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VonRA Moegelin

Merkantiler Minderwert eines Unfallfahrzeugs

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Der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen.

Volltext der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 159/2024 – BGH VI ZR 188/22:

Bundesgerichtshof zur Frage der Schätzung des merkantilen Minderwerts (Wertverlust trotz Instandsetzung) eines Unfallfahrzeugs

Ausgabejahr
2024
Erscheinungsdatum
07.08.2024

Nr. 159/2024

Urteil vom 16. Juli 2024 – VI ZR 188/22

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat hat entschieden, dass der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen ist. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen.

Sachverhalt:

Ein (geleastes) Fahrzeug wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers stand außer Streit. Die Klägerin ließ das Fahrzeug reparieren und machte einen merkantilen Minderwert von 1.250 € geltend. Die Beklagte bezahlte nur 700 €. Mit der Klage verlangte die Klägerin Zahlung des restlichen Betrags an die Leasinggesellschaft. Zwischen den Parteien war streitig, ob vom merkantilen Minderwert ein „Umsatzsteueranteil“ abzuziehen ist.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Amtsgerichts in Höhe von 300 € aufrechterhalten und die Klage im Ãœbrigen ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Es hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dieser Grundlage angenommen, dass ein merkantiler Minderwert von insgesamt 1.000 € anzusetzen sei, weshalb die Beklagte weitere 300 € zu zahlen habe. Ein „Umsatzsteueranteil“ sei vom Minderwert nicht abzuziehen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihr Ziel, die Klage in Höhe des ihrer Ansicht nach vom Minderwert abzuziehenden „Umsatzsteueranteils“ abzuweisen, weiterverfolgt.

Entscheidung des Senats:

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie erzielen. Der Ersatz des merkantilen Minderwerts als solcher unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, da es sich bei dem zu zahlenden Schadensersatz (§ 251 Abs. 1 BGB) nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist vom merkantilen Minderwert für den Fall, dass er ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde, ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abzuziehen. Ob das Berufungsgericht im Streitfall den Minderwert ausgehend von Brutto- oder Nettoverkaufspreisen geschätzt hat, stand nicht fest.

Zur Bemessung des Minderwerts wird geschätzt, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne den Unfall wäre. Diese Wertdifferenz ist unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur verkauft oder behält. Bei der Schätzung des Minderwerts ist aus Rechtsgründen auf die jeweiligen Nettoverkaufspreise abzustellen. Denn wenn es sich bei dem der Schätzung des merkantilen Minderwerts zugrunde zu legenden hypothetischen Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers handelt, würde der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer erhalten, müsste sie aber an das Finanzamt abführen. Sie wäre bei ihm nur ein durchlaufender Posten. Unterliegt der gedachte Verkauf hingegen nicht der Umsatzsteuer (beim Verkauf „von privat“), dürfte dem Käufer schon gar keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden.

Wurde der merkantile Minderwert ausgehend von Bruttoverkaufspreisen geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abgezogen wird. Andernfalls käme es zu einer Bereicherung des Geschädigten. Eine andere – nicht rechtliche, sondern tatsächliche – Frage ist es, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl es Nettopreise sind, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden.

Der Senat hat am 16. Juli 2024 in drei weiteren Verfahren (Aktenzeichen VI ZR 205/23, VI ZR 239/23 und VI ZR 243/23) in dieser Frage ebenso entschieden.

Vorinstanzen:

Amtsgericht Neu-Ulm – Urteil vom 24. März 2021 – 5 C 1111/20

Landgericht Memmingen – Urteil vom 25. Mai 2022 – 13 S 691/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 251 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen.

§ 1 Umsatzsteuergesetz (UStG)

(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt;

Karlsruhe, den 7. August 2024

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen Bedrohung von Gewerkschaftsmitgliedern

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Ein Arbeitnehmer, der über Facebook Kollegen bedroht, weil dies sich bei der Gewerkschaft ver.di engagieren, verursacht eine konkrete und nachhaltige Störung des Betriebsfriedens. Die Kündigung ist daher gerechtfertigt.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 21/24 des Arbeitsgerichts Berlin 59 Ca 8733/24 und 59 Ca 11420/24vom 31.10.2024:

Das Arbeitsgericht Berlin hat die ordentliche Kündigung eines Straßenbahnfahrers, der in einer privaten Facebook-Gruppe einen von ihm verfassten Beitrag mit einer Fotomontage versehen hatte, für wirksam angesehen, weil in dieser eine Bedrohung von Kollegen, die sich bei der Gewerkschaft ver.di engagieren, und zugleich eine konkrete und nachhaltige Störung des Betriebsfriedens liege. Bei der öffentlich-rechtlichen Arbeitgeberin handelt es sich um den bundesweit größten Betreiber Öffentlichen Personennahverkehrs.

Der Straßenbahnfahrer ist Administrator einer privaten Facebook-Gruppe, die sich nach ihrer Bezeichnung an Fahrpersonal der Arbeitgeberin richtet und circa 1000 Mitglieder umfasst. Im Mai 2024 verfasste er dort einen an die Mitglieder der ver.di-Tarifkommission gerichteten Kommentar zum Ergebnis einer ver.di-Mitgliederbefragung und schloss diesen mit einer Fotomontage ab. Auf dieser ist ein auf dem Boden kniender Mann abgebildet, auf dessen Kopf der Lauf einer Pistole gerichtet ist. Neben ihm befindet sich der Schriftzug von ver.di. Die Fotomontage trägt den Titel „VER.DI HÖRT DEN WARNSCHUSS NICHT!“ Sie weist auch das Logo der Arbeitgeberin aus. Über diesen Beitrag beschwerten sich sieben Beschäftigte der Arbeitgeberin, die zugleich Gewerkschaftsfunktionäre sind und sich durch den Beitrag bedroht fühlten.

Nach Anhörung des Fahrers und des Personalrats sprach die Arbeitgeberin eine fristlose und eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

Das Arbeitsgericht hat die hilfsweise fristgemäße Kündigung für wirksam erachtet. Der Straßenbahnfahrer habe mit der Fotomontage Beschäftigte konkret bedroht. Darin liege zugleich eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens. Die Chatgruppe sei zwar privat, richte sich jedoch ausdrücklich an Fahrpersonal der Arbeitgeberin und verfüge mit rund 1000 Mitgliedern nicht mehr über einen überschaubaren Adressatenkreis. Der Beitrag sei auch auf eine Außenwirkung angelegt gewesen. Die Fotomontage sei als Drohung an Beschäftigte, die sich für ver.di aktiv einsetzten, zu verstehen und, wie sich an den Beschwerden zeige, auch verstanden worden. Dies ergebe sich vor allem aus der Zielrichtung des Pistolenlaufs auf den Kopf des abgebildeten Mannes. Eine solche konkrete Bedrohung sei von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Auch liege hierin eine arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung, von der klar erkennbar sei, dass sie von der Arbeitgeberin nicht hingenommen werde. Daher sei eine Abmahnung nicht erforderlich gewesen.

Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Arbeitsgericht angenommen, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei der Arbeitgeberin noch zuzumuten. Der gekündigte Arbeitnehmer hingegen benötige als alleinerziehender Vater dreier Kinder einen größeren zeitlichen Vorlauf, um eine neue hiermit vereinbare Stelle zu finden. Dieser Umstand wie auch die 15jährige Betriebszugehörigkeit überwögen bezogen auf die ordentliche Kündigung hingegen nicht die Interessen der Arbeitgeberin. Diese müsse für den Schutz ihrer Beschäftigten sowohl bei der Ausübung deren arbeitsvertraglich geschuldeter Tätigkeiten wie auch bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aus Artikel 9 Grundgesetz sorgen.

Gegen das Urteil können beide Parteien Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einlegen.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2024, Aktenzeichen 59 Ca 8733/24 + 59 Ca 11420/24

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VonRA Moegelin

Auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag des Handballtrainers

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Die auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag eines Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten soll, ist unbestimmt und damit unwirksam.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 14/2024 des Arbeitsgerichts Solingen vom 02.10.2024:

Das Arbeitsgericht Solingen hat heute der Klage des ehemaligen Trainers des Bergischen Handball Clubs 06 e. V. (im Folgenden: „BHC 06“ genannt) in vollem Umfang stattgegeben.

Der Kläger ist seit Juli 2022 bei der Beklagten, der BHC Marketing GmbH, als Trainer der 1. Handballmannschaft der Herren des BHC 06 beschäftigt. Der BHC06 spielte in der Spielzeit 2023/2024 in der 1. Handball-Bundesliga und stieg sodann in die 2. Handball-Bundesliga ab. Der Kläger war bereits seit April 2024 freigestellt. Im Juni 2024 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Vertrag aufgrund des Abstiegs des BHC 06 in die 2. Handball-Bundesliga zum 30.06.2024 ende. Hiergegen wendete sich der Kläger und machte das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses sowie weitere Zahlungsansprüche geltend.

Die Kammer hat entschieden, dass die auflösende Bedingung in dem Arbeitsvertrag des Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten und der Arbeitsvertrag bei Abstieg oder Lizenzverlust/-rückgabe enden soll, unwirksam ist. Die Klausel ist bereits wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam. Ihr ist nicht zu entnehmen, zu welchem Enddatum der Arbeitsvertrag „bei Abstieg“ gelten soll und der „Bereich der 1. Handballbundesliga“ verlassen wird. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vermischung der Bedingung „Abstieg“ mit der (unwirksamen) Bedingung „Lizenzverlust/-rückgabe“ der Bedingungseintritt intransparent und im Zweifelsfall nicht eindeutig bestimmbar ist.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingelegt werden.

Arbeitsgericht Solingen, 3 Ca 728/24, Termin vom 01.10.2024

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VonRA Moegelin

Vorfahrt am abgesenkten Bordstein

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Wer über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, muss eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Bei einem Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes und unfallursächliches Fehlverhalten des vom Bordstein einfahrenden Fahrers. Rechts vor links gilt in diesem Fall nicht.

Volltext des Urteils des Landgerichts Lübeck vom 26.01.2024 – 17 O 158/22:

Tenor

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.213,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.08.2022 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwaltskanzlei ….., ……..in Höhe von 627,13 € freizuhalten.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.234,30 € festgesetzt.

Tatbestand

Randnummer1

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 04. Juli 2022 in Bad Oldesloe.

Randnummer2

Der Kläger befuhr am 04. Juli 2022 mit seinem Fahrzeug mit amtlichem Kennzeichen ….. die Johannes-Ströh-Straße in Bad Oldesloe. In Fahrtrichtung links der Johannes-Ströh-Straße befinden sich Parkplätze quer zur Straße, in Fahrtrichtung rechts zur Johannes-Ströh-Straße befindet sich ein P+R-Parkplatzgelände, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Johannes-Ströh-Straße und die Parkplätze in Fahrtrichtung links ein einheitliches P+R-Parkplatzgelände mit den Parkplätzen in Fahrtrichtung rechts bilden, oder ob die vorbenannte Straße eine vom P+R-Gelände getrennte öffentliche Straße darstellt. Auf dem Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts befinden sich zwischen den Parkplatzreihen Fahrgassen, die in Richtung der Johannes-Ströh-Straße führen. Die Fahrgassen weisen am Übergang zur Johannes-Ströh-Straße einen abgesenkten Bordstein auf. Von der Johannes-Ströh-Straße auf das Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts blickend befindet sich ein Schild mit der Beschriftung „P+R“. Weiter ist die vorbenannte Straße durch ein in Fahrtrichtung links befindliches Schild als Einbahnstraße ausgewiesen (Verkehrszeichen Nr. 220). Zur Veranschaulichung der Unfallumgebung wird auf die Anlagen K1, K2 und K8 verwiesen.

Randnummer3

Die Beklagte zu Ziff. 2 fuhr mit ihrem bei der Beklagten zu Ziff. 1 haftpflichtversicherten PKW mit amtlichem Kennzeichen …..von dem Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts des Klägers nach rechts abbiegend auf die Johannes-Ströh-Straße ein, woraufhin es zur Kollision zwischen dem Klägerfahrzeug und dem Beklagtenfahrzeug kam. Zur Veranschaulichung der Kollision wird auf die Anlagen K2 und K3 verwiesen.

Randnummer4

Ausweislich eines durch die Klägerseite eingeholten Gutachtens sind für die Reparatur des Klägerfahrzeuges Kosten in Höhe von 4.350,95 € netto erforderlich, wobei zwischen den Parteien Kosten in Höhe von 4.330,35 € netto unstreitig sind. Die Kosten für das Gutachten betragen 863,35 € brutto. Weiter macht die Klägerseite eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 € geltend.

Randnummer5

Die Beklagte zu Ziff. 1 verweigerte gegenüber der Klägerseite mit Ablehnungsschreiben vom 12. Juli 2022, 03. August 2022 und 18. August 2022 die Regulierung des Schadens (vgl. Anlagenkonvolut K5). Dies begründete die Beklagte zu Ziff. 1 damit, dass sich der Unfall auf einem Parkplatzgelände abgespielt habe und die Beklagte zu Ziff. 2 von rechts kommend vorfahrtsberechtigt gewesen sei. Mit Mail vom 16. November 2022 (vgl. Anlage K7) forderte die Klägerseite die Beklagte zu Ziff. 1 letztmalig zur Regulierung bis zum 23.11.2022 auf. Die Beklagte zu Ziff. 1 lehnte die Regulierung weiterhin ab.

Randnummer6

Der Kläger macht weiter die Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 € geltend. Dem legt die Klägerseite einen Gegenstandswert in Höhe von 5.234,30 €, eine 1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG sowie eine Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 € zzgl. Mehrwertsteuer zugrunde.

Randnummer7

Der Kläger meint, er sei gegenüber der Beklagten zu Ziff. 2 vorfahrtsberechtigt gewesen, da die Klägerin von einem Grundstück auf eine Straße eingefahren beziehungsweise über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn eingefahren sei.

Randnummer8

Nachdem der Kläger mit seinem Antrag zu Ziff. 1 zunächst beantragt hat, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.234,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, beantragt er nunmehr nach teilweiser Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

Randnummer9

1. an den Kläger 5.213,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 04.08.2022 zu zahlen,

Randnummer10

2. den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwaltskanzlei ….., G. 44, … Hamburg in Höhe von 627,13 € freizuhalten.

Randnummer11

Die Beklagten beantragen,

Randnummer12

die Klage abzuweisen.

Randnummer13

Sie meinen, die Beklagten zu Ziff. 2 sei von rechts kommend vorfahrtsberechtigt gewesen.

Randnummer14

Das Gericht hat im Rahmen der Güteverhandlung die Anlage K2, das erste Foto, Blatt 2 des Anlagenbandes Kläger sowie die Anlage K8, das erste Foto, Blatt 4 des Anlagenbandes Kläger in Augenschein genommen.

Entscheidungsgründe

Randnummer15

Die zulässige Klage ist begründet.

Randnummer16

I. Die teilweise Klagerücknahme in Höhe von 20,60 € im Termin vom 05.01.2024 mit Einwilligung der Beklagten ist gemäß § 269 Abs. 1 ZPO zulässig.

Randnummer17

II. Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 627,13 €.

Randnummer18

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu Ziff. 2 einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie Freihaltung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 627,13 € aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG.

Randnummer19

Gemäß § 7 Abs. 1 StVG hat der Halter eines Kraftfahrzeuges dem Verletzten denjenigen Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, dass beim Betrieb des Kraftfahrzeuges eine Sache beschädigt wurde. Das Fahrzeug des Klägers ist bei Betrieb des Kraftfahrzeuges der Beklagten zu Ziff. 2 beschädigt worden.

Randnummer20

Ein Ausschluss der Haftung der Beklagten zu Ziff. 2 beziehungsweise des Klägers gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nicht ersichtlich, da der Unfall nicht auf einem unabwendbaren Ereignis beruht. Gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Geboten ist dabei eine besonders sorgfältige Reaktion. Es muss ein schadenstiftendes Ereignis vorliegen, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 15). Im vorliegenden Fall hätte die Kollision der Fahrzeuge beiderseitig bei Beachtung der äußerst möglichen Sorgfalt abgewendet werden können.

Randnummer21

Die Beklagte zu Ziff. 2 haftet mit einer Quote von 100 %. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 StVG führt zur alleinigen Haftung der Beklagtenseite.

Randnummer22

Gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt die Haftung zwei an einer Schadensverursachung beteiligter Kraftfahrzeughalter untereinander im Verhältnis zueinander davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für die Bewertung der Verursachungsbeiträge sind zunächst die wechselseitigen Verantwortungsbeiträge festzustellen. Anschließend müssen diese unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gegeneinander abgewogen werden (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 28).

Randnummer23

Die Beklagte zu Ziff. 2 hat vorliegend einen Verstoß gegen § 10 StVO begangen. Danach hat sich wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Bei einem Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes und unfallursächliches Fehlverhalten des Einfahrenden (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 70).

Randnummer24

Im vorliegenden Fall spricht aufgrund der in den Anlagen K2 und K8 erkennbaren Beschilderung (u.a. Verkehrszeichen 220) viel dafür, dass es sich bei der Johannes-Ströh-Straße um eine von der P+R-Anlage getrennte öffentliche Straße handelt, und die Beklagte zu Ziff. 2 somit von einem Grundstück auf die Straße einfuhr. Im Ergebnis kann es jedoch dahinstehen, ob eine abgetrennte öffentliche Straße oder aber ein einheitliches P+R-Parkplatzgeländes vorliegen. Unterstellt, dass die vom Kläger befahrene Fahrbahn Teil eines einheitlichen P+R-Gelände wäre, wäre die Beklagte zu Ziff. 2 jedenfalls über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn eingefahren. Die Regelungen der StVO sind dabei auch in letzterem Fall grundsätzlich auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz anwendbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 m.w.N.).

Randnummer25

Eine Erschütterung des ersten Anscheins ist vorliegend nicht gegeben. Dazu hätte die Beklagtenseite Umstände darlegen und beweisen müssen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt (Zöller/Greger, 35. Aufl., ZPO Vor. § 284 Rn. 29). Entsprechende Umstände sind nicht ersichtlich.

Randnummer26

Ein entsprechender Verstoß gegen § 10 StVO wiegt in der Regel so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.04.2015 – 19 U 189/14, r+s 2016, 312 Rn. 16).

Randnummer27

Dem Kläger ist durch die Kollision ein gemäß § 249 BGB zu ersetzender Schaden in Gestalt von Reparaturkosten in Höhe von jedenfalls 4.330,35 € netto sowie Gutachterkosten in Höhe von 863,35 € entstanden. Weiter kann der Kläger eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 € geltend machen (vgl. OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 23.04.2021 – 7 U 10/21; BeckRS 2021, 36254, Rn. 10). Die Beklagte zu Ziff. 2 hat den Kläger ferner im Rahmen des zu ersetzenden Schadens von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizuhalten, deren Höhe sich aus dem RVG ergeben.

Randnummer28

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu Ziff. 1 einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie auf Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 € aus § 115 Abs. 1 VVG in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, da es sich bei der Beklagten zu Ziff. 1 um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach § 1 PflVG bestehenden Versicherungspflicht der Beklagten zu Ziff. 2 handelt.

Randnummer29

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 2 Ziff. 3 BGB.

Randnummer30

Die Beklagten haften gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 VVG als Gesamtschuldner.

Randnummer31

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 2 Ziff. 1, 100 Abs. 4, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Randnummer32

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Randnummer33

V. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 39 Abs. 1, 40, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO.

 

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VonRA Moegelin

Kita-Streik von Verdi rechtswidrig

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Der von der Gewerkschaft ver.di ab 30.09.2024 ausgerufene Kita-Streik ist rechtswidrig. ver.di hat mit seinen Streikforderungen, mit denen Entlastungsmaßnahmen für Erzieher und ein Mehr an Zeit für Auszubildende durchgesetzt werden sollen, gegen die Friedenspflicht während laufender Tarifverträge verstoßen, weil bereits entsprechende tarifliche Regelungen existierten.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 18/24 des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.09.2024 – 56 Ga 11777/24:

Das Arbeitsgericht Berlin hat heute auf den Antrag des Landes Berlin im gerichtlichen Eilverfahren den von der Gewerkschaft ver.di ab dem 30.09.2024 angekündigten Streik in den Kitas der Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin untersagt.

Zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Land Berlin waren seit April 2024 Gespräche über die pädagogische Qualität und über Entlastungen der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Auszubildenden in diesem Bereich geführt worden, die erfolglos blieben. Zu dem unbefristeten Streik ab dem 30.09.2024 hatte die Gewerkschaft ver.di am 26.09.2024 ihre Mitglieder aufgerufen, nachdem in einer Urabstimmung 91,7 % der Mitglieder dafür gestimmt hatten. Ziel des Streiks war die Erzwingung von Tarifverhandlungen über die Regelung einer Mindestpersonalausstattung, über Regelungen zum Belastungsausgleich (Konsequenzenmanagement) und für eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen.

Das Land Berlin sah sich rechtlich als Arbeitgeber nicht zu Tarifverhandlungen mit ver.di in der Lage, weil es als Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) nach deren Satzung keine von den Regelungen des Tarifvertrags der Länder (TV-L) abweichenden Tarifverträge schließen dürfe. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Berliner Eigenbetriebs-Kitas richten sich nach dem TV-L. Nachdem das Land Berlin im Jahr 2020 mit der Zusage der Hauptstadtzulage von den tariflichen Bedingungen des TV-L abgewichen war, hatte die TdL für den Fall eines weiteren Verstoßes des Landes Berlin gegen die Satzung seinen Ausschluss aus der TdL beschlossen. Das Land Berlin ist außerdem davon ausgegangen, dass ver.di mit den Streikforderungen betreffend Entlastungsmaßnahmen für Erzieherinnen und Erzieher und für ein Mehr an Zeit für Auszubildende gegen die Friedenspflicht während laufender Tarifverträge verstoße, weil bereits entsprechende tarifliche Regelungen existierten.

Das Arbeitsgericht hat den ab dem 30.09.2024 angekündigten Streik untersagt und der Gewerkschaft aufgegeben, ihren Streikaufruf öffentlich zu widerrufen. Es ist von einer fehlenden Rechtmäßigkeit des Streiks ausgegangen. Die Gewerkschaft ver.di verstoße mit diesem Streik gegen die Friedenspflicht wegen der bestehenden tariflichen Regelungen zur Zulage für Beschäftigte in Eigenbetriebs-Kitas des Landes Berlin im TV-L und wegen der bestehenden Entlastungsregelungen für Auszubildende im maßgeblichen Ausbildungstarifvertrag. Daneben seien auch verbandspolitische Erwägungen des Landes Berlin von der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützt, weil das Land als Arbeitgeber berechtigt sei, sich in der Tarifgemeinschaft der Länder zu organisieren. Das Risiko eines Ausschlusses aus der TdL bei einem eigenständigen Tarifabschluss müsse das Land Berlin nicht eingehen. Das grundgesetzlich garantierte Streikrecht der Gewerkschaft aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz überwiege insoweit nicht.

Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts kann das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 27.09.2024, 56 Ga 11777/24

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VonRA Moegelin

Kündigung eines Schwerbehinderten in der Probezeit

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Das Landesarbeitsgericht Köln hat entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bei fehlendem Präventionsverfahren keine Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hat.

Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24:

Arbeitgeber sind verpflichtet, auch innerhalb der sog. Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, §§ 173 Abs. 1, 168 SGB IX, in denen ein schwerbehinderter Mensch noch keinen Kündigungsschutz genießt, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln heute entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur bis 2017 geltenden Vorgängernorm des § 84 SGB IX entschieden. Da die beklagte Kommune im vorliegenden Einzelfall jedoch widerlegen konnte, dass sie dem Kläger wegen der Schwerbehinderung gekündigt hatte, führte dies nicht zur Unwirksamkeit der Probezeitkündigung des Klägers.

Der 1984 geborene Kläger verfügt über einen Grad der Behinderung von 80 und war bei der beklagten Kommune seit dem 1. Januar 2023 im Bauhof beschäftigt. Am 22. Juni 2023 kündigte die Beklagte dem Kläger innerhalb der Probezeit ohne zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt zu haben. Das Präventionsverfahren nach §167 SGB IX stellt ein kooperatives Klärungsverfahren dar, das Arbeitgeber unter Beteiligung internen und externen Sachverstandes (insb. Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Rehabilitationsträger) durchführen müssen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährdet ist. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Denn in einem solchen Fall wird vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens diskriminiert hat.

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14) hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchzuführen. Nach Auffassung der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts ergibt sich die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene zeitliche Begrenzung weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch stützt eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen dieses Ergebnis. Wegen der auch vom Bundesarbeitsgericht angenommenen strukturellen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der ersten sechs Monate („Probezeit“) zum Abschluss zu bringen, hat das Landesarbeitsgericht für diese Sonderkonstellation aber eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vorgenommen, um die Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen.

Im konkreten Einzelfall ist das Landesarbeitsgericht Köln aufgrund der unstreitigen Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung nicht wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war und hat die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24.

Die Entscheidung kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE http://www.nrwe.de/unter Eingabe des Aktenzeichens (6 SLa 76/24) aufgerufen werden.

Dr. Sonja Schramm

Pressedezernentin

Für Fragen, Kommentare und Anregungen steht wir Ihnen zur Verfügung:

presse@lag-koeln.nrw.de

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 167 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX): Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. […]

§ 164 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX): Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen

[…]

(2) Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

§ 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

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