Schlagwort-Archiv verhaltensbedingte Kündigung

VonRA Moegelin

Zum Tod von „Emmely“ : BAG 2 AZR 541/09

Share

paragrafSupermarkt-Kassiererin Emmely ist tot. Ihr Fall der Unterschlagung von Pfandbons im Wert 1,30 € hat die Rechtsprechung umgewälzt. Denn dank „Emmely“ hat seitdem einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung regelmäßig eine Abmahnung vorauszugehen.

Nach den richerlichen Feststellungen ist ein Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter der Kündigung vorausgegangen. Das Gericht geht davon aus, dass „Emmely“, also die Klägerin, die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat das Gericht ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat

An dieser Rechtsprechung hält das BAG fest.

Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

Obwohl damit ein Pflichtenverstoß vorliegt, der eine außerordentliche Kündigung im Grundsatz rechtfertigt, ergibt nach Ansicht des BAG die Interessenabwägung die Unrechtmäßigkeit der Kündigung, sogar der hilfsweisen ordentlichen Kündigung. Ausreichend sei demnach eine Abmahnung gewesen.

Das BAG begründet es wie folgt:

Für die Klägerin spricht die Einmaligkeit der Pflichtverletzung bei einer beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit von gut drei Jahrzehnten. Eine zwischenzeitlich erteilte Abmahnung wegen eines anderen Vorfalls ist aus der Personalakte entfernt worden.

Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

Anders als der beklagte Arbeitgeber meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen. Es ist nur auf den konkrten Sachverhalt abzustellen, der zur Kündigung geführt hat.

Die Wertung des BAG ist sicherlich vertretbar. Andererseits sind auch die Argumente der Vorinstanz nachvollziehbar. Immerhin hat die Klägerin eine Straftat und zwar eine veruntreuende Unterschlagung begangen. Es lässt sich sehr gut argumentieren, dass das Vertrauensverhältnis zerstört ist, wenn dieses Fehlverhalten, sei es auch nur wegen eines geringen Geldbetrages, so wie hier den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betrifft und zwar wie hier die Kassierertätigkeit.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09

Share
VonRA Moegelin

Bedenkliche Auslegung des „Schuldvorwurfs“ bei der verhaltensbedingten Kündigung eines alkoholkranken Berufskraftfahrers

Share

Ein Berufskraftfahrer verletzt seine arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten in erheblichem Maße, wenn er das ihm überlassene Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss führt. Beruht dieses Verhalten jedoch auf einer Alkoholabhängigkeit, ist dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Vertragspflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.08.14 – 7 Sa 852/14).

Damit hat das LAG eine entgegenstehende Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin geändert. Die Begründung des LAG -wie folgt- überzeugt nicht: Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei dann nur möglich, wenn anzunehmen ist, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten dauerhaft nicht nachkommen kann. Hieran fehle es, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung ernsthaft zu einer Alkoholtherapie bereit war. Im Übrigen könne bei einer bestehenden Therapiebereitschaft vom Arbeitgeber in der Regel erwartet werden, das Fehlverhalten abzumahnen und das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

Der betreffende Arbeitnehmer hat in seiner Eigenschaft als Berufskraftfahrer mit einem Lkw unter Alkoholeinfluss (0,64 ‰) einen Unfall verursacht, bei dem der Unfallgegner verletzt wurde und ein größerer Sachschaden entstand. Im Betrieb bestand ein absolutes Alkoholverbot.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung wegen der Schwere der Pflichtverletzung auch ohne Ausspruch einer Abmahnung für sozial gerechtfertigt gehalten.

Nicht nachvollziehbar ist die Ansicht des LAG, dass dem Arbeitnehmer kein Schuldvorwurf zu machen sei. Schuldhaftes Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer beim Pflichtverstoß vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig handelte. Das ist nach den unstreitigen Feststellungen des Arbeitsgerichts der Fall. Bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,64 ‰ ist nicht ansatzweise von Schuldunfähigkeit auszugehen. Eine verminderte Schuldunfähigkeit wird erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,00 ‰ in Betracht gezogen. Zutreffend hat ihm das Gericht der 1. Instanz vorgeworfen, wissentlich eine Fahrt mit dem Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss angetreten und hierdurch andere gefährdet zu haben.

Die unstreitige Alkoholerkrankung kann den Arbeitnehmer nicht entlasten. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer beim Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten sich im Zustand von Schuldunfähigkeit befunden hätte.

Share
Blogverzeichnis TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste Blogverzeichnis Bloggerei.de