Was auch immer ein Richter für Fehler macht – er hat üblicherweise keine Kosequenzen zu befürchten. Ganz anders ist es bei Rechtsanwälten. Ein kleines Versehen kann existenzvernichtende Folgen haben. Weil eine wichtige E-Mail angeblich im Spam-Ordner gelandet ist, wurde ein Anwalt zur Zahlung von 90.000 € Schadensersatz an seinen Mandanten verurteilt.
In einem zivilgerichtlichen Berufungsverfahren machte der Gegner-Anwalt einen Vergleichsvorschlag per E-Mail. Es wurde angeboten, dass der Mandant des später beklagten Anwalts „nur“ 190.000 € zahlt und die Berufung zurücknimmt. Er leitete weder den Vergleichsvorschlag weiter noch begründete er die Berufung innerhalb der vorgesehen Frist. Der Vergleich war damit gegenstandslos, da auf die vom Gegner gesetzte Frist natürlich keine Reaktion erfolgte. Zudem wurde die Berufung zurückgewiesen. Damit wurde die Mandantschaft des unglücksseligen Anwalt rechtskräftig zur Zahlung von rund 280.000 € verurteilt. Wäre der Vergleich zustande gekommen, hätten 90.000 € gespart werden können. Eben diese Summe hat der Anwalt zu erstatten.
Er hat die von einem Anwalt erwartete Sorgfalt nicht beachtet, weil er seinen Spam-Ordner nicht täglich kontrolliert hat. Nach Ansicht des Gerichts muss bei der Unterhaltung eines geschäftlichen E-Mail-Kontos mit aktiviertem Spam-Filter der E-Mail-Kontoinhaber seinen Spam-Ordner täglich durchsehen, um versehentlich als Werbung aussortierte E-Mails zurückzuholen (Landgericht Bonn, Urteil vom 10. Januar 2014 – 15 O 189/13).
Zutreffend weist der Medienanwalt Hoesmann in seinem Blog darauf hin, dass der SPAM-Ordner dadurch praktisch seiner Funktion enthoben wird, da man nach Maßgabe dieses Urteils gezwungen ist, alle E-Mails zu lesen. Das führt meines Erachtens aber nicht zur Angreifbarkeit des Urteils. Denn der Inhaber eines E-Mail-Accounts kann sich nicht „blind“ darauf verlassen, dass die Software des E-Mail-Providers jede E-Mail in den richtigen Ordner ablegt. Keinesfalls entbindet es den Anwalt zur Prüfung. Gegebenenfalls ist denkbar, dass er seinerseits den Provider in Regress nimmt, falls ihm die korrekte E-Mail-Zuordnung zugesichert worden sein sollte.
Desweiteren hält Medienanwalt Hoesmann es für problematisch, dass nach Ansicht des Gerichts die E-Mail-Adresse „bewusst“ zur geschäftlichen Kommunikation freigegeben wurde. Ein Automatismus könne nach seiner Ansicht nicht unterstellt werden. Auch diese Bedenken greifen meines Erachtens nicht durch. Denn auch bei Anwälten ist die E-Mail-Kommunikation heute eine Selbstverständlichkeit.
Nach alldem ist das Urteil des LG Bonn hart aber vertretbar. Der betreffende Anwalt dürfte auf seine Haftpflichtversicherung zurückgegriffen haben. Wie bei jeder Versicherung besteht das Risiko, bei zu intensiver Inanspruchnahme eine Kündigung der Versicherung zu erhalten. Das käme einem Berufsverbot gleich. Denn eine andere Versicherung würde ihn wohl kaum aufnehmen. Und ohne den Nachweis einer Anwaltshaftpflichtversicherung kann ein Anwalt seinen Beruf nicht ausüben.
Volltext des Urteils des Landgerichts Bonn: LG Bonn, Urteil vom 10. Januar 2014 – 15 O 189/13
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