Die krankheitsbedingte Kündigung ist eine personenbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG, die sozial gerechtfertigt sein muss, soweit das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Die Anwendbarkeit richtet sich nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. Von erheblicher Bedeutung ist aus Sicht des Arbeitgebers, dass er darauf achtet, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) einzuladen.
Prüfungsschema der krankheitsbedingten Kündigung
Die krankheitsbedingte Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn die folgenden drei Prüfungsschritte gegeben sind. Auf der ersten Prüfungsstufe hat eine negative Gesundheitsprognose für den Arbeitnehmer vorzuliegen. Auf der zweiten Prüfungsstufe hat es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu kommen. Und im dritten Prüfungsschritt hat die vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu ergeben, dass diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen.
Negative Gesundheitsprognose
Eine negative Gesundheitsprognose ist zu unterstellen bei einer lang andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit. Diese Form der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar (BAG 2 AZR 565/14).
Das gilt umso mehr, wenn auch die Krankheitszeiten in den vergangenen Jahren derart umfangreich waren, dass der arbeitsvertraglich vorgesehene Leistungsaustausch nicht einmal für die überwiegende Zeit des Jahres stattgefunden hat. Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt. Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Die erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (BAG 2 AZR 755/13). Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (BAG 2 AZR 431/98).
Interessenabwägung
In der dritten Stufe der Prüfung ist eine Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers auf der einen Seite und des Arbeitgebers auf der anderen Seite vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist hierbei unter anderem die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Krankheitsursache,alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb und Unterhaltsverpflichtungen.
Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten
Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine krankheitsbedingte Kündigung auch dann ungerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen und der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Sie ist nicht erforderlich, solange der Arbeitgeber nicht alle anderen geeigneten milderen Mittel zur Vermeidung künftiger Störungen ausgeschöpft hat. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb auch das Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, die einen zukünftigen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses möglich erscheinen lassen. Dafür trägt der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast. Grundsätzlich kann er diesbezüglich zunächst pauschal behaupten, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Darin liegt regelmäßig zugleich die Behauptung, es bestehe keine Möglichkeit einer leidensgerechten Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen. Daraufhin hat der Arbeitnehmer konkret darzulegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder seine weitere Beschäftigung – ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen – unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorstellt (BAG 2 AZR 400/08).
Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM)
Im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat das betriebliche Eingliederungsmanagements (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX Bedeutung für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Die Durchführung des bEM ist nach Ansicht des BAG keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Jedoch konkretisiert § 84 Abs. 2 SGB IX den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das bEM ist nicht selbst ein milderes Mittel. Mit seiner Hilfe können aber mildere Mittel als die Kündigung, z. B. eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen freizumachenden – Arbeitsplatz, erkannt und entwickelt werden. Dabei wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht allein dadurch verletzt, dass kein bEM durchgeführt wurde. Es muss hinzukommen, dass überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten (BAG 2 AZR 1012/06).
Einladung zum bEM
Der Arbeitgeber hat das erforderliche bEM im Rahmen der ihm zukommenden Initiativlast (BAG 1 ABR 46/10; BAG 2 AZR 170/10) ordnungsgemäß durchzuführen. Erforderlich ist eine ordnungsgemäße Einladung für den Arbeitnehmer zum bEM. Denn es kann nur dann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber eine Initiative zum bEM ordnungsgemäß ergriffen hat, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (BAG 2 AZR 170/10). Der Hinweis erfordert zum einen eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 1 ABR 46/10). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist zum anderen ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten i. S. v. § 3 Abs. 9 BDSG – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (BAG 2 AZR 755/13).
Darlegungslast des Arbeitgebers beim bEM
Hat der Arbeitgeber entgegen seiner gesetzlichen Pflicht kein (ordnungsgemäßes) bEM durchgeführt, darf er sich dadurch keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen können (BAG 2 AZR 1012/06) und sich nicht darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung noch einnehmen könne (BAG 2 AZR 400/08). Er hat vielmehr von sich aus die objektive Nutzlosigkeit eines bEM darzulegen und zu beweisen, mithin dass dem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Arbeitnehmers weder durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen noch durch eine Maßnahme der Rehabilitation hätte entgegengewirkt werden können. Dazu muss er einerseits umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Andererseits hat er vorzutragen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Arbeitnehmers nicht hätten erkannt oder dass durch entsprechende Maßnahmen der Rehabilitation künftige Fehlzeiten nicht spürbar hätten reduziert werden können. Sowohl in Bezug auf innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen als auch in Bezug auf Maßnahmen der Rehabilitation kommt dem Arbeitgeber eine Abstufung seiner Darlegungs- und Beweislast zugute, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind (BAG 2 AZR 755/13).