Kategorien-Archiv Allgemein

VonRA Moegelin

Ignorieren mehrerer Verkehrsschilder

Share

Bei dem achtlosen Vorbeifahren an mehreren beidseitig aufgestellten, die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen, ist der Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber dem betroffenen Autofahrer als erhöht anzusehen. Das stellt eine Rechtfertigung dar, die Regelgeldbuße entsprechend zu erhöhen, wenn er mehrere, statt nur ein einziges Verkehrsschild ignoriert. In diesem Fall erhöht sich die Regelgeldbuße daher gemäß BKatV von 70,- Euro um 15,- Euro.

Volltext des Beschlusses des OLG Koblenz vom 08.03.2021 – 4 OWi 6 SsRs 26/21:

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Linz am Rhein vom 22. Mai 2020 wird zugelassen.

2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

3. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das zu Ziffer 1. bezeichnete Urteil wird auf seine Kosten (§ 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe

I.1. Die Zentrale Bußgeldstelle beim Polizeipräsidium R. hat mit Bußgeldbescheid vom 2. Oktober 2019 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h ein Bußgeld von 70,- Euro festgesetzt.

Im Verfahren nach hiergegen eingelegtem Einspruch hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässiger Begehungsweise dieser Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 85,- Euro verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 23. Juni 2019 mit einem Pkw die Bundesautobahn A . in der Gemarkung N., Fahrtrichtung F., im dort auf 100 km/h beschränkten Bereich mit einer Geschwindigkeit von 121 km/h (nach Toleranzabzug), wobei die die Beschränkung anordnenden Verkehrszeichen vor der Messstelle dreimal beidseitig wiederholt aufgestellt waren (bei Autobahn-Km 43.375, 44.300 u. 45.450). Die Messung selbst erfolgte im standardisierten Messbetrieb mit dem Gerät ES 3.0 der Firma … GmbH, Softwareversion 1.008.

Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dass der Betroffene die Verkehrsschilder beim Vorbeifahren wahrgenommen hat und dass er bei Einhaltung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt die angeordnete Höchstgeschwindigkeit hätte einhalten können.

Die Erhöhung der an sich verwirkten Regelgeldbuße von 70,- Euro um 15,- Euro hat das Amtsgericht damit begründet, dass der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit gehandelt habe, weil er sein Fahrverhalten trotz mehrfach hintereinander aufgestellter Verkehrszeichen nicht angepasst habe.

2. Gegen dieses Urteil hat sich der Betroffene zunächst durch Telefax-Schreibens seines Verteidigers vom 11. Juni 2020 mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewendet, ohne dieses Begehren in der Folge näher zu begründen. Das Amtsgericht hat den Antrag dahingehend ausgelegt, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung begehrt werde, diesen Antrag jedoch durch Beschluss vom 22. Oktober 2020 als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat die 12. Strafkammer des Landgerichts Koblenz am 17. Dezember 2020 als unbegründet verworfen.

3. Darüber hinaus hat der Betroffene durch das Telefax-Schreiben seines Verteidigers am 11. Juni 2020 auch Rechtsbeschwerde einlegen lassen, deren Zulassung er zugleich beantragt. Er rügt allgemein die Verletzung formellen und materiellen Rechts, wobei Verfahrensrügen in der Folge nicht weiter ausgeführt und begründet werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 27. Januar 2021 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen; sie ist der Auffassung, der Fall biete keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Der Senat hat davon abgesehen, dieses Votum dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger zur Kenntnis zu bringen, weil die darin geäußerte Rechtsauffassung aus Sicht des Senats nicht zutreffend ist.

II. Der Einzelrichter des Senats hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des sachlichen Rechts zugelassen, nämlich hinsichtlich der Frage, ob das Vorbeifahren an mehreren beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen und deren Nichtbeachtung einen erhöhten Fahrlässigkeitsvorwurf begründet, welchem durch Erhöhung der in der BKatV vorgesehenen Regelgeldbuße Rechnung getragen werden kann.

Er hat die Sache dann gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG sowohl zur Fortbildung des Rechts als auch – was nach Zulassung der Rechtsbeschwerde auch in Ansehung der Vorschrift des § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG möglich ist – zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

III. 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und im Hinblick auf die Sachrüge auch in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt und begründet worden. Soweit der Betroffene die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften beanstandet, erweist sich das Rechtsmittel als unzulässig, weil entgegen § 79 Abs. 3 OWiG iVm. § 344 Abs. 2 StPO die den Mangel enthaltenden Tatsachen nicht angegeben werden.

2. In der Sache führt das Rechtsmittel nicht zum Erfolg. Die Überprüfung des Urteils hat auf die Sachrüge hin keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgedeckt.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften gemäß §§ 24 Abs. 1 StVG, 41 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO iVm. Nr. 11.3.4 BKatV in objektiver wie subjektiver Weise.

Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern.

Insbesondere ist ein sachlich-rechtlicher Verstoß nicht darin zu sehen, dass das Amtsgericht die Regelgeldbuße gemäß BKatV von 70,- Euro um 15,- Euro erhöht hat, weil es dem Betroffenen eine erhöhte Fahrlässigkeit angelastet hat.

In der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz wird die Frage, ob der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit handelt, wenn er mehrere beidseitig aufgestellte Verkehrszeichen ignoriert, ohne sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen, unterschiedlich beantwortet, wobei bislang – soweit ersichtlich – hierzu eine Senatsentscheidung noch nicht vorliegt.

Dies wird in einigen Entscheidungen des 1. und 2. Bußgeldsenats bejaht (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 1 OWi 6 SsRs 361/20 v. 25.11.2020; 1 OWi 6 SsRs 253/30 v. 02.10.2020; 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020; 1 OWi 6 SsBs 11/18 v. 08.06.2018). Demgegenüber ist in einer Entscheidung des links unterzeichnenden Einzelrichters des 3. Bußgeldsenats die Auffassung vertreten worden, dass durch ein solches Fehlverhalten der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht erhöht wird und deshalb eine darauf gestützte Erhöhung der Regelgeldbuße zu unterbleiben hat (OLG Koblenz, Beschl. 3 OWi 6 SsRs 299/20 v. 26.10.2020).

Der Senat entscheidet die Rechtsfrage jetzt dahingehend, dass in den besagten Fällen ein gegenüber dem Regelfall – dem achtlosen Vorbeifahren an nur einem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen – der Fahrlässigkeitsvorwurf als erhöht anzusehen ist, was es rechtfertigt, die Regelgeldbuße entsprechend zu erhöhen. An der anderslautenden Rechtsprechung des Einzelrichters des Senats vom 26. Oktober 2020 wird nicht mehr festgehalten.

Grundsätzlich sind die Regelsätze der BKatV für die Gerichte verbindlich, da sie Rechtssatzqualität haben (vgl. BeckOK-OWiG/Sackreuther, § 17 Rn. 111; KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 103). Dabei gehen die Bußgeldregelsätze für fahrlässiges Handeln von gewöhnlichen Fällen aus; ein Abweichen hiervon ist nur dann angezeigt, wenn außergewöhnliche, besondere Umstände vorliegen, die nicht dem durchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad entsprechen. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 3 OWiG, wonach Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf sind, der den Täter trifft.

Der individuelle Sorgfaltsverstoß, der dem Betroffenen hier anlastet, ist nach den Urteilsgründen des Amtsgerichts darin zu sehen, dass er trotz Kenntnis der im Messstellenbereich durch Zeichen 274 angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h sein Fahrverhalten sorgfaltswidrig nicht angepasst hat, obwohl er zuvor wiederholt durch die mehrfache Beschilderung mit dem gleichen Zeichen dazu angehalten worden ist. Diesem Verhalten liegt eine gegenüber dem Regelfall, der Nichtbeachtung nur eines Schildes, eine erhöhte Sorgfaltspflichtverletzung zugrunde.

Für einen erhöhten Sorgfaltsverstoß und die damit einhergehende besondere individuelle Vorwerfbarkeit sprechen zunächst Sinn und Zweck der Mehrfachbeschilderung. Nach Ziffer I. zu Zeichen 274 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) v. 26. Januar 2001 sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind. Dies gilt jedoch nur dann, wenn festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten wird. Im anderen Fall muss die geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit durchgesetzt werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen können sich im Einzelfall schon dann empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Maßgabe der voranstehenden Erwägungen der VwV-StVO angeordnet werden, wo Fahrzeugführer insbesondere in Kurven, auf Gefällstrecken und an Stellen mit besonders unebener Fahrbahn ihre Geschwindigkeit nicht den jeweiligen Straßenverhältnissen anpassen; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 % der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde.

Daraus folgt, dass ein Fahrzeugführer davon auszugehen hat, dass er sich mit seinem Fahrzeug auf einer besonders unfall- oder sonst gefahrenträchtigen Strecke befindet, wenn er ein geschwindigkeitsbeschränkendes Verkehrszeichen passiert. Der Erfolgsunwert seines Handels bzw. der Sorgfaltspflichtverstoß ist darin zu sehen, dass der Verkehrsteilnehmer, der die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht reduziert, die Gefahrenwarnung des Verkehrszeichens ignoriert und deshalb nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Ist eine Unfall- oder Gefahrenstelle – wie vorliegend – nicht durch ein, sondern durch mehrere, mit Abstand hintereinander aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen als solche besonders kenntlich gemacht, so wird dies einen verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer in besonderer Weise dazu veranlassen, vorsichtig zu fahren und sich durch einen Blick auf den Tachometer zu vergewissern, ob er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält bzw. sein Fahrverhalten entsprechend darauf einzustellen. Denn ein solcher Fahrer wird der Mehrfachfachbeschilderung die Warnung vor einer besonders gefährlichen und unfallträchtigen Stelle entnehmen. Ein Fahrer, der eine solche Beschilderungssituation ignoriert, handelt deshalb mit in zweifacher Hinsicht gesteigerter Fahrlässigkeit, denn er ignoriert nicht nur die Botschaft der besonderen Unfall- oder Gefahrenträchtigkeit, sondern dies auch nicht nur in einem kurzen Augenblick, sondern über einen längeren Zeitraum hin.

Der Sinn und Zweck der dreifach hinter einander aufgestellten Schilder ist auch im konkreten Fall darin begründet, dass unmittelbar auf die Messstelle ein Unfallschwerpunkt folgt, zu dessen Entschärfung die Geschwindigkeitsbeschränkung und die zu ihrer Überwachung aufgebaute stationäre Messanlage dienen. Ihr geht über mehrere Kilometer eine Gefällestrecke voraus, aus der die besondere Unfallgefährlichkeit des Streckenabschnitts erwächst. Dies ist dem Senat aus einer Vielzahl von diese Messstelle betreffenden Verfahren, aber auch aus eigener Anschauung bekannt.

Passiert der Betroffene, wie hier, auf einer mehrere Kilometer reichenden Gefällestrecke drei im Abstand hintereinander aufgestellte Verkehrszeichen, die er neben leicht erkennbaren Gegebenheiten wie dem Gefälle vor der Messstelle als Anhaltspunkt zur Überprüfung seiner gefahrenen Geschwindigkeit wahrnehmen muss, dann handelt er mit höherem Unwertgehalt als ein Fahrzeugführer, der lediglich ein die Höchstgeschwindigkeit anordnendes Verkehrsschild passiert, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen. Die Mehrfachbeschilderung in Verbindung mit der Gefällestrecke führt auch deswegen zum erhöhten Sorgfaltsverstoß, weil der betroffenen Fahrzeugführer durch das Gefälle mittels dauerhaften Betätigens der Bremseinrichtung aktiv auf die gefahrene Geschwindigkeit Einfluss nehmen muss (also nicht einfach den Fuß vom Gas nehmen kann).

Somit ist die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Linz am Rhein nicht zu beanstanden, wonach das Fehlverhalten in vorliegendem Fall vom Regelfall nach der BKatV in einem Maße nach oben abweicht, dass es nicht mehr einem mittleren Fahrlässigkeitsgrad zuzuordnen ist, sondern in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit aufrückt. Die Dreifachbeschilderung und die Streckenführung stellen besondere Begleitumstände dar, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen. Unter diesen Umständen belegt die Unkenntnis von der eigenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen gesteigerten Sorgfaltsverstoß des Betroffenen.

In der Erhöhung des Bußgeldes aufgrund der die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden, mehrfach wiederholten Beschilderung ist ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nicht zu sehen (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020). Denn nicht ein mehrfaches Überfahren der Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Messstelle hat das Tatgericht hier zum Anlass für die Erhöhung der Geldbuße genommen, sondern die Fehlleistung des Betroffenen, bei mehreren aufeinander folgenden Schildern die Gelegenheit sorgfaltswidrig versäumt zu haben, sein Fahrverhalten der besonderen Streckengefährlichkeit anzupassen.

Share
VonRA Moegelin

Schmerzensgeld wegen Verbrennungen in der Sauna

Share

Das Landgericht Coburg hat die Klage eines Saunabesuchers wegen Verbrennungen, verursacht durch längeres Stehen in der Sauna an seinen Füßen abgewiesen. Denn dies sei kein typisches Nutzerverhalten.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 1/2025 28.03.2025 des Landgerichts Coburg, Urteil vom 18.11.2024, Aktenzeichen: 52 O 439/23:

Das Landgericht Coburg hatte über Schadensersatz wegen Hautverbrennungen eines Saunagängers zu entscheiden. Dieser wollte sich in einer von der Beklagtenpartei betriebenen Saunalandschaft
Erholung verschaffen. Die Sauna wird mit einer Temperatur von 90° Celsius betrieben. Beim Verlassen der Sauna unterhielt sich der Kläger ein bis zwei Minuten mit einem Bekannten am Saunaofen, wobei seine Füße auf Kunststoffmatten standen. Nachdem seine Füße nach Verlassen des Saunabereichs zu schmerzen begannen, stellte der Kläger fest, dass er sich die Haut an den Füßen verbrannt
hatte. Die Verbrennungen hatten immerhin den Grad 1 und 2a erreicht und mussten ärztlich behandelt werden. Der Kläger machte den Saunabetreiber hierfür verantwortlich. Die Kunststoffmatten
seien zur Verhütung von Verbrennungen nicht geeignet und der Saunaboden zu heiß gewesen. Mit seiner Klage begehrte er ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 €. Der beklagte Saunabetreiber hielt dem ausreichende Sicherheitsvorkehrungen entgegen.
Das Landgericht Coburg wies die Klage des Saunabesuchers ab. Nach Beratung durch einen hinzugezogenen Sachverständigen konnte es feststellen, dass die verwendeten Fußbeläge den anerkannten Regeln der Technik entsprachen. Die in der betroffenen Sauna gemessenen Bodentemperaturen entsprächen mit 55 bis 60° Celsius den üblichen Bedingungen für eine 90°-Sauna. Die verwendeten Fußmatten dienten nicht dem Hitzeschutz, sondern der Vermeidung von Ausrutschen der Gäste und müssten damit keine wärmedämmenden Anforderungen erfüllen. Weitere
Vorkehrungen des Saunabetreibers im Hinblick darauf, dass die Gäste nicht länger auf dem heißen Boden verweilen, sah das Gericht nicht als geboten an. Längeres Stehen in der Sauna sei kein typisches Nutzerverhalten. Die damit einhergehende Gefahr für Verbrennungen erschließe sich ohne Weiteres. Üblicherweise werde vom Saunagänger zielgerichtet sein Platz aufgesucht und nach dem Besuch zügig wieder verlassen, was in anerkannten Regelwerken in gleicher Weise empfohlen werde. Die Sauna sei ein Ort der Ruhe und Entspannung, und diese auch nach den Verhaltensregeln des Saunabetreibers „kein Ort für gesellige Schwätzchen“.
Das Urteil ist rechtskräftig.

Share
VonRA Moegelin

Ligaklausel eines Trainers nach Abstieg

Share

Die Ligaklausel eines Handball-Trainers ist unwirksam, wenn sie entgegen der gesetzlichen Vorgabe in § 21 i.V.m. § 14 Abs. 4 TzBfG nicht schriftlich vereinbart wurde. Sie hat damit das Arbeitsverhältnis nicht beendet.

Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf – 3 SLa 614/24- vom 27.05.2025:

Der Kläger war seit dem 01.07.2022 Trainer der 1. Handballmannschaft der Herren eines Handballbundesligisten. Er war bei einer GmbH, welche als Dienstleisterin den Spielbetrieb und die Vermarktung der Handballmannschaft des Vereins durchführte, angestellt. Der Arbeitsvertrag wies Unterschriftsfelder für den Trainer sowie für die beiden – jeweils alleinvertretungsberechtigten – Geschäftsführer der GmbH auf. Unterschrieben wurde der Vertrag für die GmbH nur von einem der Geschäftsführer, wobei neben dessen Unterschrift ein Vereinsstempel gesetzt wurde. Der Arbeitsvertrag war auf vier Jahre befristet und enthielt zusätzlich folgende Ligaklausel:

„Der Vertrag besitzt ausschließlich für den Bereich der 1. Handball-Bundesliga Gültigkeit. Bei Abstieg oder Lizenzverlust/-rückgabe endet der Vertrag.“

Nachdem die Mannschaft am Ende der Saison 2023/2024 einen Abstiegsplatz belegt hatte, bezweifelte die GmbH zunächst gerichtlich die Lizenzvergabe an einen konkurrierenden Bundesligisten. Da das Gerichtsverfahren durch Vergleich ohne Lizenzentzug beendet wurde, kam es endgültig zum Abstieg des Vereins in die 2. Handball- Bundesliga. Die GmbH informierte den Trainer daraufhin über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2024. Hiergegen hat dieser sich mit seiner Klage gewandt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der GmbH blieb erfolglos. Die Ligaklausel hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Diese Klausel ist unwirksam, weil sie entgegen der gesetzlichen Vorgabe in § 21 i.V.m. § 14 Abs. 4 TzBfG nicht schriftlich vereinbart wurde. Das gesetzliche Schriftformerfordernis soll größtmögliche Rechtssicherheit gewährleisten. Die GmbH hat auf dem Vertragsformular für ihre Geschäftsführer zwei Unterschriftenfelder mit maschinenschriftlicher Namensnennung nebst Funktionsbezeichnung vorgegeben. Dies kann nur so verstanden werden, dass beide Felder mit entsprechenden Unterschriften zu versehen sind. Durch das leer gebliebene Unterschriftsfeld für den zweiten Geschäftsführer erweckt der Arbeitsvertrag, in dem die Ligaklausel enthalten ist, den Eindruck, es liege lediglich ein unvollständiger Vertragsentwurf vor. Der Umstand der Einzelvertretungsbefugnis der beiden Geschäftsführer ändert an diesem Ergebnis nichts. Schriftform und Stellvertretung sind zu unterscheiden. Entscheidend für die Nichteinhaltung der Schriftform ist, dass der Vertrag durch die fehlende Unterschrift des zweiten Geschäftsführers bei der von der GmbH gewählten Vertragsgestaltung erkennbar unvollständig blieb. Angaben, dass der unterzeichnende Geschäftsführer alleine handeln wollte, z.B. durch einen Vertretungszusatz oder ein Durchstreichen des zweiten Unterschriftenfelds, fehlen. Auch der Vereinsstempel neben der geleisteten Unterschrift ist insoweit nicht aussagekräftig.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2025 – 3 SLa 614/24
Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 01.10.2024 – 3 Ca 728/24

Share
VonRA Moegelin

Rückzahlung von Ruhegeld eines Fernsehdirektors

Share

Die Vereinbarung eines hohen Ruhegelds für einen Fernsehdirektor ist nicht gemeinwohlschädigend im Hinblick auf die Pflicht zur Wahrung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach dem Deutsche-Welle-Gesetz, sondern es liegt eine zulässige Vereinbarung im Rahmen der Privatautonomie vor. Auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt sich keine Beurteilung der Vereinbarung als sittenwidrig. Schließlich folgt eine Nichtigkeit der Regelungen zu Versorgungsleistungen nicht aus einem Verstoß gegen das Deutsche-Welle-Gesetz.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 17/25 vom 03.06.2025 des Arbeitsgerichts Berlin – Urteil vom 2. Juni 2025 – 21 Ca 16313/24:

Das Arbeitsgericht Berlin hat heute die Klage der Deutschen Welle gegen ihren ehemaligen Programmdirektor Multimedia Global auf Rückzahlung von vor Beginn der Altersrente bezogenen Ruhegeldern abgewiesen und seiner Widerklage auf weitere Zahlungen stattgegeben. Der Anspruch auf Zahlung der Ruhegelder folge aus dem Dienstvertrag, eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung bestehe nicht. Ein Anspruch der Deutschen Welle auf Rückzahlung bereits gezahlter Ruhegelder sei verwirkt.

Der für die weltweit ausgestrahlten Fernsehsendungen zuständige Programmdirektor Multimedia Global war seit 1992 zunächst bei dem Sender RIAS und nachfolgend bei der Deutschen Welle beschäftigt, zunächst als Chefredakteur Fernsehen und seit dem Jahr 2002 als Direktor dieses Bereichs. Der zuletzt abgeschlossene, auf fünf Jahre befristete Dienstvertrag aus dem Jahr 2011 sah die Zahlung eines nachvertraglichen Ruhegeldes vor, sofern die Deutsche Welle keine Vertragsverlängerung anbot oder von einer ausdrücklich vereinbarten Kündigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen Gebrauch machte. In diesen Fällen sollte das Festgehalt des Programmdirektors als Ruhegeld für drei Monate zu 100 %, für die Dauer von weiteren vier Jahren und neun Monaten zu 75 % gezahlt werden. Nachfolgend sollten Versorgungsleistungen nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrags der Deutschen Welle erfolgen. Anderweitig erzielter Verdienst sollte angerechnet werden, sofern dieser zusammen mit dem Ruhegeld das Festgehalt überschritt. Ein Ruhegeldanspruch bestand nicht im Falle der Nichtannahme eines Angebots zur Vertragsverlängerung durch den Programmdirektor sowie im Falle seiner Eigenkündigung.

Die Deutsche Welle kündigte den Dienstvertrag aus betrieblichen Gründen anlässlich der Zusammenlegung zweier Programmdirektionen zum 30.04.2014 und zahlte ab Mai 2014 das vereinbarte Ruhegeld an den Programmdirektor. Im März 2019 teilte die Deutsche Welle dem Programmdirektor mit, ab Mai 2019 werde das Ruhegeld in Höhe von 60 % des Festgehalts an ihn geleistet, und zahlte nachfolgend entsprechend bis Dezember 2024. Mit ihrer am Jahresende 2024 erhobenen Klage verlangt die Deutsche Welle die Rückzahlung zunächst der im Jahr 2021 an den Programmdirektor geleisteten Ruhegelder in Höhe von etwa 130.000 EUR. Sie geht davon aus, dass sich bereits aus dem Dienstvertrag kein Anspruch auf Zahlung von Ruhegeldern über einen Zeitraum von fünf Jahren nach Vertragsende hinaus bis zum Beginn der Regelaltersrente ergebe. Sofern die Vereinbarung anders zu verstehen sei, sei sie unter mehreren Aspekten sittenwidrig und damit nichtig. Schließlich liege ein Verstoß gegen das Deutsche-Welle-Gesetz vor, das einen faktischen Zwang zur Fortsetzung des Vertragsverhältnisses untersage. Der Programmdirektor leitet den Anspruch auf die bezogenen Ruhegelder aus dem Dienstvertrag und dessen bis zur Klageerhebung übereinstimmende Auslegung ab. Etwaige Rückzahlungsansprüche seien verwirkt. Ein Fall der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung liege nicht vor, sondern ein in zulässiger Weise vereinbarter angemessener Ausgleich der Risiken, die er mit dem befristeten und ordentlich kündbaren Vertrag eingegangenen sei. Mit seiner Widerklage begehrt der Programmdirektor die Zahlung weiterer Ruhegelder ab Januar 2025 sowie die Feststellung, dass für die Vergangenheit keine Rückzahlungsansprüche der Deutschen Welle gegen ihn bestehen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage der Deutschen Welle abgewiesen und diese zur Zahlung weiterer Ruhegelder verurteilt. Etwaige Rückforderungsansprüche der Deutschen Welle gegen den Programmdirektor seien verwirkt, da die Deutsche Welle über mehr als zehn Jahre Versorgungsleistungen erbracht und dem Kläger im März 2019 die weitere Zahlung für den Zeitraum ab Mai 2019 zugesagt habe. Die Auslegung der Regelungen zu Ruhegeld und Versorgungsleistungen im Dienstvertrag ergebe, dass über die ersten fünf Jahre nach Beendigung des Dienstverhältnisses hinaus Versorgungsleistungen in der Form von Ruhegeld in der geleisteten Höhe zu beanspruchen seien. Dies ergebe sich aus Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelungen und werde durch die seit Mai 2019 praktizierten Zahlungen als gemeinsames Verständnis der Vertragsparteien bestätigt. Die Regelung zu Versorgungszahlungen vor Beginn der Regelaltersrente (ab Februar 2026) sei nicht sittenwidrig. Die Deutsche Welle habe bei der Darstellung eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung den Wert der Gesamtleistung des Programmdirektors, der über den finanziellen Wert des Entgelts für seine Arbeitsleistung hinausgehe, nicht zutreffend ermittelt. Die Vereinbarung sei nicht gemeinwohlschädigend im Hinblick auf die Pflicht zur Wahrung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach dem Deutsche-Welle-Gesetz, sondern es liege eine zulässige Vereinbarung im Rahmen der Privatautonomie vor. Auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände ergebe sich keine Beurteilung der Vereinbarung als sittenwidrig. Schließlich folge eine Nichtigkeit der Regelungen zu Versorgungsleistungen nicht aus einem Verstoß gegen das Deutsche-Welle-Gesetz.

Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts kann die Deutsche Welle Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einlegen.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 2. Juni 2025 – 21 Ca 16313/24

Share
VonRA Moegelin

Anspruch auf Urlaub einer Lehrkraft

Share

Den öffentlichen Arbeitgeber trifft auch gegenüber einer im Arbeitsverhältnis beschäftigten Lehrkraft die Obliegenheit, diese in die Lage zu versetzen, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Daran ändert im Grundsatz auch die für Lehrkräfte geltende Vorgabe des § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 TV-L nichts, wonach der Urlaub in den Schulferien zu nehmen ist. Die seitens des öffentlichen Arbeitgebers unterbliebene Mitwirkungshandlung in Bezug auf die Wahrnehmung des Urlaubsanspruchs kann für den Verfall des Urlaubs einer langfristig erkrankten Lehrkraft jedoch mangels Kausalität bedeutungslos sein. Dies ist etwa anzunehmen, wenn die Lehrkraft im Urlaubsjahr vor Beginn der Erkrankung an einer Inanspruchnahme von Urlaub schon deshalb gehindert war, weil bis dahin keine für die Urlaubsgewährung notwendigen Schulferien stattfanden.

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.04.2025 – 22 Ca 10693/24:

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes (Beschwerdewert) wird auf 2.774,55 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Randnummer1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers aus Urlaubsabgeltung.

Randnummer2

Der Kläger war bei dem beklagten Land seit dem 01.02.2020 als Lehrkraft beschäftigt. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien (in Kopie eingereicht als Anlage zur Klageschrift; Bl. 7 f. d. A.) galt für das Arbeitsverhältnis unter anderem der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Der Kläger erhielt zuletzt ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 6.011,53 Euro.

Randnummer3

In den Monaten Januar und Februar 2023 nahm der Kläger an sechs Tagen Urlaub. Vom 03.03.2023 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2024 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Randnummer4

Das beklagte Land zahlte an den Kläger Urlaubsabgeltung für 37 Urlaubstage. Hierzu teilte das beklagte Land dem Kläger mit Schreiben vom 06.08.2024 (in Kopie eingereicht als Anlage zur Klageschrift; Bl. 16 d. A.) mit, dass ihm für das Jahr 2023 ein Resturlaubsanspruch von 14 Tagen zuzüglich 5 Tage Zusatzurlaub aufgrund seiner Schwerbehinderung und für das Jahr 2024 ein Mindesturlaubsanspruch von 15 Tagen zuzüglich 3 Tage Zusatzurlaub zustünden.

Randnummer5

Nachdem der Kläger bereits zuvor weitere Urlaubsabgeltung gefordert hatte, teilte er dem beklagten Land mit E-Mail vom 15.08.2024 (Ausdruck eingereicht als Anlage zur Klageschrift; Bl. 22 d. A.) mit, „dass der gerichtlich geltend zu machende Anspruch sich […] auf 24 […] Tage für das Jahr 2023 beläuft“.

Randnummer6

Der Kläger meint, ihm stünde noch ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 10 Tage tariflichen Mehrurlaubs aus dem Jahr 2023 zu, wobei wegen des Inhalts seines hierzu erfolgten Vorbringens auf die Klageschrift (Bl. 1 ff. d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 06.03.2025 (Bl. 34 ff. d. A.) Bezug genommen wird.

Randnummer7

Mit einem dem beklagten Land am 12.09.2024 zugestellten Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben.

Randnummer8

Der Kläger beantragt,

Randnummer9

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 2.774,55 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Randnummer10

Das beklagte Land beantragt,

Randnummer11

die Klage abzuweisen,

Randnummer12

wobei wegen des Inhalts seines Vorbringens auf seinen Schriftsatz vom 10.01.2025 (Bl. 30 ff. d. A.) Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

Randnummer13

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Randnummer14

I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 7 Absatz 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) nicht zu.

Randnummer15

1. Nach der vorgenannten Vorschrift ist Urlaub abzugelten, so er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.

Randnummer16

2. Hinsichtlich des Umfangs des dem Kläger ursprünglich zustehenden Urlaubs sind die Vorschriften des TV-L zu beachten. Der TV-L findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft vertraglicher Bezugnahme Anwendung. Gemäß § 26 Absatz 1 Satz 2 TV-L beträgt der Urlaubsanspruch bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage. Der Erholungsurlaub muss gemäß § 26 Absatz 1 Satz 6 Halbsatz 1 TV-L im laufenden Kalenderjahr gewährt werden. Im Falle der Übertragung (siehe dazu § 7 Absatz 3 Satz 2 bis 4 BUrlG) muss der Erholungsurlaub gemäß § 26 Absatz 2 Buchstabe a) Satz 1 TV-L in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er gemäß § 26 Absatz 2 Buchstabe a) Satz 2 TV-L bis zum 31. Mai anzutreten.

Randnummer17

3. Der Kläger hat im Jahr 2023 insgesamt 6 Urlaubstage genommen. Soweit der Kläger die verbleibenden 24 Urlaubstage bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erkrankung nicht nehmen konnte, waren hiervon – neben dem vorliegend nicht streitigen Zusatzurlaub aus § 208 Absatz 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) – 14 Tage abzugelten. Seine insoweit bestehende Verpflichtung hat das beklagte Land erfüllt. Weitere 10 Urlaubstage sind demgegenüber vor dem Beendigungszeitpunkt mit Ende des Übertragungszeitraums am 31.05.2024 verfallen.

Randnummer18

a) Im Umfang des gesetzlichen Mindesturlaubs (§ 1, § 3 Absatz 1 BUrlG) von noch (20 – 6 =) 14 Tagen für das Jahr 2023 konnte der Urlaubsanspruch des Klägers schon deshalb nicht mit Ablauf des 31.05.2024 verfallen, weil der Kläger infolge seiner ab dem 03.03.2023 bestehenden Erkrankung daran gehindert war, den Urlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzutreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) konnte der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub jedenfalls nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres und damit nicht vor dem 31.03.2025 untergehen (siehe dazu BAG, Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 107/20 –, juris, Rn. 13). Demzufolge war das beklagte Land mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2024 auch verpflichtet, an den Kläger – wie geschehen – Urlaubsabgeltung für 14 Urlaubstage zu leisten.

Randnummer19

b) Der tarifliche Mehrurlaub des Klägers für das Jahr 2023 im Umfang von 10 Tagen ist hingegen mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 31.05.2024 verfallen. Dem Verfall steht nicht entgegen, dass der Kläger an einer Inanspruchnahme des tariflichen Mehrurlaubs durch eine unterbliebene Mitwirkungshandlung des beklagten Landes gehindert worden wäre.

Randnummer20

aa) Das beklagte Land trafen gegenüber dem Kläger urlaubsrechtliche Mitwirkungsobliegenheiten.

Randnummer21

(1) Nach der Rechtsprechung des BAG erlischt der nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem europarechtskonformen Verständnis ist die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes (BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15 –, juris, Rn. 27). Dies gilt auch für den tariflichen Mehrurlaub, sofern die Tarifvertragsparteien diesen nicht abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt haben (BAG, a.a.O, Rn. 34). In Bezug auf § 26 TV-L ist dies nicht der Fall (vergleiche dazu BAG, a.a.O., Rn. 37 für die vergleichbare Vorschrift in § 26 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst [TVöD]).

Randnummer22

(2) Die vorgenannten urlaubsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten bestehen auch gegenüber im Arbeitsverhältnis beschäftigten Lehrkräften.

Randnummer23

(a) Zwar bestimmt § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Nr. 1 Satz 1 TV-L für Lehrkräfte an allgemein bildenden Schulen und berufsbildenden Schulen, dass deren Urlaub in den Schulferien zu nehmen ist. Dies entbindet den öffentlichen Arbeitgeber jedoch nicht davon, auch die Lehrkraft in die Lage zu versetzen, ihren Urlaub tatsächlich zu nehmen.

Randnummer24

(aa) So erfolgt unmittelbar durch § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 TV-L noch keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs. Schulferien sind keine arbeitsfreie Zeit und die Lehrkraft bleibt währenddessen grundsätzlich zur Erledigung aller arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten verpflichtet (BAG, Urteil vom 16.10.2007 – 9 AZR 144/07 –, juris, Rn. 45). Insofern enthält § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 TV-L nur eine Abweichung von der in § 7 Absatz 1 Satz 1 BUrlG vorgesehenen Möglichkeit, bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche der Lehrkraft zu berücksichtigen. Eine Urlaubsgewährung ist mit der Festlegung der Schulferien aber nicht verbunden (anders für den Fall einer verbeamteten Lehrkraft VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25.05.2022 – 1 K 4290/20 –, juris, Rn. 52 ff.).

Randnummer25

(bb) Durch die tarifvertragliche Vorgabe für Lehrkräfte, den Urlaub in den Schulferien zu nehmen, erfüllt der öffentliche Arbeitgeber auch nicht unmittelbar seine urlaubsrechtlichen Obliegenheiten. Insofern muss der Arbeitgeber vielmehr konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss ihn – erforderlichenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt (BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16 –, juris, Rn. 39). Die Regelung des § 44 Nr. 3 TV-L genügt diesen Anforderungen nicht. Insbesondere enthält sie keinen Hinweis auf einen möglichen Urlaubsverfall.

Randnummer26

(b) Eine Mitwirkungshandlung seitens des öffentlichen Arbeitgebers erscheint im Falle von Lehrkräften im Hinblick auf deren Urlaub auch nicht von vornherein überflüssig. So kann eine Erfüllung des Urlaubsanspruchs innerhalb der Schulferien etwa – wie auch vorliegend – an einer währenddessen bestehenden Erkrankung der Lehrkraft scheitern. In diesem Fall hat die Lehrkraft gemäß § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 2 TV-L zwar ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen und sich gemäß § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 3 TV-L nach Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen bleibt es jedoch bei der Vorgabe des § 9 BUrlG, wonach die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werden. In Fällen einer gescheiterten Erfüllung des Urlaubsanspruchs während der Schulferien muss der öffentliche Arbeitgeber der betroffenen Lehrkraft dann unter Umständen aber auch ermöglichen, den Urlaub außerhalb der Schulferien zu nehmen (so auch Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2013 – 5 Sa 980/13 –, juris, Rn. 78 sowie NK-ArbR/Düwell, 2. Aufl. 2023, BUrlG § 7 Rn. 31, beck-online). Dies ist insbesondere geboten, wenn die Lehrkraft ihren Urlaub auch innerhalb der bis zum Ende des Übertragungszeitraums verbleibenden Schulferienzeiten nicht mehr (vollständig) nehmen kann.

Randnummer27

bb) Seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten hat das beklagte Land gegenüber dem Kläger nicht erfüllt. Dies hat es selbst zugestanden.

Randnummer28

cc) Die seitens des beklagten Landes unterbliebenen Mitwirkungshandlungen haben auf den Verfall des allein streitgegenständlichen tariflichen Mehrurlaubs jedoch keine Auswirkungen.

Randnummer29

(1) So dienen die urlaubsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten keinem Selbstzweck (BAG, Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 107/20 –, juris, Rn. 17). Den Arbeitgeber treffen daher die nachteiligen Folgen einer Obliegenheitsverletzung insoweit nicht, wie der Arbeitnehmer den Urlaub selbst bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Mitwirkungshandlungen aus gesundheitlichen Gründen nicht hätte antreten können (BAG, a.a.O., Rn. 20). Der Unmöglichkeit des Urlaubsantritts aus gesundheitlichen Gründen muss dabei eine solche Fallgestaltung gleichgestellt werden, in welcher der Arbeitnehmer auch vor Eintritt einer Erkrankung wegen rechtlich bindender Vorgaben – wie etwa aus § 44 Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 TV-L – keinen Urlaub in Anspruch nehmen konnte. Denn auch in diesem Fall ist eine Kausalität (siehe zu diesem Gesichtspunkt BAG, a.a.O.) zwischen der Nichtinanspruchnahme des Urlaubs und der Nichtvornahme der Mitwirkung des Arbeitgebers ausgeschlossen.

Randnummer30

(2) Hier fehlt es an einem notwendigen Ursachenzusammenhang zwischen unterbliebener Mitwirkungshandlung und Nichtinanspruchnahme weiteren Urlaubs. Der Kläger hätte selbst bei unterstellter Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch das beklagte Land vor Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit am 03.03.2023 über die in den Monaten Januar und Februar 2023 genommenen 6 Tage hinaus keinen Urlaub nehmen können. Denn währenddessen fanden keine (weiteren) Schulferien mehr statt.

Randnummer31

dd) Der tarifliche Mehrurlaub verfällt im Übrigen auch dann mit Ende des Übertragungszeitraums nach § 26 Absatz 2 Buchstabe a) TV-L, wenn der Arbeitnehmer bis dahin krankheitsbedingt daran gehindert war, den Urlaub anzutreten. Da der tarifliche Mehrurlaub keinen Einflüssen des Unionsrechts unterworfen ist, gilt insoweit insbesondere auch der längere Verfallszeitraum von 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht (siehe dazu BAG, Urteil vom 22.05.2012 – 9 AZR 618/10 –, juris, Rn. 12 ff.). Bis zum 31.05.2024 hat der Kläger seinen tariflichen Mehrurlaub für 2023 nicht angetreten.

Randnummer32

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Absatz 2 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) in Verbindung mit § 91 Absatz 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Der nach § 63 Absatz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) gegebenenfalls noch gesondert festzusetzende Gebührenstreitwert beläuft sich dabei auf 2.774,55 Euro. Die Entscheidung über die Wertfestsetzung in der Urteilsformel (Beschwerdewert) stützt sich auf § 61 Absatz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 2 ff. ZPO.

Share
VonRA Moegelin

Versetzung einer Kassenaufsicht

Share

Die im Arbeitsvertrag nur allgemein umschriebene Tätigkeit konkretisiert sich durch bloßen Zeitablauf nicht auf einen konkreten Aufgabenzuschnitt. Für eine solche Konkretisierung bedarf es eines besonderen Umstandsmoments (st. Rspr. z.B. BAG 13.03.2007 – 9 AZR 433/06). Wenn sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich vor mehr als 20 Jahren auf die Aufgabe „Kassenaufsicht“ geeinigt haben und die Pflicht der Arbeitgeberin zur Beschäftigung der Arbeitnehmerin zehn Jahre später nach einem entsprechenden Anerkenntnis der Arbeitgeberin erneut mit „Kassenaufsicht“ beschrieben wird, so kann von einem Umstandsmoment im oben genannten Sinne, also von einem Vertrauenstatbestand, gesprochen werden, der die Konkretisierung der Beschäftigungspflicht auf die Tätigkeit einer Kassenaufsicht rechtfertigt.
Eine vertragliche Versetzungsklausel, die sich nicht auf „gleichwertige“ Tätigkeiten beschränkt, benachteiligt den Vertragspartner des Klauselverwenders unangemessen und ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. (Leitsatz)

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Köln vom 05.09.2024 – 6 Sa 239/23:

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 12.12.2023 – 7 Ca 1061/22 – abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Kassenaufsicht zu beschäftigen;

2. Es wird festgestellt, dass die Versetzung der Klägerin in den Bereich Spirituosen/Wein/Sekt unwirksam ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

2

Nachdem die Parteien vor dem Arbeitsgericht auch über einzelne Zahlungsansprüche gestritten hatten, geht es in der Berufungsinstanz nur noch um den Inhalt der Beschäftigungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin, die in ihrer Funktion als Betriebsratsvorsitzende über viele Jahre hinweg ca. 80 % ihrer Arbeitszeit der Betriebsratsarbeit gewidmet hatte.
3

Die Klägerin ist in dem von der Beklagten geführten und im Jahre 2021 übernommenen Betrieb seit dem 15.02.1989 beschäftigt. Zum Inhalt der geschuldeten Tätigkeit und damit spiegelbildlich zum Inhalt der Beschäftigungspflicht der Beklagten sind die Regelungen zum Aufgabengebiet in der Arbeitsvertragsurkunde aus dem Jahre 1989, ein gerichtlicher Vergleich aus dem Jahre 1999 sowie der Inhalt eines Anerkenntnisurteils aus dem Jahre 2010 relevant.
4

In der Arbeitsvertragsurkunde vom 14.02.1989 heißt es auszugsweise wörtlich (Unterstreichung nur hier):
5

§ 1 Einstellung und Aufgabengebiet
6

(1) Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 15.2.1989 als Kassiererin eingestellt.
7

(2) Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen auch in einer anderen Abteilung einsetzen oder ihm andere, zumutbare Tätigkeiten zuweisen.
8

Ob die vorstehende Versetzungsregelung in Absatz 2 in ihrem Wortlaut – ohne das Merkmal der Gleichwertigkeit der anderen Tätigkeit – einer Klauselkontrolle nach §§ 305 ff BGB standhält, ist zwischen den Parteien in rechtlicher Hinsicht umstritten.
9

Aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme in § 9 des Arbeitsvertrages auf „die zutreffenden Tarifverträge“ findet auf das Arbeitsverhältnis unstreitig der Tarifvertrag für den Einzelhandel in NRW Anwendung.
10

Nachdem bereits im Jahre 1999 ein Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geführt worden war, der seine Erledigung durch einen Vergleich gefunden hat, der den folgenden Wortlaut hatte (Unterstreichung nur hier):
11

die Parteien sind sich einig, dass die Klägerin auf der arbeitsvertraglichen Grundlage in tatsächlicher Hinsicht „Kassenaufsicht“ beschäftigt wird,
12

hat das Arbeitsgericht Aachen gut zehn Jahre später auf das entsprechende Anerkenntnis der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Anerkenntnisurteil vom 18.08.2010 – 6 Ca 845/10 – für Recht erkannt (Unterstreichung nur hier):
13

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vertragsgerecht als Kassenaufsicht zu beschäftigen.
14

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Tätigkeit als Kassenaufsicht die Stornokarte und den Kassenschlüssel zu überlassen.
15

3. Es wird festgestellt, dass die Klägerin als Kassenaufsicht in die Gehaltsgruppe IIIa einzugruppieren ist.
16

Im Beschluss des LAG Köln vom 24.08.2010 – 12 Ta 195/10 – (Anlage K 6), betreffend die Zwangsvollstreckung aus dem besagten Vergleich vom 03.12.1999, heißt es auszugsweise (Unterstreichung nur hier):
17

Der Vergleich beinhaltet entgegen der Ansicht der Schuldnerin deren Verpflichtung, die Gläubigerin als Kassenaufsicht im tarifvertraglichen Sinne zu beschäftigen. Vergleiche sind nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen […]. Hierbei haben die Parteien des damaligen Rechtstreits einen Begriff gewählt, der als Richtbeispiel im Gehaltstarifvertrag, dort unter der Gehaltsgruppe III, aufgeführt war und ist. Soweit die Schuldnerin geltend macht, mit dieser Formulierung sei lediglich beabsichtigt gewesen, festzulegen, dass die Gläubigerin nicht als Kassiererin eingesetzt werden dürfe, gibt der Wortlaut des Vergleichs hierfür nichts her. In ihm wurde gerade nicht negativ formuliert, was die Gläubigerin nicht machen soll, sondern, welche Arbeiten ihr zuzuweisen sind.“
18

Die Klägerin ist in Teilzeit beschäftigt mit 114,10 Stunden monatlich (Vollzeit: 162 h). Sie war als langjährige Betriebsratsvorsitzende zu circa 80% ihrer Arbeitszeit mit Betriebsratsarbeit beschäftigt. In den verbleibenden Stunden unterstütze sie die Arbeit der Warenbereichsleitung Kasse. Seit 2022 ist die Klägerin einfaches Betriebsratsmitglied. Die Klägerin ist außerdem Vertrauensperson für die Schwerbehinderten.
19

Nach dem Betriebsübergang auf die Beklagte im Februar 2021 gab die Beklagte die Tariflohnerhöhungen nicht an die Klägerin weiter. Die Beklagte hatte die Auffassung vertreten, dass die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit der „Kassenaufsicht“ die Eingruppierung in die Gehaltsgruppe III a nicht rechtfertige. Nach Klageerhebung zahlte die Beklagte aber die geforderte Vergütung nebst Verzugszinsen nach.
20

Im Gehaltstarifvertrag, der zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. und der Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am 21.05.2024 abgeschlossen worden ist, und der in den hier relevanten Formulierungen seit vielen Jahren unverändert blieb, heißt es zur Gehaltsgruppe III auszugsweise (Unterstreichung nur hier):
21

Angestellte mit selbständiger Tätigkeit im Rahmen allgemeiner Anweisung und mit entsprechender Verantwortung für ihren Tätigkeitsbereich, und zwar in Arbeitsbereichen
22

Gehaltsstaffel a) ohne oder mit in der Regel bis zu 4 unterstellten fest angestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden
23

Gehaltsstaffel b) mit in der Regel mehr als 4 bis zu 8 unterstellten fest angestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden sowie Kassierer der Hauptkasse in Einzelbetrieben und in Filialen (Zweigniederlassungen)
24

Gehaltsstaffel c) mit in der Regel mehr als 8 unterstellten fest angestellten Vollbeschäftigten einschließlich der Auszubildenden
25

[…]
26

Beispiele:
27

Substitute
28

Disponenten
29

Erste Verkäufer mit Einkaufsbefugnis
30

Erste Schauwerbegestalter
31

Lagererste mit Einkaufsbefugnis
32

Sortimentskontrolleure
33

Etagenaufsichten
34

Kassenaufsichten
35

Gruppenführer in der Buchhaltung in Hauptverwaltungen
36

Registratoren in Hauptverwaltungen
37

Verwalter von Warenannahme und/oder Versand Direktricen
38

Zuschneider
39

Hausmeister
40

Maschinenmeister
41

Akquisiteure für Raumgestaltung
42

Verkaufsstellenverwalter
43

Im Warenbereich Kasse des Betriebs der Beklagten sind zurzeit rund 35 Beschäftigte tätig.
44

Die r GmbH, die die Rechtsvorgängerin der Beklagten ist, hatte der Klägerin die Funktion „Teamleiterin-Kasse“ zugewiesen. Hierzu existiert eine Stellenbeschreibung (Anlage K 2 ) in der es auszugsweise heißt (Unterstreichungen nur hier):
45

1. Allgemeines
46

Diese Ablaufbeschreibung gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Kassenbereich als Teamleiter eingesetzt sind. Nachfolgend wird nur noch von TL-Kasse gesprochen.
47

1.1 Verantwortlichkeiten
48

Die TL ist verantwortlich für den ordnungsgemäßen und reibungslosen Ablauf an Check-Out-, Service-Center und Nebenkassen und im Kassenbüro. Sie ist gegenüber den MA Kassenbüro, MA-Kasse und Service-Center weisungsbefugt.
49

1.2 Kassenspezifische Aufgaben und Sicherheitsvorschriften
50

51

Die TL-Kasse achtet darauf, dass die MA-Kasse, die MA Kassen-Büro und die MA-Service-Center die jeweiligen kassenspezifischen Unternehmensvorgaben einhalten
52

Gibt Hilfestellung bei der Umsetzung der Diebstahlsbekämpfung an der Kasse
53

[…]

54

1.3 Vorbereitende Tätigkeiten
55

56

[…]

57

1.4 Erfassung und Überwachung der Arbeitszeiten
58

Die TL-Kasse sorgt für eine ordnungsgemäße und transparente Erfassung der IST-Arbeitszeiten. Sie bezieht eventuelle Plus- oder Minusstunden in die nächste Mitarbeitereinsatzplanung mit ein.
59

1.5 Mitarbeitereinsatzplanung
60

Die TL-Kasse stellt den aus Kundensicht reibungslosen und unter Berücksichtigung der Kassenproduktivität und des Kostenaspektes optimalen Kassierablauf an den Check-Out-Kassen sicher. Sie erstellt die Mitarbeitereinsatzplanung /Woche/Doppelwoche) die sich am geplanten Umsatz, Werbeaktivitäten und besonderen sonstigen Einflüssen orientiert. Grundlage bilden die Kassenproduktivitätsdaten der KSPO über SAP. Die Mitarbeitereinsatzplanung ist vom AL-VW/WWS genehmigen zu lassen.
61

2. Tätigkeiten im Geschäftsbetrieb
62

2.1 Tägliche Mitarbeitereinsatzplanung
63

Bei der täglichen Mitarbeitereinsatzplanung ist darauf zu achten, dass keine Blockbildung (besetze Kassen, nicht besetzte Kassen) entsteht. Die Einteilung der zur Verfügung stehenden Mitarbeiter ist so zu gestalten, dass eine gleichmäßige Verteilung über die gesamte Check-Out-Linie gegeben ist. Kassen mit besonderen Funktionen (z.B. rollstuhl- und kinderwagengerechte, Schnellkassen, Kassen mit unterbrechungsfreier Stromversorgung) sind vorranging zu besetzen. Falls Mehrarbeit erforderlich sein sollte, ist diese ausschließlich durch den AL-VW/WWS zu veranlassen.
64

2.2 Pauseneinteilung
65

[…]
66

2.3 Wechselgeldversorgung der Kassen
67

[…]
68

2.4 Vorentnahmen
69

[…]
70

2.5 Stornoabwicklung
71

2.5.1 Stornovorgänge innerhalb des Registrierungsvorgangs Stornovorgänge innerhalb des Registrierungsvorgangs (Sofortstorno, Artikelstorno) können vom Mitarbeiter Kasse selbst durchgeführt werden. Artikelstorno über 30 EUR müssen freigegeben werden.
72

2.5.2 Storno außerhalb des Registriervorgangs
73

[…]
74

2.5.3 Gesamtstorno
75

[…]
76

2.6 Preisüberschreibung
77

[…]
78

2.7 Preisdifferenzen / nicht vorhandene EAN
79

[…]
80

2.8 Kassenstürze
81

[…]
82

2.9 Bonkontrollen Entfallen
83

2.10 E-Journalkontrollen Die TL-Kasse veranlasst bei Bedarf E-Journalkontrollen.
84

2.11Schulungstätigkeiten
85

Die TL-Kasse sorgt für eine qualifizierte Einarbeitung und Ausbildung im Kassenbereich. Schulungen im Bereich Kassenabwicklungen, Sicherheit, Kundenverhalten etc. sind in Abstimmung mit dem Bereich Mitarbeiterentwicklung regelmäßig vorzunehmen. Jede neue MA-Kasse wird von einem Einarbeitungspartner unterstützt. In Teambesprechungen sind insbesondere Änderungen, neue Erkenntnisse und Schwachstellen zu besprechen und Erfahrungen auszutauschen. ACHTUNG: Ein Mitarbeitereinsatz an der Kasse ohne entsprechende Einarbeitung darf nicht erfolgen.
86

3. Kassenabrechnung
87

[…]
88

4. Bedienerberechtigungen
89

Die TL-Kasse verantworten das ordnungsgemäße Anlegen und Führen der Bedienerberechtigungen der MA-Kasse.
90

Im Vergleich zum vorstehenden dargestellten Aufgaben- und Leistungskatalog der Rechtsvorgängerin der Beklagten gibt es im Unternehmen der Beklagten selbst eine Aufgaben- und Leistungsbeschreibung einer als „Warenbereichsleitung in der Abteilung Kasse“ beschäftigten Arbeitnehmerin (Unterstreichungen nur hier):
91

Stellenbezeichnung: Warenbereichsleiter Kasse
92

Zielsetzung der Stelle
93

94

Optimale Ablauforganisation des gesamten Bereichs Kasse
95

Coaching aller Kassenmitarbeiter auf fehlerfreie und optimale Arbeitsabläufe
96

Selbstständiges Erkennen von Potentialen und Beseitigung der Schwachstellen
97

Einhaltung der vereinbarten Ziele
98

Fachlich zugewiesene Aufgaben des Stelleninhabers
99

Erfassungsqualität

100

101

Korrekte und fehlerfreie Erfassung aller Vorgänge im Kassenbereich
102

Verhindert Zahlungsmittelverlust durch keine Falsch-oder Nichterfassung

103

104

Kontrolltätigkeiten

105

106

Kontrolliert die ordnungsgemäße Abwicklung im Checkout, der Hauptkasse, Kundeninformation und im Leergut entsprechend der Vorgaben
107

Kontrolliert die Anwesenheit aller MA Kasse

108

109

Coaching
110
111

Analysiert und bewertet die Tätigkeiten aller MA Kasse und trainiert diese auf optimale und fehlerfreie Abläufe
MA Planung/-Einsatzsteuerung

112

113

Bedarfsgerechte Einsatzplanung aller Mitarbeiter Kasse
114

Plant und steuert die operative Kassenbelegung
115

verantwortet die Einhaltung der Arbeitszeitregeln KL Vertrieb

116

117

System und Konzepte
118
119

[…]
120

Allgemeine Kenntnisse
121
122

[…]
123

Die überwiegende Aufgabe bzw. Tätigkeit ist die Abrechnung und fachliche Führung der unterstellten MA
124
125

[…]
126

Fachliche Verantwortung für die Mitarbeiter des Bereichs – Kassensystem, USV – Verantwortung für alle Kassenprozesse

127

Nach einem persönlichen Gespräch am 28.05.2022, also gut ein Jahr nach Betriebsübergang auf die Beklagte, wurde die Klägerin mit Schreiben vom 07.06.2022 über eine beabsichtigte Änderung ihrer Arbeitsbedingungen informiert. Im Schreiben vom 07.06.2022 heißt es wörtlich:
128

(…)
129

Zum anderen sprachen wir über deinen zukünftigen Einsatzort im Rahmen deiner Eingruppierung G3a/06. Wir teilten dir mit, dass wir einen Einsatz als Kassenaufsicht nicht mehr vorsehen werden und boten dir an, dich mit Vorschlägen an der Wahl der zukünftigen Stelle zu beteiligen. Als Rückmeldedatum für deine Vorschläge sahen wir hierfür Samstag, den 04.06.2022, vor. Dieser Möglichkeit zur Beteiligung bist du leider nicht nachgekommen.
130

Ab Montag, den 18.07.2022 sehen wir für dich den Einsatz im Rahmen deiner tariflichen Eingruppierung G3a/06 im Bereich Wein/Sekt/Spirituosen vor. Dein Aufgabenbereich wird deiner Eingruppierung entsprechen; hierzu haben wir dir in unserem Gespräch einige Beispiele genannt. Natürlich werden wir – ebenfalls in Absprache mit dir – eine adäquate Einarbeitung anbieten.
131

(…)
132

Der Betriebsrat ist zu dieser Maßnahme mit Schreiben vom 30.06.2022 um Zustimmung gebeten worden. Nachdem der Betriebsrat zunächst der Versetzung mit Schreiben vom 06.07.2022 widersprochen hatte („Es entspricht nicht dem Wunsch von Frau K“), hat er zu der Maßnahme nach erneutem Zustimmungsantrag der Beklagten vom 21.11.2022 am 30.11.2022 mitgeteilt: „kein Widerspruch“.
133

Im Arbeitsbereich Wein/Sekt/Spirituosen werden der Klägerin regelmäßig 1,5 fest angestellte Vollbeschäftige im Sinne von § 3 B Abs. 4 Gehaltsgruppe III des Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel in NRW unterstellt, für die sie die Führungsverantwortung trägt. Nach Abschluss der Einarbeitung der Klägerin soll sie nach der Planung der Beklagten mit den folgenden Tätigkeiten zu den jeweils benannten Anteilen beschäftigt werden:
134

• Mitarbeiterführung, Personalgespräche, Ziele festlegen, Informationen weitergeben, Teammeeting, Delegation, Aufgabenzuteilung – 20%
135

• Personaleinsatzplanung – 10%
136

• Bestandsarbeit (Inventuren und MaxKapa-Pflege) – 15%
137

• Dispositionen, Außendienstabsprachen, Umsatzaktivierung – 10%
138

• Werbemengeneinholung und Aktionsmengeneinholung – 10%
139

• Lagerbuch und Lagerordnung – 10 %
140

• Elektronisch Artikelsicherung – 10%
141

• Kennzahlenanalyse – 10%
142

• Schulungen und Unterweisungen – 5%.
143

Mit der Klageerweiterung vom 13.07.2022 hat sich die Klägerin gegen diese Maßnahme gewandt. Sie hat die Verurteilung der Beklagten begehrt, sie als Kassenaufsicht – hilfsweise als Warenbereichsleiterin Kasse – zu beschäftigen sowie die Feststellung, dass die Versetzung „nicht vom Arbeitsvertrag gedeckt“ ist.
144

Zur Begründung der Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie sei als Kassenaufsicht im tariflichen Sinne zu beschäftigen, so wie sie bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Teamleiterin bezeichnet worden sei und so wie es der Tätigkeitsbeschreibung der „Warenbereichsleitung in der Abteilung Kasse“ bei der Beklagten entspreche. Durch ihr Betriebsratsmandat habe bereits die Rechtsvorgängerin eine zweite Führungsposition im Bereich Kasse geschaffen, so dass sie sich auf die Aufgaben einer Kassenaufsicht konzentriert habe, während eine andere Mitarbeiterin die weiteren Aufgaben als Führungskraft im Bereich Kasse durchgeführt habe. Diese Aufspaltung der Funktion ändere aber nichts daran, dass sie und die weitere Führungskraft – nunmehr WBL Kasse – gleichwertige Aufgaben ausübten. Bei der Warenbereichsleitung Wein/Sekt/Spirituosen handele es sich dem gegenüber um eine künstlich neugeschaffene Funktion, die es so bei der Beklagten gar nicht gebe und die nur im Hinblick auf den Streit zwischen ihr und der Beklagten geschaffen worden sei. Ohne weiteres sei es der Beklagten möglich gewesen, ihr die Aufgabe als Warenbereichsleiterin Kasse zuzuweisen. Sie beherrsche diese Aufgaben und müsse allenfalls in einzelnen Punkten noch eingearbeitet werden.
145

Die von der Beklagten vorgesehene Funktion in der Abteilung Wein/Sekt/Spirituosen sei weder vertragsgerecht noch könne sie sie aufgrund ihrer Vorkenntnisse ordnungsgemäß ausüben. Nach ihrer Auffassung handele es sich hier um eine Maßregelung wegen ihrer Betriebsratsarbeit und um eine vertragswidrige Beschäftigung.
146

Die Klägerin hat – soweit für das Berufungsverfahren noch von Belang – beantragt,
147

[…]
148

6. die Beklagte zu verurteilen, sie als Kassenaufsicht zu beschäftigen;
149

7. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, sie als Warenbereichsleiterin Kasse zu beschäftigen;
150

8. festzustellen, dass ihre Versetzung in den Bereich Spirituosen/Wein/Sekt nicht vom Arbeitsvertrag gedeckt ist.
151

Die Beklagte hat beantragt,
152

die Klage abzuweisen.
153

Zur Verteidigung gegen die Klage hat die Beklagte vorgetragen, die arbeitsvertraglich vereinbarte Versetzungsklausel schränke nach ihrer Auffassung ihr Direktionsrecht nicht ein. Das Gegenteil sei der Fall: Ganz unabhängig von der Frage, ob die Funktion der Kassenaufsicht entfallen sei oder nicht, eröffne ihr die Vertragsklausel das Recht, die Klägerin wie geplant zu versetzen. Die Tätigkeiten einer Warenbereichsleitung Kasse in ihrem Unternehmen unterscheide sich erheblich von der Tätigkeit einer Kassenaufsicht bei ihrer Rechtsvorgängerin. An einer zweiten Warenbereichsleiter-Funktion im Bereich Kasse bestehe im Übrigen kein Bedarf.
154

Die jetzt zugewiesene Tätigkeit entspreche in ihrer Wertigkeit der bisherigen. Das betreffe sowohl das Gesamtbild der Tätigkeiten als auch die Anzahl der unterstellten Arbeitnehmer (0 – 4). Beides rechtfertige eine Eingruppierung in die Gehaltsgruppe G lll a. Bei einer Beschäftigung der Klägerin als Warenbereichsleitung Kasse sei dies aber nicht anzunehmen. Der Warenbereichsleitung Kasse seien nämlich weitaus mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstellt, derzeit seien das circa 35 Beschäftigte.
155

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit dem Urteil vom 01.12.2022 insgesamt abgewiesen. Soweit die in der Berufungsinstanz nur noch relevante Versetzung betroffen ist, hat das Arbeitsgericht zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Arbeitsvertrag gebe der Beklagten ein Direktionsrecht nach Zeit, Art und Ort der Arbeitsleistung. Die Beklagte sei daher berechtigt gewesen, die Klägerin im Arbeitsbereich Spirituosen/Wein/Sekt als Warenbereichsleiterin zu beschäftigen. Bei dieser Tätigkeit handele es sich um eine „selbständige Tätigkeit im Rahmen allgemeiner Anweisungen und mit entsprechender Verantwortung für ihren Tätigkeitsbereich“. Sie erfülle damit die Tarifmerkmale der Gehaltsgruppe G III. Die Aufgaben „Mitarbeitergespräche“, „Aufgaben definieren“, „Aufgaben delegieren“, „Ziele setzen“ sowie „informieren und führen“ beträfen „selbständige Tätigkeiten im Rahmen allgemeiner Anweisungen“ im Sinne der Tarifnorm. Der Klägerin sei von der Beklagten auch mit der Führungsverantwortung hinsichtlich 1,5 fest angestellter Vollbeschäftigen eine „entsprechende Verantwortung“ im Sinne der Tarifnorm übertragen worden. Die Höhe des zu zahlenden Entgelts sei nicht geändert worden und entspreche der unstreitig zugrunde zu legenden Entgeltgruppe. Ein Verstoß gegen den Grundsatz billigen Ermessens sei nicht erkennbar. Bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen sei die Klägerin ausschließlich als Kassiererin und später als Kassenaufsicht tätig gewesen. Die Klägerin selbst habe vorgetragen, die Rechtsvorgängerin habe mit Blick auf ihr Betriebsratsmandat und die dafür aufgewendete Arbeitszeit eine zweite Führungsposition im Bereich Kasse geschaffen. Ihre Aufgabe sei danach vor allem die Kassenaufsicht gewesen, während eine andere Mitarbeiterin die Aufgabe als Führungskraft zu erfüllen gehabt habe. Schon nach dem eigenen Vortrag sei die Klägern also nicht als Kassenaufsicht eingesetzt worden. Dabei sei noch zu berücksichtigen, dass die Klägerin wegen ihrer Betriebsratsarbeit einen nur geringen Anteil ihrer Arbeitszeit überhaupt eine Arbeitsleistung erbracht habe.
156

Auch mit dem Hilfsantrag – so das Arbeitsgericht weiter – sei die Klage unbegründet. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, der Klägerin die Tätigkeit der Warenbereichsleitung Kasse zuzuweisen. Denn die Anzahl der der Warenbereichsleitung Kasse unterstellten Mitarbeiter sei deutlich größer – derzeit circa 35 Beschäftigte – und habe deshalb eine deutlich höhere Wertigkeit.
157

Gegen dieses ihr am 12.04.2024 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.04.2024 Berufung eingelegt und sie hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12.07.2024 an diesem 12.07.2024 begründet.
158

Zur Begründung ihrer Berufung hat die Klägerin vorgetragen, nach ihrer Auffassung könne sich die Beklagte nicht auf die Versetzungsregelung im Arbeitsvertrag berufen. Diese halte einer Klauselkontrolle nach § 307 Abs.1 Satz 1, Abs. 2 BGB nicht stand. Behalte sich der Arbeitgeber in einer Vertragsklausel die Zuweisung anderer Tätigkeiten als der vertraglich vereinbarten vor, so müsse die Klausel die Klarstellung enthalten, dass nur gleichwertige Arbeiten zugewiesen werden könnten. Fehle eine solche Einschränkung, fehle der Arbeitgeberin auch das Weisungsrecht eine andere als die vereinbarte Tätigkeit zuzuweisen. Die Beklagte sei daher nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages verpflichtet, sie als Kassenaufsicht bzw. als Warenbereichsleiterin Kasse zu beschäftigen. Sie habe sowohl unter der Rechtsvorgängerin der Beklagten, als auch nach dem Betriebsübergang auf die Beklagte bei dieser als Kassenaufsicht gearbeitet. In diesem Zusammenhang habe sie Führungsverantwortung für bis zu 35 Arbeitnehmende gehabt. Eine zweite Führungskraft für die Kasse, die inzwischen ausgeschieden sei, sei damals nur deshalb eingesetzt worden, weil sie wegen ihrer Betriebsratsarbeit der Abteilung nicht zu 100% zur Verfügung gestanden habe. Die Position „Warenbereichsleiterin der Abteilung Kasse“ sei in der Folgezeit nicht entfallen.
159

Während sie zuletzt gemeinsam mit einer anderen Führungskraft Verantwortung für bis zu 35 Arbeitnehmende gehabt habe, solle sie nach dem Willen der Beklagten fortan lediglich noch für bis zu 1,5 Arbeitnehmende verantwortlich sein; dies entspreche einem Entzug von Führungsverantwortung in einem Umfang von 90%. Die Tätigkeit in der Abteilung Spirituosen/Wein/Sekt sei damit alles andere als vergleichbar oder gar gleichwertig.
160

Auch das Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.08.2010 – 6 Ca 845/10 – mache die Verpflichtung der Beklagten deutlich, sie „vertragsgerecht als Kassenaufsicht“ bzw. unter Heranziehung der bei der Beklagten verwendeten Begrifflichkeit, als „Warenbereichsleiterin Kasse“ zu beschäftigen.
161

Die Versetzung sei auch aus formellen Gründen unwirksam. Denn der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Schon wegen der Zustimmungsverweigerung sei die Beklagte betriebsverfassungsrechtlich nicht befugt gewesen, die dennoch vorgenommene Versetzung gegenüber ihr zu veranlassen. Vielmehr wäre es an der Beklagten gewesen, im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens die Ersetzung der Zustimmung zu beantragen. Sie gehe davon aus, dass dem Betriebsrat im Rahmen des Zustimmungsverfahrens gemäß § 99 BetrVG nicht alle erforderlichen Unterlagen und Informationen übergeben worden seien. So sei nach ihrer Auffassung die Informationen darüber wichtig gewesen, dass sie arbeitsvertraglich seit nunmehr über 30 Jahren ausschließlich in der Abteilung Kasse in leitender Funktion eingesetzt worden sei und sie gemäß § 15 der AV grundsätzlich nur zu den dort vereinbarten, festen Arbeitszeiten eingesetzt werden könne. Solche Informationen habe der Betriebsrat nicht erhalten.
162

Die Versetzung sei auch deshalb unwirksam, weil sie eine Benachteiligung wegen des Betriebsratsmandats und wegen des Engagements als Schwerbehindertenvertretung darstelle. Die Maßregelung ergebe sich aus den schriftlichen Ausführungen der Beklagten, sie, die Klägerin, fülle aufgrund ihrer ehrenamtlichen Funktionen den ihr übertragenen Aufgabenbereich in der Abteilung Kasse lediglich noch in einem Umfang von ca. 20% aus und sie könne aus diesem Grunde nicht mehr als Führungskraft der Abteilung Kasse eingesetzt werden; stattdessen habe die Beklagte sie auf eine offensichtlich geringer wertigere, ausschließlich für diesen Einzelfall von der Beklagten erfundenen, tatsächlich im gesamten Unternehmen noch nicht vorhandene Stelle gesetzt.
163

Die Ausführung des Arbeitsgerichts, dass die Beklagte die Tätigkeiten einer Kassenaufsicht, die die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin ausgeübt habe, nicht mehr vorhalten wolle, sei unrichtig, jedenfalls grob unvollständig. Richtig sei vielmehr, dass aus dem Vergleichs aus dem Jahre 1999 ihr titulierter Anspruch bestehe, sie als „Kassenaufsicht“ zu beschäftigen. Die damalige Beklagte, die Firma A SB-Warenhaus GmbH & Co. KG sei die Rechtsvorgängerin der r GmbH, auf welche gemäß § 613a BGB die Verpflichtung übergegangen sei, sie als „Kassenaufsicht“ zu beschäftigen. Diese Betriebsübernehmerin habe sie sodann bis zum Betriebsübergang auf die Beklagte vereinbarungsgemäß in dieser Funktion als „Teamleiterin-Kasse“ beschäftigt. Wie sich aus der Aufgaben- und Leistungsbeschreibung einer als „Warenbereichsleitung in der Abteilung Kasse“ bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmerin ergebe, seien die Begriffe „Kassenaufsicht“ (Vergleich von 1999 und Anerkenntnisurteil von 2010), „Teamleiterin Kasse“ (r GmbH) und „Warenbereichsleitung in der Abteilung Kasse“ (Beklagte) Synonyme.
164

Der mit der Klage geltend gemachte Feststellungsanspruch sowie der daraus folgende Beschäftigungsanspruch ergebe sich nach ihrer Auffassung aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit dem Vergleich aus dem Jahre 1999 und dem Anerkenntnisurteil aus dem Jahre 2010. Zwar sehe der Arbeitsvertrag vom 14.02.1989 eine weite Versetzungsklausel vor. Von dieser seien die Parteien aber mit Abschluss des Vergleichs aus dem Jahre 1999 und mit dem auf das Anerkenntnis der Beklagten folgenden Anerkenntnisurteil aus dem Jahre 2010 abgewichen.
165

Sie bleibe im Übrigen bei ihrer Auffassung, dass die Versetzungsregelung im Arbeitsvertrag einer Klauselkontrolle nicht standhalte.
166

Die Klägerin beantragt,
167

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 12.12.2022 – 7 Ca 1061/22 – abzuändern und
168

1. die Beklagte zu verurteilen, sie als Kassenaufsicht zu beschäftigen;
169

2. hilfsweise: Die Beklagte zu verurteilen, sie als Warenbereichsleiterin Kasse zu beschäftigen;
170

3. festzustellen, dass die Versetzung in den Bereich Spirituosen/Wein/Sekt unwirksam ist.
171

Der Beklagte beantragt,
172

die Berufung zurückzuweisen.
173

Aufgrund des Anerkenntnisurteils aus dem Jahre 2010 werde die Klägerin nach der Entgeltgruppe EG III vergütet und dementsprechend beschäftigt. Das geschehe zurzeit im Warenbereich Spirituosen/Wein/Sekt. Ein Tätigkeitsbereich „Kassenaufsicht“ existiere in ihrem Unternehmen nicht. Da das Anerkenntnisurteil aus dem Jahre 2010 nach ihrer Auffassung die Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag unberührt lasse, sei die Zuweisung des Arbeitsbereichs Spirituosen/Wein/Sekt möglich gewesen. Dass der Versetzungsklausel das Wörtchen “gleichwertig“ fehle, sei nicht relevant, da die nun zugewiesene Tätigkeit in der Warenbereichsleitung Spirituosen/Wein/Sekt eine gegenüber der bisherigen Tätigkeit gleichwertige Aufgabe zum Gegenstand habe.
174

Werde der Klägerin mit der Ansicht gefolgt, sie habe aufgrund des Anerkenntnisurteils einen Anspruch, als „Kassenaufsicht“ beschäftigt zu werden, so müsse von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen werden, denn dann sei sie auf das Vollstreckungsverfahren zu verweisen.
175

Die Klägerin begehre nicht nur als Kassenaufsicht, sondern als „Teamleiterin-Kasse“ beschäftigt zu werden. Woher sie diesen Anspruch herleite, erschließe sich nicht und werde auch nicht vorgetragen. Sie habe weder bei der Rechtsvorgängerin noch bei ihr, der Beklagten, jemals als Teamleiterin gearbeitet. Die Klägerin habe seit dem Betriebsübergang auf sie nicht neue Mitarbeitende an der Kasse oder im Kassenbüro geschult, nicht neue Mitarbeitende eingearbeitet, nicht Hilfestellungen bei schwierigen Kundinnen und Kunden an der Kasse gewährt, nicht Dienstpläne erstellt, nie kassiert, keine Stornokarten eingesetzt, nie Wechselgeld empfangen und/oder nachgezählt. Was bei den Rechtsvorgängerinnen geschehen sei, könne sie nicht sagen. Bei ihr sei die Klägerin jedenfalls als Kassenläuferin eingesetzt worden, also in einer reinen Botenfunktion. Die Klägerin habe keinen eigenen Zugang zum SAP-System gehabt. Die Erstellung eines Dienstplans sei ihr daher nicht möglich gewesen. Die Klägerin setzte zwar die geplanten Pausen durch, habe sie jedoch niemals selbst geplant. Die Vorentnahmen seien immer über das Kassenbüro abgewickelt worden und nicht von der Klägerin. Dasselbe treffe auf Kassenstürze zu. Auch hier habe die Klägerin lediglich eine Botenfunktion wahrgenommen. Sie habe nicht entschieden, wie viel Geld abgeschöpft werden solle. Die Anweisung dazu habe die Teamleitung/WBL „Kasse“ direkt an die Mitarbeiter gegeben. Auch hinsichtlich der E-Journal-Kontrollen sei mitzuteilen, dass die Klägerin überhaupt keinen Zugriff auf die E-Journale gehabt habe. Die Teamleitung „Kasse“ lege den Zeitpunkt für die Kassenabrechnung fest, jedoch niemals die Klägerin. Festzuhalten sei folglich, dass die fachlich zugewiesenen Aufgaben einer Teamleiterin zwar von der Klägerin korrekt wiedergegeben worden seien, diese Aufgaben bei der hiesigen Beklagten auch von einer Teamleiterin (r) / WBL „Kasse“ (Ka) erwartet würden, jedoch von der Klägerin nie erbracht worden und auch nie erwartet worden seien.
176

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
177

Entscheidungsgründe

178

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
179

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
180

II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, denn die Klage ist mit den Hauptanträgen zu 1 und 3 zulässig und begründet.
181

1. Die Klage ist zulässig. Weder der Vergleich aus dem Jahre 1999 noch das Anerkenntnisurteil aus dem Jahre 2010 stehen der Zulässigkeit der Klage entgegen. Mit Blick auch den Antrag zu 3 hat die Klägerin auch ein besonderes Feststellungsinteresse.
182

a. Richtigerweise verfolgt die Klägerin ihr Begehren im Erkenntnisverfahren. Sie ist nicht auf die Vollstreckung aus dem Vergleich aus dem Jahre 1999 oder aus dem Anerkenntnisurteil aus dem Jahre 2010 zu verweisen. Denn die Beklagte bestreitet nicht, dass die Klägerin im Jahre 1999 und im Jahre 2010 jeweils einen Anspruch auf Beschäftigung als Kassenaufsicht hatte. Dies ist die Tätigkeit, hinsichtlich derer die Arbeitgeberin zuletzt die Beschäftigung aus dem Arbeitsvertrag schuldete. Die Beklagte macht nun – weg von der so konkretisierten und ursprünglich unstreitigen und gerichtlich anerkannten Beschäftigungspflicht – die Ausübung ihres Direktionsrechts geltend und damit eine Aktualisierung der von der Klägerin auszuübenden Tätigkeit.
183

b. Auch der Feststellungsantrag zu 3 ist zulässig. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die Klägerin ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Bedingungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (sog. Elementenfeststellungsklage). Das Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt wird (BAG v. 30.11.2016- 10 AZR 673/15 -). Das in diesem Sinne identifizierbare Element „Versetzung in die Abteilung Wein/Sekt/Spirituosen“ kann mit der gerichtlichen Feststellung in diesem Sinne abschließend geklärt werden.
184

2. Die Klage ist mit den beiden Hauptanträgen zu 1 und zu 3 auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beschäftigung als Kassenaufsicht aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 a BGB, § 242 BGB, Art 2 GG (BAG v. 27.05.1985 – GS 1/84). Daher ist der Antrag zu 1 begründet (a). Aus dem gleichen Grund hat die Klägerin einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Versetzung in die Abteilung Spirituosen/Wein/Sekt unwirksam ist (b).
185

a. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beschäftigung als Kassenaufsicht. Diese Tätigkeit als Ausgangspunkt für die Prüfung der hier streitigen Versetzung ist in den Jahren 1999 und 2010 bereits zweifach tituliert worden. Die Versetzung der Klägerin von der Tätigkeit als Kassenaufsicht in den Bereich Spirituosen/Wein/Sekt ist unwirksam und es bleibt daher weiterhin bei dem besagten zweifach titulierten Anspruch. Wenn die Beklagte die Klägerin im Bereich Spirituosen/Wein/Sekt beschäftigen möchte, kann sie dies einseitig nur im Wege einer Änderungskündigung bewerkstelligen. Für eine solche Änderungskündigung müsste wegen des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 1 KSchG und § 179 Abs. 3 SGB IX ein wichtiger Grund vorliegen. Weder hat die Beklagte eine Änderungskündigung ausgesprochen, noch ist ein wichtiger Grund ersichtlich.
186

Bis zur hier streitigen Maßnahme bestand ein Anspruch auf Beschäftigung als Kassenaufsicht (1.). Die Zuweisung einer Tätigkeit im Bereich Spirituosen/Wein/Sekt stellt eine Versetzung dar (2.). Eine solche Versetzung ist hier arbeitsvertraglich nicht zulässig, weil die Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag der Parteien unwirksam ist (3.). Jedenfalls ist die hier streitige Versetzung aber unbillig (4.).
187

(1.) Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte, also im Jahre 2021, einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Beschäftigung als Kassenaufsicht. Dies folgt aus dem Wortlaut des Anerkenntnisurteils aus dem Jahre 2010 mit dem eindeutigen Wortlaut: „Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vertragsgerecht als Kassenaufsicht zu beschäftigen.“ Dass in dem Zeitraum seit diesem Anerkenntnisurteil bis zu der hier streitigen Maßnahme der Beklagten im Mai/Juni 2022 dieser Inhalt des vertraglichen Beschäftigungsanspruchs im Weg einer Vereinbarung, einer Versetzung oder einer Änderungskündigung geändert worden wäre, ist weder ersichtlich, noch ergibt sich dies aus den Darlegungen der Beklagten. Die Beklagte beschreibt zwar ausführlich wie welche Tätigkeit im Kassenbereich bei ihr und ihren Rechtsvorgängerinnen benannt worden ist, und welche Tätigkeiten die Klägerin ausgeübt oder nicht ausgeübt hat oder haben soll. Das ändert aber nichts am Inhalt des ursprünglich bestehenden Beschäftigungsanspruchs. Durch Nichtbeschäftigung oder vertragswidrige Beschäftigung ändert sich der Inhalt des Beschäftigungsanspruchs auch nach Jahrzehnten nicht, es sei denn, es läge ein Umstandsmoment vor, also eine Tatsache, die ein besonderes Vertrauen in eine tatsächlich eingetretene Änderung begründen könnte. Dieser Grundsatz gilt für beide Parteien, also auch für die arbeitnehmende Partei, wenn sie sich darauf beruft, der vertraglich nur allgemein gehaltene Beschäftigungsanspruch habe sich durch Zeitablauf auf eine bestimmte Art, auf einen bestimmten Ort oder auf eine bestimmte Zeit konkretisiert. Auch eine solche Konkretisierung kommt nur im Falle eines besonderen Umstandsmoments in Betracht – zum Beispiel durch einen Vergleich oder ein Anerkenntnisurteil.
188

Damit bleibt es bei dem vertraglichen Beschäftigungsanspruch „Kassenaufsicht“. Sollte die Klägerin in der Vergangenheit andere Tätigkeiten ausgeübt haben, so war dies vertragswidrig und nicht geeignet, den Inhalt des vertraglichen Anspruchs zu ändern.
189

(2.) Die Zuweisung einer Tätigkeit im Bereich Spirituosen/Wein/Sekt im Mai/Juni 2022 stellt eine Versetzung dar. Für das Betriebsverfassungsrecht ist der Begriff der Versetzung definiert in § 95 Abs. 3 BetrVG. Diese Definition kann auch für das Vertragsrecht nutzbar gemacht werden. Versetzung ist danach die Zuweisung eines an deren Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet (BAG v. 29.09.2004 – 1 AZR 473/03 -). Der „Arbeitsbereich“ hat nicht nur eine räumlich-ortsbezogene, sondern auch eine tätigkeitsbezogene Dimension. Wird der arbeitnehmenden Person eine „andere“ Tätigkeit zugewiesen, ändert sich auch ihr bisheriger Arbeitsbereich. Das ist der Fall, wenn der bisherige Gegenstand der Arbeitsleistung und der Inhalt der Arbeitsaufgabe ein „anderer“ wird und sich deshalb das Gesamtbild der Tätigkeit der arbeitnehmenden Person ändert. Es kommt darauf an, ob sich die Tätigkeiten vor und nach der Zuweisung so voneinander unterscheiden, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt einer mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten und die Sachlage beobachtenden Person nicht mehr als die bisherige Tätigkeit angesehen werden kann. Das ist hier anzunehmen: Bisher hatte sich die Klägerin mit Geld zu befassen, jetzt soll sie sich mit Schnaps befassen; das sind zwei grundlegend unterschiedliche Gegenstände.
190

(3.) Eine solche Versetzung ist hier arbeitsvertraglich nicht zulässig, denn der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch betrifft wie gezeigt die Tätigkeit „Kassenaufsicht“. Eine Versetzung kommt nicht in Betracht, weil die Versetzungsklausel in § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages unwirksam ist.
191

Bei dem Begriff „Kassenaufsicht“ handelt es sich nicht um eine bloß deklaratorische Bezeichnung der zu Beginn des Arbeitsverhältnisses erstmals zugewiesenen Tätigkeit im Rahmen eines allgemeinen Beschäftigungsanspruchs (z.B. ,,… als Mitar beiterin im Einzelhandel, zunächst als Kassiererin in der Filiale Kö-N“), die ohne weiteres unter dem Vorbehalt des Direktionsrechts aus § 106 GewO stünde. Hier hatten sich die Parteien nämlich schon zweimal im Abstand von je zehn Jahren über den Inhalt des Beschäftigungsanspruchs gerichtlich gestritten und zweimal ist ein konkreter Beschäftigungsanspruch tituliert worden und zwar beim ersten Mal durch gerichtlichen Vergleich, also durch Vereinbarung, und beim zweiten Mal durch Anerkenntnis der Beklagten. Für ein Verständnis dieser beiden Titulierungen als bloß deklaratorische Beschreibung des jeweiligen Status quo unter dem Vorbehalt eines allgemeinen Direktionsrechts bleibt danach kein Raum.
192

Die Änderung eines so konkret bezeichneten arbeitsvertraglichen Anspruchs kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitsvertrag die Möglichkeit einer solchen Änderung vorsieht. Das tut der Arbeitsvertrag aber vorliegend nicht. Die Versetzungsklausel in § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist unwirksam. Die Verwenderin, hier also die Arbeitgeberin, kann sich deshalb nicht auf die Klausel berufen. Der von der Beklagten in § 1 Abs. 2·des Arbeitsvertrages vorformulierte Text lautet: „Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen auch in einer anderen Abteilung einsetzen oder ihm andere, zumutbare Tätigkeiten zuweisen.“ Die Übertragung anderer Tätigkeiten ist damit nicht beschränkt auf gleichwertige Tätigkeiten, sondern in einem weiteren Sinne nur auf „zumutbare Tätigkeiten“. Auch geringer wertige Tätigkeiten können zumutbar sein. Hat sich nun wie vorliegend die arbeitgbende Person vorbehalten, der arbeitnehmenden Person einen Arbeitsplatz mit geringwertiger Tätigkeit zuzuweisen, so wird das als so schwerwiegender Eingriff in den gesetzlich gewährleisteten Inhaltsschutz angesehen, dass von einer Unvereinbarkeit iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auszugehen ist (BAG v. 09.05.2006 – 9 AZR 424/05 -). Denn damit hat die Arbeitgeberin sich das Recht vorbehalten, in den Inhalt des Arbeitsvertrages einzugreifen, ohne dass die in §§ 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 S. 1 und 2 KSchG vorausgesetzten Bedingungen für eine soziale Rechtfertigung der Änderung der vertraglich vereinbarten Arbeitsbedingung vorliegen müssen. Eines Rückgriffs auf den Sonderkündigungsschutz aus § 15 KSchG bedarf es hierfür nicht. Damit liegt eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor (vergl. dazu LAG Köln v. 09.01.2007 – 9 Sa 1099/06 -). Ob dann tatsächlich eine gleichwertige Tätigkeit übertragen worden ist, ist entgegen der Auffassung der Beklagten unerheblich. Eine geltungserhaltende Reduktion der zu weit gefassten Klausel scheidet aus (BAG v. 09.05.2006 – 9 AZR 424/05 -).
193

(4.) Für den Fall, dass trotz der Vorgesagten eine Versetzungsbefugnis der Beklagten angenommen werden sollte, ist die streitgegenständliche Versetzung von der Tätigkeit der Kassenaufsicht in die Abteilung Wein/Sekt/Spirituosen jedenfalls unbillig und daher im Rahmen der Vorgaben des § 106 GewO unwirksam. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Der Inhaberin des Bestimmungsrechts nach § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt auch im Falle der Versetzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können der Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Damit obliegt dem Gericht nach § 106 GewO , § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB die Prüfung, ob die Arbeitgeberin als Gläubigerin die Grenzen ihres Bestimmungsrechts beachtet hat. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat die Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem die Arbeitgeberin die Ermessensentscheidung z treffen hatte. (BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16 -).
194

Nach den vorgenannten Grundsätzen ergibt sich aus den Darlegungen der Beklagten kein überwiegendes Interesse, das die Annahme der Billigkeit im Sinne des § 106 GewO rechtfertigen könnte.
195

Ihre Darlegung beschränkt sich auf Begrifflichkeiten. Das allgemeine Verständnis des Begriffs der Kassenaufsicht (vergl. abrufbare Definitionen bei Wikipedia, Jobro bot oder ähnlichem) entspricht allerdings der Stellenbeschreibung der R-GmbH für die „Teamleiterin Kasse“, die ihrerseits teilweise wortgleich der bei der Beklagten geltenden „Aufgaben- und Leistungsbeschreibung der Warenbereichsleitung in der Abteilung Kasse“ entspricht: Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern, Kontrollbefugnis im Kassenbereich, Mitarbeiterplanung und Mitarbeitereinsatzsteuerung, Coaching, Zielüberwachung, Einarbeitung, Überwachung des technischen Ablaufs … Diese von der Beklagten bemühten Begrifflichkeiten sind nicht geeignet ein Interesse zu bilden, das im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen wäre.
196

Auf der Seite der Klägerin sind neben der jahrzehntelangen Beschäftigung im Kassenbereich und der unzweideutigen gerichtlichen Titulierungen der Tätigkeit „Kassenaufsicht“ im 10-Jahres-Rhythmus vor allem der besondere Benachteiligungsschutz aus § 103 Abs. 3 BetrVG und insbesondere aus § 78 Satz 2 BetrVG zu berücksichtigen, auf den sie sich als Betriebsrätin stützen kann und dem Ziel dieser Schutzvor- Schriften entsprechend verlassen soll. Dieser besondere Benachteiligungsschutz verdichtet die Darlegungslast für die Beklagte. Wenn nun die Beklagte vorträgt, ein Einsatz als Kassenaufsicht werde „nicht mehr vorgesehen“, ein Tätigkeitsbereich „Kas senaufsicht“ existiere in ihrem Unternehmen nicht, die Klägerin habe nie als Teamleiterin gearbeitet und entgegen der gerichtlich zweifach titulierten Beschäftigungsschuld der Arbeitgeberseite sei die Klägerin nicht mit den dieser geschuldeten Tätigkeit entsprechenden Aufgaben betraut worden, so wird sie dieser besonderen Darlegungslast nicht gerecht. Wie ein Einzelhandelsunternehmen ohne eine Kassenaufsicht – wie auch immer sie vor Ort konkret benannt wird – auskommen soll; hat die Beklagte der erkennenden Kammer nicht vermitteln können. Wieso die Klägerin trotz entsprechender Titulierung nicht vertragsgerecht beschäftigt wurde oder worden sein soll, ergibt sich ebenso wenig aus den Darlegungen der Beklagten.
197

Die Beklagte hat im Übrigen nichts Verständliches zum Vorhalt der Klägerin dargelegt, die Tätigkeit „Warenbereichsleitung im Bereich Wein/Sek/Spirituosen“ sei künstlich und gesondert für sie erfunden worden. Das Fehlen einer Erklärung hierzu vertieft zusätzlich den Eindruck der Unbilligkeit der Versetzung.
198

Da somit die streitgegenständliche Versetzung unwirksam ist, bleibt es bei dem bisher bestehenden Beschäftigungsanspruch, der sich auf die Tätigkeit der Kassenaufsicht bezog und bezieht.
199

b. Nach dem Vorstehenden zum Beschäftigungsanspruch ist die Klage auch mit dem Antrag zu 3 begründet.
200

c. Der Klageantrag zu 2. ist als Hilfsantrag nicht zur Entscheidung angefallen, da der Klage mit dem Antrag zu 1 stattgegeben wurde.
201

III. Nach allem war somit die klageabweisende erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und der Klage stattzugeben. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

Share
Blogverzeichnis TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste Blogverzeichnis Bloggerei.de