, sich auf Verlangen des Arbeitgebers zu diesen Punkten zu erklären. Hierzu gehört es auch, zu etwaigen Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit vorzutragen.
Kommt der Arbeitnehmer seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, ist die Kla-ge nicht nur als „zur Zeit“ unbegründet, sondern als „insgesamt“ unbegründet abzuweisen, da sich der Arbeitnehmer in voller Höhe einen hypothetischen Erwerb gemäß § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen muss. Die prozessuale Situation unter-scheidet sich nicht von anderen Situationen, die sich dadurch auszeichnen, dass den Arbeitnehmer eine sekundäre Darlegungslast trifft.
Eine Klageerweiterung, die unter Versäumung der Wochenfrist gemäß § 132 Abs. 1 ZPO und in leichtfertiger Prozessführung eingereicht wurde, ist nicht sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO. Bei Widerspruch des Gegners fallen solche Klageanträge nicht zur Sachentscheidung des Gerichts an, sondern sind unzulässig.
Die arbeitsgerichtliche Güteverhandlung ist für eine frühere mündliche Verhand-lung im Sinne des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO ausreichend, da die mündliche Verhandlung gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bereits mit der Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung beginnt. (Leitsatz)
Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.02.2023 – 25 Ca 956/22:
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf EUR 88.013,02 festgesetzt.
4. Die Berufung wird im Hinblick auf die Klageanträge zu Ziffer 1.) bis Ziffer 11.) und im Hinblick auf den Klageantrag zu Ziffer 14.) gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten hauptsächlich über Zahlungsansprüche des Klägers betreffend die Monate Mai 2017 bis März 2018 sowie über Ansprüche des Klägers gründend auf dem Bundesurlaubsgesetz für die Urlaubsjahre 2017 bis 2022 und schließlich über die Beschäftigung des Klägers.
2
Der … Kläger … ist bei der Beklagten seit dem 23.05.2012 zunächst befristet und seit dem Arbeitsvertrag vom 13.05.2014 unbefristet bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40,00 Stunden beschäftigt. Wegen der Einzelheiten des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages vom 13.05.2014 wird auf Anlage B1 des Schriftsatzes der Beklagten vom 22.06.2022, entsprechend Bl. 56 ff. d.A., Bezug genommen. Der Arbeitsvertrag enthält in Ziffer 18 eine Ausschlussklausel, welche wie folgt lautet:
3
„Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, verfallen, wenn sie nicht von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von zwei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sich nicht innerhalb zwei Wochen nach der Geltendmachung, so verfällt dieser Anspruch, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung oder dem Fristablauf schriftlich geltend gemacht wird.“
4
Sein monatliches Grundgehalt belief sich im Jahr 2016 auf EUR 2.500,00 brutto. Jede geleistete Überstunde vergütete die Beklagte zusätzlich mit EUR 14,42 brutto, sodass sich das durchschnittliche monatliche Gesamtgehalt des Klägers auf ca. EUR 2.850,00 brutto belief. Mit Schreiben vom 01.06.2018 erhöhte die Beklagte das monatliche Grundgehalt der bei ihr beschäftigten Mitarbeiter rückwirkend ab dem 01.01.2018 um jeweils 5%. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Gehaltserhöhungen, sodass das Grundgehalt des Klägers zurzeit EUR 3.300,00 brutto beträgt. Die Beklagte zahlte des Weiteren mit dem Dezembergehalt 2018 an alle ihre Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von EUR 1.200,00 brutto unter Verweis auf die hohen Lebenshaltungskosten in München, Stuttgart, Frankfurt am Main, Hamburg und Düsseldorf aus. Schließlich zahlte die Beklagte im Februar 2019 an alle ihre Mitarbeiter aufgrund des erfolgreichen Kalenderjahres 2018 eine Prämie in Höhe eines Bruttomonatsgehalts aus.
5
Mit Kündigungsschreiben vom 11.05.2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 30.06.2017. Der Kläger erhob beim Arbeitsgericht Stuttgart gegen die Kündigung der Beklagten vom 11.05.2017 Kündigungsschutzklage. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 25 Ca 3487/17 geführt. Das Arbeitsgericht Stuttgart gab der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 08.03.2018 statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.05.2017 nicht aufgelöst worden ist. Die von der Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung, welche das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen 2 Sa 16/20 führte, blieb ohne Erfolg. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg datiert vom 13.10.2020. Die Revision ließ das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zudem nicht zu und das Bundesarbeitsgericht – 2 AZN 1001/20 – wies die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 25.03.2021 zurück.
6
Mit Kündigungsschreiben vom 21.03.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 31.05.2018. Der Kläger erhob beim Arbeitsgericht Stuttgart gegen die Kündigung der Beklagten vom 21.03.2018 Kündigungsschutzklage. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 25 Ca 2023/18 geführt. Das Arbeitsgericht Stuttgart gab der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 08.06.2021 statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 21.03.2018 nicht aufgelöst worden ist. Die von der Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung, welche das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen 17 Sa 71/21 führte, blieb ohne Erfolg. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg datiert vom 10.02.2022. Die Revision ließ das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zudem nicht zu und das Bundesarbeitsgericht – 2 AZN 221/22 – wies die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 14.06.2022 zurück.
7
Der Kläger verrichtete in den Monaten Mai 2017 bis März 2018 für die Beklagte keine Arbeitsleistung und erhielt von der Beklagten für diesen Zeitraum auch keinen Arbeitslohn. Seit dem 11.05.2017 beschäftigte die Beklagte den Kläger nicht. Bis zum 11.05.2017 nahm der Kläger bezüglich des Urlaubsjahres 2017 insgesamt sieben Tage Urlaub. Er war seit Zugang der ersten Kündigung vom 11.05.2017 arbeitslos. Aufgrund dieser Kündigung wurde eine Sperrzeit bis zum 03.08.2017 verhängt. Am 01.04.2018 trat der Kläger eine neue Arbeitsstelle an, bei welcher er mehr verdient als bei der Beklagten.
8
Die Beklagte erhob mit Schriftsatz vom 22.06.2022 betreffend die Ansprüche des Klägers für die Monate Mai 2017 – Dezember 2017 die Einrede der Verjährung. Ebenso forderte die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.06.2022 den Kläger auf, Auskunft zu geben, über die Höhe seiner anderweitigen Einkünfte seit dem 11.05.2017 und über die seit dem 11.05.2017 unterbreiteten Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit.
9
Der Kläger behauptet,
10
er habe ab dem 04.08.2017 bis zum 31.12.2017 ein kalendertägliches Arbeitslosengeld I in Höhe von EUR 45,32 netto und vom 01.01.2018 bis zum 02.05.2018 ein kalendertägliches Arbeitslosengeld I in Höhe von EUR 45,93 netto erhalten.
11
Der Kläger ist der Ansicht,
12
die Beklagte befinde sich bezüglich der Monate Mai 2017 bis März 2018 im Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff. BGB, wodurch sein Lohnanspruch aus dem Arbeitsvertrag für diesen Zeitraum gemäß § 615 Satz 1 BGB aufrecht erhalten worden sei. Unter Berücksichtigung der Gehaltserhöhung vom 01.06.2018 – rückwirkend zum 01.01.2018 – und der von ihm durchschnittlich geleisteten Überstunden ergebe sich für die Monate Mai 2017 bis Dezember 2017 ein Arbeitslohn in Höhe von EUR 2.870,39 brutto und für die Monate Januar 2018 bis März 2018 ein Arbeitslohn in Höhe von EUR 3.013,91 brutto. Auch ist der Kläger der Ansicht, ihm stünden die beiden Sonderzahlungen in Höhe von EUR 1.200,00 brutto und in Höhe eines Bruttomonatsgehalts unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zu. Darüber hinaus habe er aufgrund der zu erwartenden verspäteten Auszahlung seines Arbeitslohns und der daraus resultierenden Lohnsteuer- und Einkommenssteuernachteile einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte. Des Weiteren ist der Kläger der Ansicht, ihm stünde für die Jahre 2017 bis 2022 noch sein voller Urlaubsanspruch zu, da dieser Anspruch aufgrund der Rechtsprechung des BAG und des EuGH weder verfallen noch verjährt sei. Der wirtschaftliche Wert dieses Anspruches lasse sich mit EUR 24.220,00 brutto bzw. EUR 26.349,63 brutto beziffern. Schließlich ist der Kläger der Ansicht, er habe aufgrund der durch alle Instanzen gewonnenen Kündigungsschutzprozesse einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung.
13
Mit Schriftsatz vom 06.02.2023, bei Gericht eingegangen am 07.02.2023 um 00.10 Uhr und der Beklagten ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am 07.02.2023 (Blatt 108 der Akte) um 8:58 Uhr zugestellt, hat der Kläger die Klage um weitere acht Anträge, betreffend seine Weiterbeschäftigung und seine Urlaubsansprüche für die Jahre 2017 bis 2022, erweitert. Bereits mit Schriftsatz vom 31.01.2023 hatte der Kläger eine Klageerweiterung angekündigt und beantragt, den Termin zu mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 zu verlegen, da die Prozessvertreterin des Klägers einen Unfall gehabt habe und deswegen Autofahren und länger sitzen nicht möglich sei. Mit Beschluss vom 02.02.2023 hat der Vorsitzende den Verlegungsantrag zurückgewiesen und mit weiterem Beschluss vom 02.02.2023 beschlossen, dass den Parteien im Hinblick auf die mündliche Verhandlung vor der Kammer gemäß § 128a Abs. 1 ZPO gestattet wird, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
14
Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 trotz ordnungsgemäßer Ladung, welche ihm ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am 02.11.2022 (Blatt 93 der Akte) zugestellt worden ist, unentschuldigt keine Sachanträge gemäß gestellt.
15
Angekündigt hat der Kläger mit Klageschrift vom 31.12.2021 und Schriftsatz vom 06.02.2023 die folgenden Anträge:
16
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Mai 2017 restliches Gehalt in Höhe von 1.983,29 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2017 zu bezahlen.
17
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2017 zu bezahlen.
18
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juli 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2017 zu bezahlen.
19
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat August 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2017 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.268,96 EUR netto zu bezahlen.
20
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat September 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2017 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.359,60 EUR zu bezahlen.
21
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Oktober 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2017 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.404,92 EUR zu bezahlen.
22
7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat November 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2017 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld 1.359,60 EUR netto zu bezahlen.
23
8. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2017 restliches Gehalt in Höhe von 2.870,39 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2018 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.404,92 EUR netto zu bezahlen.
24
9. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Januar 2018 restliches Gehalt in Höhe von 3.013,91 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2018 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.423,83 EUR netto zu bezahlen.
25
10. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Februar 2018 restliches Gehalt in Höhe von 3.013,91 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2018 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.286,04 EUR netto zu bezahlen.
26
11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2018 anteiliges Gehalt für den Zeitraum 01.03.2018 bis 21.03.2018 in Höhe von 2.041,68 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2018 unter Berücksichtigung von gesetzlich übergegangenen Ansprüche wegen Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.423,83 EUR zu bezahlen.
27
12. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für jeden Monat im Zeitraum vom 01.05.2017 bis 31.03.2018 für jede auf die für den jeweiligen Monat in diesem Zeitraum erfolgte Zahlung und Nachzahlung auf die Hauptforderung (nicht auf Verzugszinsen) jeweils eine ordnungsgemäße Lohn/Gehaltsabrechnung zu erteilen.
28
13. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den diesem aus der verspäteten Gehaltsnachzahlung für den Zeitraum 11.05.2017 bis 21.03.2018 nun entstehenden Lohnsteuer- bzw. Einkommensteuernachteil für das Kalenderjahr der tatsächlichen Nachzahlung der hier eingeklagten Beträge aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes zu ersetzen und bezahlen.
29
14. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für 2018 anteilige Sonderzahlungen in Höhe von insgesamt 1.755,49 EUR brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2019 zu bezahlen.
30
15. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Kalenderjahr 2017 und anteilig für das Kalenderjahr 2018 bis einschließlich 02.05.2018 seinen Resturlaubsanspruch mitzuteilen und abzurechnen und an den Kläger den sich ergebenden Nettobetrag auszubezahlen.
31
16. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Vertragsbedingungen als Sales und Traffic Agent in Stuttgart weiterzubeschäftigen.
32
17. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger an den Gehaltserhöhungen, welche seit dem 11.07.2017 für die Mitarbeiter im Betrieb der Beklagten vorgenommen wurden, aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Gleichbehandlung teilnehmen zu lassen und dem Kläger statt bisher 2.500,00 EUR nunmehr ein monatliches Gehalt von 3.300,00 EUR brutto, hilfsweise 3.200,00 EUR brutto, zuzüglich der Fahrtkosten und des Fahrtkostenzuschusses zu bezahlen.
33
18. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Kalenderjahr 2017 noch 23 Werktage bezahlter Erholungsurlaub zustehen, welcher bis heute nicht verfallen ist und welcher von der Beklagten zugunsten des Klägers ins Kalenderjahr 2023 zu übertragen ist.
34
19. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Kalenderjahr 2018 noch 30 Werktage bezahlter Erholungsurlaub zustehen, welcher bis heute nicht verfallen ist und welcher von der Beklagten zugunsten des Klägers ins Kalenderjahr 2023 zu übertragen ist.
35
20. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Kalenderjahr 2019 noch 30 Werktage bezahlter Erholungsurlaub zustehen, welcher bis heute nicht verfallen ist und welcher von der Beklagten zugunsten des Klägers ins Kalenderjahr 2023 zu übertragen ist.
36
21. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Kalenderjahr 2020 noch 30 Werktage bezahlter Erholungsurlaub zustehen, welcher bis heute nicht verfallen ist und welcher von der Beklagten zugunsten des Klägers ins Kalenderjahr 2023 zu übertragen ist.
37
22. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Kalenderjahr 2021 noch 30 Werktage bezahlter Erholungsurlaub zustehen, welcher bis heute nicht verfallen ist und welcher von der Beklagten zugunsten des Klägers ins Kalenderjahr 2023 zu übertragen ist.
38
23. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Kalenderjahr 2022 noch 30 Werktage bezahlter Erholungsurlaub zustehen, welcher bis heute nicht verfallen ist und welcher von der Beklagten zugunsten des Klägers ins Kalenderjahr 2023 zu übertragen ist.
39
24. Hilfsweise, für den Fall, dass die Beklagte vortragen wird, dass sie dem Kläger die Urlaubsansprüche aus Vorjahren gem. vorstehender Ziff. 3 bis Ziff. 7 nicht durch bezahlten Erholungsurlaub gewähren kann, weil der Kläger im Betrieb der Beklagten unverzichtbar ist o.ä., die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger statt dessen 173 Tage bezahlten Erholungsurlaub abzurechnen in Höhe von 26.349,63 EUR, hilfsweise 25.550,00 EUR brutto, äußerst hilfsweise 24.220,00 EUR brutto, und den sich ergebenden Nettobetrag an Kläger auszubezahlen.
40
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 die ursprünglich mit Schriftsatz vom 29.06.2022 angekündigte Widerklage gerichtet auf Auskunftserteilung im Hinblick auf etwaigen Zwischenverdienst des Klägers und etwaige Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit zurückgenommen. Gleichzeitig hat die Beklagte einer etwaigen Klageänderung, entstanden durch den Schriftsatz des Klägers vom 06.02.2023, widersprochen.
41
Die Beklagte beantragt,
42
1. die Klage abzuweisen.
43
2. eine Entscheidung nach Lage der Akten.
44
Die Beklagte behauptet,
45
es sei dem Kläger bereits vor dem 01.04.2018 möglich gewesen, einer anderweitigen und höher dotierten Erwerbstätigkeit nachzugehen.
46
Die Beklagte ist der Ansicht,
47
die geltend gemachten Ansprüche für die Monate Mai 2017 bis Dezember 2017 seien bereits verjährt, da die Verjährung durch die Erhebung der jeweiligen Kündigungsschutzklagen im Hinblick auf die Zahlungsansprüche nicht gehemmt worden sei und die Ansprüche betreffend die Monate Januar 2018 bis März 2018 seien aufgrund der im Arbeitsvertrag enthaltenen Ausschlussklausel verfallen. Schließlich sei die Klage auch nicht substantiiert, da der Kläger trotz Auskunftsverlangen der Beklagten nicht vorgetragen habe, ob er im streitgegenständlichen Zeitraum anderweitigen Verdienst erzielt habe und da er sich auch nicht zu etwaigen Vermittlungsangeboten der Bundesagentur für Arbeit geäußert habe.
48
Am 04.02.2022 hat der erste Termin zur Güteverhandlung zwischen den Parteien stattgefunden. Nachdem die 28. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart, welcher das Verfahren ursprünglich zugewiesen worden war, das Verfahren gemäß dem Geschäftsverteilungsplan an die 25. Kammer abgegeben hatte, hat am 28.04.2022 ein zweiter Termin zur Güteverhandlung stattgefunden.
49
Mit Beschluss vom 07.02.2023 hat das Gericht den Parteien mitgeteilt, dass es beabsichtige, nach Aktenlage gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 251a ZPO zu entscheiden. Gleichzeitig hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der Kläger zur Abwendung der Verkündung eines Urteils das Recht hat, einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung zu begehren. Dieser Antrag müsse bis zum 16.02.2023 bei Gericht eingegangen sein und diesem Antrag sei nur stattzugeben, wenn Gründe vorgetragen werden, die das fehlende Verhandeln der Partei ausreichend entschuldigen. Ebenso hat das Gericht mit Verfügung vom 07.02.2023 Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 23.02.2023 – 8:30 Uhr – bestimmt.
50
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.
Entscheidungsgründe
51
Die Klage ist bereits nur teilweise zulässig und im Hinblick auf die zulässigen Anträge insgesamt unbegründet.
52
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG eröffnet, denn Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsvertrag und den das Arbeitsverhältnis regelnden Normen, Gesetzten, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ergeben (Schlewing/Dickerhof-Borello in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 10. Auflage 2022, § 2 Rn. 56). Ausreichend ist, dass die Streitigkeit, wie vorliegend, einem Arbeitsverhältnis entspringt, welches zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestanden hat oder besteht (Schlewing/Dickerhof-Borello in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 10. Auflage 2022, § 2 Rn. 53). Zu den von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG erfassten Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf Urlaub (Koch in ErfK, 23. Auflage 2023, ArbGG, § 2 Rn. 13) und Ansprüche gerichtet auf den Ersatz eines Steuerschadens (LAG Sachsen, Beschluss vom 27.01.2014 – 4 Ta 268/13, NZA-RR 2014, 493 (494)).
I.
53
Die Klage ist bereits nur teilweise zulässig. Der vom Kläger angekündigte Antrag zu Ziffer 13.) sowie der Antrag zu Ziffer 15.) sind aufgrund mangelnder hinreichender Bestimmbarkeit gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bereits unzulässig. Die Klageanträge zu Ziffer 16.) bis Ziffer 24.) entspringen einer nicht sachdienlichen Klageerweiterung und sind deswegen als unzulässig abzuweisen.
54
1. Die Klageanträge zu Ziffer 16.) bis Ziffer 24.) entspringen einer nicht sachdienlichen Klageerweiterung und sind aufgrund der damit verbundenen Unzulässigkeit bereits nicht zur Sachentscheidung angefallen.
55
a) Gemäß § 263 ZPO ist nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit eine Änderung der Klage zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich hält, wobei gemäß § 267 ZPO die Einwilligung des Beklagten in die Änderung der Klage anzunehmen ist, wenn er sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen hat.
56
b) Da man unter einer Klageänderung die Änderung des gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erstmals durch Erhebung der Klage festgelegten zweigliedrigen Streitgegenstandes versteht, was typischerweise durch Auswechselung eines der beiden Elemente des Streitgegenstandsbegriffes erfolgt, ist die nachträgliche, objektive und kumulative Klagehäufung gemäß §§ 261 Abs. 2, 260 ZPO keine Klageänderung. Jedoch sind die Vorschriften über die Klageänderung entsprechend anzuwenden, da die Verteidigung des Beklagten erschwert wird, die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird und die Befassung mit einem nachgeschobenen weiteren prozessualen Anspruch möglicherweise nicht sachdienlich ist (BGH, Urteil vom 22.01.2015 – I ZR 127/13, NJW 2015, 652 Rn. 13; BGH, Urteil vom 04.07.2014 – V ZR 298/13, NJW 2014, 3314 Rn. 16; BGH, Urteil vom 27.09.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 (2415); BGH, Urteil vom 19.03.2004 – V ZR 104/03, NJW 2004, 2152 (2154); BGH, Urteil vom 11.07.1996 – IX ZR 80/95, NJW 1996, 2869; BGH, Urteil vom 29.04.1981 – VIII ZR 157/80, BeckRS 1981, 31075318; BGH, Urteil vom 10.01.1985 – III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 (1842); BGH, Urteil vom 15.10.1969 – VIII ZR 136/67, NJW 1970, 44 (45)).
57
aa) Die Beurteilung der Sachdienlichkeit gemäß § 263 ZPO erfordert eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen. Dabei ist entscheidend, ob und inwieweit die Zulassung der geänderten Klage den Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt, sodass sich ein weiterer Prozess vermeiden lässt (BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 110/09, NJW 2011, 2796 Rn. 41; BGH, Urteil vom 10.01.1985 – III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 (1842); BGH, Urteil vom 17.01.1951 – II ZR 16/50, NJW 1951, 311 (312)). Eine Klageänderung ist danach nicht sachdienlich, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden kann. Der Sachdienlichkeit steht grundsätzlich allerdings nicht entgegen, dass aufgrund der Klageänderung neue Parteierklärungen und gegebenenfalls Beweiserhebungen notwendig werden und die Erledigung des Prozesses verzögert wird (BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 110/09, NJW 2011, 2796 Rn. 41; BGH, Urteil vom 19.10.1999 – XI ZR 308/98, NJW 2000, 143; BGH, Urteil vom 13.04.1994 – XII ZR 168/92, NJW-RR 1994, 1143 (1144)). Die Sachdienlichkeit kann allerdings insbesondere dann verneint werden, wenn aufseiten einer Partei eine vorwerfbare Verspätung oder eine Prozessverschleppung vorliegt (Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 263 Rn. 13). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Änderungen oder Erweiterungen der Klage selbst eigenständige Angriffe und Verteidigungen darstellen und deswegen nicht der Zurückweisung als verspätet – §§ 296, 282 ZPO – unterliegen. In diesem Rahmen kann auch der Schutzgedanke des § 263 ZPO, den Beklagten vor leichtfertiger Prozessführung zu bewahren und Rechtsmissbrauch zu verhindern, berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 04.10.1976 – VIII ZR 139/75, NJW 1977, 49; BGH, Urteil vom 30.10.1957 – V ZR 195/56, NJW 1958, 184; MüKoZPO/Becker-Eberhard, ZPO, 6. Auflage 2020, § 263 Rn. 32). So spricht insbesondere die Versäumung der Wochenfrist gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegen die Sachdienlichkeit einer Klageerweiterung, da dem Gegner die Möglichkeit genommen wird, sich ausreichend auf die „geänderte“ Klage vorzubereiten (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.01.2001 – 20 U 91/99, NJW-RR 2001, 970 (973); MüKoZPO/Fritsche, ZPO, 6. Auflage 2020, § 132 Rn. 8).
58
bb) Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen liegt vorliegend im Hinblick auf die durch den Schriftsatz des Klägers vom 06.02.2023 erneut eingetretene objektive Klagehäufung entsprechend den §§ 263 ff. ZPO eine unzulässige Klageänderung vor.
59
(1) Zunächst hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 der nachträglichen, objektiven und kumulativen Klagehäufung ausdrücklich widersprochen, sodass eine vermutete Einwilligung gemäß § 267 ZPO analog vorliegend nicht gegeben ist.
60
(2) Auch hält das Gericht die nachträgliche, objektive und kumulative Klagehäufung nicht für sachdienlich. Zur Begründung stützt sich das Gericht dabei insbesondere auf das prozessuale Verhalten des Klägers, welches sehr deutlich eine leichtfertige Prozessführung erkennen lässt und auch darauf hindeutet, dass der Prozess vorliegend absichtlich verschleppt werden soll. Vor einer solchen Prozessführung muss die Beklagte geschützt werden. Hierbei hat das Gericht insbesondere berücksichtigt, dass den Parteien bereits mit Verfügung vom 02.05.2022 erstmals aufgegeben worden ist, zu den streitgegenständlich geltend gemachten Ansprüchen vertiefend vorzutragen. Von diesem Recht hat der Kläger während der gesamten Dauer des Verfahrens keinen Gebrauch gemacht, sondern hat lediglich mit Schriftsatz vom 31.01.2023 angekündigt, die Klage erweitern zu wollen. Es sei geplant, den korrespondierenden Schriftsatz am 01.02.2023 dem Gericht vorzulegen. Tatsächlich ging der Schriftsatz dann allerdings erst am Tag des Termins zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer um 00:10 Uhr bei Gericht ein. Bei einem solchen Prozessverhalten muss dem Kläger bewusst gewesen sein, dass es der Beklagten unmöglich sein wird, sich ausreichend auf die neu eingeführten Klageanträge vorzubereiten. Des Weiteren hat das Gericht berücksichtigt, dass mit dem Klageerweiterungsschriftsatz auch ein Verlegungsantrag verbunden war, welcher mit einer plötzlichen Erkrankung der Prozessvertreterin des Klägers begründet worden war, ohne dass Gründe für die Verhinderung tatsächlich so angegeben worden sind, dass das Gericht die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst hätte beurteilen können (BGH, Beschluss vom 12.03.2015 – AnwZ(Brfg) 43/14, BeckRS 2015, 6668). Auch diese Tatsache spricht für eine Prozessverschleppungsabsicht. Letztlich hat das Gericht berücksichtigt, dass die mit Schriftsatz vom 06.02.2023 in den Rechtsstreit eingeführten Anträge mit Ausnahme des Beschäftigungsanspruchs und mit Ausnahme des Anspruchs bezüglich des Urlaubs für das Jahr 2022 Ansprüche betreffen, welche der Kläger bereits problemlos nach dem Scheitern der Güteverhandlung und nach der Auflagenverfügung vom 02.05.2022 in den Rechtsstreit hätte einführen können.
61
2. Der Streitgegenstand ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Hinblick auf die Klageanträge zu Ziffer 13.) und Ziffer 15.) nicht hinreichend bestimmt.
62
a) Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten, sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Die klagende Partei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung begehrt wird. Dabei muss die klagende Partei die begehrten Rechtsfolgen aus einem konkreten Lebenssachverhalt ableiten – zweigliedriger Streitgegestandsbegriff (BAG, Urteil vom 25.06.2020 – 8 AZR 75/19, NZA 2020, 1626; BAG, Urteil vom 20.09.2017 – 6 AZR 474/16, NJW 2018, 805; BAG, Urteil vom 25.01.2017 – 4 AZR 517/15, NZA 2017, 1623; BAG, Urteil vom 28.09.2016 – 5 AZR 219/16, BeckRS 2016, 74820). Vorzutragen sind die Tatsachen, die den Streit unverwechselbar festlegen, sodass der zu Grunde liegende Sachverhalt nicht beliebig erscheint (BAG, Urteil vom 01.10.2002 – 5 AZR 160/01, NJOZ 2003, 2087; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, § 253 Rn. 25 ff.; MüKoZPO/Becker-Eberhard, ZPO, 6. Auflage 2020, § 253 Rn. 75 ff.). Zur Bezeichnung des Anspruchsgrundes ist erforderlich, zu bestimmen, welche Ansprüche von der Klage in welchem Umfang oder in welchem Hilfsverhältnis erfasst sein sollen (BAG, Urteil vom 11.08.1987 – 8 AZR 609/84, AP BGB § 511 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 90; BAG, Urteil vom 18.03.1992 – 4 AZR 374/91, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 154). Wie umfangreich und in welcher Tiefe die Tatsachen dabei geschildert werden müssen, hängt von dem erhobenen Anspruch ab. Dazu braucht es zwar keine erschöpfende Darstellung durch die klagende Partei (Substantiierungstheorie – RG, Urteil vom 23.12.1933 – I 150/33, RGZ 143, 57 (65)). Der Tatsachenvortrag der klagenden Partei muss allerdings so viele Angaben enthalten, dass die Identität des Lebenssachverhalts, der zum Gegenstand des Prozesses gemacht werden soll, feststeht – Individualität des Lebenssachverhalts (MüKoZPO/Becker-Eberhard, ZPO, 6. Auflage 2020, § 253 Rn. 80). Begehrt die klagende Partei somit Vergütung muss sie anführen, für welchen Abrechnungszeitraum und in welcher Höhe sie die entsprechende Vergütung geltend macht. Wird die Vergütung allerdings nicht für den gesamten Abrechnungszeitraum, sondern nur für einzelne, im genannten Abrechnungszeitraum liegende Tage verlangt, müssen die genauen Zeiträume, für die die Vergütung zusätzlich verlangt wird, kalendermäßig bezeichnet werden. Verlangt die klagende Partei Entgeltdifferenzen für einen längeren Zeitraum als einen Kalendermonat handelt es sich um eine „Gesamtklage“. Die klagende Partei hat in einem solchen Fall darzulegen, wie sich die Ansprüche auf die einzelnen Monate verteilen (BAG, Urteil vom 24.02.2021 – 10 AZR 43/19, NZA 2021, 1729; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.02.2022 – 1 Sa 36/21, BeckRS 2022, 4793). Zulässigkeitsbedenken kann die klagende Partei dadurch begegnen, dass sie eine sogenannte abschließende Gesamtklage erhebt und gleichzeitig erklärt, dass darüber hinaus keine weiteren Forderungen aus dem Sachverhaltskomplex erhoben werden (BAG, Urteil vom 26.06.2019 – 5 AZR 452/18, NZA 2019, 1361). Im Allgemeinen gehört bei Klagen auf Leistung einer Geldzahlung zur hinreichenden Bestimmtheit gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO grundsätzlich die Angabe eines begehrten Betrags. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn die Bestimmung des Betrags von einer gerichtlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO oder vom billigen Ermessen des Gerichts abhängig ist (BGH, Urteil vom 01.02.1966 – VI ZR 193/64, NJW 1966, 780).
63
b) Im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Zahlungsklage muss die klagende Partei auch angeben, ob sie Entgeltfortzahlung, Urlaubsvergütung oder ihre „reguläre“ Arbeitsvergütung fordert, da nur so der Streitgegenstand hinreichend bestimmt werden kann. Die verschiedenen Anspruchsgrundlagen benötigen unterschiedlichen Tatsachenvortrag und bilden deswegen auch voneinander abzugrenzende Streitgegenstände. Bei der Abgeltung von Urlaub ist zu beachten, dass das Abgeltungsverlangen hinsichtlich eines jeden einzelnen Urlaubsjahres einen eigenen Streitgegenstand bildet (BAG, Urteil vom 23.01.2018 – 9 AZR 200/17, NZA 2018, 653 Rn. 26).
64
c) Unter Zugrundelegung der vorbezeichneten Leitlinien genügt die vorliegende Klage nur hinsichtlich der Klageanträge zu Ziffer 1.) bis Ziffer 12.) und zu Ziffer 14.) den Anforderungen an die geforderte Bestimmtheit. Der Kläger hat hier deutlich gemacht, dass er die Fortzahlung seiner regulären Arbeitsvergütung bzw. die Zahlung der streitgegenständlichen Sonderzahlungen unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs fordert. Auch hat der Kläger die genauen Zahlungsbeträge angegeben, seine Anträge so formuliert, dass für das Gericht ersichtlich war, wie sich die geltend gemachten Beträge auf die einzelnen Monate verteilen sollen und schließlich hinreichend bestimmt gefordert, dass für diese Monate aufgrund der verlangten Zahlungen eine korrigierte Abrechnung des Lohns zu erfolgen habe. Schließlich stand es dem Kläger im Hinblick auf die Bestimmtheit seines Klageantrags auch frei, die Zahlung eines Bruttobetrages abzüglich eines bezifferten Nettobetrages zu verlangen, da sich aus dem Bruttobetrag der nun zu zahlende Nettobetrag, von dem der Abzug vorzunehmen ist, berechnen lässt (Künzl in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 10. Auflage 2022, § 46 Rn. 56).
65
d) Der Klageantrag zu Ziffer 13.) gerichtet auf den Ersatz eines steuerlichen Nachteils genügt den Anforderungen an die geforderte Bestimmtheit gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht, da der Kläger keinen bezifferten Zahlbetrag angegeben hat. Auch liegt vorliegend keine Ausnahme vor, die es rechtfertigen würde, einen unbezifferten Zahlungsantrag zuzulassen. Ist eine Bezifferung noch nicht möglich, bietet sich eine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO an.
66
e) Unter Beachtung der dargelegten Grundsätze genügt auch der Klageantrag zu Ziffer 15.) nicht den Anforderungen an die geforderte Bestimmtheit gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da der Kläger auch hier die genaue Höhe der von ihm verlangten Urlaubstage und den korrespondierenden Zahlbetrag nicht mitgeteilt hat.
67
aa) Bezüglich des Klageantrags zu Ziffer 15.) gerichtet auf Mitteilung, Abrechnung und Auszahlung des Urlaubs des Klägers für die Jahre 2017 und 2018 ist auch eine Stufenklage unzulässig. Gemäß § 254 ZPO kann mit der Klage auf Abrechnungserteilung ein unbezifferter Zahlungsantrag verbunden werden, wenn die Abrechnung der Bezifferung des Zahlungsantrags dient. Hierzu muss die Abrechnung allerdings zur Erhebung eines bestimmten Antrags erforderlich sein (BAG, Urteil vom 12.07.2006 – 5 AZR 646/05, NZA 2006, 1295 Rn. 10; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.07.2008 – 10 Ta 100/08, BeckRS 2008, 55382). Die im Rahmen einer Stufenklage begehrte Auskunft ist nur ein Hilfsmittel, um die (noch) fehlende Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs herbeizuführen. Die Stufenklage steht daher nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft dem Kläger lediglich sonstige, mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht im Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 10 AZR 11/19, NZA 2022, 261 Rn. 27; BAG, Urteil vom 28.08.2019 – 5 AZR 425/18, NZA 2019, 1645 Rn. 19; BAG, Urteil vom 04.11.2015 – 7 AZR 972/13, NZA 2016, 1339 Rn. 13; BGH, Urteil vom 06.04.2016 – VIII ZR 143/15, NJW 2017, 156 Rn. 15).
68
bb) Gemessen hieran ist die Stufenklage vorliegend unzulässig, da es ihr an dem vorbereitenden Charakter des Abrechnungsantrags mangelt. Der Kläger ist in der Lage, seinen Urlaubsanspruch betreffend die Jahre 2017 und 2018 selbst zu berechnen, sodass er der Mitteilung bzw. Abrechnung zum Zwecke der Bezifferung seines Zahlungsanspruches nicht bedarf. Es handelt sich bei dem Urlaubsanspruch des Klägers für die Jahre 2017 und 2018 um einen leicht zu berechnenden Anspruch, sodass es dem Kläger abzuverlangen ist, die von ihm geforderten Urlaubstage darzulegen, da die Zivilprozessordnung auch keine allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei kennt.
69
4. Dem Kläger steht es frei, mehrere Anträge in einer Klage zu verbinden. Dies ist gemäß § 260 ZPO immer dann gestattet, wenn bei Identität der Parteien für sämtliche Ansprüche das Prozessgericht zuständig ist, dieselbe Prozessart zulässig ist und kein Verbindungsverbot besteht. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
II.
71
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der Kläger ist im Hinblick auf die von ihm geltend gemachten Ansprüche gerichtet auf Fortzahlung seiner Vergütung gemäß §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB der ihn treffenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, was zu einer Abweisung der zulässigen Klageanträge als insgesamt unbegründet führt. Ein Anspruch auf Erteilung von Lohnabrechnungen besteht nicht, da die Beklagte kein Arbeitsentgelt gezahlt hat.
72
1. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von restlichem Gehalt für den Monat Mai 2017 in Höhe von EUR 1.983,29 brutto gemäß §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB.
73
a) Gemäß § 615 Satz 1 BGB iVm § 611a Abs. 2 BGB kann der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen.
74
b) Unstreitig liegen vorliegend die Voraussetzungen des Annahmeverzugs ab dem Zugang der Kündigung vom 11.05.2017 vor. Die Beklagte hat den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht beschäftigt und befand sich aufgrund der unwirksamen Arbeitgeberkündigung im Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff. BGB, ohne dass ein Angebot der Arbeitsleistung erforderlich gewesen wäre (BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, BeckRS 2022, 42220; BAG, Urteil vom 21.10.2015 – 5 AZR 843/13, NZA 2016, 688 Rn. 19; BAG, Urteil vom 19.09.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101 Rn. 28; BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11, NJW 2012 Rn. 14).
75
c) Da im streitgegenständlichen Zeitraum nach der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart (25 Ca 3487/17) das Arbeitsverhältnis fortbestanden hat, richtet sich die Anrechnung anderweitigen Verdiensts nach § 11 Nr. 1 und 2 KSchG und nicht nach dem weitgehend inhaltsgleichen § 615 Satz 2 BGB (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 113 Rn. 12; BAG, Urteil vom 02.10.2018 – 5 AZR 376/17, NZA 2018, 1544 Rn. 28; BAG, Urteil vom 24.02.2016 – 5 AZR 425/15, NZA 2016, 687 Rn. 13). Insbesondere muss sich danach der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Dabei hindert die Anrechnung bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs und führt nicht zu einer Aufrechnungslage (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 113 Rn. 12; BAG, Urteil vom 19.05.2021 – 5 AZR 420/20, NZA 2021, 1324 Rn. 14; BAG, Urteil vom 23.02.2021 – 5 AZR 213/20, NZA 2021, 938 Rn. 12; BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 39; BAG, Urteil vom 02.10.2018 – 5 AZR 376/17, NZA 2018, 1544 Rn. 29).
76
aa) Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt, oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls (BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, BeckRS 2022, 42220 Rn. 14; BAG, Urteil vom 19.01.2022 – 5 AZR 346/21, AP BGB § 615 Nr. 168 Rn. 31; BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 205/21, NZA 2022, 113 Rn. 13). Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen (BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, BeckRS 2022, 42220 Rn. 14; BAG, Urteil vom 19.05.2021 – 5 AZR 420/20, NZA 2021, 1324 Rn. 15). Dies schließt es aus, einen bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigenden Umstand losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalles gleichsam absolut zu setzen (BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, BeckRS 2022, 42220 Rn. 14; BAG, Urteil vom 23.02.2021 – 5 AZR 213/20, NZA 2021, 938 Rn. 14).
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bb) Bei der beschriebenen Gesamtabwägung hat die in § 38 Abs. 1 SGB III geregelte Pflicht, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt einer außerordentlichen Kündigung bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, bei der Durchführung der Gesamtabwägung Beachtung zu finden, da dem Arbeitnehmer arbeitsrechtlich das zugemutet werden kann, was das Gesetz ihm ohnehin abverlangt (BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22, BeckRS 2022, 42220 Rn. 21 f.; BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 47). Des Weiteren ist der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gerichtet auf Mitteilung von Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit und das prozessuale Verhalten des Arbeitnehmers im Hinblick auf diesen Auskunftsanspruch für das böswillige Unterlassen gemäß § 11 Nr. 2 KSchG zumindest prozessual im Hinblick auf die Darlegungslast von Bedeutung, da der Auskunftsanspruch den in § 11 Nr. 2 KSchG gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Einwendungen gegen die vom Kläger geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche dient und der Arbeitgeber in Bezug auf die Vermittlungsangebote der Bundesagentur für Arbeit aufgrund des geschützten Sozialgeheimnisses (§ 35 SGB I) ohne Hilfe des Arbeitnehmers diesbezüglich keine Angaben machen kann (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 23, 25 u. 43).
78
(1) Entscheidend ist dabei allerdings, dass die Erhebung einer Widerklage zur Durchsetzung des Auskunftsbegehrens prozessual nicht zwingend erforderlich ist. Prozessual naheliegender und dem Beschleunigungsgrundsatz gemäß § 9 Abs. 1 ArbGG eher entsprechend ist es, die Auskunft in die Verteilung der Darlegungslast zu integrieren (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 27), da der Arbeitgeber für die Einwendungen nach § 11 Nr. 2 KSchG die Darlegungslast trägt (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 27; BAG, Urteil vom 06.09.1990 – 2 AZR 165/90, NZA 1991, 221 (222); BAG, Urteil vom 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rn. 56). Den Arbeitnehmer trifft unter Berücksichtigung der aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO folgenden Pflicht, sich zu den vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären, eine sekundäre Darlegungslast, wenn der primär darlegungsbelastete Arbeitgeber keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem klagenden Arbeitnehmer nähere Angaben ohne Weiteres möglich und zumutbar sind (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 27; BGH, Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 343/13, NJW-RR 2015, 1279 Rn. 11; BGH, Urteil vom 03.06.2014 – VI ZR 394/13, NJW 2014, 2797 Rn. 20; BGH, Urteil vom 11.12.2001 – VI ZR 350/00, NZG 2002, 289 (291); BGH, Urteil vom 24.11.1998 – VI ZR 388/97, NJW 1999, 714 (715)). Bei der die primär nicht darlegungsbelastete Partei treffenden sekundären Darlegungslast handelt es sich schlussendlich um einen Unterfall des in § 138 Abs. 1 und 2 ZPO normierten substantiierten Bestreitens (BGH, Urteil vom 17.03.1987 – VI ZR 282/85, NJW 1987, 2008 (2009). Sie führt deswegen weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, NZA 2020, 1113 Rn. 27).
79
(2) Unter Beachtung der vorbezeichneten Leitlinien ist der Kläger vorliegend seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, was in prozessualer Hinsicht gemäß § 138 Abs. 1 und 2 ZPO dazu führt, dass er sich in voller Höhe einen hypothetischen Erwerb gemäß § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen muss, sodass die Entstehung eines Annahmeverzugsanspruchs gemäß §§ 615 Satz 1, 611a Abs. 2 BGB bereits verhindert wird. Mit Schriftsatz vom 22.06.2022 hat die Beklagte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/18 – vorgetragen, es komme im Hinblick auf die streitgegenständlichen Ansprüche auch darauf an, was der Kläger durch anderweitige Arbeit im Zeitraum vom 12.05.2017 bis 01.04.2018 verdient hat, bzw. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Gleichzeitig moniert die Beklagte, dass bisher jeglicher Vortrag des Klägers bezüglich anderweitig erzielter Einkünfte und bezüglich etwaiger Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitsort und Vergütung fehle und stellt die Behauptung auf, dass es dem Kläger bereits vor dem 01.04.2018 möglich gewesen sei, einer anderweitigen und höher dotierten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Damit hat die Beklagte vorliegend im Hinblick auf die gestufte Darlegungslast und die besondere prozessuale Situation alles getan, was auf der ersten Stufe prozessual von ihr abverlangt werden kann. Diesem Vortrag ist der Kläger weder entgegengetreten noch hat er die von ihm verlangten Auskünfte hinsichtlich anderweitigen Erwerbs und der Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit erteilt. Einzige Reaktion des Klägers war der Schriftsatz vom 06.02.2023, mit welchem „klageerweiternd“ weitere Ansprüche geltend gemacht worden sind. Somit ist der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen und der behauptete Vortrag der Beklagten gilt als zugestanden.
80
(3) Auch ist das Gericht entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 27.02.2019 – 10 AZR 340/18, NZA 2019, 837 Rn. 23; BAG, Urteil vom 19.03.2002 – 9 AZR 16/01, NJOZ 2003, 1319 (1320); BAG, Urteil vom 24.08.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818 (820); BAG, Urteil vom 19.02.1997 – 5 AZR 379/94, BeckRS 1997, 30767166; BAG, Urteil vom 29.07.1993 – 2 AZR 110/93, NZA 1994, 116 (117)) der Ansicht, dass die Klage vorliegend im Hinblick auf die fehlende Auskunftserteilung nicht nur als zurzeit unbegründet, sondern als endgültig unbegründet abzuweisen ist (Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Auflage 2021, § 95 Rn. 78), da die geltend gemachte Annahmeverzugsvergütung aufgrund der fehlenden Auskunft nicht berechenbar ist und sich die prozessuale Situation somit auch nicht von anderen Situationen unterscheidet, die sich dadurch auszeichnen, dass den Arbeitnehmer eine sekundäre Darlegungslast trifft. Der primär darlegungsbelastete Arbeitgeber hat keine Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und ihm ist auch eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist. Beispielhaft kann hierfür die krankheitsbedingte Kündigung angeführt werden, da auch bei dieser eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast besteht, die aus der in § 138 Abs. 2 ZPO angeordneten Wechselwirkung des gegenseitigen Parteivortrages folgt. Gelingt es nämlich dem Arbeitgeber auf der ersten Stufe durch die Angabe der Art und Dauer der bisherigen Erkrankungen eine negative Gesundheitsprognose zu indizieren, ist es Sache des Arbeitnehmers, darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit seiner alsbaldigen Genesung bzw. warum in Zukunft mit weniger häufigen Erkrankungen zu rechnen ist (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rn. 17; BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655 (656)). Weigert sich der Arbeitnehmer, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden und trägt er auch sonst nichts vor, was für eine baldige Genesung spricht, gilt der Sachvortrag des Arbeitgebers als zugestanden (Vossen in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021, § 1 KSchG Rn. 212) und die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wird bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen als endgültig unbegründet abgewiesen. Ähnlich liegt der Fall bei einer verhaltensbedingten Kündigung aufgrund einer Schlechtleistung des Arbeitnehmers. Hier ist es zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt er lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistung des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleibt. Es ist sodann Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen und darzulegen, warum er mit seiner unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Trägt der Arbeitnehmer nichts vor, gilt das Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden (BAG, Urteil vom 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784). Dies ist nach Ansicht des Gerichts im Hinblick auf die im Zivilprozess geltende „formelle Wahrheit“ auch das richtige Ergebnis, da der Begriff der formellen Wahrheit auf dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz und der damit eng verknüpften Dispositionsmaxime beruht, wonach die Parteien dem zur Entscheidung befugten Gericht den Sachverhalt zu liefern haben und das Gericht unbestrittene Tatsachen ungefragt als wahr zu unterstellen hat (BGH, Urteil vom 11.06.1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151 (3152)). Letztlich wird in der Zivilprozessordnung neben § 138 ZPO an vielen Stellen – siehe hierzu insbesondere die Präklusionsvorschriften gemäß §§ 282, 296 ZPO – deutlich, dass die materielle Wahrheit im Hinblick auf die Beschleunigung des Prozesses hinter der formellen Wahrheit zurücktreten muss. Das Gericht ist der Ansicht, dass diese Entscheidung des Gesetzgebers auch im vorliegenden Fall beachtet werden muss, sodass es dem Arbeitnehmer bei einer Verletzung der ihn treffenden sekundären Darlegungslast verwehrt sein muss, den Anspruch bei Nachholung der Auskunft nochmals geltend zu machen. Dies stimmt auch mit der Ausgestaltung des § 11 Nr. 2 KSchG als Kürzungsnorm ex lege (siehe zu § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB: Herresthal in BeckOGK, BGB, Stand: 01.04.2022, § 326 Rn. 287) überein, da es sich gerade um keine Einrede handelt, welche lediglich die Durchsetzbarkeit des Anspruchs verhindern würde.
81
2. Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen hat der Kläger auch für die Monate Juni 2017 bis März 2018 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des jeweils bezifferten Annahmeverzugslohns gemäß §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB, da der Kläger auch hier seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, sodass die Entstehung eines Annahmeverzugsanspruchs gemäß §§ 615 Satz 1, 611a Abs. 2 BGB bereits verhindert wird. Das gilt schließlich auch für die vom Kläger geltenden gemachten Sonderzahlungen. Auch diesbezüglich hat der Kläger keinen Anspruch gemäß §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB.
82
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung von Lohnabrechnungen für die Monate Mai 2017 bis März 2018 gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO, da die Beklagte vorliegend keine Zahlungen für diesen Zeitraum geleistet hat und der Anspruch erst entsteht, wenn Arbeitsentgelt tatsächlich gezahlt wird. (BAG, Urteil vom 13.10.2015 – 1 AZR 130/14, BeckRS 2016, 66930 Rn. 29).
III.
83
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG iVm §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Das Gericht hat die zurückgenommene Widerklage der Beklagten allerdings als geringfügige Zuvielforderung entsprechend § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO angesehen. Im Rahmen des nach § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzenden Streitwerts wurden für die Zahlungsanträge gemäß § 3 ZPO die zuletzt noch zur Entscheidung anstehenden bezifferten Klageforderungen abzüglich etwaig bereits erfolgter Nettozahlungen in Ansatz gebracht (Ziffer 1.): EUR 1.983,29; Ziffer 2.): EUR 2.870,39; Ziffer 3.): EUR 2.870,39; Ziffer 4.): EUR 1.601,43; Ziffer 5.): EUR 1.510,79; Ziffer 6.): EUR 1.465,47; Ziffer 7.): EUR 1.510,79; Ziffer 8.): EUR 1.465,47; Ziffer 9.): EUR 1.590,08; Ziffer 10.): EUR 1.727,87; Ziffer 11.): EUR 617,85; Ziffer 14.): EUR 1.755,49). Für die verlangten Abrechnungen für die Monate Mai 2017 bis März 2018 wurden jeweils 5% des auf den Monat entfallenden Bruttoverdiensts, mithin insgesamt EUR 1.507,27 EUR in Ansatz gebracht. Für den nicht bezifferten Steuerschadensersatz wurden gemäß § 3 ZPO insgesamt EUR 2.000,00 in Ansatz gebracht. Für den Antrag zu Ziffer 15.) betreffend den Urlaubsanspruch des Klägers für die Jahre 2017 und 2018 wurden insgesamt EUR 5.087,22 in Ansatz gebracht. Dabei wurden für das Jahr 2017 insgesamt 30 Urlaubstage zu jeweils EUR 132,48 (2.870,39 x 3 : 65) und für das Jahr 2018 insgesamt 8 Urlaubstage zu jeweils EUR 139,10 (3.013,91 x 3 : 65) in Ansatz gebracht. Für den Beschäftigungsanspruch – Klageantrag zu Ziffer 16.) – wurde eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von EUR 3.300,00 in Ansatz gebracht. Für die Gehaltsanpassung – Klageantrag zu Ziffer 17.) – wurde der dreifache Jahresbetrag der begehrten Differenzvergütung (36 x 800,00), mithin EUR 28.800,00 in Ansatz gebracht. Für das Urlaubsjahr 2017 wurde insgesamt ein Betrag in Höhe von EUR 3.503,07 (3.300 x 3 : 65 x 23 Urlaubstage) in Ansatz gebracht. Für die Urlaubsjahre 2018 bis 2022 wurde jeweils ein Betrag in Höhe von EUR 4.569,23 EUR in Ansatz gebracht (3.300 x 3 : 65 x 30 Urlaubstage). Die gesonderte Zulassung der Berufung bezüglich der Klageanträge zu Ziffer 1.) bis Ziffer 11.) und Ziffer 14.) folgt aus § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG. Die Rechtssache hat grundsätzlich Bedeutung, da es sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handelt. Das Gericht ist mit ihrer Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 27.02.2019 – 10 AZR 340/18, NZA 2019, 837 Rn. 23; BAG, Urteil vom 19.03.2002 – 9 AZR 16/01, NJOZ 2003, 1319 (1320); BAG, Urteil vom 24.08.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818 (820); BAG, Urteil vom 19.02.1997 – 5 AZR 379/94, BeckRS 1997, 30767166; BAG, Urteil vom 29.07.1993 – 2 AZR 110/93, NZA 1994, 116 (117)) dahingehend abgewichen, dass die Klage als endgültig unbegründet abzuweisen ist, wenn der Arbeitnehmer im Hinblick auf das Auskunftsverlangen der Beklagten gerichtet auf etwaige andere Einnahmen und Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit seiner sekundären Darlegungslast nicht nachkommt.
84
2. Nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 gemäß § 333 ZPO säumig gewesen ist, konnte auf Antrag der Beklagten gemäß § 331a ZPO ein Urteil nach Lage der Akten ergehen.
85
a) Gemäß § 331a Satz 1 ZPO ist dem Antrag des Gegners der säumigen Partei auf eine Entscheidung nach Lage der Akten stattzugeben, wenn der Sachverhalt für eine derartige Entscheidung hinreichend geklärt erscheint und gemäß § 331a Satz 2 ZPO iVm § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist.
86
aa) Der Kläger ist mit seiner Prozessvertreterin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 07.02.2023 erschienen, hat jedoch erklärt, keine Anträge stellen zu wollen, sodass eine Säumnis gemäß § 333 ZPO gegeben ist.
87
bb) Der Sachverhalt erscheint auch als hinreichend geklärt, da dem Kläger bereits mit Verfügung vom 02.05.2022 aufgegeben worden ist, bis zum 23.08.2022 zum Vortrag der Gegenseite – siehe Schriftsatz vom 22.06.2022 – unter Beweisangebot Stellung zu nehmen. Diese Möglichkeit hat der Kläger nicht wahrgenommen, sodass davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger lediglich den Vortrag aus seiner Klageschrift vom 31.12.2021 zum Gegenstand des Rechtsstreits machen wollte. Dieser Vortrag konnte zuletzt in der Güteverhandlung vom 28.04.2022 bereits erörtert werden. Schließlich ist zu beachten, dass Sinn und Zweck der Möglichkeit der Entscheidung nach Lage der Akten ist, der Gefahr vorzubeugen, dass eine Partei unter Inkaufnahme des relativ ungefährlichen Versäumnisurteils in Verschleppungsabsicht dem Termin fernbleibt oder keine Anträge stellt, sodass bei einer solchen Konstellation das Gericht einen Antrag gemäß § 331a ZPO sogar anregen sollte (Herget in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 331a Rn. 1). Nachdem die Prozessbevollmächtigte bereits mit Schriftsatz vom 31.01.2022 angekündigt hatte, einen klageerweiternden Schriftsatz einzureichen und dann im Termin zu mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 erklärte, im Hinblick auf die von der Beklagten angesprochene Darlegungs- und Beweislast keine Anträge stellen zu wollen, geht das Gericht, wie bereits im Rahmen der Zulässigkeit dargelegt, davon aus, dass der Kläger mit seinem prozessualen Verhalten das Verfahren absichtlich verschleppen möchte, sodass eine Entscheidung nach Lage der Akten vorliegend im Hinblick auf die gegenläufigen Interessen der Parteien zweckmäßig und angebracht erscheint.
88
(1) Bereits am 04.02.2022 fand der erste Termin zur Güteverhandlung statt. Nachdem die Parteien aufgrund der Abgabe des Verfahrens innerhalb des Arbeitsgerichts Stuttgart mit Schriftsätzen vom 22.02.2022 und 03.03.2022 der Fortsetzung der Güteverhandlung zugestimmt haben, fand am 28.04.2022 eine erneute Güteverhandlung statt.
90
(2) Auch ist das Gericht der Auffassung, dass die Güteverhandlung für eine frühere mündliche Verhandlung im Sinne des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits ausreichend ist. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.03.2020 – 17 Sa 11/19, BeckRS 2020, 116668) an und sieht vorliegend keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzuweichen. Dies insbesondere, weil gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die mündliche Verhandlung bereits mit einer Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung beginnt, während im ordentlichen Zivilprozess gemäß § 278 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Güteverhandlung der mündlichen Verhandlung vorausgeht (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.03.2020 – 17 Sa 11/19, BeckRS 2020, 116668; ArbG Ulm, Urteil vom 20.02.2009 – 6 Ca 33/08, BeckRS 2009, 59014; Schleusener in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 10. Auflage 2022, § 55 Rn. 18). Es kann somit aufgrund des eindeutigen Wortlauts auch keinen Unterschied machen, ob im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer die klagende Partei oder die beklagte Partei säumig ist. In beiden Konstellationen muss ein Urteil nach Lage der Akten möglich sein. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den im Arbeitsgerichtsprozess gemäß §§ 9 Abs. 1, 61a Abs. 1 ArbGG geltenden Beschleunigungsgrundsatz, welcher nicht nur den Arbeitnehmer, sondern auch den Arbeitgeber schützen soll. Auch durch die mit Schriftsatz des Klägers vom 06.02.2023 eingetretene nachträgliche, objektive und kumulative Klagehäufung musste nicht erneut zur Sache verhandelt werden, da es sich hier, wie bereits dargelegt, bei entsprechender Anwendung der §§ 263 ff. ZPO um eine unzulässige Klageänderung handelte, sodass eine Sachentscheidung bezüglich dieser Anträge auch bei einer Antragsstellung durch den Kläger nicht ergangen wäre und der Kläger deswegen diesbezüglich auch nicht schützenswert erscheint.
91
d) Der Kläger wurde schließlich mit Beschluss vom 07.02.2023 darauf hingewiesen, dass ein neuer Termin zur Verhandlung vor der Kammer nur bestimmt wird, wenn der Kläger dies beantragt und gleichzeitig bis zum 16.02.2023 Gründe glaubhaft gemacht werden, die das fehlende Verhandeln im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 entschuldigen können. Innerhalb der gesetzten Frist erfolgte keine Stellungnahme des Klägers, sodass das Gericht keine Veranlassung sieht, gemäß § 251a Abs. 2 Satz 4 ZPO einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schriftsatz des Klägers vom 23.02.2023, bei Gericht eingegangen am 23.02.2023 um 7:04 Uhr – 1 Stunde und 26 Minuten vor dem anberaumten Verkündungstermin –, da hier kein Vortrag bezüglich einer etwaigen Entschuldigung erfolgt und der Antrag auf Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung spätestens am siebten Tag vor dem Tag, an dem das Urteil verkündet werden soll, beim Prozessgericht eingegangen sein muss. Auch der in diesem Schriftsatz erfolgte Sachvortrag war nicht mehr zu beachten, da § 251a Abs. 2 Satz 4 ZPO der säumigen Partei lediglich die Möglichkeit gibt, ihre Säumnis zu entschuldigen, sodass eine neue mündliche Verhandlung anberaumt wird und in Vorbereitung dieser Verhandlung auch weiterer Sachvortrag geleistet werden kann. Schließlich hat das Gericht auch beachtet, dass der Verkündungstermin frühestens zwei Wochen nach dem Verhandlungstermin gemäß § 251a Abs. 2 Satz 2 ZPO anberaumt werden kann. Dieser Termin war dem Kläger bereits durch die Verkündung am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 07.02.2023 mitgeteilt worden.
92
3. Die Entscheidung konnte gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG durch den Vorsitzenden alleine und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ergehen (BAG, Beschluss vom 05.06.2014 – 6 AZN 267/14, NJW 2015, 269 Rn. 21; Rieker in Natter/Gross, ArbGG, 2. Auflage 2013, § 55 Rn. 7).
Eine dauerhafte und bezahlte Freistellung eines Arbeitnehmers erfordert die Zusage des Arbeitgebers oder eine einvernehmliche Regelung. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist nach einer Beweisaufnahme zum Ergebnis gekommen, dass eine Zusage des Arbeitgebers nicht erfolgte und es obendrein an der erforderlichen Vollmacht des Sachgebietsleiters fehlte.
Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf – 8 Sa 594/22 vom 02.05.2023:
Der Kläger war seit 1994 im Bereich der Grünpflege bei der beklagten Stadt tätig. Dieser war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und tarifvertraglich ordentlich unkündbar. Er verdiente zuletzt monatlich 3.200,00 Euro brutto. Im Jahr 2015 erfolgte eine Abordnung zum Ordnungsamt. Mit einstweiligem Verfügungsverfahren erreichte der Kläger, dass die Beendigung der Abordnung Ende 2015 unter der Voraussetzung einer vertrauensärztlichen Untersuchung nicht erfolgte. Die Stadt teilte dem Kläger daraufhin mit, dass, sofern der Kläger seine Arbeitskraft nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit anbiete, diese bis auf Widerruf nicht angenommen werde, insbesondere nicht vor dem Vorliegen des amtsärztlichen Untersuchungsergebnisses. Es werde auf das persönliche Anbieten der Arbeitsleistung verzichtet und der Arbeitswille unterstellt. Gleichzeitig erfolge die Zahlung von Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugslohns.
Ein Versetzungsantrag des Klägers an das Ordnungsamt scheiterte. Mit Schreiben vom 27.11.2017 bot die Stadt dem Kläger eine Einsatzmöglichkeit im Amt für Straßen und Verkehr an. Trotz mehrfacher Versuche kam es nicht zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und der Stadt. In einem weiteren gerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Essen erklärte die Stadt nochmals, dass eine Tätigkeit im Bereich Straßen und Verkehr für den Kläger vorhanden sei. Das Verfahren wurde ruhend gestellt und ein Termin zum Kennenlernen seitens des Klägers wahrgenom-men. Dieser verlief negativ. Nach der Vorstellung des Klägers im Museum Zeche Zollverein im Frühjahr 2018 kam es dort zu keiner Einstellung. Der Kläger ist seitdem unbeschäftigt. Er erhielt gleichwohl fortlaufend seine vereinbarte Vergütung. Die Stadt forderte den Kläger Anfang 2022 auf, im Rathaus zu erscheinen, um über seine weitere Tätigkeit zu sprechen. Hierzu wurde kein Einvernehmen erzielt
Der Kläger hat mit der Klage vom 20.04.2022 die Feststellung begehrt, dass er seitens der Stadt unwiderruflich und unter Fortzahlung seiner Vergütung freigestellt worden sei. Der für ihn zuständige Sachgebietsleiter habe dies bereits im Februar 2018 erklärt. Er habe ausdrücklich nachgefragt, wie lange dies dauern solle. Der Sachgebietsleiter habe geantwortet, dass dies dauerhaft und unwiderruflich sei. Er brauche auch keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr zu führen. Dem hat die Stadt widersprochen. Eine entsprechende Zusage habe es nicht gegeben. Hierzu sei der Sachgebietsleiter zudem nicht befugt gewesen. Außerdem würden Personalgespräche bei ihr auf Arbeitgeberseite grundsätzlich durch zwei Personen geführt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Abrede zu einer dauerhaften unwiderruflichen Freistellung mit Fortzahlung der Vergütung habe der Kläger nach Vernehmung einer Zeugin, einer Bekannten des Klägers, und eines Zeugen, des Sachgebietsleiters, nicht beweisen können. Nachdem der Kläger den im ersten Kammertermin vor dem Landesarbeitsgericht abgeschlossenen Vergleich (Pressemitteilung Nr. 14/23 vom 28.02.2023) fristgerecht widerrufen hat, hat die 8. Kammer heute in der Sache entschieden. Sie hat die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zunächst war die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Im Übrigen war die behauptete Erklärung bei Würdigung aller Umstände ohnehin nicht im Sinne einer Freistellung zu verstehen, die tatsächlich unwiderruflich war. Und weiter fehlte es an der erforderlichen Vollmacht des Sachgebietsleiters zu der von dem Kläger behaupteten Erklärung.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 02.05.2023 – 8 Sa 594/22
Arbeitsgericht Essen, Urteil vom 29.08.2022 – 6 Ca 714/22
Die Teilnahme eines Arbeitnehmers an einem „wilden Streik“, also an einer nicht gewerkschaftlich organisierte Protestaktion, rechtfertigt eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Volltext der Pressemitteilung Nr. 12/23 vom 28.04.2023 des Landesarbeitsgerichts Berlin zu den Urteilen vom 25.04.2023 (16 Sa 868/22, 16 Sa 869/22 und 16 Sa 871/22):
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in zwei Verfahren entschieden, dass die durch den Lieferdienst Gorillas erklärten fristlosen Kündigungen gegenüber als Fahrradkurieren (sog. Rider) beschäftigten Arbeitnehmern wirksam waren. Beide Rider hatten sich im Oktober 2021 an einem „wilden“ Streik beteiligt und in diesem Zusammenhang fristlose Kündigungen erhalten. In einem weiteren Verfahren ist die fristlose Kündigung der Gorillas nicht bestätigt worden, weil die Teilnahme des Arbeitnehmers an dem „wilden“ Streik nicht feststand.
Bei dem Lieferdienst Gorillas hatten sich Anfang Oktober 2021 eine Vielzahl von als Rider beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Protesten vor einzelnen Filialen des Lieferdienstes versammelt, den Zugang zu den Filialen blockiert und Lieferfahrräder auf den Kopf gestellt. Der Lieferdienst hatte daraufhin fristlose Kündigungen gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgesprochen, die nach seiner Einschätzung an der als „wilder“ Streik bezeichneten Aktion beteiligt waren. Drei dieser fristlosen Kündigungen waren Gegenstand der verhandelten Verfahren.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beteiligung an den „wilden“ Streiks als erhebliche arbeitsrechtliche Pflichtverletzungen bewertet und ist davon ausgegangen, dass die nicht gewerkschaftlich organisierte Protestaktion nicht als zulässige Ausübung des Streikrechts gemäß Artikel 9 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz zu beurteilen sei, dies auch nicht unter Berücksichtigung von Teil II Artikel 6 Nr. 4 der Revidierten Europäischen Sozialcharta (RESC). In den beiden Verfahren, in denen die Beteiligung der Rider an der Protestaktion feststand, wurden die außerordentlichen Kündigungen bestätigt. In einem weiteren Verfahren konnte die aktive Beteiligung des Arbeitnehmers an der Protestaktion vom Gericht nicht festgestellt werden. In diesem Verfahren hat die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet, die ebenfalls ausgesprochene ordentliche Kündigung des erst kurz bestehenden Arbeitsverhältnisses wurde jedoch bestätigt.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht in allen drei Verfahren nicht zugelassen.
Der Arbeitgeber verlangt vom Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung, wenn er von diesem erwartet, eine dienstliche SMS zu lesen oder sich über Zeit und Ort seiner Arbeitsaufnahme im Internet zu informieren. Denn damit handelt der Arbeitnehmer ausschließlich zur Befriedigung eines fremden Bedürfnisses, nämlich des Bedürfnisses des Arbeitnehmers, die ordnungsgemäßen Organisation der Arbeitsabläufe durch eine sachgemäße Personalplanung zu gewährleisten.
In seiner Freizeit steht dem Arbeitnehmer das Recht auf Unerreichbarkeit zu. Ob der Arbeitnehmer einer Weisung, die ihm in seiner Freizeit zur Kenntnis gelangt ist,wie hier per SMS, ist daher irrelevant.
Volltext des Urteils des LAG Schleswig-Holstein vom 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22:
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 27.01.2022 – 5 Ca 1023 a/21 – teilweise geändert und die Beklagte verurteilt,
– dem Kläger auf seinem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 2 für den 08.04.2021 elf Arbeitsstunden gutzuschreiben
– dem Kläger auf seinem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 1 für den 15.09.2021 0,75 Arbeitsstunden gutzuschreiben
– die Abmahnung vom 30.09.2021 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen).
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Stand des Arbeitszeitkontos des Klägers sowie die Entfernung einer Abmahnung.
Die Beklagte führt in fünf Kreisen in S.-H. den Rettungsdienst durch. Der Kläger ist seit dem 01.01.2003 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Notfallsanitäter in Vollzeit tätig. Aufgrund einer Verweisung in seinem schriftlichen Arbeitsvertrag (Anlage K 1) findet auf das Arbeitsverhältnis der TVöD-VkA Anwendung. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt im Hinblick auf die Bereitschaftsdienstzeiten 48 Stunden. Die Stammwache des Klägers befindet sich in B. .
Für den Betrieb ist die Betriebsvereinbarung „Arbeitszeitgrundsätze in der RKISH – Teil: Einsatzdienst“ (BVA) geschlossen, die auch für Notfallsanitäter gilt (Abschnitt 1, lit. b). In § 2 d BVA ist die Erstellung des Rahmendienstplans geregelt, aus dem sich die Schichtarten, Schichtlängen und die sich daraus ergebende Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ergibt. Aus dem Rahmendienstplan wird ein Soll-Dienstplan und daraus der Ist-Dienstplan entwickelt (§§ 2 f, 2 g BVA). § 3 a BVA regelt die Anlegung eines Arbeitszeitkontos mit zwei Unterkonten für jeden Mitarbeiter, auf denen die geleisteten und gewerteten Arbeitszeiten der Mitarbeiter erfasst werden. Abschnitt 4 regelt unter der Überschrift Ist-Dienstplanung (Konkretisierung/Änderungen im DP):
„Zur Umsetzung von Dienstplänen sind Springerdienste und Rufbereitschaften zur Kompensation von Ausfallzeiten des Einsatzdienstes notwendig. Ferner werden auf Wunsch von Mitarbeitern Änderungen/Aktualisierungen des DP notwendig. Die folgende Vereinbarung dient der Gleichbehandlung aller Mitarbeiter in der Verteilung der oben genannten Dienste und Möglichkeiten.
§ 4a Aktualisierungen des Dienstplans
(1)
Aus dringenden betrieblichen Gründen können schichtgleiche Änderungen im Dienstplan vorgenommen werden. Der Dienstort kann im Rahmen der tariflichen Abordnungsregelung des Ergänzungstarifvertrags hierbei ebenfalls angepasst werden….
…
(3)
Diese Aktualisierungen müssen dem Betriebsrat spätestens bis zum 15ten des Vor-Vormonats (z.B. bis 15.01. Vorlage für den DP März) vorgelegt werden. Dieser hat die Änderungen bis zum jeweils Ersten des Vormonats zu genehmigen. Dringende betriebliche Gründe sind: …
(4)
Spätere Änderungen sind für den Mitarbeiter immer freiwillig …
§ 4 f Springerdienste
(1)
Springerdienste dienen der Kompensation aller an diesem Tag möglichen Dienstformen und werden in der Jahresplanung einem Wochentag der Vertreterwoche verbindlich zugewiesen…
…
(4)
Um die Planungssicherheit der Mitarbeiter zu steigern, hat die konkrete Schichtzuteilung in verblockten Springerdiensten Vorrang vor Zuweisung von einzelnen Springerdiensten. Die konkrete Schichtzuteilung in verblockten Springerdiensten ist spätestens im Rahmen der Dienstplanaktualisierung (vgl. § 4a) am 15ten des Vor-Vormonats (z.B. bis 15.1. Vorlage für den DP März) erfolgt. Andernfalls erfolgt zu diesem Zeitpunkt die Zuteilung von unkonkreten Tag-, Spät- und Nachtdiensten.
…
(6)
Einzelne Springerdienste werden (bezogen auf Dienstbeginn 7 Uhr) spätestens 4 Tage (…) vorher durch konkrete Schichtzuteilung verbindlich. Sollte zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Schichtzuteilung möglich sein, erfolgt die Zuteilung von unkonkreten Tag-, Spät- und Nachtdiensten…
(7)
In unkonkret zugeteilten Springerdiensten als Tag-, Spät- und Nachtdienst können nach der Zuteilung weitere Konkretisierungen vorgenommen werden. Hierfür sind folgende Zeitkorridore verbindlich:
– Tagdienst spätester Beginn 06-09 Uhr spätestes Ende 21 Uhr- Spätdienst spätester Beginn 09-15 Uhr spätestes Ende 23 Uhr- Nachtdienst spätester Beginn 18-21 Uhr spätestes Ende 07 Uhr
(8)
Unkonkret zugeteilte Springerdienste können für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Für Nachtdienste gilt diese Regelung bis 16 Uhr am Vertretungstag. Geschieht dies nicht, findet sich der Mitarbeiter zu Dienstbeginn am vom Arbeitgeber zugewiesenen Dienstort ein…“
§ 4 g BVA trifft Regelungen zur Anordnung von Rufbereitschaft, in § 6 a BVA sind Beginn und Ende der Arbeitszeit festgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten der BVA wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
Die Mitarbeiter der Beklagten können über das Internet den aktuellen Ist-Dienstplan einsehen. An den im Folgenden in Rede stehenden Tagen (08.04. und 15.09.2021) mussten sich wegen der Corona-Pandemie die Mitarbeiter im unkonkreten Springerdienst in den Fällen, in denen keine weitere Konkretisierung des Dienstes erfolgte, entgegen § 4 f Abs. 8 S. 3 BVA zu Dienstbeginn nicht am zugewiesenen Dienstort einfinden, sondern telefonisch um 7.30 Uhr von zuhause aus ihre Einsatzfähigkeit mitteilen.
Am 06.04.2021 endete der Dienst des Klägers um 19.00 Uhr. Zu jenem Zeitpunkt war seit dem 04.04.21 um 8.22 Uhr für den 08.04.2021, den nächsten Arbeitstag des Klägers, im Ist-Dienstplan ein unkonkreter Springerdienst (§ 4 f Abs. 4 S. 3 BVA) eingetragen. Am 07.04.2021 um 13.20 Uhr teilte die Beklagte dem Kläger für den 08.04.2021 einen Dienst in der Tagschicht in der Rettungswache P. mit Dienstbeginn um 6.00 Uhr zu und trug dies in den Ist-Dienstplan ein. Versuche, den Kläger telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Die Beklagte übersandte dem Kläger um 13.27 Uhr eine SMS, bezüglich deren Inhalt auf die Anlage B 1 verwiesen wird. Am 08.04.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsleistung an. Er wurde von der Beklagten, die zwischenzeitlich einen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft herangezogen hatte, nicht weiter eingesetzt. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Ermahnung, bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Kläger elf Stunden von dem Unterkonto 2 seines Arbeitszeitkontos ab.
Für den 15.09.2021 war für den Kläger im Ist-Dienstplan zunächst ein Dienst als „Springer kurzfristig“ eingetragen, den die Beklagte am 10.09.2021 auf den „Tagdienst“ einschränkte. Am 14.09.2021 hatte der Kläger frei. Um 9.15 Uhr an diesem Tag konkretisierte die Beklagte den Dienst auf eine um 6.30 Uhr aufzunehmende Tätigkeit in P.. Auch diesmal war der Kläger telefonisch nicht zu erreichen. Die Beklagte schickte ihm erneut eine SMS (Anlage B 1) und diesmal auch eine E-Mail. Am 15.09.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme gegenüber dem Arbeitszeitgestalter der Beklagten Z. an. Dieser forderte ihn zur Arbeitsaufnahme in P. auf. Tatsächlich nahm der Kläger seinen Dienst um 8.26 Uhr in P. auf. Die Beklagte wertete die Zeit von 6.30 Uhr bis 8.26 Uhr als unentschuldigtes Fehlen, erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 30.0.2021 eine Abmahnung wegen dieses Sachverhalts und zog ihm 1,93 Stunden vom Unterkonto 1 seines Arbeitszeitkontos ab.
Mit seiner Klage wehrt sich der Kläger gegen den Abzug von Stunden von seinen Arbeitszeitkonten und begehrt die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
Hierzu hat er im Wesentlichen vorgetragen: Die Konkretisierung der Dienste sei erst nach Ablauf der Frist aus § 4 a Abs. 4 BVA erfolgt und müsse nicht von ihm befolgt werden. Aus den §§ 4 a und 4 f BVA ergebe sich, dass ein mit einem Wachenwechsel verbundener Springerdienst nach Ablauf der Frist zur Konkretisierung stets freiwillig sei. Das ergebe sich auch aus der zur BVA herausgegebenen Kommentierung. Die Konkretisierung des Springerdienstes selbst sei in der BVA nicht geregelt und unterliege der Mitbestimmung des Betriebsrats, die nicht erfolgt sei. Er sei nicht verpflichtet, sich während seiner Freizeit darüber zu informieren, wann er zu arbeiten habe. Die Beklagte stelle auch – unstreitig – die entsprechenden technischen Möglichkeiten wie ein Diensthandy oder einen PC nicht zur Verfügung. Sie umgehe mit ihrer Vorgehensweise die Anordnung von Rufbereitschaft, um Kosten zu sparen. Die kurzfristige Anordnung verstoße auch gegen § 12 Abs. 3 TzBfG, zumindest aber gegen billiges Ermessen. Sein Handy habe er lautlos gestellt, weil er sich um seine Kinder habe kümmern müssen. Da er sich rechtmäßig verhalten habe, sei auch die Abmahnung unwirksam und aus der Personalakte zu entfernen. Die von der Beklagten vorgelegten SMS belegten nicht, dass diese angekommen oder gelesen worden seien.
Die Beklagte hat erwidert: Ihr Vorgehen stehe im Einklang mit der BVA. Der Kläger sei verpflichtet, sich über seine Dienstzeiten zu informieren. Die Zeiten, in denen er sich informiere, seien auch nicht als Arbeitszeit zu bewerten. Die Informationspflicht bestehe als arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Der Kläger habe das Telefon nicht abgenommen und auf die SMS und am 14.09.2021 auch auf die E-Mail nicht reagiert. Er habe daher unentschuldigt gefehlt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die Arbeitszeitzuweisungen entsprechend den Regelungen der BVA vorgenommen, insbesondere liege kein Verstoß gegen § 4 a BVA vor. Auch gegen die in § 12 TzBfG geregelten Grundsätze der Abrufarbeit sei nicht verstoßen worden. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, von der Dienstplanänderung keine Kenntnis gehabt zu haben. Er sei aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verpflichtet, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen. Die Fehlzeiten des Klägers seien daher von seinem Arbeitszeitkonto in Abzug zu bringen. Die Abmahnung sei zurecht erfolgt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen das am 09.03.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.03.2022 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis zum 09.06.2022 am 08.06.2022 begründet.
Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen wie folgt: Für den 15.09.2021 werde im Berufungsrechtszug noch eine Gutschrift von 45 min verlangt. Hinsichtlich der Gutschrift weiterer Zeiten, die erstinstanzlich für den 15.09.2021 geltend gemacht worden sind, hat er die zunächst unbeschränkt eingelegte Berufung zurückgenommen.
Das Arbeitsgericht habe die BVA falsch angewandt. Die Beklagte habe den Ausfall, der zu seinem Einsatz am 08.04. geführt habe, selbst verursacht. Gleiches gelte für den Ausfall am 15.09.21. Über die Änderung an diesem Tag habe ihn die Beklagte auch schon am 13.9.2021 während der Arbeitszeit informieren können. Die Beklagte trage selbst vor, dass sie die unkonkreten Springerdienste für kurzfristige krankheitsbedingte Ausfälle nutze. Dies stehe im Widerspruch zu § 4 f Abs. 1 BVA. Die Beklagte müsse für Fälle kurzfristiger Krankheit eines Mitarbeiters Rufbereitschaft nach § 4 g BVA anordnen. Ferner verkenne das Arbeitsgericht den Inhalt von § 4 a Abs. 4 BVA. Die Zuteilung einer anderen als der Stammwache sei keine Konkretisierung im Sinne des § 4 f Abs. 8 BVA, sondern eine Änderung der Schicht im Sinne von § 4 f Abs. 6 BVA. Diese sei ausweislich der hierzu vorliegenden Kommentierung aber nur freiwillig möglich. Diese Freiwilligkeit liege bei ihm unstreitig nicht vor.
Die Vorgehensweise der Beklagten verstoße auch gegen § 12 Abs. 3 TzBfG. Faktisch leiste er Arbeit auf Abruf, sodass die Beklagte stets eine Ankündigungsfrist von vier Tagen einhalten müsse.
Das Arbeitsgericht setze sich auch nicht mit seinem Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit auseinander. Soweit dieses auf andere Pflichten außerhalb der Arbeitszeit, etwa die Pflicht zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit hinweise, seien diese nicht mit der Verpflichtung, sich über seine Dienstzeiten zu informieren, vergleichbar. Die kurzfristige Veränderung der Arbeitszeit liege im alleinigen Interesse der Beklagten. Außerdem gebe es – unstreitig – keine Vereinbarung darüber, dass er seine eigenen Geräte (Handy, PC) für die Beklagte einsetzen müsse. Er habe die SMS nicht gelesen oder zur Kenntnis genommen. Eine SMS von einer unbekannten Nummer sortiere sein Handy aus und verschiebe sie in einen separaten Ordner. Diesen lösche er in unregelmäßigen Abständen. Er vermute, dass dies auch mit den SMS der Beklagten geschehen sei. Die Anordnung der Beklagten zur Arbeitsleistung wahre auch keine angemessene Ankündigungsfrist. Sie sei schließlich auch wegen des Verstoßes gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 6 BetrVG unwirksam.
Am 15.9.2021 habe er für das Telefonat mit Herrn Z. und die anschließende Fahrt zur Wache jedenfalls 45 Minuten aufwenden müssen. Auf die Gutschrift für diesen Zeitraum beschränke er seinen Antrag.
Da er seine Arbeitspflichten nicht verletzt habe, sei auch die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 27.01.2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
1. ihm für den 08.04.2021 elf Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 2 gutzuschreiben,
2. die Abmahnung vom 30.09.2021 aus seiner Personalakte zu entfernen
3. ihm für den 15.09.2021 0,75 Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 1 gutzuschreiben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert: Die Konkretisierung der Springerdienste an den beiden Tagen sei von ihrem Direktionsrecht gedeckt. Dem Kläger stehe es frei, wann und wie er sich die Informationen über seine konkrete Arbeitszeit verschaffe. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass er nicht eine der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt habe. Am 08.04.2021 sei, nachdem der Kläger nicht erschienen sei, die Mitarbeiterin Si. aus der Rufbereitschaft aktiviert worden, um für den Kläger auf dem Rettungswagen eingesetzt zu werden. Da der Rettungswagen damit ordnungsgemäß besetzt war, sei der Kläger an jenem Tag nicht mehr benötigt worden. Der Dienst am 08.04. habe dem Kläger auch nicht früher zugewiesen werden können. Ursächlich für die Zuweisung sei die erst am 07.04. angezeigte Erkrankung des Mitarbeiters B..
Sie habe auch keine Rufbereitschaft angeordnet, weil sie aufgrund ihrer Erfahrungen davon ausgegangen sei, dass der Kläger benötigt werde. Da regelmäßig ein bestimmter Anfall von Mitarbeitern ausfalle, plane sie mit einem Vertreterdienst. Die Auslegung des Klägers zu § 4 f BVA teile sie nicht. Der Kläger arbeite in einem Vollzeitarbeitsverhältnis, sodass § 12 Abs. 3 TzBfG nicht anwendbar sei. Zutreffend habe das Arbeitsgericht festgestellt, dass kein Abrufarbeitsverhältnis vereinbart sei. Sie spreche dem Kläger das Recht auf Unerreichbarkeit nicht ab. Der Blick in das Dienstplanprogramm sei keine Arbeit. Nahezu alle Mitarbeiter empfänden es als positiv, wenn sie über die Konkretisierung von Arbeitszeit und -ort telefonisch informiert würden. Der Kläger müsse wegen seiner Loyalitätspflicht auch sein Telefon benutzen, um sich über die Arbeitszeiten zu informieren. Die Konkretisierung der Arbeitsleistung sei von der BVA gedeckt und daher auch mit Zustimmung des Betriebsrats erfolgt.
Dass der Kläger am 15.09. vom Beginn des Telefonats bis zur Arbeitsaufnahme jedenfalls 45 Minuten benötigt habe, werde von ihr nicht bestritten.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Akte verwiesen.
Gründe
Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Die zulässige Klage des Klägers ist, soweit sie dem Berufungsgericht zur Entscheidung angefallen ist, mit allen Anträgen begründet.
A.
Die Klage ist zulässig. Die Anträge zu 1. und 3. sind hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
I. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können. Erforderlich ist dafür eine Konkretisierung des Leistungsbegehrens, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll (z.B. BAG vom 21.03.2012 – 5 AZR 676/11 – Juris, Rn. 16).
II. Danach sind die Anträge zu 1. und 3. hinreichend bestimmt. Der Kläger hat im Berufungstermin klargestellt, auf welchem der beiden für ihn geführten Unterkonten die jeweiligen Zeitgutschriften erfolgen sollen. Die Beklagte hat erklärt, dass entsprechende Gutschriften auch jetzt noch erfolgen könnten. Wie die Gutschrift genau zu erfolgen hat, steht zwischen den Parteien nicht im Streit und bedurfte daher keiner weiteren Konkretisierung.
B.
Die Klage ist mit allen Anträgen begründet.
I. Der Antrag zu 1. ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gutschrift für 11 Stunden auf dem Unterkonto 2 seines Arbeitszeitkontos für den 08.04.2021 zu. Der entsprechende Anspruch beruht auf den §§ 611 a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB.
1. Aus § 611 Abs. 1 BGB (jetzt 611 a Abs. 2 BGB) kann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos haben, wenn dieses nach der zugrundeliegenden Abrede der Vertragsparteien den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmt. Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und drückt damit nur in anderer Form seinen Vergütungsanspruch aus. Die Gutschrift von Arbeitsstunden setzt damit voraus, dass die gutzuschreibenden Stunden nicht vergütet wurden oder die dafür geleistete Vergütung vom Arbeitgeber wegen eines Entgeltfortzahlungstatbestands auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung hätte erbracht werden müssen (BAG vom 11.10.2010 – 5 AZR 766/09 – Juris, Rn. 16).
2. Der Vergütungsanspruch des Klägers wird durch die von ihm geleisteten, im Arbeitszeitkonto ausgewiesenen Stunden verbindlich bestimmt. Das legt die BVA fest. Auf diesem Konto sind dem Kläger für den 08.04.2021 11 Stunden gutzuschreiben, obwohl der Kläger an diesem Tag nicht gearbeitet hat. Es liegen nämlich die Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungstatbestands, hier § 615 Satz 1 BGB, vor. Die Beklagte befand sich am 08.04.2021 mit der Annahme der Dienste des Klägers in Verzug.
a) Annahmeverzug setzt das Angebot der vom Arbeitgeber durch sein Direktionsrecht (§ 106 GewO) konkretisierten Arbeitsleistung voraus. Die Arbeitsleistung ist vom Arbeitnehmer gemäß § 294 BGB in eigener Person zur rechten Zeit am rechten Ort und in rechter Weise anzubieten (Schaub/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 19. Aufl. 2021, § 95 Rn. 26).
b) Danach befand sich die Beklagte am 08.04.2021 mit der Annahme der Dienste des Klägers in Verzug. Der Kläger hat an jenem Tag um 07:30 Uhr seine Arbeitsleistung telefonisch bei dem zuständigen Arbeitszeitgestalter der Beklagten angeboten. Mit diesem Angebot hat der Kläger die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zur rechten Zeit am rechten Ort erbracht. Dem Kläger war für den 08.04.2021 ein unkonkreter Springerdienst im Sinne des § 4 f Abs. 8 BVA zugewiesen worden. In diesen Fällen war für das ordnungsgemäße Angebot an jenem Tag ein telefonisches Angebot bei dem Arbeitszeitgestalter erforderlich, aber auch ausreichend. Ein persönliches Aufsuchen der Stammdienststelle war nicht (mehr) vorgeschrieben. Die anderslautende Regelung in § 4 f Abs. 8 Satz 3 BVA, nach der im Falle eines nicht näher konkreten Springerdienstes ein Einfinden am Dienstort geschuldet war, war – unstreitig – wegen der Coronapandemie abgeändert worden.
c) Dem Kläger war für den 08.04.2021 auch ein unkonkreter Springerdienst zugewiesen. Die Beklagte hat diesen Springerdienst nicht durch Ausübung ihres Direktionsrechts von einem unkonkreten auf einen konkreten Springerdienst nach § 4 f Abs. 8 Satz 1 BVA konkretisiert, insbesondere nicht durch die Zuteilung eines konkreten Springerdienstes am 07.04.2021 um 13:20 Uhr. Die entsprechende Dienstplanänderung ist dem Kläger nicht zugegangen und ist ihm gegenüber deswegen auch nicht wirksam geworden.
aa) Das Weisungs- bzw. Direktionsrecht nach § 106 GewO ist als Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB ein Gestaltungsrecht. Es wird demzufolge durch Gestaltungserklärung ausgeübt. Bei dieser handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (BAG vom 16.04.2015 – 6 AZR 242/14 – Juris, Rn. 24).
bb) Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB mit ihrem Zugang wirksam. Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören auch die von ihm zur Entgegennahme von Erklärungen bereitgehaltenen Einrichtungen, wie Briefkasten, Postfach, E-Mail-Postfach oder Anrufbeantworter. Vollendet ist der Zugang erst, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist (Grüneberg, 81. Auflage 2022, § 130, Rn. 5).
cc) Die Beklagte hat nicht nachweisen können, dass dem Kläger die Mitteilung über die Änderung des Dienstplans zugegangen ist.
Den Vortrag des Klägers, er habe sich den Dienstplan im Internet nicht angeschaut, hat die Beklagte nicht widerlegt. Ihr bloßes Bestreiten mit Nichtwissen, dass dem Kläger die Dienstplanänderung nicht bekannt gewesen sei, reicht nicht aus, da die Beklagte für den Zugang ihrer Direktionsrechtsausübung als einer für sie günstige Tatsache darlegungs- und beweisbelastet ist.
Den Telefonanruf des Arbeitszeitgestalters, in dem dieser dem Kläger die Änderung des Dienstplans mitteilen wollte, hat der Kläger unstreitig nicht entgegengenommen, so dass die Information über die Dienstplanänderung auf diesem Weg nicht in seinen Empfangsbereich gelangt ist.
Allerdings ist die dem Kläger übersandte SMS in den Empfangsbereich des Klägers gelangt. Das Gericht geht nach den Erörterungen im Berufungstermin davon aus, dass die SMS auf dem Handy des Klägers eingegangen ist. Anderenfalls wäre bei der Beklagten ein entsprechender Hinweis auf die fehlende Zustellbarkeit der SMS eingegangen. Der Kläger hat insoweit auch eingeräumt, dass bestimmte SMS bei ihm von vornherein in einen Ordner sortiert werden, dessen Inhalt er dann gelegentlich löscht und eingeräumt, dass dies möglicherweise auch bei der hier in Rede stehenden SMS des Arbeitszeitgestalters vom 07.04.2021 der Fall war.
Mit der Kenntnisnahme des Inhalts der SMS durfte die Beklagte jedoch nicht vor 7:30 Uhr des folgenden Tages rechnen. Die Beklagte konnte unter normalen Umständen nicht davon ausgehen, dass der Kläger diese SMS vor 07:30 Uhr am 08.04.2021 zur Kenntnis nahm. Vorher war eine Kenntnisnahme durch den Kläger nicht zu erwarten. Der Kläger ist nicht verpflichtet, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen.
(1) Beim Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handelt es sich um Arbeitszeit. Der Kläger erbringt mit dem Lesen eine Arbeitsleistung.
(a) Zur im Dienste eines Anderen erbrachten Arbeitsleistung im Sinne von § 611 a Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede im Synallagma vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG vom 18.03.2020 – 5 AZR 36/19 – Juris, Rn. 15 mit Hinweisen zur ständigen Rechtsprechung).
(b) Danach verlangt die Beklagte vom Kläger eine Arbeitsleistung, wenn sie von diesem erwartet, eine dienstliche SMS zu lesen oder sich über Zeit und Ort seiner Arbeitsaufnahme im Internet zu informieren. Denn damit handelt der Kläger ausschließlich zur Befriedigung eines fremden Bedürfnisses, nämlich des Bedürfnisses der Beklagten, die ordnungsgemäßen Organisation ihrer Arbeitsabläufe durch eine sachgemäße Personalplanung zu gewährleisten. Dabei setzt die Arbeitsleistung des Klägers in dem Moment ein, indem er eigene Bemühungen anstellen muss (Aufrufen der SMS und Lesen des Inhalts/Einblick in den Dienstplan im Internet). Dagegen ist die bloße Entgegennahme eines Telefonats oder einer mündlichen Weisung zwar möglicherweise ein Verstoß der Beklagten gegen das Recht des Klägers „auf Unerreichbarkeit“ (hierzu: Bayreuther, Mehr Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsumfangs?, NZA-Beilage 2018, 103, 107 m.w.N.), ändert aber am Zugang der Weisung nichts.
In seiner Freizeit steht dem Kläger dieses Recht auf Unerreichbarkeit zu. Freizeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer/innen in diesem Zeitraum den Arbeitgeber/innen nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. In dieser Zeit müssen sie gerade nicht fremdnützig tätig sein und sind nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungieren nicht als Arbeitskraft. Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht (LAG Thüringen, Urteil vom 16.05.2018 – 6 Sa 442/17 – Juris, Rn. 43). Ob der Kläger einer Weisung, die ihm in seiner Freizeit zur Kenntnis gelangt ist, folgen müsste, braucht hier nicht entschieden zu werden.
(c) Der Einschätzung, dass das Lesen der SMS zur Arbeitszeit des Klägers zu rechnen ist, steht der zeitlich minimale Aufwand, der mit dem Aufrufen und Lesen einer SMS verbunden ist, nicht entgegen. Arbeit wird nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt. Das Recht auf Nichterreichbarkeit dient neben der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers durch Gewährleistung ausreichender Ruhezeiten (§ 5 Abs. 1 ArbZG) auch dem Persönlichkeitsschutz (LAG Thüringen, aaO.). Es ist also auch dann zu beachten, wenn – wie hier – die Ruhezeit nach § 5 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz durch die Arbeitsaufnahme nicht unterbrochen wird, weil diese zum Zeitpunkt der Dienstplanänderung bereits abgelaufen war (zum Meinungsstand hierzu: Baeck/Deutsch/Winzer, Arbeitszeitgesetz, 4. Auflage 2020, § 5 Rn. 14/14 a).
(2) Die Beklagte durfte und musste nach der Verkehrsanschauung damit rechnen, dass der Kläger die ihm übersandte SMS erst mit Beginn seines Dienstes um 07:30 Uhr zur Kenntnis nahm. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kläger verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehört auch die in seiner Freizeit bei ihm eingegangenen dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zur Kenntnis zu nehmen.
dd) Der Kläger hat sich auch nicht treuwidrig verhalten, indem er auf die Telefonate nicht reagiert, die SMS nicht zur Kenntnis genommen und auch nicht in den Dienstplan im Internet Einsicht genommen hat, um sich über seinen Dienstbeginn zu informieren.
(1) Verhindert ein Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen (treuwidrige Zugangsvereitelung). Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich dafür als Verstoß gegen bestehende Pflichten zur Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen. Lehnt er etwa grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste (KR-Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzrecht, 13. Auflage 2022 – § 4 KSchG, Rn. 170 zur Zugangsvereitelung bei Kündigungserklärungen).
(2) Der Kläger verhält sich nicht treuwidrig, wenn er darauf besteht, in seiner Freizeit keiner dienstlichen Tätigkeit nachzugehen. Er lehnt im Sinne der oben dargestellten Rechtslage die Entgegennahme der Weisung durch die Beklagte nicht grundlos ab. Vielmehr verhält sich die Beklagte widersprüchlich, wenn sie einerseits dem Kläger Freizeit gewährt und andererseits von ihm verlangt, Arbeitsleistungen zu erbringen. Die von der Beklagten angenommene Nebenpflicht, sich in seiner Freizeit nach seinen Dienstzeiten zu erkundigen, besteht nicht.
d) Zum Zugangszeitpunkt um 07:30 Uhr war die Weisung an den Kläger, seinen Dienst um 06:00 Uhr in P. anzutreten, zeitlich bereits überholt. Sie ist dann von der Beklagten auf Nachfrage auch nicht aufrechterhalten worden. Eine andere Arbeitsleistung ist ihm für jenen Tag nicht zugewiesen worden. Damit befand sich die Beklagte mit der Annahme der Dienste des Klägers auch nach 7:30 Uhr in Verzug.
e) Der Umfang der Gutschrift für jenen Tag, nämlich 11 Stunden, ist zwischen den Parteien unstreitig.
II. Der Antrag zu 3. ist ebenfalls begründet. Dem Kläger steht auch für den 15.09.2021 die nunmehr noch geltend gemachte Gutschrift für 0,75 Stunden zu. Der Anspruch folgt allerdings nicht aus den §§ 611 a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB, sondern vielmehr als Schadensersatzanspruch aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB.
1. Die Beklagte befand sich am 15.09.2021 ab 07:30 Uhr nicht mit der Annahme der Dienste des Klägers in Verzug.
a) Der Kläger hat an diesem Tag um 07:30 Uhr seine Arbeitsleistung entsprechend § 4 f Abs. 8 Satz 3 BVA angeboten. Bis zum Zeitpunkt des Telefonats war der dem Kläger zugeteilte unkonkrete Springerdienst durch die Beklagte nicht weiter konkretisiert worden.
Die Beklagte hatte zwar am 14.09.2021 den Dienstplan des Klägers geändert und ihm einen konkreten Springerdienst zugewiesen. Die Dienstplanänderung ist dem Kläger jedoch nicht vor 07:30 Uhr am 15.09.2021 zugegangen. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden. Der Kläger hat erklärt, er habe sich nicht im Internet über die Dienstplanänderung informiert, die SMS sei bei ihm nicht eingegangen und die E-Mail habe er, so hat er im Berufungstermin ausgeführt, auch erst später gelesen. Damit ist von einem Zugang der Dienstplanänderung um 07:30 Uhr auszugehen.
b) Um 07:30 Uhr ist dem Kläger dann aber gesagt worden, er müsse nunmehr seinen Dienst „sofort“ in P. aufnehmen. Gegen diese Weisung und die darin liegende Mitteilung der Dienstplanänderung wendet sich der Kläger auch nicht. Er meint, ihm müsse die Fahrtzeit nach P. gutgeschrieben werden. Während der Fahrt nach P. befand sich die Beklagte aber nicht im Annahmeverzug. Die Fahrt zum Arbeitsplatz ist nicht Teil der vom Kläger geschuldeten Arbeitsleistung, so dass er in diesem Zeitraum die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug versetzen kann.
Tatsächlich meint der Kläger, wie er dann auf Befragen im Berufungstermin ausgeführt hat, die Zeit für die Fahrt zum Arbeitsort P. am 15.09.2021 müsse ihm gutgeschrieben werden, weil ihn die Beklagte erst um 07:30 Uhr über die Änderung des Dienstortes informiert habe, sodass er seine Arbeitsleistung nicht pünktlich habe anbieten können. Damit macht der Kläger der Sache nach einen Verzugsschadensersatzanspruch geltend, nicht aber einen Anspruch aus Annahmeverzug.
a) Wie gerade ausgeführt, hat der Kläger im Berufungstermin klargestellt, dass auch ein Schadensersatzanspruch wegen der verspäteten Mitteilung des Dienstes Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sein soll. Soweit darin eine Klageänderung liegt, ist sie jedenfalls sachdienlich und damit zulässig. Im Übrigen hat die Beklagte hiergegen auch keine Einwendungen erhoben.
b) Die Beklagte hat eine Leistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis verzögert erfüllt im Sinne der §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Sie ist nach § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Klägers verpflichtet. Zu diesen Interessen gehört es, dass dem Kläger der Beginn seiner Dienstzeit so rechtzeitig mitgeteilt wird, dass er den Arbeitsort noch pünktlich aufsuchen kann, um dort seine Arbeitsleistung aufzunehmen und damit „sein Geld zu verdienen“. Diese Leistungspflicht verletzt die Beklagte, wenn sie ihm erst um 07:30 Uhr mitteilt, dass er nunmehr unverzüglich in P. seinen Dienst antreten muss.
c) Einer Mahnung der Beklagten im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB bedurfte es nicht. Diese ist nämlich nach § 286 Abs. 2 Satz 1 BGB hier entbehrlich, weil für den Zeitpunkt, an dem dem Kläger der Beginn seiner Arbeitszeit mitzuteilen ist, eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, § 286 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach § 4 f Abs. 8 Satz 1 BVA ist die Beklagte verpflichtet, unkonkret zugeteilte Springerdienste im Tagdienst bis spätestens 20:00 Uhr des Vortags zu konkretisieren. Das hat die Beklagte hier nicht getan. Ihre entsprechenden Mitteilungen sind dem Kläger nicht zugegangen.
d) Die Verletzung dieser Leistungspflicht erfolgt auch schuldhaft im Sinne des § 286 Abs. 4 BGB. Der Arbeitszeitgestalter der Beklagten, dessen Verschulden der Beklagten gemäß § 278 Satz 1 BGB zuzurechnen ist, hat fahrlässig gehandelt. Er hat nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, § 276 Abs. 2 BGB, beachtet.
Der Beklagten war bekannt, dass der Kläger nicht bereit ist, in seiner Freizeit Informationen über seine Dienstplangestaltung entgegenzunehmen. Zum hier streitigen Zeitpunkt im September hatte der Kläger wegen dieses Sachverhalts bereits eine entsprechende Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben. Die Beklagte hätte daher die Arbeitszeitkonkretisierung gegenüber dem Kläger früher vornehmen müssen, was ihr für den 15.09. auch möglich gewesen wäre, da der der Konkretisierung des Springerdienstes zugrundeliegende Ausfall eines anderen Mitarbeiters bei der Beklagten bereits am 12.09. um 20:14 Uhr erfolgte. Die Beklagte hätte daher jedenfalls am 13.09. noch den Dienstplan ändern können. Die entsprechende Mitteilung hätte der Kläger auch zur Kenntnis nehmen können, da er an diesem Tag noch Dienst hatte.
Im Übrigen hat die Beklagte zur Exkulpation auch nur vorgetragen, sie besetze die konkreten Springerdienste möglichst spät, um noch eine entsprechende Personalreserve vorhalten zu können. Damit übernimmt sie aber selbst das Risiko, einen Mitarbeiter nicht erreichen zu können.
e) Der wegen der verspäteten Mitteilung beim Kläger eingetretene Schaden ist der Verlust der Gutschrift für die objektiv für die Fahrt zur Dienststelle aufzuwendende Zeit. Die beträgt nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien im Berufungstermin jedenfalls die hier vom Kläger verlangten 45 Minuten, die demnach auf seinem Arbeitszeitkonto 1 gutzuschreiben sind.
III. Der Antrag zu 2. ist ebenfalls begründet. Die Beklagte muss die Abmahnung vom 30.09.2021 aus der Personalakte des Klägers entfernen. Diese verletzt das Persönlichkeitsrecht des Klägers und ist damit rechtswidrig.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seinen Personalunterlagen verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, ausnahmsweise den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 19. Auflage, § 132 Rn. 31).
2. Danach ist die Beklagte zur Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte des Klägers verpflichtet. Diese enthält eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens des Klägers.
Dem Kläger wird vorgeworfen, er verletze seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, wenn er nicht von sich aus in den Dienstplan sehe und prüfe, wann und wo er für den eingeteilten Dienst am Folgetag zu erscheinen habe. Dabei geht die Beklagte in der Abmahnung davon aus, dass diese Pflicht gerade auch in der Freizeit des Klägers bestehe.
Diese rechtliche Bewertung ist unzutreffend. Zur näheren Begründung wird auf die obigen Ausführungen unter I. verwiesen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Beklagte hat auch die Kosten hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Berufung zu tragen, weil dieser Teil nur die Gutschrift für 1,22 Stunden betrifft, die mit der Höhe der erzielten Vergütung zu bewerten sind. Dieser Wert ist im Vergleich zum Gesamtstreitwert verhältnismäßig geringfügig. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.