Monatsarchiv 17. Juni 2023

VonRA Moegelin

Einstweilige Verfügung auf Streikuntersagung bei REWE

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Das Arbeitsgericht Köln hat eine einstweilige Verfügung (e.V.) auf Streikuntersagung bei einem REWE-Logistikstandort abgewiesen, da es an einer für die Stattgabe der e.V. erforderlichen offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Streikmaßnahme fehle.

Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte am REWE-Logistikstandort Köln-Langel zu einem Streik vom 06.06.2023, 0.00 Uhr bis zum 07.06.2023, 24.00 Uhr aufgerufen. Dagegen richtete sich ein am Vormittag des 06.06.2023 beim Arbeitsgericht eingegangener Antrag der REWE Markt GmbH im Eilrechtsschutz, der auf Unterlassung des Aufrufs bzw. der Durchführung des Streiks gerichtet war. Ver.di wendete in der mündlichen Verhandlung ein, den Streik bereits am frühen Nachmittag beendet zu haben, worauf REWE die Gefahr der Wiederaufnahme geltend machte. Die 17. Kammer des Arbeitsgerichts Köln wies den Antrag am frühen Abend des 06.06.2023 zurück, ließ die Frage der Bedeutung einer möglichen Fortführung des Streiks jedoch offen.

REWE hatte den Antrag insbesondere darauf gestützt, dass die Gewerkschaft im Streikaufruf neben drei weiteren Forderungen das Streikziel „Gemeinsame Beantragung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarifverträge des Groß- und Außenhandels NRW“ formuliert hatte. Dieses Streikziel verletze die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter wie auch die positive Koalitionsfreiheit und sei zudem nicht erstreikbar, weil es sich um eine nur schuldrechtlich mögliche Regelung der Tarifpartner handele.

Die Kammer begründete durch ihren stellvertretenden Vorsitzenden, Richter am Arbeitsgericht Busch, ihre Entscheidung maßgeblich damit, dass für den Erlass der begehrten Verfügung eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Streikmaßnahme vorliegen müsse, an der es fehle. Grund dafür sei der Umstand, dass es zur Zulässigkeit des angegriffenen Streikziels weder eine gesicherte Rechtsprechung noch eine klare wissenschaftliche Lage gebe.

Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 06.06.2023 – 17 Ga 27/23. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Dr. Gilberg als stv. Pressedezernent
(Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Köln vom 07.06.2023)

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen Eigenbedarf – LG Berlin – 66 S 170/22

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Hat im Vorfeld einer Eigenbedarfskündigung die Bedarfsperson eine von ihr genutzte Wohnung an den kündigenden Vermieter zurückgegeben, damit dieser die Wohnung leer stehend zu einem besseren Kaufpreis veräußern kann, und kündigt der Vermieter daraufhin eine andere vermietete Wohnung, um die Bedarfsperson nunmehr dort unterzubringen, so ist die Eigenbedarfskündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die veräußerte und die gekündigte Wohnung im wesentlichen vergleichbare Eigenschaften aufweisen, und wenn die Voraussetzungen einer Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB im Verhältnis zum gekündigten Mieter nicht vorgelegen hätten. (Orientierungssatz)

Volltext des Urteils des Landgerichts Berlin vom 02.06.2023 – 66 S 170/22:

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Kreuzberg vom 18.05.2022, Az. 25 C 211/21, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Kreuzberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.639,16 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Randnummer1

Anstelle des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen. Zu ergänzen ist nach Maßgabe der §§ 313a Abs. 1 Satz1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO lediglich, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2023 persönlich angehört wurde; für die Inhalte der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

II.

Randnummer2

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat die Klage auf Räumung und Herausgabe der vom Beklagten genutzten Wohnung im Ergebnis mit Recht abgewiesen.

Randnummer3

1. Dem Berufungskläger ist allerdings darin recht zu geben, dass der Eigenbedarfskündigung nicht schon die formal ausreichende Begründung nach § 573 Abs. 3 BGB fehlt. Diese Begründung des Amtsgerichts für die Abweisung der Klage überzeugt nicht.

Randnummer4

Der Begründungszwang soll dem Mieter Klarheit über seine Rechtsposition verschaffen und ihn in die Lage versetzen, alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen. Diesem Zweck hat jedenfalls die in der Klageschrift vom 18.11.2021 wiederholend ausgesprochene Kündigung entsprochen. Der schon zuvor dargelegte Umstand, dass der Ehemann des Klägers nach Verkauf seiner bisherigen nun die gekündigte Wohnung als Hauptwohnsitz nutzen wolle, wurde belastbar mit Hintergründen untermauert, wonach der Kläger durch den Verkauf einer seiner Wohnungen Rücklagen bilden wolle. Er habe sich aus wirtschaftlichen Gründen zum Verkauf der Wohnung des Ehemanns entschlossen, weil diese als (dann) freistehende Wohnung zu einem höheren Verkaufspreis veräußert werden könne. Der Zweck des Begründungserfordernisses im Verhältnis zum Beklagten war damit erfüllt.

Randnummer5

2. Materiell ist die Eigenbedarfskündigung des Klägers gleichwohl unwirksam. Der darin geltend gemachte Wohnbedarf ist durch die Umgehung der Kündigungsbeschränkungen aus § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB vom Kläger und seinem Ehemann geschaffen worden. Gegenüber dem Wohnraummieter, dessen Schutz die Beschränkung der Befugnisse des Eigentümers in § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB dient, ist eine solche Umgehung rechtsmissbräuchlich.

Randnummer6

a) Die Dispositionen des Klägers über seine Wohnungen hatten ihren zentralen Grund nicht darin, dass auf der Grundlage geänderter Lebensverhältnisse und -bedürfnisse ein neu entstandenes oder erweitertes Eigennutzungsinteresse umgesetzt werden sollte, wie es eine Verdrängung eines Wohnraummieters nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB voraussetzt. Es ging dem Kläger stattdessen darum, eine seiner Wohnungen zu veräußern (also zu verwerten i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Da mit dieser Begründung das Mietverhältnis des Beklagten nicht wirksam hätte gekündigt werden können (s.u.), dem Kläger ihm gegenüber eine solche Disposition also nicht zustand, bedeutet es einen Rechtsmissbrauch des Klägers, den bestehenden Schutz seines Mieters durch ein Zusammenwirken mit seinem Ehemann zu umgehen.

Randnummer7

Wegen der Kündigungshindernisse im Verhältnis zum Beklagten hat der Kläger seine Pläne in die Rechtsbeziehungen zwischen sich und seinem Ehemann verschoben. Da in diesem Verhältnis parallele Interessen an einer möglichst optimalen Gewinnerzielung bei einem Verkauf bestehen, kam es dort erwartungsgemäß nicht zu dem Widerstand gegen die Verwertung, den der Mieter nach den Maßstäben von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erfolgreich hätte leisten können. Erst und nur durch diese Verschiebung ist künstlich und (im Verhältnis zum Beklagten) willkürlich ein vermeintlich „neuer“ Wohnbedarf des Ehemanns des Klägers entstanden. Mit auf diesem Umweg mutwillig „Kündigungstatbestand“ eines (bis dahin vollständig befriedigten) Eigenbedarfs wird unter Umgehung der gesetzlichen Beschränkungen für eine Verwertungskündigung die Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten ausgehebelt.

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b) Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann die Verwertungsabsicht des Eigentümers die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses nur rechtfertigen, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wäre und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Diese Voraussetzungen hätten zugunsten des Klägers für keine der beiden Wohnungen vorgelegen, also weder für die ursprünglich genutzte Wohnung seines Ehemanns, noch für die Wohnung des Beklagten.

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(1) Zum Bedarf seines Ehemanns hat der Kläger vorgetragen, die benötigte Wohnung solle zu Wohnzwecken und für die gewerbliche Tätigkeit des Ehemanns (als Immobilienverwalter) genutzt werden; hierzu seien (vorhandene) kleinere Wohnungen nicht geeignet, sondern allein die Wohnung des Beklagten mit 3 Zimmern und einer Größe von 96,10 m². Eine solche Wohnung (die später verkaufte) hatte der Kläger allerdings seinem Ehemann bereits überlassen. Sie befand sich in identischer Lage wie die Wohnung des Beklagten (im Nebenhaus G.straße 57), hatte (mindestens) 3 Zimmer und eine Größe von ca. 100 m². Den Bedarf seines Ehemanns hatte der Kläger also durch Überlassung dieser Wohnung bereits perfekt abgedeckt. Ein „qualitativ“ darüber hinaus gehendes Nutzungsinteresse des Ehemanns hat sich vor und nach der streitgegenständlichen Kündigung zu keinem Zeitpunkt ergeben; die Wohnung des Beklagten verfügt über keinerlei zusätzliche, ausgeprägtere oder „bessere“ Eigenschaften, als diejenige Wohnung, die der Kläger seinem Ehemann bereits überlassen hatte.

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(2) Die einzige Neuerung in den Absichten des Klägers bestand darin, für eine seiner Wohnungen einen optimalen Verkaufspreis erzielen zu wollen, was nach seiner Vorstellung nur bei einer leer stehenden Wohnung gewährleistet war. Dieses reine Verwertungsinteresse steht einem Eigenbedarf rechtlich aber nicht gleich. Es ist genießt nach der gesetzlichen Konzeption (nur) den (geringeren) Schutz gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Im Falle einer Verwertung sind also die aus § 903 BGB resultierenden weitgehenden Befugnisse des Eigentümers deutlich stärker eingeschränkt, als bei einem der Geltendmachung von Eigenbedarf. Ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrages ein erheblicher Nachteil entsteht, ist (auch) vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) und dem Interesse des Mieters am Verbleib in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu beurteilen.

Randnummer11

Ein ausreichendes Verwertungsinteresse ist in extrem gelagerten Fällen anerkannt worden, in denen Komplettsanierungen ganzer Immobilien oder der Abriss von Baulichkeiten nötig wurden, um eine wirtschaftlich vertretbare Nutzung des Grundstückes zu etablieren. Ähnlich schwerwiegend können die Interessen des Eigentümers sein, wenn das Mietverhältnis deshalb „im Wege ist“, weil eine Veräußerung des Objektes mit dem bestehenden schuldrechtlichen Vertrag überhaupt nicht möglich ist, weil es dafür keinen Markt (insbesondere keine Nachfrage) gibt.

Randnummer12

Von solchen Voraussetzungen kann am Berliner Immobilienmarkt ersichtlich keine Rede sein. Es ist gerichtsbekannt, dass vermietete Immobilien in Berlin besonders ausgeprägt gehandelt werden, und dass ein bestehender Mietvertrag bei einem Objekt keineswegs ein ernst zu nehmendes Hindernis für eine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit darstellt. Bei Marktteilnehmern, die an einer Bewirtschaftung der Immobilie interessiert sind, stellt ein bestehender Mietvertrag die Grundlage für die Bewirtschaftung dar, nicht aber einen schwerwiegenden Hinderungsgrund für den Erwerb. Nichts grundlegend Anderes gilt hinsichtlich der Marktteilnehmer mit einem unmittelbaren Eigennutzungswunsch, die im Falle des Erwerbs einer vermieteten Wohnung die ihnen gesetzlich zugestandenen Möglichkeiten zu Eigenbedarfskündigung umfassend nutzen können und dies in der gerichtlichen Praxis auch erfolgreich tun.

Randnummer13

Die Existenz eines funktionierenden Marktes gerade auch für das streitgegenständliche Objekt erweist sich im Übrigen auch daran, dass der Beklagte bereits seit 1997 Mieter des Objektes ist, und dass mindestens 2 Weiterverkäufe des bereits langjährig vermieteten Objektes aktenkundig sind, insbesondere auch der Erwerb durch den Kläger, der angesichts der als Anlage K1 vorliegenden Nachtragsvereinbarung von 2005 das Objekt erst zeitlich später erworben haben kann, weil die genannte Vereinbarung noch zwischen dem Beklagten und einer Voreigentümerin geschlossen worden ist.

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(3) Über solche Konstellationen hinaus gewährt das Eigentum dem Vermieter keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen (BVerfG NJW 1992, 361; BGH NZM 2011, 773; 2009, 234). Der Umstand, dass der Vermieter bei einem Verkauf der Wohnung in unvermietetem Zustand einen höheren Verkaufserlös erzielen würde als in vermietetem Zustand, begründet kein berechtigtes Interesse i.S.v § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die bloße Erzielung eines Mehrerlöses kann keinen tragfähigen Kündigungsgrund bilden (vgl. m.w.N. Blank/Börstinghaus/Siegmund; Rz. 77 f. zu § 573 BGB).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 ZPO.

Randnummer16

Die Revision wird nicht zugelassen, weil der Entscheidung die Würdigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls zugrunde liegt. Eine generelle Klärung besonders praxisrelevanter Fragen ist ebenso wenig erforderlich, wie eine Abweichung von tragenden Rechtssätzen obergerichtlicher Entscheidungen.

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VonRA Moegelin

Ãœberlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung

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Die vereinbarte Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung ist regelmäßig eine Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung und damit ein Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO*. Der Wert dieses Sachbezugs beläuft sich grundsätzlich auf 1 % des Listenpreises des PKW zzgl. Sonderausstattungen und Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Erstzulassung. Nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO darf dieser Wert allerdings nicht die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts übersteigen. Der unpfändbare Betrag des Entgelts muss dem Arbeitnehmer in Geld ausgezahlt werden. Zur Ermittlung des pfändbaren Teils des Einkommens sind Geld- und Sachleistungen nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften zusammenzurechnen. Nicht einbezogen wird dabei der steuerlich zu berücksichtigende geldwerte Vorteil für die Nutzung des PKW auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb in Höhe von monatlich 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer (sog. 0,03 %-Regelung).

Der verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten in der Marketing-Abteilung beschäftigt. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses hat die Beklagte ihm anstelle einer Entgelterhöhung einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen. Die Entgeltabrechnungen des Klägers weisen neben dem Bruttomonatsgehalt (zuletzt 4.285,00 Euro) geldwerte Vorteile für die PKW-Nutzung (445,00 Euro) und die Entfernungskilometer (747,60 Euro) zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (56 km) aus. Aus der Summe dieser drei Beträge hat die Beklagte nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung das Nettoentgelt und nach weiterem Abzug der beiden geldwerten Vorteile den Auszahlungsbetrag errechnet.

Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – Vergütungsdifferenzen im Nettoentgelt iHv. 29.639,14 Euro für die Zeit von Januar 2017 bis April 2020 verlangt. Er hat geltend gemacht, bei Zahlung der Vergütung, die neben Geld auch den Sachbezug der Privatnutzungsmöglichkeit des PKW umfasse, seien die Pfändungsgrenzen, die sich aus drei Unterhaltspflichten ergäben, nicht beachtet worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung der geforderten Nettovergütungsdifferenzen verurteilt.

Die hiergegen gerichtete, vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Beklagten hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Berufungsgericht hat bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens iSv. § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO zu Unrecht den nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG** zu bemessenden Wert für die Nutzung des überlassenen Fahrzeugs für den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte einbezogen. Zur Berechnung des pfändbaren Einkommens sind nach § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO*** Geld- und Naturalleistungen zusammenzurechnen. Zu Letzteren gehört die Überlassung eines dienstlichen PKW zur privaten Nutzung. Der Wert beträgt 1 % des Listenpreises. Keine Naturalleistung iSd. vollstreckungsrechtlichen Bestimmung stellt der nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG anzusetzende geldwerte Vorteil für die Nutzung des Fahrzeugs auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb in Höhe von monatlich 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer dar. Hierbei handelt es sich nicht um einen Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO, sondern um einen steuerrechtlich relevanten Korrekturposten für den pauschalen Werbungskostenabzug. Er ist daher bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens nach § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO nicht einzubeziehen. Von dem – somit niedriger als vom Landesarbeitsgericht angenommen – anzusetzenden Betrag sind gem. § 850e Nr. 1 ZPO Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Abzug zu bringen. Aus dem so ermittelten pfändbaren Einkommen sind sodann nach Maßgabe von § 850c ZPO und der einschlägigen Pfändungsfreigrenzenbekanntmachungen die Pfändungsgrenzen zu ermitteln. Dabei ist Abs. 6 dieser Regelung, wonach nach billigem Ermessen Einkünfte der unterhaltsberechtigten Person (hier des Ehegatten) ganz oder teilweise berücksichtigt werden können, entsprechend anzuwenden. Nachdem das Landesarbeitsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat und auch die für die Berechnung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge erforderlichen Tatsachen vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind, war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 273/22 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. Februar 2022 – 9 Sa 407/21 –

*§ 107 Abs. 2 GewO lautet:
…
„(2) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer keine Waren auf Kredit überlassen. Er darf ihm nach Vereinbarung Waren in Anrechnung auf das Arbeitsentgelt überlassen, wenn die Anrechnung zu den durchschnittlichen Selbstkosten erfolgt. Die geleisteten Gegenstände müssen mittlerer Art und Güte sein, soweit nicht ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen worden ist. Der Wert der vereinbarten Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt darf die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen.“

**§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG lautet:

„Kann das Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sowie Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 genutzt werden, erhöht sich der Wert in Satz 2 für jeden Kalendermonat um 0,03 Prozent des Listenpreises im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 2 für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeits-stätte sowie der Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3.“

***§ 850e Nr. 1 und Nr. 3 ZPO lautet:

„Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens gilt Folgendes:

1. Nicht mitzurechnen sind die nach § 850a der Pfändung entzogenen Bezüge, ferner Beträge, die unmittelbar auf Grund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind.
…
3. Erhält der Schuldner neben seinem in Geld zahlbaren Einkommen auch Naturalleistungen, so sind Geld- und Naturalleistungen zusammenzurechnen. …“

(Pressemitteilung Nr. 26/23 des Bundesarbeitsgerichts vom 31.05.2023)

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