Monatsarchiv 25. April 2020

VonRA Moegelin

Kündigung wegen Verstoß gegen Pflicht zur Rücksichtnahme

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Die nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen beinhaltet für ranghohe Vertriebsmitarbeiter, bei dienstlichen Veranstaltungen mit potentiellen Kunden auf Äußerungen zu verzichten, die nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Frage stellen oder verharmlosen. Dies gilt unabhängig davon, welche Äußerungen außerhalb dienstlicher Veranstaltungen von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt wären. Eine Verletzung dieser Rücksichtnahmepflichten kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. (Leitsatz)

Volltext des Urteils des LArbG Berlin-Brandenburg LAG Berlin-Brandenburg vom 17.01.2020 – LAG 9 Sa 434/19

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28.11.2018 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

I. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.

2 Der 1966 geborene, einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 1. April 2014 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und seit 1. September 2017 bei der Beklagten als Senior Key Account Manager gegen ein Jahresgrundgehalt von 105.600,00 Euro zuzüglich einer erfolgsabhängigen variablen Vergütung, einem auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellten Dienstwagen und einem Mietzuschuss für eine Wohnung im Vertriebsgebiet tätig. Die Beklagte beschäftigt über zehn Arbeitnehmer, ein Betriebsrat ist gebildet.

3 Aufgabe des Klägers ist u.a. die Bewerbung von Produkten der Beklagten, Aufbau und Pflege regionaler Meinungsbildner und die Teilnahme an internationalen Kongressen und Veranstaltungen (s. i.E. Anlage 1 zum Arbeitsvertrag Bl. 30 d.A.). Gemäß dem Arbeitsvertrag vom 22./26. September 2017 (s. i.E. Bl. 23 ff d.A.) wird die Arbeitszeit an vier Werktagen im Vertriebsgebiet und an einem Werktag in Berlin, d.h. im home office erbracht. Für eine erforderliche Arbeit am Wochenende zwecks Teilnahme an Messen und Fortbildungsveranstaltungen trafen die Parteien eine gesonderte Vergütungsvereinbarung (s. Bl. 31,32 d.A.).

4 In dem Arbeitsvertrag vom 22./26. September 2017 vereinbarten die Parteien u.a. unter Ziffer 1.4.: „Der Mitarbeiter … wird seine fachlichen Kenntnisse ausschließlich GR [der Beklagten] zur Verfügung stellen und innerhalb und außerhalb seiner Tätigkeit die berechtigten Interessen der GR und der G…R… Firmengruppe wahren.“

5  Mit Schreiben vom 29. März 2018 mahnte die Beklagte den Kläger ab und führte hierzu aus, er habe die Eintragungen in dem Zeiterfassungssystem CRM (für: Customer Relationship Management System) nicht vorgenommen und solle dies unverzüglich nachholen. Weiter wurde der Kläger zu einem Personalgespräch am 18. April 2018 einbestellt. Am 3. April 2018 stellte der Kläger weitere Aufzeichnungen zu seiner Tätigkeit zur Verfügung.

6 Ab dem 4. April 2018 befand sich der Kläger zusammen mit seiner Vorgesetzten Frau St. auf einem internationalen gynäkologischen Fachkongress in Barcelona. Am Morgen des 6. April 2018 forderte Frau St. den Kläger auf, das Hotel zu verlassen, ein Rückflug für den Kläger noch für denselben Tag wurde gebucht.

7 Mit Schreiben vom 6. April 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe nach der Abmahnung vom 29. März 2018, zugestellt am 31. März 2018, am 3. April 2018 eine nur lückenhafte Dokumentation eingereicht, für im Einzelnen genannte Tage seien keine Arbeitsleistungen dokumentiert, es bestehe der Verdacht des Arbeitszeitbetruges. Es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu. Darüber hinaus erteilte die Beklagte dem Kläger mit diesem Schreiben vorsorglich weitere Abmahnungen (s. i.E. Bl. 113,114 d.A.).

8 Mit Schreiben vom 12. April 2018, zugestellt am 18. April 2018 erklärte die Beklagte die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wandte sich an die Beklagte und fragte nach den Gründen für die Kündigung. Die Beklagte führte hierzu am 20. April 2018 aus:

9 „Herr H. befand sich seit dem 4. April 2018 auf einem Kongress in Barcelona. Am 5. April 2018 fand ein Abendessen statt, an dem außer Herrn H. noch seine Kollegin Frau Sch., seine Vorgesetzte Frau Andrea St. sowie drei Kunden der G. R. Pharma GmbH teilnahmen. Im Rahmen des Abendessens begann Herr H. am Tisch eine politische Diskussion über die Wahlen in Russland, die Bundeskanzlerin, den russischen Präsidenten, geheime Manipulationen und Demokratie. Im Verlauf der angestoßenen Diskussion wechselte Herr H. sodann das Thema und erklärte, es gebe Beweise, dass die historische Darstellung der Judendeportation im dritten Reich in vielen Punkten „mediengesteuert“ sei und es „Beweise“ gebe, dass überhaupt keine Judendeportation stattgefunden habe. Er berief sich in diesem Zusammenhang auf angeblich manipulierte Fotografien von Eisenbahnschienen, die es zum Zeitpunkt der Deportationen nicht gegeben habe und Gutachten über das Alter der Tinte auf den Tagebüchern von Anne Frank, die nach seinen Erklärungen die Berichte über die Deportation von Juden widerlegen. Herr H. machte sich mit seinen Äußerungen diese Verschwörungstheorien zu eigen. Mit seinen Äußerungen traf Herr H. eine der eingeladenen und anwesenden Kundinnen persönlich, da deren Familie nach eigener Aussage von den Deportationen des NS- Regimes unmittelbar betroffen war. Frau St. musste den Redefluss von Herrn H. aktiv unterbrechen, um schlimmeres zu verhindern.“

10 Mit Schreiben vom 14. April 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie habe gestern eine Auswertung erhalten, die seine nunmehr erfolgten Eintragungen im CRM-System den Reisekostenabrechnungen gegenüberstelle. Der Kläger habe Tage als Besuchstage deklariert und die Verpflegungskostenpauschale geltend gemacht, obwohl keine Eintragungen über Besuche vorlägen, die dies rechtfertigen könnten (s. i.E. Bl. 104-106 d.A.). Es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen binnen sieben Tagen (s. im Einzelnen Bl. 74 d.A.).

11 Mit Schreiben vom 2. Mai 2018 erklärte die Beklagte eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses und beruft sich zur Begründung auf den Verdacht eines Reisekostenbetruges. Die Kündigung wurde dem Kläger am 7. Mai 2018 zugestellt.

12 Mit weiterem Schreiben vom 3. Mai 2018 erklärte die Beklagte eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses und beruft sich zur Begründung auf den Verdacht des Arbeitszeitbetruges bzw. der Arbeitsverweigerung. Die Kündigung wurde dem Kläger am 7. Mai 2018 zugestellt.

13 Mit seiner am 27. April 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 12. April 2018 geltend gemacht und zur Begründung ausgeführt, die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Er habe das Gespräch in Barcelona weder geleitet noch das Thema „fake news“ aufgebracht. Er habe weder die Authentizität des Tagebuchs der Anne Frank noch Verbrechen der Nationalsozialisten, den Holocaust oder den Völkermord an Juden in Frage gestellt. Es sei eine Diskussion über verschiedene aktuelle Themen geführt worden. Die Diskussion über Wahlen in Russland und mögliche Manipulationen hätten zu einem Meinungsaustausch über teilweise auch von den Medien gesteuerte Manipulationen geführt. An dieser Stelle habe er gemeint, er habe gelesen, dass selbst die Tagebücher der Anne Frank möglicherweise nachträglich ergänzt wurden. Hiermit habe er den Völkermord und die Judendeportationen nicht in Abrede gestellt und sei sehr betroffen gewesen, als Frau Dr. M. mitgeteilt habe, sie habe Familienmitglieder im KZ verloren. Frau Dr. M. habe ihn – ohne sich zu erheben – gefragt, ob er glaube, dass es die Judendeportationen nicht gegeben habe. Er habe daraufhin ausdrücklich entgegnet „Nein, das will ich in keiner Form in Abrede stellen und wollte dies niemals zum Ausdruck bringen.“ Er habe sich darüber hinaus nach dem Abendessen bei Frau Dr. M. im Beisein von Dr. E. entschuldigt. Nachdem Frau Dr. M. die Entschuldigung angenommen habe, habe er sie und Herrn Dr. E. zurück zum Hotel begleitet. Die Beklagte gebe hier Abläufe bewusst wahrheitswidrig wieder. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates werde bestritten.

14 Mit seiner am 28. Mai 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 2. Mai 2018 und vom 3. Mai 2018 geltend gemacht und ausgeführt, für diese gebe es keinen Grund, die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB werde ebenso wie die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten.

15 Er habe sowohl gegenüber Frau St. als auch gegenüber der für die Datenpflege zuständigen Mitarbeiterin Frau M. immer wieder mitgeteilt, er könne Eintragungen in das CRM-System nicht vornehmen, weil eine Vielzahl seiner ärztlichen Kunden nicht in das System eingepflegt seien und eine Dokumentation deshalb nur lückenhaft möglich sei. Er habe an den genannten Tagen Kunden besucht bzw. sei in das Vertriebsgebiet angereist, wie näher ausgeführt wird. Man könne nicht anhand der lückenhaften CRM-Eintragungen die Reisekostenabrechnung prüfen.

16 Die angeblichen Betriebsratsanhörungen gebe die Beklagte wahrheitswidrig wieder. Frau Sch. als Betriebsratsmitglied und Teilnehmerin der Veranstaltung in Barcelona habe ihn am 9. April 2018 angerufen, um ihn zu angeblich lückenhafter Dokumentationen im Zusammenhang mit einer beabsichtigten fristgemäßen Kündigung anzuhören. Noch am selben Tag habe sie ihn betreffend die Vorgänge in Barcelona angerufen. Er habe gebeten, am nächsten Tag hierüber zu sprechen, da er im Moment keinen klaren Gedanken fassen könne. Am 10. April 2018 habe ihn Frau Sch. erneut in Gegenwart weiterer Betriebsratsmitglieder angerufen und ihm gegenüber erklärt, sie habe den Verlauf des Abends nicht so gravierend eingeschätzt.

17 Der Kläger hat beantragt,

18 festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten noch durch die hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 12.04.2018, vom 02.05.2018 und vom 03.05.2018 beendet worden ist.

19 Die Beklagte hat beantragt,

20 die Klage abzuweisen.

21 Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt: Die Kündigung vom 12. April 2018 sei gerechtfertigt. Hierzu beruft sich die Beklagte auf Äußerungen des Klägers auf einer internationalen Fachtagung für Gynäkologen in Barcelona am 5. April 2018 im Rahmen eines dienstlichen Abendessens wie mit Schreiben vom 20. April 2018 mitgeteilt. Nach den Äußerungen des Klägers habe sich Frau Dr. M. erschüttert erhoben, auf die in Auschwitz getötete Familie ihres Mannes verwiesen und dem Kläger vorgehalten, er wolle wohl nicht im Ernst behaupten, diese Verbrechen hätten nicht stattgefunden. Um Schlimmeres zu verhindern habe die Vorgesetzte des Klägers Frau St. den Redefluss des Klägers aktiv unterbrochen und ihn angewiesen, seine Ausführungen umgehend zu beenden und keine Diskussionen über Politik und Religion zu führen. Nach einiger Zeit betretenen Schweigens sei es der Frau Sch. gelungen, auf ein neutrales Gesprächsthema zu wechseln. Die Gesprächsrunde sei zeitnah nach diesem Vorfall aufgelöst und die Zusammenkunft beendet worden. Der Kläger habe sich nicht bei der Zeugin Dr. M. entschuldigt, sondern vielmehr den Rückweg gemeinsam mit dieser und ihrem Kollegen angetreten, was offensichtlich unangebracht gewesen sei. Die beiden Kunden hätten den Kläger unter dem Vorwand abgeschüttelt, noch ein Fast-Food-Restaurant aufsuchen zu wollen. Am nächsten Morgen habe Herr Dr. E. gegenüber Frau St. erklärt, Frau Dr. M. werde von der Teilnahme an weiteren Abendveranstaltungen absehen, wenn der Kläger ebenfalls anwesend sei.

22 Die Wiedergabe von Behauptungen, mit denen Kriegsverbrechen gegen die jüdische Bevölkerung in Abrede gestellt werden, sei sowohl im betrieblichen Kontext als auch gegenüber Kunden ein untragbares Verhalten, das ihren Interessen zuwiderlaufe und geeignet sei, einen schwerwiegenden Ansehensverlust herbeizuführen.

23 Der Betriebsrat sei mit Schreiben per Mail vom 6. April 2018 an den Betriebsratsvorsitzenden zu der beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört worden (s. Bl. 85 f d.A.) und habe nach einer außerordentlichen Sitzung vom 9. April 2018 mitgeteilt, er habe keine Einwände gegen die fristlose Kündigung, die vom Kläger getätigten Äußerungen seien aus Sicht des Betriebsrats eine schwerwiegende Verfehlung und geeignet, den Ruf und das Ansehen des Unternehmens zu schädigen.

24 Die Kündigung vom 2. Mai 2018 sei aufgrund des Verdachts zu Unrecht abgerechneter Reisekosten erfolgt. Nachdem der Kläger auf die Abmahnung hin am 3. April 2018 eine CRM-Dokumentation eingereicht habe, sei sie in der Lage gewesen, die Januar bis März 2018 eingereichten Reisekostenabrechnungen zu überprüfen. Der Kläger habe in diesem Zeitraum den 8., 22., 25., 31. Januar 2018 und den 8. Februar 2018 als „Besuchstage“ mit einer sich aus dieser Angabe ergebenden Arbeitsdauer von jeweils mehr als 8 Stunden deklariert (s. im Einzelnen Bl. 88 d.A.), obwohl dies angesichts der angegebenen Anfahrt Berlin-Gießen nicht zutreffen könne, und damit zu Unrecht die Zahlung einer Verpflegungskostenpauschale von je 12,00 Euro ausgelöst.

25 Am 26. April 2018 habe der Betriebsrat eine außerordentliche Sitzung abgehalten. Sie habe den Betriebsrat an diesem Tag zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers unter Aushändigung des Anhörungsschreibens vom 14. April 2018 nebst Reisekosten und CRM-Dokumentation angehört. Der Betriebsrat habe noch am selben Tag zu der beabsichtigten Kündigung Stellung genommen und keine Einwände erhoben.

26  Die Kündigung vom 3. Mai 2018 sei aufgrund des Verdachts zu Unrecht dokumentierter Arbeitszeiten erfolgt. Nachdem der Kläger am 3. April 2018 die lückenhaft ergänzte Fassung seiner CRM-Dokumentation eingereicht habe, habe sie diese mit den Urlaubs- und Krankmeldungen abgeglichen und festgestellt, dass für den 7./8. November 2017, den 19./21./22. Dezember 2017, den 7./14. Februar und den 20./22./23. und 26. März 2018 keine Arbeiten dokumentiert seien, obwohl der Kläger stets den Eindruck erweckt habe, er habe an diesen Tagen gearbeitet. Soweit der Kläger geltend mache, bestimmte Kunden seien nicht im CRM-System eingepflegt, stehe dies Eintragungen nicht entgegen, da das CRM-System auch über ein Freitextfeld verfüge, in dem man Angaben machen könne.

27 Sie habe den Betriebsrat per Mail mit Schreiben vom 28. April 2018 zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers angehört (s. Bl. 139,14 d.A.). Der Betriebsrat habe keine Einwendungen erhoben.

28 Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe am Abend des 05. April 2018 in einem Gespräch in einem Restaurant in Barcelona die Judendeportation geleugnet durch Vernehmung der Zeuginnen Andrea St., Dr. med. Barbara M., Anja Sch. und des Zeugen Dr. med. Ph. E.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Wiedergabe der Tonaufzeichnung der Beweisaufnahme Bezug genommen (s. Bl. 348-376 d.A.).

29 Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Klägers durch Teilurteil vom 28. November 2018 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die fristlose Kündigung vom 12. April 2018 sei wirksam, weil der Kläger die ihm obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf Interessen der Beklagten verletzt habe, indem er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Abendessens am 5. April 2018 gegenüber den Zeugen den Holocaust zumindest in Frage gestellt und verharmlost habe. Er habe auch nach seinen Ausführungen das Gespräch im Zusammenhang mit Manipulationen auf das Tagebuch der Anne Frank gebracht, hierzu erklärt, man wisse von diesem, dass es erst nach dem Krieg geschrieben worden sei, und weiter ausgeführt, es habe Schienen vom Bahnhof zum Konzentrationslager nicht gegeben, diese seien erst in den 50-er Jahren verlegt worden. Ein solches Verhalten vor Kunden sei geeignet, diese von einem weiteren Kontakt mit der Beklagten abzuhalten. In Abwägung der beiderseitigen Interessen sei der Beklagten eine weitere Beschäftigung des Klägers auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

30 Gegen dieses ihm am 6. Februar zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Februar 2019 Berufung eingelegt, diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 4. Mai 2019 begründet und hierzu geltend gemacht: Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe er am 5. April 2018 den Holocaust gegenüber den vernommenen Zeugen weder geleugnet noch in Frage gestellt oder verharmlost. Das Arbeitsgericht habe Beweis erhoben über die Behauptung, er habe die Judendeportation geleugnet. Dies sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Fall gewesen. Das Gespräch am 5. April 2018 habe in informeller Runde stattgefunden, die Gesprächsteilnehmer hätten auch Alkohol konsumiert. Seine Äußerungen seien im Zusammenhang mit Themen wie Trump, Putin, „fake news“ und zweifelhafte Informationen in den Medien gefallen. Hier habe er weitere Beispiele erwähnt, die nach seiner Wahrnehmung ebenfalls als zweifelhafte Informationen in den Medien dargestellt wurden. Hintergrund seiner Äußerungen sei eine in der Vergangenheit in den Medien wiedergegebene Auseinandersetzung über den Entstehungszeitpunkt und die Autorenschaft des Tagebuches der Anne Frank. Ebenso sei in den Medien darüber berichtet worden, es würde in rechtsextremen Kreisen und Foren behauptet, es existierten Fotografien, auf denen Gleise zur Dokumentation von Judendeportationen abgebildet seien, die tatsächlich erst nach 1945 gebaut worden seien oder die aus einer Stahllegierung bestünden, die erst in den 50-er Jahren entwickelt wurde. Er habe lediglich auf diese von dritter Seite aufgestellten Behauptungen hingewiesen und geäußert, „man“, also Dritte, behaupteten zu wissen, dass das Tagebuch der Anne Frank erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden sei und Deportationsschienen erst in den 50-er Jahren errichtet worden seien. Er selbst habe dies nicht behauptet, wie auch die Beweisaufnahme ergeben habe. Ihm sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen, das den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigen könne.

31 Ausweislich der eingelegten der Berufung greife er erkennbar die Kündigungen an, aus der Geltendmachung von weiteren Forderungen durch den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ergebe sich kein Anerkenntnis der Wirksamkeit der Kündigungen.

32 Der Kläger beantragt,

33 das am 28.11.2018 verkündete Teilurteil des Arbeitsgerichts Berlin, Az. 3 Ca 6032/18 und 3 Ca 13624/18 abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten noch durch die hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 12.04.2018, vom 02.05.218 und vom 03.05.2018 beendet worden ist.

34 Die Beklagte beantragt,

35 die Berufung zurückzuweisen.

36 Zur Begründung führt die Beklagte aus, die Berufung sei bereits deshalb unzulässig, jedenfalls aber unbegründet, weil der Kläger ohne Vorbehalt und unbedingt Ansprüche geltend mache, die nur im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen könnten.

37 Auch unabhängig hiervon sei die Berufung unbegründet. Die vom Arbeitsgericht festgestellte Verletzung von Rücksichtnahmepflichten liege vor. Der Kläger lege wie bereits erstinstanzlich nicht genau dar, was er in dem Gespräch gesagt und gemeint habe, sondern beschränke sich auf pauschales Bestreiten. Mit den Ausführungen zur Interpretation des Wortes „man“ versuche er eine Distanzierung herzustellen, die es so nicht gegeben habe. Keiner der Zeugen habe die Äußerungen des Klägers im Sinne eines Berichtes über historisch unhaltbare Aussagen aufgefasst oder im Sinne eines distanzierten Hinweises auf Behauptungen von dritter Seite.

38 Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten zu Äußerungen des Klägers betreffend eine Verharmlosung des Holocaust am 05. April 2018 anlässlich des Abendessens in Barcelona durch Vernehmung der Zeuginnen Dr. med. Barbara M. und Andrea St. sowie des Zeugen Dr. med. Ph. E..

39 Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17. Januar 2020 Bezug genommen.

40 Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

41 Die Berufung ist zulässig.

42 Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b), c) ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).

B.

43 Die Berufung ist nicht begründet.

44 Zwar kann sich der Kläger trotz Geltendmachung von Forderungen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzen, auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen. Hierin liegt kein hinreichend deutlicher Verzicht auf Rechtsmittel oder die Berufung auf die Unwirksamkeit der Kündigung.

45 Das Arbeitsverhältnis wurde jedoch durch die außerordentliche Kündigung vom 12. April 2018 aufgelöst, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat.

I.

46 Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – Rn. 13; 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 15, BAGE 146, 303; BAG, Urteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 517/14 –, Rn. 20, juris).

47 Hier liegt mit einer erheblichen Verletzung vertraglicher Pflichten ein Sachverhalt vor, der an sich als wichtiger Grund geeignet ist.

48 Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 293/09 – Rn. 19; 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – Rn. 20, BAGE 132, 72; BAG, Urteil vom 08. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 –, Rn. 19, juris). Darüber haben die Parteien hier im Arbeitsvertrag ausdrücklich die Verpflichtung des Klägers vereinbart, innerhalb und außerhalb seiner Tätigkeit die berechtigten Interessen der Beklagten und der zugehörigen Firmengruppe zu wahren.

49 Hiernach ist der Kläger verpflichtet, im Rahmen dienstlicher Veranstaltungen mit potentiellen Kunden auf Äußerungen zu verzichten, die nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Frage stellen oder verharmlosen. Dies gilt unabhängig davon, welche Äußerungen außerhalb dienstlicher Veranstaltungen von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt wären. Zu den Aufgaben des Klägers als einem ranghohen Vertriebsmitarbeiter gehört die Pflege regionaler Meinungsbildner, die Betreuung von Netzwerken und die ebenfalls der Bewerbung der Produkte der Beklagten dienende Teilnahme an Kongressen. Mit dieser Arbeitsaufgabe, Verbindungen und Kontakte zu pflegen und die Beklagte positiv darzustellen sind Erklärungen nicht vereinbar, die ohne weiteres erkennbar geeignet sind, Kunden abzuschrecken und einen künftigen Kontakt mit dem Kläger als Repräsentanten der Beklagten zu vermeiden und darüber hinaus den Ruf der Beklagten schädigen. Bei Äußerungen, die nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung in Frage oder in Abrede stellen, und dies ohne dass eine Äußerung zu diesen Fragen durch einen Gesprächszusammenhang geboten gewesen wäre, handelt es sich um eine solche Äußerung.

50 Die Beklagte beruft sich auf das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung, indem sie geltend macht, die Wiedergabe von Behauptungen durch den Kläger, mit denen Kriegsverbrechen gegen die jüdische Bevölkerung in Abrede gestellt werden, sei sowohl im betrieblichen Kontext als auch gegenüber Kunden ein untragbares Verhalten, das den arbeitgeberseitigen Interessen zuwiderlaufe und geeignet sei, einen schwerwiegenden Ansehensverlust herbeizuführen.

51 Eine solche an sich als wichtiger Grund geeignete Pflichtverletzung liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor.

52 Bei der Abendveranstaltung am 5. April 2018 handelte es sich für den Kläger um eine dienstliche Veranstaltung. Der Kläger ist arbeitsvertraglich zur Teilnahme an medizinischen Kongressen verpflichtet, zu seinen Aufgaben gehört hierbei auch die Betreuung des Fachpublikums. Das Abendessen wurde sowohl was den Kläger als auch was die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte betrifft von der Beklagten bezahlt. Auch der Kläger macht nicht geltend, er habe sich aus privater Verbundenheit mit anderen Teilnehmenden hier außerhalb seiner Arbeitsbeziehungen zum Abendessen verabredet.

53 Der Kläger hat im Rahmen dieser Veranstaltung am 5. April 2018 Erklärungen abgegeben, die im o.g. Sinne eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen darstellen.

54 Dies ergibt sich, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, aus dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme. Da es hier auf die Äußerungen im Einzelnen und den Gesamteindruck ankommt hat die Berufungskammer gemäß § 398 ZPO die Zeugen erneut vernommen, die ausweislich der erstinstanzlichen Beweisaufnahme Aussagen zu dem fraglichen Gespräch machen konnten. Von einer erneuten Vernehmung der Zeugin Anja Sch. wurde abgesehen, da diese im Rahmen der erstinstanzlichen Vernehmung bekundete, es sei im Gespräch am Tisch plötzlich still geworden, sie könne aber nichts zu dem vorherigen Gesprächsablauf sagen, der hierzu führte.

55 Die Beweisaufnahme vor der Berufungskammer hat zur Begründung dieses Vorwurfs behauptete Äußerungen des Klägers anlässlich dieser Veranstaltung bestätigt. Falls der Vortrag der Beklagten zur Begründung der Kündigung im Sinne einer Behauptung einer ausdrücklichen Erklärung des Klägers, es habe keine Judendeportationen gegeben zu verstehen wäre, hat die Beweisaufnahme dies – wie bereits erstinstanzlich – nicht bestätigt. Die Beweisaufnahme hat aber Äußerungen bestätigt, die im Zusammenhang nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, hier die Deportation von Juden in Vernichtungslager, in Frage stellen.

56 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Berufungskammer hat der Kläger im Rahmen der Abendveranstaltung in Barcelona im Gespräch mit der eingeladenen Ärztin und Zeugin Dr. M. und dem eingeladenen Arzt und Zeugen Dr. E. ausgeführt, es habe den Stift, mit dem das Tagebuch der Anne Frank geschrieben worden sei, seinerzeit nicht gegeben, ebenso Schienen zu einem Konzentrationslager.

57 Die Zeugin Dr. M. bestätigte die Erklärung zu angeblich seinerzeit nicht vorhandenen Schienen zum Konzentrationslager und erinnerte sich an eine Äußerung betreffend das angeblich erst nach dem 2. Weltkrieg geschriebene Tagebuch der Anne Frank.

58 Die Zeugin hat glaubhaft bekundet, der Kläger habe geäußert, es habe Bahnschienen, die nach Auschwitz führten, damals nicht gegeben. Die Zeugin erinnerte sich deutlich, dass im Zusammenhang mit falschen Nachrichten von Bahnschienen die Rede war und gab hierzu wieder, das Stichwort für sie – und ihre folgende Aussage, was der Kläger hiermit sagen wolle – sei Schienen nach Auschwitz gewesen. Es erscheint glaubhaft, dass die Zeugin sich an eine Äußerung erinnert, die dazu führte, dass sie sich erheblich aufregte und unstreitig äußerte ob der Kläger hiermit sagen wolle, es habe die Judenvernichtung nicht gegeben. Eine differenzierte Erinnerung wird auch durch den weiter geschilderten Gesprächszusammenhang bestätigt, hier die Unterbrechung des Gesprächs durch Frau St. und die Erinnerung der Zeugin „Ich war etwas befremdet, dass sie das unterbrach, kann aber verstehen, dass sie als Leiterin wohl keinen lauten Streit wollte“. Die Zeugin vermochte sich auch in groben Zügen, was angesichts des Zeitablaufs nachvollziehbar erscheint, an den weiteren Ablauf zu entsinnen. So gab sie wieder, der Kläger habe sich in die Runde geäußert, es sei um falsche Nachrichten gegangen, es sei über Putin gesprochen worden, wobei sie hier anderer Auffassung gewesen sei, sich aber nicht so aufgeregt habe, es habe weiter eine Äußerung zum Tagebuch der Anne Frank gegeben. Betreffend das Tagebuch der Anne Frank räumte die Zeugin ein, die Äußerung hierzu „müsse“ vor der Äußerung zu den Schienen gefallen sein, weil danach nicht mehr über diese Fragen gesprochen wurde, sie erinnere sich hier aber nicht mehr an den näheren Zusammenhang.

59 Die Zeugin ist glaubwürdig. Sie hat eingeräumt, woran sie sich nicht mehr oder nicht mehr genau erinnern kann und steht in keiner persönlichen Beziehung zum Kläger. Für besondere Beziehungen zur Beklagten über die Rolle als umworbene Ärztin im Sinne des Vertriebes von Medikamenten und Gast der Veranstaltung hinaus bestehen keine Anhaltspunkte. Die Zeugin war bemüht um eine Wiedergabe des Geschehens, dies nicht nur was etwa belastende Äußerungen betrifft. So führte sie zum weiteren Ablauf nach ihrer Frage aus: „Es war vielleicht der Wille da, noch etwas Abmilderndes zu sagen. Jedenfalls hat Herr H. nicht gesagt: Doch, doch, so war es.“ Auch zu der weiteren Begleitung auf dem Heimweg führte die Zeugin aus, der Kläger habe möglicherweise noch das Gespräch gesucht, dieses aber nicht „gefunden“, weil sie kein Interesse hieran gehabt habe.

60 (2) Der Zeuge Dr. E. hat bekundet, der Kläger habe erklärt, es habe den Stift, mit dem das Tagebuch der Anne Frank geschrieben worden sein solle, damals nicht gegeben, ebenso den Stahl der Gleise, die zu KZ’s führen, diese seien im Nachhinein gebaut worden.

61 Der Zeuge hat dies im Rahmen einer zusammenhängenden Darstellung der Abläufe glaubhaft wiedergegeben. Der Zeuge hat ausgeführt, der Kläger habe nicht ausdrücklich den Holocaust in Abrede gestellt, die Äußerung sei aber im Zusammenhang so zu verstehen gewesen: „Ich habe die Äußerung im Kontext so verstanden, dass der Holocaust in Abrede gestellt werden soll. Das hat er so nicht gesagt, im Kontext aber ja“, „Wortwörtlich kann ich das nicht wiedergeben. Ich habe das so verstanden, aber das ist auch eine Interpretation, dass es damals den Stahl nicht gab und deshalb die Gleise nicht gebaut werden konnten. Es stellt sich ja auch die Frage, was das sonst heißen soll.“ Damit hat der Zeuge auch eingeräumt, sich nicht an einen genauen Wortlaut erinnern zu können, was angesichts des Zeitablaufs nachvollziehbar ist. Der Zeuge hat darüber hinaus den gesamten Ablauf nachvollziehbar geschildert, dies einschließlich des Hergangs, wie es zu diesen Äußerungen kam. Hierzu führte der Zeuge aus, der Kläger habe bereits zuvor die Diskussion dominiert und sich positiv über Putin geäußert. Dem hätten andere Teilnehmer widersprochen und gegengehalten. Möglicherweise weil man ihm nicht geglaubt habe, habe der Kläger seine Äußerungen „noch toppen“ wollen, und den anderen Teilnehmern erklärt, was alles so nicht stimmt und in den Medien falsch wiedergegeben werde.

62 Der Zeuge Dr. E. ist glaubwürdig. Anhaltspunkte für eine Verbindung zur Beklagten über die Eigenschaft als umworbener Arzt und Gast bestehen nicht. Der Zeuge steht in keiner persönlichen Beziehung zum Kläger und schilderte lebendig seine Erinnerungen an den Abend, beschrieb auch, was er sich bei Äußerungen dachte, räumte auch eine fehlende genaue Erinnerung ein. Auch wenn es sich bei der Zeugin Dr. M. um eine Kollegin handelt, die dem Zeugen insoweit näherstehen dürfte als der Kläger, gibt es keine Anhaltspunkte für ein Bestreben „zugunsten“ der Zeugin Dr. M. unzutreffend möglichst deren Angaben zu bestätigen. Vielmehr spricht die nicht ganz deckungsgleiche Wiedergabe der Geschehnisse für jeweils eigene konkrete Erinnerungen. Mit seinen Bekundungen zu einem tendenziell provokativen „Toppens“ seiner bisherigen Ausführungen zu falschen Nachrichten durch den Kläger gibt der Zeuge besondere eigene Wahrnehmungen und Einschätzungen wieder.

63 Es gibt auch keine Anhaltspunkte für ein besonderes persönliches Interesse an einem bestimmten Prozessausgang, es steht dem Zeugen wie auch der Zeugin Dr. M. frei, eine Zusammenarbeit mit dem Kläger als Pharmavertreter unabhängig vom Prozessausgang abzulehnen.

64 (3) Die Zeugin St. hat bezeugt, der Kläger habe erklärt, das Tagebuch der Anne Frank habe nicht zum damaligen Zeitpunkt geschrieben werden können, weil es die Kugelschreibertinte zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben habe und es gebe Fotos betreffend Schienen, von denen Transporte stattgefunden haben sollen, die aber nicht stattgefunden haben könnten, weil da keine Gleise gelegt waren und erst nach 1945 gelegt wurden. Auf die Äußerung von Frau Dr. M., er wolle doch wohl nicht behaupteten, dass das alles damals nicht stattgefunden hat, die Familie ihres Mannes sei in Auschwitz ums Leben gekommen, habe sie auf den Tisch geklopft und gesagt, „Politik und Religion haben bei einem solchen Abendessen nichts verloren“, woraufhin zunächst Schweigen geherrscht habe.

65 Die Schilderung der Zeugin ist glaubhaft. Sie hat Details des weiteren Gesprächszusammenhangs erinnert, wonach der Kläger wohl unter Bezug auf Verwandtschaft in Russland ausführte, Putin stehe in Russland gut da, dies könnten die Anderen nicht nachvollziehen. Die Zeugin hat durchaus auch Erinnerungslücken eingeräumt, so erklärte sie, sie könne sich nicht genau erinnern, ob der Kläger von Auschwitz gesprochen habe, jedenfalls habe Frau Dr. M. von Auschwitz gesprochen. Hinsichtlich des Tagebuches der Anne Frank bekundete die Zeugin ausdrücklich eine Erinnerung an das Wort Kugelschreibertinte. Bei der Äußerung betreffend die Schienen hat die Zeugin auch erklärt, diese habe bei ihr ein bestimmtes Bild hervorgerufen: „Ich habe mir bei der Äußerung über die Schienen ein Bild vorgestellt mit einem Bahnhof, bei dem es die Schienen gibt und ein zweites Bild, praktisch retuschiertes Bild ohne die Schienen“. Die Zeugin hat sich hiernach über Abläufe hinaus an Gedanken erinnert, grenzt aber ab, was der Kläger gesagt und was sie sich gedacht hat.

66 Die Zeugin ist glaubwürdig. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Zeugin Arbeitnehmerin der Beklagten und Vorgesetzte des Klägers ist und ihr Handeln als solche zu verantworten hat. Die Zeugin steht insoweit in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Beklagten und hat mutmaßlich ein Interesse an einer Bestätigung ihres Vorgehens. Allein die Stellung „im Lager“ der Beklagten und damit verbundene Eigeninteressen machen die Zeugin aber nicht von vornherein unglaubwürdig. Die Zeugin hat die Abläufe unter Erinnerung an Einzelheiten einprägsame Einzelheiten – die Auflösung des Schweigens durch Frau Anja Sch. mit Äußerungen zu einer Blase, der nicht schmeckende Weißwein – geschildert. Fehlende Erinnerungen an einen genauen Wortlaut hat die Zeugin eingeräumt. Die Zeugin hat ihr Einschreiten erst nach der Äußerung von Frau Dr. M. und nicht bereits vorher eingeräumt.

67 Auch in der Zusammenschau der Zeugenaussagen ergibt sich ein im Wesentlichen gleichermaßen wiedergegebener Ablauf des Gesprächs und Äußerungen des Klägers. Beginnend mit dem Gesprächsanlass Puigdemont, „fake news“ äußerte sich der Kläger im weiteren Gespräch zunächst zu Verhältnissen in Russland, Berichte in den Medien betreffend Putin seien so nicht zutreffend. Im Zusammenhang mit diesem Ansatz, man dürfe nicht alles glauben, was berichtet und gängig als richtig angesehen werde, machte der Kläger Ausführungen zum Tagebuch der Anne Frank, für das der verwendete Stift zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden habe und führte aus, es habe Schienen zum Konzentrationslager so nicht gegeben.

68 Zwar gibt es Unterschiede zu verwendeten Wörtern in den Zeugenaussagen – so wird einerseits ein Stift und andererseits ein Kugelschreiber angegeben, mit dem nach der wiedergegebenen Äußerung des Klägers das Tagebuch der Anne Frank nicht zum damaligen Zeitpunkt geschrieben worden sein könne. Auch bestätigen die Zeuginnen und der Zeuge Äußerungen zu Gleisen, die es nicht gegeben habe, unterscheiden sich aber darin, ob hier von Gleisen zum KZ oder nach Auschwitz die Rede war. Die Unterschiede ändern aber nichts daran, dass der wesentliche Inhalt der Erklärung von allen Zeugen gleich aufgenommen und wiedergegeben wurde – es gab das Schreibwerkzeug, mit dem das Tagebuch der Anne Frank geschrieben wurde, vor 1945 nicht und es gab Schienen zum Konzentrationslager nicht. Hier wäre eine ganz exakte und wortlautgleiche Erinnerung, zumal nach längerer Zeit, eher fragwürdig. Dass die Zeugen eingeräumt haben, mit den Äußerungen des Klägers bestimmte Vorstellungen oder Bilder zu verbinden, die so nicht vom Kläger beschrieben wurden, ändert nichts an der festgestellten Äußerung des Klägers zu damals angeblich nicht vorhandenen Gleisen oder Schienen für Transporte von Juden zum Konzentrationslager. Vielmehr spricht es für die Glaubhaftigkeit der Aussagen, wenn zwischen Gesagten und hierdurch hervorgerufenen Bildern unterschieden wird.

69 Der Kläger hat weder nach den einzelnen Zeugenaussagen noch in der Gesamtschau lediglich ein Missverständnis hervorgerufen. Die Äußerungen des Klägers erfolgten nicht als Beispiel für „fake news“. Dies wurde von beiden Zeuginnen und dem Zeugen nicht so verstanden und liegt auch nach dem Gesprächskontext nicht unbedingt nahe. Unabhängig hiervon hat dies auch der Kläger selbst mit seiner Klage nicht geltend gemacht, sondern sich u.a. auf Ausführungen zum Tagebuch der Anne Frank in Wikipedia und ein Gutachten des Bundeskriminalamts hierzu berufen.

70 Die Äußerungen des Klägers sind geeignet, nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung in Frage oder in Abrede stellen.

71 Die Äußerung zu den angeblich seinerzeit nicht vorhandenen Schienen ist geeignet, den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus in Frage zu stellen. Wenn es die Schienen nicht gab, über die Waggons mit Opfern in Konzentrationslager hätten fahren können, gab es diese Transporte nicht. Auch wenn es vordergründig nur um Schienen gehen mag, stellen Schienen nicht nur ein zentrales Element in den Bildern insbesondere vom Konzentrationslager Auschwitz dar, sondern sind Grundlage der Transporte und damit wesentlicher und erforderlicher Teil des Ablaufes der Massenvernichtung. Entsprechend werden mit dem Hinweis auf fehlende Schienen aufgrund seinerzeit so nicht verfügbarer Metalle oder ähnlichem die Abläufe der Judenvernichtung in Frage gestellt. Was sonst mit einer solchen Aussage erklärt werden soll, vermochte auch der Kläger nicht zu erläutern. Insoweit räumt der Kläger ein, er habe die Frage der Schienen angesprochen, erklärt aber nicht, was damit gemeint sein soll.

72 Dies wird durch die weitere Äußerung, es habe den Stift, mit dem das Tagebuch der Anne Frank geschrieben worden sei, damals nicht gegeben bestätigt. Auch hiermit wird geltend gemacht, Abläufe betreffend verfolgte Juden im Nationalsozialismus – hier der Jüdin Anne Frank – seien in Wirklichkeit anders abgelaufen, als in der Geschichtsschreibung wiedergegeben. Ungeachtet der vor längerer Zeit hierzu geführten öffentlichen Diskussion werden jedenfalls Abläufe im Zusammenhang mit der Verfolgung von Juden als bisher öffentlich falsch wiedergegeben dargestellt.

73 Der Kläger hat sich nicht umgehend von seinen Äußerungen distanziert. Entsprechend kann dahingestellt bleiben, ob solchen Äußerungen bei einer sofortigen anderslautenden Erklärung eine andere Bedeutung zukommen könnte. Soweit der Kläger hierzu erstinstanzlich vorgetragen hat, er habe auf die Frage von Frau Dr. M. ob er glaube, es habe die Judendeportationen nicht gegeben, ausdrücklich erklärt, das wolle er in keiner Form in Abrede stellen und habe dies nicht zum Ausdruck bringen wollen, wurde dies durch die Beweisaufnahme widerlegt. Eine solche Erklärung wurde im Rahmen sowohl der erst- als auch der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme von keiner Zeugin und keinem Zeugen bekundet. Im Übrigen läge auch hierin keine Erklärung, was demgegenüber richtigerweise mit den Äußerungen gemeint sein soll. Es mag zutreffen, dass der Kläger „entschuldigendes gemurmelt“ hat, wie Frau Dr. M. in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bekundet hat. Eine Entschuldigung, die auf die erkennbare Betroffenheit von Frau Dr. M. Bezug nimmt, stellt die erfolgte Erklärung als solche nicht in Frage. Mit der Entschuldigung wird zum Ausdruck gebracht, man hätte sich so nicht geäußert, wenn man die Reaktion und die emotionale Betroffenheit vorhergesehen hätte.

74 Eine Äußerung zu diesen Fragen war nicht durch einen Gesprächszusammenhang geboten. Es wurde keine Frage an den Kläger gestellt, die er zu beantworten hatte und bei deren Beantwortung auch die Meinungsfreiheit des Klägers eine Rolle spielen könnte. Vielmehr hat der Kläger von sich aus und ohne einen vorgegebenen Gesprächszusammenhang die oben genannten Erklärungen abgegeben.

75 Ob Äußerungen im Falle eines erheblichen Alkoholkonsums anders zu bewerten wären, kann dahingestellt bleiben. Nach den Aussagen der Zeuginnen und des Zeugen wurde nicht viel Alkohol konsumiert. In erster Linie käme es hier ohnehin auf den Kläger an. Der Kläger selbst macht nicht geltend, er habe in erheblichem Maße Alkohol konsumiert.

76 Es handelt sich um rufschädigende Äußerungen, die ohne weiteres erkennbar geeignet sind, Kunden abzuschrecken und diese zu veranlassen, den künftigen Kontakt mit dem Kläger als Repräsentanten der Beklagten zu vermeiden.

77 Erklärungen, man dürfe nicht alles glauben, was berichtet und gängig als richtig angesehen werde, zu angeblich nicht vorhandenen Gleisen zum Konzentrationslager und dies im weiteren Zusammenhang mit Ausführungen zum ausweislich des verwendeten Schreibwerkzeugs nicht zur damaligen Zeit geschriebenen Tagebuch der Anne Frank sind geeignet, Teilnehmende und potentielle Kunden abzuschrecken. Dies insbesondere, wenn es sich nicht um ein von Teilnehmenden aufgebrachtes Thema handelt, sondern durch einen Vertriebsvertreter ungefragt Ausführungen zu angeblich unzutreffenden Annahmen zur Judenverfolgung gemacht werden. Letztlich werden Teilnehmende bei solchen Erklärungen in die Lage gebracht, entgegen den üblichen Gepflogenheiten eines freundlichen Austauschs und abseits von den Themen des Kongresses Stellung zu nehmen, wenn eine solche Äußerung nicht einfach im Raum stehen bleiben soll. Dies wird an der Reaktion der Ärztin Dr. M. deutlich, gilt aber auch unabhängig hiervon.

78 Wenn Vertreter eines Arzneimittelherstellers anlässlich von Veranstaltungen und Kongressen Ausführungen machen, Abläufe im Zusammenhang der Judenverfolgung seien so unzutreffend, schädigt dies auch den Ruf eines Unternehmens. Das Unternehmen wird wahrgenommen als auf der Seite von Verschwörungstheorien aus dem rechten Spektrum stehend.

79 Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls nicht, auch nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat

80 Die Kontakt- und Imagepflege ist eine zentrale Aufgabe des Klägers. Die Pflichtverletzung betrifft diese zentrale Aufgabe und wiegt deshalb besonders schwer.

81 Bei dem Kläger handelt es sich um einen gehobenen Vertriebsmitarbeiter („Senior Key Account Manager“), dessen Aufgabe wesentlich darin besteht, die Produkte der Beklagten und die Beklagte durch Beziehungen zu Kunden und Meinungsbildern in ein positives Licht zu stellen. In diesem Sinne soll der Kläger gemäß der Stellenbeschreibung durch Aufbau und Pflege regionaler Meinungsbildner, Betreuung von Netzwerken und Teilnahme an bundesweiten und internationalen Kongressen und Veranstaltungen wirken. Äußerungen des Klägers werden angesichts seiner Position der Beklagten zugerechnet. Im Hinblick hierauf sind Äußerungen, die geeignet sind, die Beklagte als Pharmahersteller in ein schlechtes Licht zu stellen und einen weiteren Kontakt eher zu vermeiden, auch nicht vorübergehend hinnehmbar. Um solche Äußerungen geht es hier. Die erfolgten Erklärungen sind nicht nur für etwaige jüdische Teilnehmerinnen und Teilnehmer geeignet eine deutliche Abwehrreaktion hervorzurufen. Dies wird durch die Reaktion von Frau Dr. M. bestätigt. Dass der Kläger vermutlich nicht wusste, dass sich unter seinen Zuhörern jemand mit Beziehungen zu Opfern des Holocaust befindet, ändert hieran nichts. Die Äußerungen werden dadurch nicht hinnehmbar.

82 Es handelt sich hier um eine Pflichtverletzung deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist, weshalb eine vorherige Abmahnung entbehrlich ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 –, BAGE 150, 109-116, Rn. 22). Dem Kläger musste bekannt sein, dass er die Beklagte als Senior Key Account Manager gegenüber Meinungsbildnern und eingeladenen Kongressteilnehmern vertritt und hierbei Äußerungen zu unterlassen hat, die ohne Veranlassung zu einer Stellungnahme zu solchen Fragen Abläufe der Judenvernichtung im Nationalsozialismus in Frage stellen. Es ist ohne weiteres erkennbar, dass solche Äußerungen nicht nur im Falle Teilnehmender mit Beziehungen zu Opfern der Judenvernichtung abschreckend wirken und keine Grundlage für eine künftige gute Kontaktpflege bieten können.

83 Es liegt keine besonders lange Betriebszugehörigkeit vor, die zugunsten des Klägers zu berücksichtigen wäre. Es handelt sich um ein Arbeitsverhältnis mit einer überschaubaren Betriebszugehörigkeit von vier Jahren. Das Arbeitsverhältnis war nicht unbelastet, sondern durch eine Abmahnung aufgrund nicht erfüllter Dokumentationspflichten belastet. Es handelt sich bei der mit dieser Abmahnung angemahnten Dokumentation der Arbeitsleistungen auch um keine offensichtlich unberechtigte Anforderung. Vielmehr ist nachvollziehbar, dass die Beklagte vom Kläger als Vertriebsmitarbeiter solche Angaben erwartet. Soweit der Kläger hierzu geltend macht, er habe diese Dokumentationspflichten mangels geeigneter Systemvorgaben nicht erfüllen können, erscheint dies angesichts von Freifeldern schwer nachvollziehbar. Auch die nachgereichten Angaben erscheinen eher rudimentär. Es mag zutreffen, dass die Beklagte im Hinblick auf die eher lückenhaften Angaben zu Arbeitsleistungen – auch gegenüber eher lückenlos angesetzten Verpflegungspauschalen – oder auch aus sonstigen Gründen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstrebte. Dies hindert die Beklagte aber nicht daran, sich zur Begründung der Kündigung vom 12. April 2018 auf die streitgegenständlichen Äußerungen des Klägers zu berufen, die nicht von der Beklagten veranlasst wurden.

84 Die demgegenüber zugunsten des Klägers zu berücksichtigende Unterhaltspflicht führt demgegenüber in der Abwägung zu keinem anderen Ergebnis.

II.

85 Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam.

86 Die Beklagte hat nach ihrem Vortrag den bestehenden Betriebsrat unter Mitteilung der Kündigungsgründe mit E-Mail des Geschäftsführers vom 6. April 2018, dem Betriebsratsvorsitzenden zur Verfügung gestellt am selben Tage um 19.22 Uhr, unter Angabe der Sozialdaten und der Kündigungsgründe zu einer beabsichtigen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört. Der Betriebsrat hat hiernach am 9. April 2018 eine außerordentliche Sitzung abgehalten und nach dieser Sitzung mitgeteilt, es bestünden keine Einwände gegen die Kündigung.

87 Diese Abläufe einschließlich des Inhaltes des Schreibens vom 6. April 2018 bestreitet der Kläger nicht näher. Der Kläger beruft sich lediglich auf ein weiteres Gespräch mit Frau Sch. als Betriebsratsmitglied und Teilnehmerin der Veranstaltung in Barcelona, die ihn auf seine Bitte am 10. April 2018 in Gegenwart weiterer Betriebsratsmitglieder angerufen habe, sowie eine ihm gegenüber erfolgte Mitteilung von Frau Sch., sie habe den Verlauf des Abends nicht so gravierend eingeschätzt. Der seitens der Beklagten behauptete Ablauf wird durch ein späteres weiteres Telefonat mit Frau Sch. ebensowenig wie durch eine etwa von der Entscheidung des Betriebsratsgremiums abweichende Einschätzung von Frau Sch. in Frage gestellt. Entsprechend ist von der vorgetragenen abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats auszugehen.

88 Unabhängig hiervon wäre selbst im Falle einer fehlenden Stellungnahme bis zu der außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 12. April 2018 die Frist gemäß § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG abgelaufen gewesen. Eine abweichende anderweitige Stellungnahme des Betriebsrats behauptet auch der Kläger nicht.

89 Eine Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 BetrVG wurde auch mit der Berufung nicht weiter geltend gemacht.

III.

90 Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

C.

91 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

D.

92 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

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VonRA Moegelin

Verabredete Schriftform des Arbeitsvertrages – LAG München 3 Sa 205/19

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Verabreden die Parteien, dass der Bewerberin ein schriftlicher Arbeitsvertrag zugesandt werden soll, wird ein Arbeitsvertrag erst geschlossen, wenn beide Parteien ein Arbeitsvertragsformular unterzeichnet haben.

Diesem Leitsatz des Landesarbeitsgerichts München – LAG 3 Sa 205/19 liegen folgende Rechtsausführungen zugrunde:

Ein Arbeitsvertrag bedarf nicht der Schriftform. Er kann mündlich oder sogar konkludent geschlossen werden. Es kann aber auch verabredet werden, den Vertrag schriftlich zu schließen. Hierzu führt das LAG München in oben angeführter Entscheidung folgendermaßen aus:

Ein Arbeitsvertrag ist mangels verabredeter Schriftform nicht geschlossen worden, § 154 Abs.2 BGB. Nach der gesetzlichen Auslegungsregel des § 154 Abs.2 BGB ist ein Vertrag im Zweifel bis zu seiner Beurkundung nicht geschlossen, wenn eine Beurkundung des beabsichtigten Vertrags verabredet worden ist. Die Beurkundungsabrede im Sinne des § 154 Abs.2 BGB, die auch Schriftformvereinbarungen umfasst, liegt vor, wenn die Beurkundung Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vertrags sein und nicht bloß Beweiszwecken dienen soll (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14.02.2017 –10 U 107/16 –Rn. 55). Sie bedarf ihrerseits keiner bestimmten Form und ist deshalb auch durch schlüssiges Verhalten möglich (vgl. MünchKomm, BGB/Busche, 8. Aufl. 2018, § 154 Rn. 12 m.w.N.), etwa durch Austausch von schriftlichen Entwürfen oder durch Herstellung einer Vertragsurkunde (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Auflage 2019,§ 154 Rn. 4). Für den Willen der Parteien, eine Beurkundung nur zu Beweiszwecken zu vereinbaren, müssen konkrete Anhaltspunkt vor-liegen. Nach der gesetzlichen Auslegungsregel des § 154 Abs.2 BGB ist im Zweifelsfall von der Konstitutivität der Beurkundung auszugehen. Deshalb trägt bei unstreitiger Formabrede derjenige, der geltend macht, die Beurkundung solle nur Beweiszwecken dienen, die Darlegungs-und Beweislast (vgl. BAG, Urteil vom 16.01.1997 –2 AZR 35/96 –II.3.b) der Gründe; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.11.2006 –5 Sa 142/05 –unter B.II.2.b) aa) der Gründe; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.07.2017 –5 Sa 252/16 –Rn. 48 m.w.N.). Sind solche besonderen Anhaltspunkte nicht von der Partei, die sich auf die lediglich deklaratorische Beurkundung beruft, vorgetragen und bewiesen,oder sind solche Anhaltspunkte nicht ersichtlich, bleibt es bei der Auslegungsregel des § 154 Abs.2 BGB (vgl. BAG,   Urteil   vom   16.01.1997 –2   AZR   35/96 –unter   II.3.d   der   Gründe).b) Danach ist ein Arbeitsvertrag zwischen den Parteien nicht geschlossen worden.

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VonRA Moegelin

Mehrflugdienststundenvergütung für Cockpitpersonal

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Die Zahlung einer gestaffelt höheren Mehrflugdienststundenvergütung für das Cockpitpersonal einer Fluggesellschaft, bei der die Zahlung der (nächst-)höheren Stundenvergütung an das Erreichen bestimmter fester Arbeitsstunden pro Monat geknüpft ist, stellt keine nach § 4 Abs. 1 TzBfG unzulässige Benachteiligung von Teilzeitkräften dar. Die Mehrflugdienststundenvergütung dient nicht der zusätzlichen Vergütung einer erbrachten höheren Arbeitsleistung, sondern soll die erhöhte Belastung der Mitarbeiter ausgleichen und die Arbeitgeberin, wie schon die Staffelung der zu leistenden Mehrzahlungen zeigt, von einer zu hohen Inanspruchnahme der Beschäftigten abhalten. Bei einer tariflichen Regelung, derzufolge allein die Grundvergütung für die Berechnung der Jahresrentenbausteine maßgeblich ist, hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch, die tatsächlich für die erbrachte Arbeitsleistung zu beanspruchende (Durchschnitts-)Vergütung als rentenfähg heranzuziehen.

LAG München, Urteil vom 19.11.2019 – 6 Sa 370/19 (Leitsatz)

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VonRA Moegelin

Diskriminierung durch Forderung nach Gleichwertigkeitsgutachten

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Ein Gleichwertigkeitsgutachten das für einen Hochschulabschluss aus Rumänien erbracht werden muss, stellt eine mittelbare Diskriminierung dar. Daraus folgt, dass dem Stellenbewerber eine Entschädigung gemäß §§ 15 Abs. 2, 3 Abs. 2 AGG zu zahlen ist.

Volltext des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.01.2020 – 5 Sa 1163/19

Leitsatz

  1. Vorliegend wirkt sich die Regel, dass unaufgefordert ein Gleichwertigkeitsgutachten für einen Hochschulabschluss auch aus dem Land Rumänien erbracht werden muss, im Wesentlichen gegenüber Personen aus, die rumänischer Herkunft sind. Erfahrungsgemäß sind es diese Personen, die rumänische Hochschulabschlüsse erwerben. Insofern ist von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen.
  2. Der EuGH leitet aus der Grundfreiheit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern nach Art. 45 AEUV ab, dass eine einstellende Behörde selbst eine Prüfung der Gleichwertigkeit bei Hochschulabschlüssen innerhalb der EU vorzunehmen hat (EuGH 06.10.2015 – C-298/14 – Rn. 54,57).

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 05. März 2019, Aktenzeichen – 7 Ca 1043/18 – teilweise abgeändert:

I. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 4.075,76 Euro zu zahlen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtstreits haben die Klägerin 74 % und das beklagte Land 26 % zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1 Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin eine Entschädigung wegen Diskriminierung in Höhe von 3 Bruttomonatsentgelten auf der Basis einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 13 TV-L, Stufe 5 (insgesamt 15.898,47 €) zu zahlen.

2 Die 1974 in Rumänien geborene und dort aufgewachsene Klägerin hat zwischen Oktober 1995 und Juni 2000 an der Universität Cluj-Napoca (Klausenburg) studiert. Sie hat das Studium mit einem Diplom in Nutztierwissenschaften abgeschlossen. Nach einer weiteren Studienphase von Oktober 2000 bis Februar 2002 an der gleichen Universität erwarb die Klägerin ein Masterdiplom (Anlagen K1). Nach einer Übersiedlung nach Deutschland studierte die Klägerin zwischen Juli 2002 bis März 2004 an der Fachhochschule Weihenstephan (Abschluss: Master of Business in Agriculture). Der entsprechende Studiengang wurde erstmalig zum 28.06.2004 akkreditiert (Anl. B1, Bl. 213 d.A.). Von April 2004 bis Juli 2010 promovierte die Klägerin erfolgreich im Bereich Agrarwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit Herbst 2007 ist die Klägerin auch deutsche Staatsbürgerin. Von November 2016 bis Dezember 2017 war die Klägerin als Projektmanagerin für die Erarbeitung eines Tierschutzplanes für das Land Brandenburg beim L.-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. tätig. Seit März 2017 ist die Klägerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Drittmittelprojekt im Fachgebiet Tierhaltungssysteme und Verfahrenstechnik der H.-Universität zu Berlin beschäftigt. Sie erhält eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe E 13, Stufe 4 TV-L und seit Juli 2018 nunmehr der Stufe 5.

3 Anfang des Jahres 2018 schrieb das beklagte Land eine auf 2 Jahre befristete Stelle als Referentin/Referent zur Umsetzung des Tierschutzplanes aus (Anl. K4, Bl. 109f d.A.). Bei den Anforderungen war unter anderem angegeben: „Vorausgesetzt werden ein abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschul- oder Masterstudium in einer einschlägigen Fachrichtung (z.B. Tierhaltung, Veterinärmedizin, Agrarwissenschaft).“ Die Vergütung sollte nach der Entgeltgruppe 13 TV-L erfolgen.

4 Am 07.03.2018 bewarb sich die Klägerin. Mit E-Mail vom 09.03.2018 erkundigte sich das beklagte Land bei der Klägerin, ob für den Fachhochschul-Masterstudiengang ein Akkreditierungsverfahren erfolgreich durchlaufen worden sei (Anl. K6, Bl. 133 d.A.). Mit E-Mail vom gleichen Tage (Anl. K7, Bl. 134 d.A.) antwortete die Klägerin, dass sie über 2 Hochschulabschlüsse aus Rumänien verfüge. Nach der Datenbank ANABIN seien diese Studienabschlüsse gleichwertig, wobei entsprechende Auszüge beigefügt worden waren. Diese Abschlüsse seien zu berücksichtigen. Sie verwies ferner darauf, dass sie den Studiengang an der Fachhochschule Weihenstephan nur lediglich zusätzlich und ergänzend absolviert habe.

5 Mit E-Mail vom 20.04.2018 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, dass sie nicht ausgewählt worden sei. Unter dem 15.06.2018 hat die Klägerin Entschädigungsansprüche geltend gemacht (Anlage K 14, Bl. 146ff d.A.).

6 Mit der am 17.07.2018 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Sie hat die Ansicht vertreten, sie sei wegen ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert worden. Bzgl. des Abschlusses an der Fachhochschule Weihenstephan habe eine Akkreditierung zum Zeitpunkt der Bewerbung vorgelegen. Das Land habe in rechtswidriger Weise die rumänischen Abschlüsse ignoriert. Es habe keiner konstitutiven Feststellung der Gleichwertigkeit bedurft. Insofern hat die Klägerin auf eine Verlautbarung der Senatskanzlei von Berlin vom 31.08.2018 verwiesen, wonach für Behörden ein Auszug aus der Datei ANABIN bzgl. der Gleichwertigkeit ausreiche (Anlage K 16, Bl. 245f der Akte). Das Verfahren des beklagten Landes sei auch deswegen rechtswidrig, weil sie nie dazu aufgefordert worden sei, eine Gleichwertigkeitsbeurteilung beizubringen. Diese sei auch nicht notwendig gewesen. Der zuständige Referent des beklagten Landes habe im Gütetermin ausdrücklich erklärt, dass man sich mit den rumänischen Abschlüssen nicht befasst habe. Auch hätte das beklagte Land berücksichtigen müssen, dass nach der Promotionsordnung der Humboldt-Universität die Gleichwertigkeit des rumänischen Abschlusses durch den Präsidenten der Universität anerkannt worden sei.

7 Die Klägerin hat beantragt,

8 das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag i.H.v. 15.898,47 € allerdings nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 07.07.2018.

9 Das beklagte Land hat beantragt,

10 die Klage abzuweisen.

11 Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, dass es eine Zeugnisbewertung nicht vornehmen könne. Bei ausländischen Abschlüssen müsse von den Bewerbern ein Nachweis über die Anerkennung als Gleichwertigkeit beigebracht werden. Die Klägerin sei nicht wegen ihrer Herkunft aus Rumänien nicht berücksichtigt worden, sondern wegen des fehlenden Nachweises über ein abgeschlossenes Hochschul- oder Masterstudium. Eine mittelbare Diskriminierung liege nicht vor, denn die entsprechenden Bescheinigungen werden von jedem Bewerber, auch einem deutschen, verlangt. Anders als das Bundesland Berlin verlange das hiesige Bundesland für sämtliche ausgeschriebenen Stellen des Ministeriums einen Nachweis der Gleichwertigkeit. Werde ein solcher Nachweis nicht beigefügt, werde der jeweilige Bewerber hierzu aufgefordert. Dies ergebe sich z.B. aus dem Ablauf eines Bewerbungsverfahrens mit Stand 07.09.2018 (Anl. B4, Bl. 119 der Akte).

12 Mit Urteil vom 05.03.2019 hat das Arbeitsgericht Potsdam die Klage abgewiesen. Es lägen keine hinreichenden Indiztatsachen für eine Diskriminierung vor. Insofern reiche es nicht aus, dass bei der Klägerin eines der verpönten Merkmale vorhanden sei. Die Nichtberücksichtigung habe nur daran gelegen, dass sie den notwendigen Akkreditierungsnachweis für den Studiengang an der Fachhochschule Weihenstephan nicht habe beibringen können. Auch sei von ihr kein Nachweis der Anerkennung der Gleichwertigkeit ihrer ausländischen Abschlüsse erfolgt.

13 Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass der entsprechende rumänische Abschluss nicht als gleichwertig anerkannt werden müsse. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. Das Arbeitsgericht habe auch übersehen, dass Herr M. als Vertreter des beklagten Landes beim Gütetermin bekundet habe, dass die rumänischen Abschlüsse für das Land nicht relevant gewesen seien. Beide Abschlüsse aus Rumänien entsprechen einem deutschen Hochschulabschluss auf Master-Ebene. Dies ergebe sich aus den inzwischen eingeholten zwei Bewertungen der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen vom 01.08.2019 (Anlage K29, Bl. 663ff, Anlage K 30, Bl. 674ff d.A.). Auch der Abschluss an der Fachhochschule Weihenstephan hätte berücksichtigt werden müssen.

14 Die Klägerin beantragt,

15 das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam (7 Ca 1043/18) verkündet am 05.03.2019, zugestellt am 15.05.2019, abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einem Betrag i.H.v. 15.898,47 € allerdings nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 07.07.2018.

16 Das beklagte Land hat beantragt,

17 die Berufung zurückzuweisen.

18 Das beklagte Land ist weiterhin der Ansicht, dass kein Indiz für eine Diskriminierung der Klägerin wegen ihrer rumänischen Herkunft vorliege. Ihre rumänischen Studienabschlüsse seien nicht ignoriert worden. Wenn im Anforderungsprofil konstitutiv ein „abgeschlossenes Hochschulstudium“ verlangt werde, können ausländische Studienabschlüsse nur dann berücksichtigt werden, wenn diese nachweislich gleichwertig sind. Hierfür reiche ein Ausdruck aus der Datenbank ANABIN nicht aus. Erforderlich seine Zeugnisbewertung oder eine andere Gleichwertigkeitsbeurteilung von geeigneter Stelle. Nur weil die Gleichwertigkeit der rumänischen Studienabschlüsse nicht überprüft werden konnte, fanden diese in der E-Mail-Korrespondenz nicht weiter Erwähnung. Im Hinblick auf den gerichtlichen Hinweis vom 20.10.2019 (Bl. 718f d.A.) sei zu erwähnen, dass auch immer mehr Deutsche einen Abschluss im Ausland erlangten. Umgekehrt verfügten zunehmend nicht-deutsche Bewerber über deutsche Studienabschlüsse. Das hiesige Vorgehen sei sachlich gerechtfertigt, angemessen und erforderlich im Sinne der Rechtsprechung gewesen. Man sei zur Bewertung der ausländischen Studienabschlüsse auch nicht in der Lage. Genau aus diesem Grunde gebe es die bei der Kultusministerkonferenz eingerichtete Zentralstelle. Europarechtliche Bedenken bestünden nicht. Es wäre unpraktisch, unwirtschaftlich und kaum durchführbar, wenn jede Behörde selbst die Gleichwertigkeit von Abschlüssen prüfen müsste.

Entscheidungsgründe

A.

19 Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie setzt sich auch in genügender Weise mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils auseinander. Sie ist daher zulässig.

B.

20 Im Ergebnis hat die Berufung jedoch nur zu einem geringeren Anteil Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass an sie eine Entschädigung in Höhe von 4075,76 € (ein Gehalt der Entgeltgruppe E 13 TV-L, Stufe 2) wegen mittelbarer Diskriminierung (§§ 15 Abs. 2, 3 Abs. 2 AGG) zu zahlen ist. In diesem Umfang war das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern. Die weitergehende Berufung (3 Gehälter auf Basis der Stufe 5) hat jedoch keinen Erfolg, so dass sie insofern zurückzuweisen war.

I.

21 Der persönliche Anwendungsbereich i.S.d. § 6 AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist als Bewerberin für ein Beschäftigungsverhältnis Beschäftigte. Das beklagte Land ist insofern Arbeitgeberin.

22

Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht an formalen Voraussetzungen (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG), was zwischen den Parteien auch nicht streitig ist. Nachdem die Klägerin am 20.04.2018 erstmals eine Absage zu Ihrer Bewerbung erhalten hat, hat sie mit Telefaxschreiben vom 15.06.2018 Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Die Klage ging dann am 17.07.2018 beim Arbeitsgericht ein.

II.

23 Ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann nur mit Erfolg durchgesetzt werden, wenn ein Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot vorliegt. Insofern sind sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen im Sinne des § 3 AGG verboten. Das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 AGG untersagt eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, unter anderem auch wegen der ethnischen Herkunft.

24 1. Die Klägerin hat keine unmittelbare Benachteiligung wegen ihrer ethnischen Herkunft aus Rumänien erfahren.

25 Eine unmittelbare Benachteiligung scheidet schon deswegen aus, weil die vom beklagten Land geforderte Beibringung eines Gleichwertigkeitszeugnisses für den rumänischen Hochschulabschluss nicht direkt an der ethnischen Herkunft der Klägerin anknüpft. Das Gleiche gilt für den Nachweis der Akkreditierung des Fachhochschulabschlusses.

26 2. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des beklagten Landes im Berufungsverfahren liegen jedoch Indizien im Sinn des § 22 AGG vor, die für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau aller Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung des unaufgeforderten beibringen eines Gleichwertigkeitszeugnisses und einem Grund im Sinne des § 1 AGG (hier die ethnische Herkunft) der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand.

27 2.1 Eine mittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

28 2.2 Eine mittelbare Diskriminierung kann statistisch nachgewiesen werden, sie kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. Eine solche Diskriminierung kann insbesondere vorliegen, wenn Vorschriften im Wesentlichen oder ganz überwiegend Personen, die eines der verpönten Merkmale erfüllen, betreffen, wenn sie an Voraussetzungen anknüpfen, die von Personen, die von § 1 AGG nicht erfasst sind, leichter erfüllt werden oder wenn sich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm besonders zum Nachteil von Personen, für die ein Merkmal des § 1 AGG gilt, auswirken (BAG 27.01.2011 – 6 AZR 526./09 – juris Rn. 27).

29 Vorliegend wirkt sich die Regel, dass unaufgefordert ein Gleichwertigkeitsgutachten für einen Hochschulabschluss auch aus dem Land Rumänien erbracht werden muss, im Wesentlichen gegenüber Personen aus, die rumänischer Herkunft sind. Erfahrungsgemäß sind es diese Personen, die rumänische Hochschulabschlüsse erwerben. Insofern ist von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen. Soweit das beklagte Land im Rahmen des Berufungsverfahrens vorgetragen hat, dass zunehmend auch Deutsche im Ausland studieren und ausländische Studierende in Deutschland Studienabschlüsse erwerben, wird dieser allgemeiner Erfahrungssatz hierdurch nicht erschüttert. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn an rumänischen Universitäten genauso viele Personen mit deutscher Herkunft wie die mit rumänischer Herkunft studieren würden. Dies kann realistischer Weise nicht angenommen werden.

30 2.3 Die Benachteiligung der Klägerin ist auch nicht gemäß § 3 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.

31 2.3.1 Zu Gunsten des beklagten Landes ist jedoch davon auszugehen, dass ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wurde.

32 Dies können alle nicht diskriminierenden und auch sonst legalen Ziele sein. Darunter fallen auch privatautonom bestimmte Ziele des Arbeitgebers, z.B. betriebliche Notwendigkeiten und Anforderungen an persönliche Fähigkeiten des Arbeitnehmers (BAG 28.01.2010 – 2 AZR 764/08 – juris Rn. 19).

33 Geht man davon aus, dass der verlangte Hochschulabschluss im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar war (vergleiche BAG 12.09.2006 – 9 AZR 807/05 – juris Rn. 33), dann dient der Nachweis der Gleichwertigkeit eines im Ausland erworbenen Hochschulabschlusses dem legalen Ziel, die Chancengleichheit zwischen den Bewerbern zu sichern und somit der Bestenauslese nach Art 33 II GG gerecht zu werden.

34 2.3.2 Im Gegensatz zur Auffassung des beklagten Landes war das Mittel zur Erreichung dieses Ziels – dass unaufgeforderte Beibringen eines Gleichwertigkeitszertifikats – nicht erforderlich i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG.

35 Erforderlich ist ein Mittel zur Erreichung eines Zieles dann, wenn das Ziel ohne das Mittel nicht erreicht werden kann (BAG 28.01.2010 – 2 AZR 764/08 – juris Rn. 22).

36 Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine einstellende Behörde kann und muss vielmehr selbst prüfen, ob der vorgelegte Hochschulabschluss gleichwertig ist. Das dies möglich ist, zeigt die Praxis des Bundeslandes Berlin. Insofern räumt auch das beklagte Land ein, dass dort auf Basis der Datenbank ANABIN Gleichwertigkeitsbeurteilungen vorgenommen werden. Für die hiesige Kammer ist jedenfalls entscheidend, dass der EuGH aus der Grundfreiheit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern nach Art. 45 AEUV ableitet, dass eine einstellende Behörde selbst eine Prüfung der Gleichwertigkeit bei Hochschulabschlüssen innerhalb der EU vorzunehmen hat (EuGH 06.10.2015 – C-298/14 – Rn. 54,57). Ergibt ein solcher Vergleich, dass Kenntnisse und Fähigkeiten einander nur teilweise entsprechen, so kann der Aufnahmemitgliedstaat von dem Betroffenen den Nachweis verlangen, dass er die fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat. Insofern hätte das beklagte Land mit einer Prüfung jedenfalls beginnen müssen. Schon daran fehlt es.

37 Soweit das beklagte Land meint, die Rechtsprechung des EuGH könne auf den hiesigen Fall nicht angewendet werden, wird dies nicht geteilt. Das Land vertritt insofern die Ansicht, der EuGH habe über die Zulassung zu einem Beruf (Rn. 54) entschieden. Dies trifft zwar von der Wortwahl an dieser Stelle zu, aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass es um die Einstellung eines Bewerbers als Referent bei einem belgischen Gericht ging (Rn. 13). Auch der dortigen Entscheidung lag ein Stellenbesetzungsverfahren zu Grunde. Der weitere Einwand des beklagten Landes, es sei unpraktisch und unwirtschaftlich, wenn jede Behörde die Gleichwertigkeit selbst prüfen müsse, rechtfertigt ebenfalls kein anderes Ergebnis. Sicherlich ist es einfacher, wenn Bewerber von sich aus schon ein Gleichwertigkeitsgutachten beibringen. Gerade der hiesige Fall zeigt allerdings, dass Bewerberinnen und Bewerber nicht zwangsläufig schon immer über dieses Gutachten verfügen. Bei Bearbeitungszeiten von 2-3 Monaten wäre dies auch nicht ohne weiteres beibringbar. Darüber hinaus ist jedenfalls nach der Rechtsprechung des EuGH eine andere Verfahrensweise geboten.

38 3. Das beklagte Land hat es nicht vermocht, die hier festgestellten Indizwirkungen zu beseitigen.

39 Liegen Indizien vor, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Insofern muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG 16.05.2019 – 8 AZR 315/18 – juris Rn. 21). Ihm obliegt der Vollbeweis. Die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal darf insofern auch nicht im Rahmen eines Motivbündels (BAG 12.12.2013 – 8 AZR 838/12 – juris Rn. 22) eine Rolle spielen. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG a.a.O.).

40 Gemessen hieran hat das beklagte Land keinerlei Tatsachen vorgetragen, um einen gegenteiligen Vollbeweis zu erbringen. Es hat sich vielmehr bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung auf den Standpunkt gestellt, es hätte die rumänischen Abschlüsse nicht eigenständig prüfen brauchen.

III.

41 Die Höhe der Entschädigung war auf ein Monatsgehalt (4075,46 €) zu beschränken. In dieser Höhe ist sie ausreichend und angemessen.

42 Nach der Rechtsprechung des BAG muss die Entschädigung einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte gewährleisten. Die Schwere des Verstoßes muss sich in der Höhe der Sanktionen widerspiegeln, aber auch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles – wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns – und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13 – juris Rn. 44).

43 Der Verstoß ist hier als weniger schwerwiegend einzuschätzen. Die Rechtsprechung des EuGH ist relativ speziell und durchaus nicht allgemein bekannt. Das beklagte Land hat nicht bewusst eine Diskriminierung herbeiführen wollen, sondern die langjährige Praxis für ausreichend erachtet. Da die Klägerin keine Tatsachen dafür vorgetragen hat, dass sie bei benachteiligungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre, beträgt der Höchstrahmen für eine Entschädigung 3 Monatsgehälter (§ 15 Absatz 2 AGG). Es handelt sich um einen einmaligen Verstoß. Insofern ist eine Entschädigung in Höhe von eine Monatsgehalt auch unter Berücksichtigung der Situation der Klägerin ausreichend.

44 Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist das Entgelt auch nicht nach der Stufe 5 zu bemessen. Zutreffend ist vielmehr die Stufe 2.

45 Die Klägerin war zuvor nie beim beklagten Land selbst beschäftigt. Nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erfolgt dann die Einstellung in die Stufe 2, wenn die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden war. Bei einer Einstellung nach dem 31.01.2010 und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens 3 Jahren erfolgt die Einstufung in die Stufe 3.

46 Auch bei Berücksichtigung des schriftsätzlichen Vorbringens der Klägerin ergibt sich damit bei einer fiktiven Einstellung nur die Zuordnung zur Stufe 2, da sie zwar über eine einschlägige einjährige Berufserfahrung bei einem anderen Arbeitgeber verfügte, jedoch nicht Zeiten im Umfang von 3 Jahren zu berücksichtigen sind. Die Klägerin hat sich insofern darauf berufen, sie habe bei einem anderen Arbeitgeber den Tierschutzplan für das Land Brandenburg entwickelt. Dies betrifft jedoch nur einen Zeitraum von 14 Monaten. Bei einer von der Klägerin angenommenen Einstellung im Juli 2018 hätte die Tätigkeit bei der H.-Universität, auf die die Klägerin ebenfalls im Schriftsatz vom 21.10.2019 Bezug genommen hat, nur weitere 16 Monate betragen. Damit sind allenfalls 30 Monate zu berücksichtigungsfähig.

C.

47 Die Parteien haben die Kosten des Verfahrens anteilig zu ihrem Obsiegen und Unterliegen zu tragen (§ 92 ZPO).

48 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich an der Rechtsprechung des BAG orientiert. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

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