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VonRA Moegelin

Verwahrungsvertrag mit Schutzwirkung gegen Dritte

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Bei einem Wasserschaden haftet der Eigentümer nicht aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, wenn der Dritte einen Verwahrungsvertrag mit einem Mieter geschlossen hat un der Mieter wiederum in einem Mietvertragsverhältnis zum Eigentümer steht. Nach Ansicht des Landgerichts Berlin gelten hier die gleichen Grundsätze analog, die der BGH zum Untermietsverhältnis getroffen hat.

Volltext des Urteils des Landgerichts Berlin vom 17.02.2023 – 65 O 106/22:

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 28.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Beklagte ist Eigentümerin des Grundstücks (….). In dem aufstehenden Gebäude vermietet sie Gewerberäume an Herrn (….), der diese Gewerberäume für die Firma (…) nutzt. In der Nacht vom 08.03.2018 zum 09.03.2018 ist in diesen Gewerberäumen eine ältere Frischwasserleitung, die sich in der Wand oberhalb der Decke befunden hat, aufgrund von Materialermüdung geborsten, wodurch ein nicht unerheblicher Wasseraustritt verursacht worden ist.
Der Kläger behauptet, zu diesem Zeitpunkt seien von ihm aufgrund eines Verwahrungsvertrages mit der Firma (…) teils wertvolle Möbel, Kunstwerke und elektronische Geräte sowie 24 Kartons mit Akten und weiteren Gegenständen in den betroffenen Gewerberäumen eingelagert gewesen, durch den Wassereintritt fast vollständig durchfeuchtet worden und dadurch wertlos geworden. Die Wiederherstellung des Akteninhalts werde nach vorläufiger Schätzung 110 Arbeitsstunden einer Büro-Fachkraft erfordern. Insgesamt sei ihm durch das Bersten des Wasserrohres ein Schaden in Höhe von mindestens 28.000 € entstanden. Er habe am 15.03.2018 an einer Begehung der Räumlichkeiten mit Herrn (…), einer Mitarbeiterin der Beklagten – Frau (…) – sowie dem Sachverständigen (…) teilgenommen. Eine Mitarbeiterin der Beklagten habe Fotos von den durchfeuchteten Gegenständen und Kartons per E-Mail zugleich an den Kläger und an die Beklagte gesandt. Im Januar 2019 habe er der Frau (…) eine auf den 15.01.2019 datierte detaillierte Schadensaufstellung über 29.460 € mit der Bitte um Veranlassung der Schadensregulierung überreicht.
Am 31.12.2021 ist beim Amtsgericht Wedding der Antrag des Klägers auf Erlass eines Mahnbescheids eingegangen. Nach mehrfachem Schriftverkehr zwischen dem Amtsgericht Wedding und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist am 04.04.2021 ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung von 28.000 € wegen „Schadenersatz aus Unfall/Vorfall gem. Aufstellung (…) , EG Wasserschaden vom 15.01.19“ gegen die Beklagte erlassen worden. Auf den Widerspruch der Beklagten hat das Amtsgericht Wedding die Sache hierher abgegeben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 28.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Zustellung des Mahnbescheids zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie erhebt die Einrede der Verjährung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des begehrten Schadensersatzes in Höhe von 28.000 €.
Dabei kommt als Anspruchsgrundlage allenfalls § 836 BGB in Betracht. Unstreitig bestehen keine vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien. Aus dem Mietvertrag zwischen der Beklagten und Herrn (…) ergeben sich entgegen der Auffassung des Klägers schon deshalb keine Ansprüche des Klägers, weil er grundsätzlich in den Schutzbereich des Hauptmietvertrages nicht einbezogen ist, da er grundsätzlich vertragliche Ansprüche desselben Inhalts aus dem Verwahrvertrag mit der Firma (…) geltend machen kann und damit nicht schutzbedürftig ist (vgl. zu Untermietverhältnissen BGH, Urteil vom 15. 2. 1978 – VIII ZR 47/77 -, NJW 1978, 883; BGH, Urteil vom 06.11.2012 – VI ZR 174/11 -, NJW 2013, 1002 Rn. 9; OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 24.07.2018 – 10 U 8/18BeckRS 2018, 22828 Rn. 11 m.w.N.). Für einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB fehlt es vorliegend jedenfalls an einem von außen kommenden Eingriff der Beklagten in ein fremdes Grundstück. Eine planwidrige Lücke, die eine analoge Anwendung der Vorschrift gebieten würde, ist nicht ersichtlich (vgl. für das Verhältnis Hauptvermieter – Untermieter BGH, Urteil vom 12.12.2003 – V ZR 180/03 -, NJW 2004, 775, 776 f.).

Dies kann jedoch dahinstehen, da jedenfalls die dreijährige Regelverjährung gemäß § 195 BGB einschlägig und der geltend gemachte Anspruch damit mit Ablauf des Jahres 2021 verjährt ist. Insbesondere ist die Verjährung durch den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids vom 31.12.2021 gemäß §§ 204 Abs. 1 Nr. 3,167 ZPO nicht gehemmt worden. Denn es fehlt insoweit an der Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs. Nur bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs wird die Verjährung gehemmt. Dazu ist erforderlich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner nach den Umständen des Einzelfalls die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 14.07.2010 – VIII ZR 229/09 -, NJW-RR 2010, 1455 Rn. 11 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben. Die Individualisierung ergibt sich vorliegend nicht durch die Bezugnahme auf eine Aufstellung vom 15.01.2019. Zwar kann im Mahnbescheid zur Bezeichnung des geltend gemachten Anspruchs auf Rechnungen oder andere Unterlagen Bezug genommen werden; ein solches Schriftstück braucht dem Mahnbescheid auch nicht beigefügt zu werden, wenn es dem Antragsgegner bereits bekannt ist (BGH, a.a.O.). Insoweit ist der Kläger jedoch vorliegend beweisfällig geblieben. Die Beklagte hat bestritten, vom Kläger eine solche Aufstellung erhalten oder sonst davon Kenntnis erlangt zu haben. Der Kläger hat als Beweismittel die Vorlage der Aufstellung bei Bestreiten sowie seine Parteivernehmung angeboten, jedoch trotz des wiederholten Bestreitens die Aufstellung weder im schriftlichen Vorverfahren noch im Termin vorgelegt. Einer Parteivernehmung hat die Beklagte nicht gemäß § 447 ZPO zugestimmt, für eine Vernehmung von Amts wegen fehlt es an dem nach § 448 ZPO erforderlichen Anbeweis. Für den Zugang der Aufstellung bei der Beklagten hat der Kläger keinen weiteren Beweis angeboten. Er hat in seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung zwar (erstmals) erwähnt, dass er die Aufstellung per Boten an die Beklagte gesandt habe. Er hat aber weder einen Beleg dafür vorgelegt, noch den Boten als Zeugen benannt. Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich die Individualisierung auch nicht schon daraus, dass im Mahnbescheid die Anschrift des Grundstücks (…) und der Begriff „Wasserschaden“ genannt sind. Da die Parteien in keiner vertraglichen Beziehung zueinander standen und sich jedenfalls vor dem schädigenden Ereignis nicht kannten, reichen diese Stichworte weder zur Abgrenzung des Anspruchs von anderen möglichen Ansprüchen noch dazu aus, der Beklagten die Beurteilung zu ermöglichen, ob sie sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Denn selbst wenn man den von der Beklagten bestrittenen Vortrag des Klägers unterstellt, dass er bei einer Begehung der vom Wasserschaden betroffenen Räumlichkeiten dabei gewesen sei und die Beklagte und er Adressaten einer E-Mail von der Firma (…) mit Fotos seiner durchfeuchteten Gegenstände gewesen seien, lässt sich der mit dem Mahnbescheid geltend gemachte Schadensersatzanspruch dadurch nicht in einer Weise von anderen Ansprüchen unterscheiden und abgrenzen, die der Beklagten die Möglichkeit eröffnet hätte, zu beurteilen, ob sie sich dagegen zu Wehr setzen will. Die Beklagte wusste unstreitig nichts darüber, ob und welche Gegenstände er auf welcher Rechtsgrundlage in den von der Firma (…) gemieteten Räumlichkeiten eingelagert hatte. Insofern fehlt ein erheblicher Teil des Lebenssachverhalts. Danach konnte die Beklagte auch nicht einschätzen, ob und welche seiner Gegenstände durch den Wasserschaden beschädigt worden sein könnten und ob ihm dadurch ein Schaden in der Größenordnung von 28.000 € entstanden sein könnte. Schließlich wäre eine nachträgliche Indiviualisierung zwar möglich, sie könnte die hemmende Wirkung jedoch erst ex nunc herbeiführen (vgl. Meller-Hannich, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), BeckOGK, § 204 BGB Rn. 147 m.w.N.).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.

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VonRA Moegelin

Tarifliche Entgelterhöhung bei sanitären Einrichtungen

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In einem Haustarifvertrag kann eine Entgelterhöhung für den Fall vereinbart werden, dass die Arbeitgeberin konkret bezeichnete Sanierungsmaßnahmen nicht bis zu einem bestimmten Datum durchführt. Die tarifliche Entgelterhöhung steht unter einer aufschiebenden Bedingung iSd. § 158 Abs. 1 BGB, ohne dass es sich zugleich um eine Vertragsstrafenabrede iSd. §§ 339 ff. BGB handelt.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 2011 beschäftigt. Diese schloss mit der IG Metall im Jahr 2018 einen Haustarifvertrag, der eine Erhöhung der Entgelte in zwei Schritten (April 2018 und Mai 2019) um insgesamt 4,0 vH vorsah. Darüber hinaus war unter „betriebliche Themen“ vereinbart, dass die Beklagte bis zum 31. Dezember 2018 Betriebsvereinbarungen zu bestimmten Themen schließt und dazu erforderliche Baumaßnahmen durchführt. Weiterhin sollten bis zum 30. Juni 2019 sanitäre Einrichtungen grundsaniert werden. Anderenfalls „erfolgt zum 1. Juli 2019 eine weitere Erhöhung der Entgelte um 0,5 vH“. Nachdem die Sanierung am 30. Juni 2019 nicht vollständig abgeschlossen war, hat der Kläger für die nachfolgende Zeit die entsprechende Entgelterhöhung mit einem Zahlungs- und einem Feststellungsantrag geltend gemacht. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Regelung enthalte die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, die unwirksam, jedenfalls aber nach § 343 BGB oder § 242 BGB herabzusetzen sei. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht dem Kläger ein um 0,1 vH höheres Entgelt zugesprochen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg, während die Anschlussrevision der Beklagten weitgehend unbegründet war. Die Bedingung für die Entgelterhöhung iSd. § 158 Abs. 1 BGB ist aufgrund der unvollständigen Durchführung der vereinbarten Sanierungsmaßnahmen eingetreten. Bei der tarifvertraglichen Regelung handelt es sich nicht um eine Vertragsstrafe iSd. §§ 339 ff. BGB. Die Entgelterhöhung betrifft die Ausgestaltung der Hauptleistungspflichten der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse und dient daher anderen Zwecken als eine Vertragsstrafe. Mangels Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen zur Vertragsstrafe kam eine Herabsetzung der Entgelterhöhung nach § 343 BGB nicht in Betracht. Ebenso schied eine solche auf Grundlage von § 242 BGB aus. Dem Zahlungsantrag war daher stattzugeben. Hinsichtlich des Feststellungsantrags war der Rechtsstreit aus prozessualen Gründen an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Februar 2023 – 4 AZR 68/22 –
vgl. Pressemitteilung Nr. 12/23 des Bundesarbeitsgerichts vom 22.02.2023
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Kammern Freiburg, Urteil vom 15. Oktober 2021 – 10 Sa 76/20 –

Hinweise: Der Senat hat in zwei Parallelverfahren (- 4 AZR 73/22 – und – 4 AZR 74/22 -), in denen das Landesarbeitsgericht die Klagen ebenfalls überwiegend abgewiesen hatte, den Revisionen der Kläger stattgegeben und die Anschlussrevision der Beklagten zurückgewiesen.

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VonRA Moegelin

Kündigung einer Assistenzärztin in der Weiterbildung

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Bei der Kündigung einer Assistenzärztin in der Weiterbildung zur Fachärztin wegen Schließung der Klinik
ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, eine Änderungskündigung auf eine andere Stelle als Weiterbildungsassistenz auszusprechen, wenn es sich bei den Stellen als Weiterbildungsassistent nicht um einen anderen Arbeitsplatz iSd § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG handelt. Das ist der Fall, wenn die Zuweisung eines Arbeitsplatzes als Weiterbildungsassistent in einer anderen Fachrichtung nicht nur eine inhaltliche Zuweisung einer anderen Tätigkeit darstellt, sondern auch die Zuweisung eines anderen Qualifikationsweges. Denn das ist jedenfalls einseitig im Wege des Direktionsrechts nicht durchsetzbar.

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 21.11.2022 – 6 Ca 1494/22:

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Der Streitwert beträgt 11.894,37 €.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine fristgemäße Kündigung. Die Klägerin ist seit dem 00.00.0000 bei der Beklagten als Assistenzärztin in der Weiterbildung zur Fachärztin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist befristet bis zum 30.11.2025. Die Klägerin wurde in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-Ärzte/VKA Anwendung. Die Klägerin war zuvor im Klinikum U. bereits als Assistenzärztin in der Inneren Medizin tätig.

Die Klägerin ist 00 Jahre alt und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Ihr tarifliches Grundentgelt beträgt 3.964,79 €.

Die Beklagte entschloss sich im Mai 2022, die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu schließen. Am 09.06.2022 beantragte sie die Herausnahme der Betten aus dem Krankenhausplan (Bl. 86ff. d.A.) . Bereits ab dem 13.06.2022 wurden keine Patientinnen mehr aufgenommen. Ab dem 30.06.2022 wurde die Klinik nicht mehr betrieben, sondern nur noch Dokumentationsarbeiten durchgeführt, im Späteren wurden die Mitarbeiter freigestellt.

Mit Schreiben vom 16.08.2022, der Klägerin am 18.08.2022 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2022. Mit E-Mail vom 19.08.2022 (Bl. 31 d.A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diverse Kliniken im Vorfeld angeboten hätten, Assistenzärzte unter Wahrung des sozialen Besitzstandes zu übernehmen. Die Kündigung sei zur Wahrung der Kündigungsfrist vorsorglich erfolgt, da ein Gesprächstermin vorher nicht habe realisiert werden können. In erster Linie sei ihr wichtig, der Klägerin eine Weiterbeschäftigung als Assistenzärztin in einer der internistischen Kliniken anzubieten. Zudem könne jede andere Ausbildung in einer anderen Fachrichtung im Haus ermöglicht werden. Sollte diese Option für die Klägerin in Betracht kommen, so könne kurzfristig eine Versetzung vorbereitet und aus der Kündigung keine Rechte mehr hergeleitet werden. Die Klägerin werde gebeten, sich nach Sichtung der Angebote zurückzumelden, welche Alternative für sie in Betracht komme.

Mit ihrer am 31.08.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 06.09.2022 zugestellten Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung.

Sie rügt, dass die Beklagte keine behördliche Genehmigung für die Schließung der Klinik habe.

Zudem bestehe der Vorrang der Änderungskündigung.

Sie vertritt die Auffassung, die sechswöchige Kündigungsfrist sei unwirksam, es würde eine tarifliche Kündigungsfrist von vier Monaten gelten.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 16.08.2022 beendet wurde.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, das Beschäftigungsbedürfnis für die Klägerin sei mit der Schließung der Klinik entfallen. Eine Sozialauswahl sei nicht vorzunehmen, da die Klägerin mit Weiterbildungsassistenten in anderen Bereichen nicht zu vergleichen sei.

Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 08.08.2022 (Bl. 89f. d.A.) gehört worden. Dieser habe mit Schreiben vom 09.08.2022 (Bl. 91ff. d.A.) seine abschließende Stellungnahme abgegeben.

Sie sei nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin im Wege der Änderungskündigung eine Stelle als Weiterbildungsassistentin in einem anderen Fachbereich anzubieten, da es sich dabei um eine fachliche Qualifizierung und nicht (nur) um einen Arbeitsplatz iSd § 1 Abs. 2 KSchG handele. Darüber hinaus zeige das Verhalten der Klägerin, die trotz des Schreibens vom 19.08.2022 und einer gerichtlichen Anregung bis heute nicht erklärt habe, ob und wenn ja, welche Weiterbildungsstelle sie annehmen würde, dass sie gar kein Interesse daran habe, eine entsprechende Stelle anzunehmen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Kündigung gilt nicht als wirksam, die Klägerin hat die Klagefrist des § 4 KSchG eingehalten.

2. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt iSd § 1 Abs. 2 KSchG.

a) Das Beschäftigungsbedürfnis für die Klägerin auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz ist mit der Schließung der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe entfallen. Unstreitig ist die Klinik als solche bereits seit dem 30.06.2022 geschlossen, im Nachgang fanden nur noch Dokumentationsarbeiten statt. Die Beklagte konnte die Prognose treffen, dass diese mit dem 30.09.2022 erledigt sein würden.

Der Beklagten ist es auch nicht verwehrt, sich auf die Schließung der Klinik zu berufen. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte mit der Schließung ohne vorherige Herausnahme aus dem Krankenhausplan ihrem öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag nicht nachkommt. Dieses führt im zivilrechtlichen Innenverhältnis nicht dazu, dass keine unternehmerische Entscheidung umgesetzt wurde. Die unternehmerische Entscheidung setzt nicht voraus, dass sie wirksam ist bzw. sanktionslos umgesetzt werden kann. Es mag sein, dass die Beklagte aufgrund ihrer Entscheidung, ihrem Versorgungsauftrag nicht (mehr) nachzukommen, Bußgeld- oder anderen verwaltungsrechtlichen Sanktionen ausgesetzt wird. Dieses spielt aber für die Frage der unternehmerischen Entscheidung keine Rolle. Dieses unterliegt lediglich einer Willkürkontrolle. Diese Grenze ist aufgrund der vorgetragenen Geburtenzahlen kombiniert mit den Organisationsproblemen gerade im Hinblick auf die Hebammen nicht erreicht. Ihre Existenz und Umsetzung ist zwischen den Parteien nicht im Streit.

b) Die Beklagte war nicht verpflichtet, der Klägerin eine Änderungskündigung auf eine andere Stelle als Weiterbildungsassistenz auszusprechen. Es handelt sich bei den Stellen als Weiterbildungsassistent nicht um einen anderen Arbeitsplatz iSd § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG.

In Bezug auf die Weiterbildungsassistenz im ärztlichen Bereich ist zu berücksichtigen, dass diese der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein unterliegt. Die Weiterbildung stellt daher eine Spezialisierung in einem Teil einer medizinischen Fachrichtung dar (vgl. § 2 Abs. 2 WeiterbildungsO AekNO), die sodann nach Beendigung der Weiterbildung und erfolgreicher Prüfung den Arzt berechtigen, die Zusatzbezeichnung Facharzt für das entsprechende Gebiet zu führen. Die Weiterbildung zielt daher nicht auf eine bestimmte Tätigkeit hin, sondern ist eine strukturierte Qualifikation, die entsprechende Kenntnisse vermitteln soll und sodann den Erwerb einer weiteren Qualifikation sichert. Damit stellt die Zuweisung eines Arbeitsplatzes als Weiterbildungsassistent in einer anderen Fachrichtung nicht nur eine inhaltliche Zuweisung einer anderen Tätigkeit dar, sondern auch die Zuweisung eines anderen Qualifikationsweges. Dieses ist jedenfalls einseitig im Wege des Direktionsrechts nicht durchsetzbar.

Die Zuweisung einer anderen Stelle als Weiterbildungsassistentin war auch nicht zu geänderten Bedingungen und damit im Wege der Änderungskündigung zumutbar. Die Weiterbildungen dauern in der Regel ca. 60 Monate, hierauf ist auch die Weiterbildung der Klägerin in der Gynäkologie angelegt. Die Klägerin müsste es daher zumutbar sein, in einem anderen Fachbereich, den sie nicht gewählt hat, eine mehrjährige Qualifikation zu durchlaufen, um in einem hochspezialisierten Beruf eine Qualifikation zu erwerben, die von ihr nicht gewünscht war. Es handelt sich insoweit nicht um eine zumutbare Maßnahme.

Dieses ändert sich auch nicht dadurch, dass die Beklagte im unmittelbaren Nachgang zu der Kündigung entsprechende Angebote unterbreitet hat. Insoweit handelt es sich um ein überobligatorisches Verhalten.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ein entsprechendes Änderungsangebot auszusprechen, so ist es der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf dieses zu berufen. Die Beklagte hat der Klägerin am 19.08.2022 explizit angeboten, sie auf andere Weiterbildungsassistenzen zu versetzen und die Kündigung zurückzunehmen. Die Klägerin hat sich trotz dieses Angebots und des deutlichen Hinweises des Gerichts vom 26.09.2022 nicht geäußert, ob und welche Stelle für sie in Betracht kommt, sondern lediglich auf dem Primat der Änderungskündigung beharrt. Wenn die Klägerin aber sich jeglichem Angebot der Beklagten, das ihr die völlige Wahl gibt, in welchem Bereich sie die Weiterbildung aufnehmen möchte verschließt und sich auch im Kammertermin nicht dazu äußert, verschließt, so kann sie sich dann nicht darauf berufen, die Beklagte hätte das Angebot früher unterbreiten müssen.

3. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt iSd § 1 Abs. 3 KSchG. Die Beklagte war nicht verpflichtet, eine Sozialauswahl über die Grenzen der Weiterbildungsassistentin in der Gynäkologie vorzunehmen. Sie wäre nicht berechtigt, die Klägerin aufgrund der spezifischen Inhalte der Ausbildung einseitig auf ein anderes Fachgebiet umzusetzen, so dass insoweit keine Austauschbarkeit besteht.

4. Die Beklagte hat den Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt iSd § 102 Abs. 1 BetrVG. Die abschließende Stellungnahme lag am 10.08.2022 und damit vor Zugang der Kündigung vor. Weitere konkrete Rügen hat die Klägerin nicht erhoben.

5. Die Kündigung wirkte auch zum 30.09.2022. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-Ärzte/VKA Anwendung. Da es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt, findet § 31 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA Anwendung. Bei einer Dauer des Arbeitsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber zwischen einem und zwei Jahren beträgt die Kündigungsfrist sechs Wochen zum Schluss eines Kalendermonats. Eine Anrechnung anderer Betriebszugehörigkeiten ist in § 31 TV-Ärzte/VKA anders als in § 35 TV-Ärzte/VKA nicht vorgesehen. Die Klägerin hat allerdings auch nicht vorgetragen, dass ihr vorheriges Arbeitsverhältnis dem TVöD-VKA unterfiel.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

III. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 3 ZPO.

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VonRA Moegelin

Zusage der bezahlten Freistellung des Arbeitnehmers

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Der Feststellungsklage des Arbeitnehmers gerichtet auf eine unwiderruflichen Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung sind erhebliche Hürden gesetzt, da er die Darlegungs- und Beweislast trägt. In diesem Sinne hat das LAG Düsseldorf darauf hingewiesen, dass der Nachweis einer entsprechenden Zusage durch den Arbeitgeber kaum zu erbringen sein.

Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 28.02.2022 – 8 Sa 594/22:

Der Kläger war seit 1994 im Bereich der Grünpflege bei der beklagten Stadt tätig. Dieser war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und tarifvertraglich ordentlich unkündbar. Er verdiente zuletzt monatlich 3.200,00 Euro brutto. Im Jahr 2015 erfolgte eine Abordnung zum Ordnungsamt. Mit einstweiligem Verfügungsverfahren erreichte der Kläger, dass die Beendigung der Abordnung Ende 2015 unter der Voraussetzung einer vertrauensärztlichen Untersuchung nicht erfolgte. Die Stadt teilte dem Kläger daraufhin mit, dass, sofern der Kläger seine Arbeitskraft nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit anbiete, diese bis auf Widerruf nicht angenommen werde, insbesondere nicht vor dem Vorliegen des amtsärztlichen Untersuchungsergebnisses. Es werde auf das persönliche Anbieten der Arbeitsleistung verzichtet und der Arbeitswille unterstellt. Gleichzeitig erfolge die Zahlung von Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugslohns.

Ein Versetzungsantrag des Klägers an das Ordnungsamt scheiterte. Mit Schreiben vom 27.11.2017 bot die Stadt dem Kläger eine Einsatzmöglichkeit im Amt für Straßen und Verkehr an. Trotz mehrfacher Versuche kam es nicht zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und der Stadt. In einem weiteren gerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Essen erklärte die Stadt nochmals, dass eine Tätigkeit im Bereich Straßen und Verkehr für den Kläger vorhanden sei. Das Verfahren wurde ruhend gestellt und ein Termin zum Kennenlernen seitens des Klägers wahrgenommen. Dieser verlief negativ. Nach der Vorstellung des Klägers im Museum Zeche Zollverein im Frühjahr 2018 kam es dort zu keiner Einstellung. Der Kläger ist seitdem unbeschäftigt. Er erhielt gleichwohl fortlaufend seine vereinbarte Vergütung. Die Stadt forderte den Kläger Anfang 2022 auf, im Rathaus zu erscheinen, um über seine weitere Tätigkeit zu sprechen. Hierzu wurde kein Einvernehmen erzielt

Der Kläger begehrt mit der Klage vom 20.04.2022 die Feststellung, dass er seitens der Stadt unwiderruflich und unter Fortzahlung seiner Vergütung freigestellt worden sei. Der für ihn zuständige Sachgebietsleiter habe dies bereits im Februar 2018 erklärt. Er habe ausdrücklich nachgefragt, wie lange dies dauern solle. Der Sachgebietsleiter habe geantwortet, dass dies dauerhaft und unwiderruflich sei. Er brauche auch keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr zu führen. Dem widerspricht die Stadt. Eine entsprechende Zusage habe es nicht gegeben. Hierzu sei der Sachgebietsleiter zudem nicht befugt gewesen. Außerdem würden Personalgespräche bei ihr auf Arbeitgeberseite grundsätzlich durch zwei Personen geführt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Abrede zu einer dauerhaften unwiderruflichen Freistellung mit Fortzahlung der Vergütung habe der Kläger nach Vernehmung einer Zeugin, einer Bekannten des Klägers, und eines Zeugen, des Sachgebietsleiters, nicht beweisen können.

Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat im heutigen Termin darauf hingewiesen, dass die Berufung bei vorläufiger Würdigung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen voraussichtlich wenig Aussicht auf Erfolg habe. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts sei wohl nicht zu beanstanden. Es bestünden außerdem Bedenken, ob die behauptete Erklärung im Sinne einer Freistellung zu verstehen sei, die tatsächlich unwiderruflich sei. Sähe man dies anders, bestünden weiter Bedenken, ob der Sachgebietsleiter zu der von dem Kläger behaupteten Erklärung bevollmächtigt sei.

Die Parteien haben in dem Termin auf Vorschlag des Gerichts zur Gesamtbereinigung ihres Streits auch über die Einsetzbarkeit und den Einsatz des inzwischen 58jährigen Klägers einen widerruflichen Beendigungsvergleich geschlossen. Das Arbeitsverhältnis endet am 31.12.2023 bei Zahlung einer Abfindung in Höhe von 85.000,00 Euro. Dieser Vergleich kann noch von beiden Parteien bis zum 14.03.2023 widerrufen werden.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 8 Sa 594/22
Arbeitsgericht Essen, Urteil vom 29.08.2022 – 6 Ca 714/22

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Ungleichbehandlung beim Nachtzuschlag im Tarifvertrag

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Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Getränkeindustrie. Die Klägerin leistete dort im Streitzeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24. März 1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Arbeitnehmer/innen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit. Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag iHv. 20 %. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, auf den es allein ankomme, nicht. Der Anspruch auf Schichtfreizeit beseitige die Ungleichbehandlung nicht, da damit nicht die spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit ausgeglichen würden. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin weitere Nachtarbeitszuschläge iHd. Differenz zwischen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage teilweise stattgegeben. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – vgl. PM Nr. 46/20) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 7. Juli 2022 – C-257/21 – entschieden, dass die Regelung von Nachtarbeitszuschlägen in Tarifverträgen keine Durchführung von Unionsrecht ist.

Nachgehend zu dieser Entscheidung hatte die Revision der Beklagten vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, sind zwar miteinander vergleichbar. Auch werden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtarbeit. Für diese Ungleichbehandlung ist vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben. Der MTV beinhaltet zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und hat damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Daneben bezweckt der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen. Den Tarifvertragsparteien ist es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht. Es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2020 – 8 Sa 2030/19 –

Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat gleichlautend auch in dem Parallelverfahren – 10 AZR 333/20 – entschieden.

Zur Entscheidung am heutigen Tag standen daneben weitere Verfahren mit vergleichbaren tariflichen Regelungen zum Manteltarifvertrag für die Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie vom 16. März 1989 (- 10 AZR 379/20 -), zum Manteltarifvertrag für die milchbe- und verarbeitenden Molkereibetriebe Niedersachsen/Bremen vom 22. Januar 1997 (- 10 AZR 461/20 -) sowie zum Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie vom 14. Mai 2007 (- 10 AZR 397/20 -). In diesen Verfahren hatten die Vorinstanzen die Klagen jeweils abgewiesen. Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Zehnten Senat keinen Erfolg. Auch die Auslegung dieser Tarifverträge ergibt, dass mit den höheren Zuschlägen bei unregelmäßig auftretender Nachtarbeit neben dem spezifischen Ausgleich für die Nachtarbeit die zusätzlichen Belastungen durch die fehlende Planbarkeit solcher Arbeitseinsätze ausgeglichen werden sollen.

(Quelle: Pressemitteilung Nr. 11/23 des Bundesarbeitsgerichts vom 22.02.2023)

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen übler Nachrede per WhatsApp

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Verbreitet eine Arbeitnehmerin eine unzutreffende Behauptung, die geeignet ist, den Ruf eines Kollegen erheblich zu beeinträchtigen (hier: die unzutreffende Behauptung, der Kollege sei wegen Vergewaltigung verurteilt worden) per WhatsApp an eine andere Kollegin, kann dies einen Grund darstellen, der den Arbeitgeber auch zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. (Leitsätze)

Volltext des Urteils des LAG Baden-Württemberg Urteil vom 14.3.2019, 17 Sa 52/18:

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des ArbG Stuttgart (24 Ca 1481/18) vom 10.04.2018 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die am … Oktober 1987 geborene Klägerin wurde zum 15. Februar 2018 (Donnerstag) von der Beklagten als kaufmännische Angestellte eingestellt. Die Parteien vereinbarten einen Bruttomonatsverdienst in Höhe von 2.100 EUR und eine Probezeit von 6 Monaten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von 2 Wochen beendet werden können soll.
2

Nachdem sie ihre Tätigkeit für die Beklagte am 15. Februar 2018 aufgenommen hatte, besuchte die Klägerin am Samstag, den 17. Februar 2018, in ihrer Freizeit ein Café. Dort entwickelte sich ein Gespräch an der Bar mit ihrem Bekannten J. H. und weiteren flüchtigen Bekannten der Klägerin. Seitens Herrn H. und weiterer Gesprächsteilnehmer wurde geäußert, dass ein Mitarbeiter der Beklagten, Herr R. S., der gleichzeitig der Vater des Geschäftsführers S. S. ist, angeblich ein verurteilter Vergewaltiger sein soll. Diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Dies erfuhr die Klägerin erst später, im Zusammenhang mit ihrer Kündigung.
3

Im Anschluss an diese Unterhaltung informierte die Klägerin am selben Tag ihre Kollegin, S. D., mittels des Messenger-Dienst „WhatsApp“ über den Inhalt des Gesprächs, vor allem über das – unzutreffende – Gerücht, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger.
4

In der Konversation über WhatsApp heißt es auszugsweise (auf der rechten Seite die Nachrichten der Klägerin, auf der linken Seite die Nachrichten von Frau S. D, Mitarbeiterin der Beklagten):
5

„Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber er [Herr R. S., Mitarbeiter der Beklagten und Vater des Geschäftsführers; Anm. des Gerichts] soll ein verurteilter Vergewaltiger sein, deswegen will ganz L. nichts mehr mit ihm zu tun haben.
6

S. [Frau S. D.; Anmerkung des Gerichts], ich werde jetzt ALLES unternehmen, dass wir BEIDE dort rauskommen.

7

Jetzt bin ich geschockt. Ich wusste das er viel scheisse gebaut hat aber das ..
8

Ich habe auch die Augen aufgerissen. Habe erzählt, wo ich arbeite und die Leute erzählen mir sowas.
9

Ja gibt’s da irgendein Urteil oder so und wann soll das denn gewesen sein ?
10

Keine Ahnung, das haben die Leute nicht dazu gesagt, aber ganz EHRLICH für so jemanden werde ich nicht arbeiten.
11

Und DU auch nicht.
12

Ich lasse mir etwas einfallen. Mäuschen.
13

So was ist schon eine krasse Behauptung
14

Das haben mir mehrere Leute unabhängig von einander erzählt.

15

Er soll früher wohl auch Betrug in der Versicherungsbranche durchgeführt haben. Das soll aber nie angezeigt worden sein.
16

…
17

Ich weiß es auch nicht, aber die Leute, die mir das erzählt haben, haben noch nie Mist erzählt. Bin auch schockiert gewesen, als ich das gehört habe. Hab sogar kurzzeitig überlegt, ihn mit den Behauptungen zu konfrontieren.“
18

Die Klägerin hatte Frau D., die schon seit längerem für die Beklagte arbeitete, erst zwei Tage zuvor, am Tage ihrer Arbeitsaufnahme, im Betrieb kennengelernt.
19

Frau D. wiederum nahm noch an dem Tag, an dem sie von der Klägerin von der im Nachhinein falschen Behauptung Kenntnis erhielt, telefonisch Kontakt zum Geschäftsführer der Beklagten auf und bat um einen Gesprächstermin. In der anschließenden Unterredung, welche noch am gleichen Tag stattfand und in welcher neben dem Geschäftsführer S. S. auch dessen Vater R. S. anwesend war, informierte Frau D. über den Inhalt der WhatsApp-Kommunikation mit der Klägerin.
20

Der Geschäftsführer der Beklagten kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich am Montag, den 19. Februar 2018, und hilfsweise ordentlich zum 6. März 2018.
21

Am 13. März 2018 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Sie ist der Ansicht, die fristlose Kündigung sei nicht rechtswirksam. Nachdem sie von dem Gerücht, dass der Mitarbeiter R. S., der Vater des Geschäftsführers, wegen Vergewaltigung verurteilt worden sein soll, gehört hatte, habe sie Anlass zur Sorge gehabt. Sie habe auf die Vertraulichkeit der Kommunikation per WhatsApp mit der Kollegin Frau D. vertraut.
22

Die Klägerin beantragte erstinstanzlich:
23

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. Februar 2018 nicht beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf des 6. März 2018 fortbestanden hat.
24

Die Beklagte beantragte erstinstanzlich,
25

die Klage abzuweisen.
26

Sie ist der Ansicht, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, weil sich die Klägerin wahrheitswidrige Behauptungen zu eigen gemacht habe. Zudem habe sie versucht, ihre Kollegin dazu zu bewegen, ihre Arbeitsstelle bei der Beklagten aufzugeben. Sie habe damit rechnen müssen, dass sich ihre Kollegin Frau D. wegen der Aufklärung des Sachverhaltes an den Arbeitgeber wenden würde. Die Klägerin habe nicht nur den Kollegen R. S. erheblich in Misskredit gebracht, sondern auch das Ansehen der Firma geschädigt und den Betriebsfrieden nachhaltig gestört.
27

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, soweit sie sich gegen die außerordentliche Kündigung richtete. Es liege kein Grund für eine außerordentliche Kündigung vor. Das Arbeitsverhältnis habe infolge ordentlicher Kündigung in der Probezeit mit Ablauf des 6. März 2018 geendet. Die Klägerin habe keinen Vorsatz bezüglich der Unwahrheit der Behauptung gehabt, sie habe vielmehr den falschen Behauptungen Dritter Glauben geschenkt. Ihr könne nur vorgeworfen werden, die gravierenden Anschuldigungen nicht näher hinterfragt zu haben, sondern diese zum Anlass genommen zu haben, ihre Kollegin Frau D. dahingehend zu beeinflussen, dass eine Weiterarbeit im Betrieb der Beklagten für sie beide nicht möglich sei, nachdem sie selbst den Behauptungen Glauben schenkte. Bei alldem habe die Klägerin auf die Vertraulichkeit der WhatsApp-Kommunikation vertraut, da die Mitteilung nicht in einem Gruppen-Chat, sondern in einer 2-er Kommunikation erfolgte.
28

Gegen das Urteil vom 12. Juli 2018, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt am 30. Juli 2018 legte die Beklagte am 27. August 2018 Berufung ein.
29

Die Beklagte begründet ihre Berufung wie folgt: Die Klägerin habe keineswegs nur geglaubt, dass der Mitarbeiter R. S. ein verurteilter Vergewaltiger sei, sondern sei sogar fest davon ausgegangen. Das Arbeitsgericht habe unzutreffend unterstellt, die Klägerin habe ein klärendes Gespräch gesucht. Die Klägerin habe vehement auf die Kollegin D. eingewirkt, damit diese ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beendet.
30

Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz:
31

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12. Juli 2018, Az.: 24 Ca 1481/18, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
32

Die Klägerin beantragt,
33

die Berufung zurückzuweisen.
34

Die Klägerin trägt vor, sie habe auf den Wahrheitsgehalt der Äußerungen Dritter und auch auf die Vertraulichkeit der WhatsApp-Kommunikation mit der Kollegin vertraut.

Entscheidungsgründe

 

35

I. Zulässigkeit der Berufung
36

Die Berufung ist statthaft gem. § 64 Abs. 2 c) ArbGG. Die Berufung ist gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden. Sie genügt auch den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO an eine ordnungsgemäße Begründung der Berufung. Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung an, es habe rechtsfehlerhaft den der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht als Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen lassen.

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II. Begründetheit der Berufung
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Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht erst aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Probezeitkündigung endete, sondern bereits durch außerordentliche Kündigung vom 19. Februar 2018 mit sofortiger Wirkung. Die fristlose Kündigung vom 19. Februar 2018 ist gem. § 626 Abs. 1 BGB wirksam.
39

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt werden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
40

Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, 19. Juli 2012 – 2 AZR 989/11).

41

a) Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen u. a. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG, 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber und/oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG, 27. September 2012 – 2 AZR 646/11).

42

Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung kann insbesondere vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zu Lasten eines Vorgesetzten den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) erfüllt. Die Begehung von (Ehr-)Delikten zu Lasten des Arbeitgebers oder zu Lasten von Vorgesetzten ist grundsätzlich geeignet, einen die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund darzustellen. Dabei kommt es nicht auf die strafrechtliche Wertung an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber deswegen nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAG, 21. April 2005 – 2 AZR 255/04). Mit der Begehung einer Straftat verletzt der Arbeitnehmer zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09; Rn. 26).

43

b) Strafrechtlich ist im Ehrenschutz zwischen Beleidigung (§ 185 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB) und übler Nachrede (§ 186 StGB) zu unterscheiden.

44

Im Unterschied zur einfachen Beleidigung erfasst der Tatbestand der üblen Nachrede das Behaupten oder Verbreiten von ehrenrührigen Tatsachen, wenn der Kundgabeempfänger nicht – oder zumindest nicht nur – der Betroffene ist. Im Unterschied zur Verleumdung setzt die üble Nachrede nicht voraus, dass der Täter weiß, dass die ehrenrührige Tatsachenbehauptung unwahr ist.

45

c) Weil § 186 2. Alt StGB für die Begehung der Tathandlung in öffentlicher Form oder unter Verbreitung von Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) einen höheren Strafrahmen vorsieht, ist für das Tatbestandsmerkmal „Verbreiten“ nicht erforderlich, dass die Tatsachenmitteilung an einen größeren Personenkreis gelangt oder gelangen soll. Die Mitteilung an nur einen Erklärungsempfänger reicht aus (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 186 Rn. 8 unter Verweis auf RG, 10. September 1897 – 2907/97; RGSt 30, 225).

46

d) Im Rahmen des § 186 StGB muss sich der Vorsatz zwar auf die Ehrenrührigkeit der verbreiteten Tatsache, nicht aber auf deren Unwahrheit oder Nichterweislichkeit beziehen, auch eine Sorgfaltswidrigkeit ist insoweit nicht erforderlich (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 186 Rn. 11).

47

e) Gegenüber der einfachen Beleidigung ist die üble Nachrede zwar nur in den Fällen, in denen der Täter sie öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften begeht, mit höherer Strafe bedroht. Aber sie ist bei abstrakter Betrachtung das Delikt mit dem höheren Unrechtsgehalt (vgl. Hilgendorf in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, Rn. 2 zu § 186 StGB): im Vergleich zum unsubstantiierten Werturteil (z.B. Bezeichnung als „Idiot“) hat die gegenüber einem Dritten abgegebene Tatsachenäußerung als motiviertes Urteil mehr Gewicht. Das Werturteil ist in seiner Suggestivkraft vom Prestige des Täters abhängig. Tatsachen hingegen sprechen für sich. Deshalb ist es stärker als das Werturteil oder die Meinungsäußerung geeignet, den Kundgabeempfänger gegen den Betroffenen einzunehmen (vgl. Hilgendorf in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, Rn. 2 zu § 186 StGB). Im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes bedroht das Gesetz in § 186 StGB die ehrenrührige Tatsachenbehauptung nicht erst mit Strafe, wenn sie unwahr ist, sondern schon dann, wenn sie „nicht erweislich wahr“ ist.
48

2. Die Klägerin verbreitete über WhatsApp die objektiv unzutreffende Behauptung, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger. Diese Behauptung stellt eine ehrenrührige Behauptung dar, die zudem geeignet ist, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dass es sich bei der Behauptung um eine ehrenrührige Behauptung handelte, war der Klägerin bewusst. Dies ergibt sich bereits aus ihrer Formulierung „und deshalb will ganz L. mit ihm nichts mehr zu tun haben.“, dem gesamten Verlauf der Chat-Unterredung und aus ihrer Entscheidung heraus, wegen dieses Umstandes nicht mehr für die Beklagte arbeiten zu wollen.
49

Für das Verbreiten reicht die Weitergabe einer Tatsachenbehauptung an Dritte als Gegenstand fremden Wissens oder Behauptens (Regge/Pegel in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, Rn. 18 zu § 186 StGB). Im Gegensatz zum Behaupten ist hierbei nicht erforderlich, dass der Täter sich die fremde Tatsachenbehauptung selbst zu eigen macht. Für das Verbreiten reicht es aus, wenn er die fremde Behauptung nur an eine weitere Person weitergibt, dies auch, wenn dies vertraulich geschieht (Regge/Pegel, a..a.O.; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 186 Rn. 8 unter Verweis auf RG, 10. September 1897 – 2907/97; RGSt 30, 225). Auch die Weitergabe in einem 2er Chat erfüllt damit den Tatbestand des Verbreitens im Sinne von § 186 StGB.
50

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Behauptung unwahr ist. Insoweit kommt es auf die Nichterweislichkeit der Wahrheit der Behauptung als objektiven Strafausschließungsgrund (vgl. BGH, 12. Februar 1958 – 4 StR 189/57) nicht an.
51

Die Klägerin kann sich auch nicht auf ihr Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG, 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14; Rn. 18), sondern wird durch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. Allerdings muss der auch strafrechtlich gewährleistete Ehrenschutz beachtet werden.
52

Die Klägerin kann sich für ihr Verhalten auch nicht mit Erfolg auf einen Rechtfertigungsgrund, insbesondere die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) berufen.
53

Eine Ehrverletzung, wie die üble Nachrede, ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil mit der Äußerung irgendwelche rechtlich schutzwürdigen Interessen verfolgt werden, sondern nur dann, wenn diese schutzwürdigen Interessen sich gerade auch gegenüber dem Recht auf Ehre durchsetzen dürfen. Insoweit ist eine Güter- und Interessenabwägung durchzuführen (vgl. BAG, 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14; Rn. 18).
54

Nicht der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen Äußerungen, die lediglich der Freude am Klatsch, der Befriedigung menschlicher Neugier und der Erregung von Sensationen dienen (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 193 Rn. 9). Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass sie in Sorge um ihr eigenes Wohl war und sich als Frau an ihrem Arbeitsplatz in der Firma nicht mehr sicher fühlte, nachdem sie von der Behauptung gehört hatte, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger. Sie könnte mit der Weitergabe der Behauptung gegenüber ihrer Kollegin, Frau S. D., versucht haben, sich Klarheit über den Wahrheitsgehalt der Behauptung zu verschaffen. Für eine derartige Klärung der Faktenlage ist jedoch eine Kollegin nicht unbedingt die geeignete Ansprechpartnerin. Darüber hinaus hatte sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Chats mit ihrer Kollegin bereits entschieden, nicht mehr weiter für die Beklagte arbeiten zu wollen. Stand ihr Entschluss fest, ist kein berechtigtes Interesse mehr erkennbar, weshalb die Klägerin das Gerücht in Wahrnehmung berechtigter Interessen verbreiten können soll. Die Sorge um das eigene Wohl und das Wohl einer Kollegin rechtfertigt nicht das Verbreiten des Gerüchtes, denn das Verbreiten des Gerüchts ist per se nicht geeignet, die eigene Sicherheit oder auch nur das von ihr empfundene Sicherheitsgefühl zu verbessern. Außerdem versuchte sie, auch die Kollegin dazu zu bringen, die Arbeit im Betrieb der Beklagten zu beenden.
55

Eine Rechtfertigung scheidet damit aus. Die Weitergabe des Gerüchtes über WhatsApp an die Kollegin stellt einen Grund dar, der „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
56

3. Auch bei der Interessenabwägung im Einzelfall überwiegt das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Klägerin an der Einhaltung der 14-tägigen Kündigungsfrist.
57

Bei der unwahren Tatsache, die von der Klägerin verbreitet wurde, handelt es sich um eine äußert gravierende Beschuldigung. Es wurde verbreitet, der Mitarbeiter R. S., der Vater des Geschäftsführers der Beklagten, sei wegen der Tat einer Vergewaltigung (§ 177 StGB) verurteilt worden. Eine Vergewaltigung ist ein Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafandrohung von 2 Jahren (§ 177 Abs. 6 StGB). Soweit – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung unwahr ist, ist die mit der Verbreitung einhergehende Rufschädigung des Betroffenen erheblich. Dies betrifft nicht nur den Kreis der Mitarbeiter des Betriebes, sondern auch die Außenwirkung des Arbeitgebers. Würde das – objektiv falsche – Gerücht nach außen gelangen, könnten auch Kundenbeziehungen auf dem Spiel stehen.
58

Zu Ungunsten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Vorfalles noch nicht einmal drei Tage bestanden hat. Ein durch längere Betriebszugehörigkeit verdienter Bestandsschutz war für die Klägerin hiermit noch nicht verbunden.
59

Zu Ungunsten der Klägerin ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen Einzelfall gehandelt hat. Die Klägerin hat im gleichen Chat mit Frau D. auch noch behauptet, Herr S. habe auch noch einen Versicherungsbetrug begangen.
60

Der Verschuldensvorwurf an die Klägerin ist nicht unerheblich. Sie hat das Gerücht nicht einer Überprüfung, z.B. durch eigene Nachfragen an ihren Bekannten zu den näheren Umständen (z.B. wann sich der Vorfall bzw. die Verurteilung sich ereignet haben soll…) unterzogen, sondern die Behauptung in dem Chat mit ihrer Kollegin als feststehende Tatsache behandelt. Dies, obwohl die Klägerin das Gerücht aus einer Quelle erhielt, die nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht unbedingt für eine hohe Authentizität bekannt ist, nämlich aus einem Gespräch an einer Bar.
61

Die Behauptung war zudem geeignet, die Position des Geschäftsführers zu untergraben, da sich die unzutreffende diffamierende Behauptung auf dessen Vater bezog. Die Untergrabung der Position eines Vorgesetzten muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG, 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08).
62

4. Vor Ausspruch der Kündigung war auch keine Abmahnung erforderlich. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist, und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, 23. Oktober 2008 – 2 AZR 483/07).
63

In Anbetracht der Strafbarkeit (§ 186 StGB) ihres Verhaltens, war für die Klägerin erkennbar eine Hinnahme des Verhaltens durch die Beklagten offensichtlich ausgeschlossen. Die ehrenrührige und wahrheitswidrige Behauptung bezog sich zum einen auf den Vater des Geschäftsführers, der auch für die Beklagte arbeitet. Zum anderen ist mit der Behauptung, Herr S. sei wegen Vergewaltigung verurteilt, wegen des hohen Unrechtsgehalt einer solchen Tat ein äußerst schwerwiegender Vorwurf verbunden.
64

5. Auf den Inhalt des Schriftsatzes der Bevollmächtigten der Beklagten vom 12. März 2019 kam es für die Entscheidungsfindung nicht an. Insoweit war die Gewährung des vom Bevollmächtigten der Klägerin beantragten Schriftsatzrechts nicht notwendig.

65

C) Nebenentscheidungen
66

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor. Alle entscheidungserheblichen Fragen sind höchstrichterlich geklärt. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls.

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