Jahresarchiv 9. Dezember 2018

VonRA Moegelin

Rechtsmissbrauch einer Befristung zur Vertretung

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Bei einer Gesamtbefristungsdauer von 25 Monaten, in die sechs Befristungen bzw. Verlängerungen des befristeten Vertrages zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers fallen, ist ein Rechtsmissbrauch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zum sog. institutionellen Rechtsmissbrauch nicht zu erkennen. (Leitsatz)

Volltext des Urteils des Lanesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19.10.2018 – 2 Sa 683/18:

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19.04.2018 – 1 Ca 9165/17 – wird auf ihre Kosten bei unverändertem Streitwert zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der letzten Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

2

Die Beklagte betreibt Kaufhäuser. Die Klägerin war zunächst vom 01. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 aufgrund eines befristeten Vertrages bei der Beklagten vom 28. September 2012 beschäftigt (vgl. den Vertrag in Kopie Bl. 3 d. A.). Danach wurde die Klägerin aufgrund des befristeten Arbeitsvertrages vom 14. Oktober 2015 (vgl. die Kopie des Vertrages Bl. 4 d. A.) zunächst befristet zur Aushilfe bis zum 31. Dezember 2015 beschäftigt, danach aufgrund der Verlängerung bis zum 03. Januar 2016 (vgl. die Verlängerung Bl. 5 d. A. in Kopie), danach nach dem Wortlaut des Vertrages zur Vertretung der langzeiterkrankten Frau Sch. (vgl. den Vertrag Bl. 6 bis 9 d. A. in Kopie) und ab 01. Oktober 2016 bis zum 30. Juni 2017 nach dem Wortlaut des Vertrages zur Vertretung von Frau M., welche sich im Mutterschutz bzw. in der Elternzeit befand (vgl. dazu den Arbeitsvertrag in Kopie Bl. 10 bis 13 d. A.).

3

Gegen diesen letzten befristeten Vertrag richtet sich die am 21. Juli 2017 beim Arbeitsgericht Berlin per Fax eingegangene Entfristungsklage der Klägerin. Sie meint, dass die Befristungen, auch in der Vergangenheit, unwirksam seien.

4

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 18. April 2018 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die zulässige Klage unbegründet sei, weil die letzte Befristung vom 16. August 2016 für die Zeit vom 01. Oktober 2016 bis zum 30. Juni 2017 das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2017 beendet habe. Nur die letzte Befristung unterliege nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der arbeitsgerichtlichen Kontrolle, weil durch den neuen vorbehaltlosen Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages die Parteien ihr Arbeitsverhältnis auf eine neue rechtliche Grundlage stellten. Für die zukünftige Vertragsbeziehung sei dann allein die neue rechtliche Grundlage maßgebend, ein bereits bestehendes etwa unbefristetes Arbeitsverhältnis werde damit zugleich aufgehoben.

5

Diese letzte Befristung sei wegen eines sachlichen Grundes gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG wegen der Vertretung einer anderen Arbeitnehmerin, nämlich vorliegend der Arbeitnehmerin Frau M., sachlich gerechtfertigt und wirksam. Dabei setze der Sachgrund der Vertretung einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung des Vertreters voraus. Der Einsatz des befristet beschäftigten Arbeitnehmers müsse wegen des Arbeitskräftebedarfs erfolgen, der durch die vorübergehende Abwesenheit des zu vertretenen Mitarbeiters entstehe. Aus den Umständen bei Vertragsschluss müsse sich deshalb ergeben, dass der Bedarf für die Beschäftigung des Vertreters auf die Abwesenheit des zeitweilig ausgefallenen Arbeitnehmers zurückzuführen sei. Die Anforderungen an den Kausalzusammenhang und seine Darlegung durch den Arbeitgeber ergäben sich aus der Form der Vertretung. Werde eine unmittelbare Vertretung behauptet, habe der Arbeitgeber darzulegen, dass der Vertreter nach dem Arbeitsvertrag mit Aufgaben betraut worden sei, die zuvor dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer übertragen worden seien. Werde die Tätigkeit des zeitweise ausgefallenen Mitarbeiters jedoch nicht von dem Vertreter, sondern einem anderen Arbeitnehmer oder mehreren anderen Arbeitnehmern ausgeübt, dies bezeichnet das BAG als mittelbare Vertretung, so habe der Arbeitgeber zur Darstellung des Kausalzusammenhangs grundsätzlich die Vertretungskette zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter darzulegen. Auch ohne dass eine Vertretungskette vorliege, könne die Kausalität mit der mittelbaren Vertretung auch darin bestehen, dass der Arbeitgeber die Aufgaben in seinem Betrieb oder seiner Dienststelle neu verteile. Er habe dann zunächst die bisher dem vertretenen Mitarbeiter übertragenen Aufgaben darzustellen. Anschließend sei die Neuverteilung dieser Aufgaben auf einen oder mehrere Mitarbeiter zu schildern. Schließlich sei darzulegen, dass sich die dem Vertreter zugewiesenen Tätigkeiten aus der geänderten Aufgabenzuweisung ergäben.

6

Die erforderliche Kausalität könne danach aber auch daraus folgen, dass der Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, den vorübergehend abwesenden Mitarbeiter im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen. Zur Gewährleistung des Kausalzusammenhangs zwischen der zeitweiligen Arbeitsverhinderung der Stammkraft und der Einstellung der Vertretungskraft sei es allerdings erforderlich, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten nach außen erkennbar gedanklich zuordne. Nur so sei gewährleistet, dass die Einstellung tatsächlich auf der Abwesenheit des zu vertretenen Mitarbeiters beruhe.

7

Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Die Arbeitnehmerin Frau M. habe sich unstreitig in Elternzeit befunden und dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass sie ihre Tätigkeit nach der Elternzeit zum 30. September 2017 wieder aufnehmen werde. Dass die Elternzeitvertretung erst ab dem 01. Oktober 2016 erfolgen sollte, obwohl sich Frau M. bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Elternzeit befunden habe und nur bis zum 30. Juni 2017 befristet worden sei, obwohl Frau M. erst drei Monate später zurückkommen sollte, sei unschädlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG müsse die Laufzeit des mit der Vertretungskraft abgeschlossenen Arbeitsvertrages nicht mit der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsverhinderung des zu Vertretenen übereinstimmen, sondern könne hinter ihr zurückbleiben. Der Arbeitgeber sei frei zu entscheiden, ob er den vorübergehenden Ausfall eines Arbeitnehmers überhaupt durch Einstellung einer Vertretungskraft überbrücke. Deshalb könne er die Vertretung auch nur für einen kürzeren Zeitraum regeln. Darüber hinaus habe die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass die Filiale am Ostbahnhof zum 30. Juni 2017 schließen sollte und die Beklagte aufgrund eines Sozialplanes zur (teilweisen) Übernahme des dortigen Personals am Standort Alexanderplatz verpflichtet gewesen sei, so dass ab dem 01. Juli 2017 ein deutlicher Personalüberhang bereits zum Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung absehbar gewesen sei.

8

Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte eine unmittelbare Vertretung oder eine Vertretungskette und etwaige Umorganisationsmaßnahmen ausreichend dargestellt habe, sei jedenfalls festzustellen, dass die Beklagte eine gedankliche Zuordnung der Klägerin vorgenommen habe und der Einsatz der Klägerin in der Strumpfabteilung im Rahmen dessen möglich gewesen sei. Dies sei ausreichend.

9

Die vorliegende streitige Befristung erweise sich auch nicht als institutioneller Rechtsmissbrauch. Weder die Zahl der Befristungen von sechs bzw. zehn (?) noch die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von knapp fünf Jahren gäben Anlass, ohne weitere Anhaltspunkte eine missbräuchliche Vertragsgestaltung anzunehmen.

10

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz wird auf das Urteil vom 18. April 2018 (Bl. 72 bis 83 d. A.) verwiesen.

11

Gegen dieses ihr am 02. Mai 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 24. Mai 2018 im Original beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene und am 01. August 2018 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02. August 2018 begründete Berufung der Klägerin.

12

Sie behauptet nunmehr, dass sie bereits mit befristetem Vertrag vom 30. September 2011 vom 25. Oktober 2011 bis 31. Dezember 2011 als Verkäuferin beschäftigt gewesen sei. Mit Vertrag vom 29. September 2012 sei dann die Wiedereinstellung zum 01. Oktober 2012 erfolgt (siehe Anlage 1 Bl. 3 d. A.). Das Arbeitsverhältnis sei dann nachfolgend durch zehn Befristungsverlängerungen und Neubefristungen fortgesetzt worden.

13

Das Arbeitsgericht Berlin habe zu Unrecht auf den letzten Vertrag vom 16. August 2016 wegen der Prüfung der Wirksamkeit abgestellt. Eines Vorbehalts habe es nicht bedurft. Im Übrigen setze die nationale Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs um, der gefordert habe, dass sämtliche vorangegangenen Befristungen bei der Einzelfallprüfung zu berücksichtigen seien.

14

Auch sei der Sachgrund Vertretung nicht hinreichend vorgetragen und nachgewiesen. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin tatsächlich für die Kollegin M. und nicht für die langzeiterkrankte Kollegin Sch. eingestellt worden sei. Der Vortrag der Beklagten begründe keine kausale mittelbare Vertretungskette.

15

Endlich verkenne das Arbeitsgericht die Frage nach dem institutionellen Rechtsmissbrauch. Die Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG sei nicht akzeptabel. Die Festlegung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf die Indizierung von Rechtsmissbrauch ab einer bestimmten Anzahl von Verträgen, Verlängerungen oder Jahren sei willkürlich.

16

Die Klägerin beantragt,

17

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. April 2018 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Befristung zum 30. Juni 2017 beendet worden sei und als unbefristetes Arbeitsverhältnis unverändert fortbestehe.

18

Die Beklagte beantragt,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie bestreitet ausdrücklich, dass es nach dem 31. Dezember 2012 insgesamt zehn Befristungsverlängerungen und Neubefristungen bis zum 19. Oktober 2015 gegeben habe. Die Klägerin sei nach neunmonatiger Unterbrechung erstmals wieder mit Arbeitsvertrag vom 14. Oktober 2015 für den Zeitraum 19. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2015 eingestellt worden.

21

Die Klägerin verkenne im Übrigen sowohl die Rechtsprechung des EuGH im angezogenen Fall „Kücük“ als auch die darauffolgende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu institutionellem Rechtsmissbrauch sowie zur mittelbaren Stellvertretung. Eine Vertretung, wie sie vorliegend durch befristeten Vertrag überbrückt worden sei, sei sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH als auch der des Bundesarbeitsgerichts als Sachgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG anzusehen.

22

Wegen des weiteren konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 31. Juli 2018 (Bl. 103 ff. d. A.) und der Beklagten vom 06. September 2018 (Bl. 121 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

  1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 c, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

24

  1. In der Sache hat die Berufung der Klägerin jedoch keinen Erfolg. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Berlin, sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab und weist wegen des zweitinstanzlichen Vortrags der Parteien nur auf Folgendes hin:

1.

25

Das Gericht geht auch unter Berücksichtigung des konkret behaupteten weiteren Vertrages vom 30. September 2011, der insofern von der Beklagten auch nicht bestritten worden ist, mit dem Arbeitsgericht Berlin von sechs befristeten Verträgen bzw. Verlängerungen aus. Weitere hat die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht vorgelegt. Daraus ergibt sich eine Gesamtbefristungsdauer von gerade einmal 25 Monaten, die zudem anfangs durch weitere Zeiten lange unterbrochen wurden. Erst ab dem 19. Oktober 2015 bis zum 30. Juni 2017 bestand ein ununterbrochener Zeitraum von 20 Monaten und 22 Tagen, in den vier Befristungen fallen.

2.

26

Für die Wirksamkeit der Befristungen ist – wie das Arbeitsgericht Berlin auch insofern zutreffend und ausführlich ausgeführt hat – der letzte befristete Vertrag zu untersuchen, wenn – wie hier – kein Vorbehalt erklärt worden ist (vgl. die ständige Rechtsprechung des BAG, etwa BAG 24.02.2016 – 7 AZR 182/14 – EzA § 620 BGB 2002 Hochschulen Nr. 16).

3.

27

Dieser letzte Vertrag war gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3 TzBfG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 BEEG wegen der Vertretung von Frau M. gerechtfertigt. Die Beklagte hat auch mindestens die mittelbare Vertretung von Frau M. konkret dargelegt, wobei dahinstehen kann, ob die konkrete Bezeichnung der einzelnen Abteilung, in der die Klägerin tätig wurde und in der auch Frau M. tätig war (Abteilung Damenwäsche, Damenstrümpfe und Kinderbekleidung, siehe auch den Arbeitsvertrag von Frau M. Bl. 127 d. A.) nicht sogar für eine unmittelbare Vertretung ausreicht. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen der ersten Instanz sowie die mittlerweile ständige Rechtsprechung des BAG zur „gedanklichen Zuordnung“ bei der mittelbaren Vertretung (vgl. zuletzt etwa BAG 11.12.2015 – 7 AZR 113/13 – EzA § 14 TzBfG Nr. 111 mit weiteren Nachweisen) verwiesen.

4.

28

Die zulässige Vertretungsbefristung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Nach der Rechtsprechung ist eine umfassende Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) in der Regel geboten, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre überschreitet oder mehr als 12 Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart wurden oder wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden. Unter diesen Voraussetzungen hängt es von weiteren, zunächst von der Klägerin vorzutragenden Umständen ab, ob ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeit anzunehmen ist (vgl. nur BAG 26.10.2016 – 7 AZR 135/15 – BAGE 157, 125 bis 140).

29

Die sich daraus ergebenden Grenzen sind vorliegend bei weitem nicht erreicht. Zudem kommt hinzu, dass auch bei einer Gesamtzahl von ca. 25 Monaten Befristung mehrmalige monatelange Unterbrechungen vorliegen

5.

30

Weder die Rechtsprechung des BAG noch die ihr folgenden Entscheidungen des Arbeitsgerichts Berlin und der erkennenden Kammer weichen von der EuGH-Entscheidung im Fall „Kücük“ ab. Der EuGH hat in der Entscheidung vom 26. Januar 2012 – C – 586/10 – NZA 2012, 135 ff. ausdrücklich die Vertretung als fachlichen Grund im Sinne seiner Rechtsprechung anerkannt und nur für den Fall des Missbrauchs eine umfassende Gesamtabwägung gefordert, woraus sich die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt. Wörtlich heißt es in Randziffer 56:

31

„Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung über befristete Verträge dahin auszulegen ist, dass die Anknüpfung an einen vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften in nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann. Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt weder, dass kein sachlicher Grund im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung über befristete Verträge gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder –verhältnisse durch einen solchen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, müssen die Behörden der Mitgliedstaaten jedoch im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder –verhältnisse berücksichtigen.“

32

III. Die Berufung der Klägerin war daher gemäß § 97 Abs. 1 ZPO auf ihre Kosten zurückzuweisen.

33

IV. Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

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VonRA Moegelin

Diskriminierung durch Kündigung eines katholischen Chefarztes – C-68/17

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Nach einem Rechtsstreit duch alle deutschen Instanzen hat der EuGH nun entschieden, dass die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung eine verbotene Diskriminierung darstellen kann. Der EuGH hat die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das BAG hat nun zu entscheiden, ob die Gefahr einer Beeinträchtigung des religiösen Ethos oder des Rechts auf Autonomie der katholischen Kirche wahrscheinlich und erheblich ist, um eine Kündigung ausnahmsweise doch zu rechtfertigen.

Der Verfahrensgang:

Arbeitsgericht Düsseldorf – 6 Ca 2377/09

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 5 Sa 996/09

Bundesarbeitsgericht: BAG 2 AZR 543/10 (mit Urteilsbesprechung)

Bundesverfassungsgericht: 2 BvR 661/12

PRESSEMITTEILUNG Nr. 127/18 Luxemburg, den 11. September 2018 Urteil in der Rechtssache C-68/17 IR /JQ

Die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung kann eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen

Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung, worüber im vorliegenden Fall jedoch das deutsche Bundesarbeitsgericht zu befinden hat.

JQ ist katholischer Konfession und arbeitete als Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ eines Krankenhauses,   das   von   IR, einer der   Aufsicht   des   katholischen Erzbischofs   von   Köln (Deutschland) unterliegenden deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wird.

Als IR erfuhr, dass JQ nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hat JQ durch Eingehung einer   nach   kanonischem   Recht   ungültigen Ehe   in   erheblicher   Weise   gegen   seine Loyalitätsobliegenheiten aus seinem Dienstvertrag verstoßen.

Der Dienstvertrag verweist auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO 1993) 1, die vorsieht, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt und seine Kündigung rechtfertigt. Nach dem Ethos der katholischen Kirche hat die kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen Charakter. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das deutsche Grundgesetz Kirchen und alle ihnen zugeordneten Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht verleiht, das es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen selbständig zu verwalten.

JQ hat hiergegen die deutschen Arbeitsgerichte angerufen und geltend gemacht, dass seine erneute Eheschließung kein gültiger Kündigungsgrund sei. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da nach der GrO 1993 die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Chefarztes der Abteilung keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit IR gehabt hätte. In diesem Kontext ersucht das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) den Gerichtshof um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2, nach der es grundsätzlich verboten ist, einenArbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass der Beschluss einer Kirche oder einer     anderen     Organisation,     deren     Ethos     auf     religiösen     Grundsätzen     oder Weltanschauungen beruht und die eine (in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. 3.

Bei dieser Kontrolle muss das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist.

Im vorliegenden Fall hat das Bundesarbeitsgericht zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der Bedeutung der von JQ ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, für die Bekundung des Ethos von IR nicht notwendig zu sein scheint. Sie scheint somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet wird, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden,   die   nicht   katholischer   Konfession sindund   folglich   nicht derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos von IR zu verhalten, unterworfen waren.

Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass in Anbetracht der ihm vorgelegten Akte die in Rede stehende Anforderung nicht als gerechtfertigt erscheint. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls IR dargetan hat, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist.

Zu der Problematik, dass eine Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen hat, sondern einer Umsetzung in nationales Recht bedarf, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die nationalen Gerichte das nationale Recht zur Umsetzung der Richtlinie so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen haben. Falls es nicht möglich sein sollte, das anwendbare nationale Recht (hier das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) im Einklang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung des Gerichtshofs in seinem heutigen Urteil auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreits zwischen Privatpersonen anhängig ist, das nationale Recht unangewendet zu lassen hat. Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass das nunmehr in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat und schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht verleiht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann.

1 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September1993 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222).

2 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

3 Der Gerichtshof bezieht sich insoweit auf sein Urteil vom 17. April 2018, Egenberger (C-414/16, vgl.auch die Pressemitteilung Nr. 46/18), über die Anforderung der Religionszugehörigkeit für eine Stelle innerhalb der Kirche.

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VonRA Moegelin

Verwertungsverbot der Videoüberwachung des Arbeitnehmers

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Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist. Die Klägerin war in einem vormals von dem Beklagten betriebenen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle tätig. Dort hatte der Beklagte eine offene Videoüberwachung installiert. Mit den Aufzeichnungen wollte er sein Eigentum vor Straftaten sowohl von Kunden als auch von eigenen Arbeitnehmern schützen. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde im 3. Quartal 2016 ein Fehlbestand bei Tabakwaren festgestellt. Bei einer im August 2016 vorgenommenen Auswertung der Videoaufzeichnungen habe sich gezeigt, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos. Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Erkenntnisse aus den Videoaufzeichnungen unterlägen einem Verwertungsverbot. Der Beklagte hätte die Bildsequenzen unverzüglich, jedenfalls deutlich vor dem 1. August 2016 löschen müssen. Auf die Revision des Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Sollte es sich – was der Senat nach den bisherigen Feststellungen nicht beurteilen kann – um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung gehandelt haben, wäre die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF* zulässig gewesen und hätte dementsprechend nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt. Der Beklagte musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er durfte hiermit solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Sollte die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sein, stünden auch die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Klägerin im weiteren Verfahren nicht entgegen.

Pressemitteilung Nr. 40/18 des Bundesarbeitsgerichts, Urteil vom 23. August 2018 – BAG 2 AZR 133/18

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 20. Dezember 2017 – 2 Sa 192/17

*§ 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in der bis zum 25. Mai 2018 geltenden Fassung (aF) lautet: Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.

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VonRA Moegelin

BAG zur Kündigung wegen vermuteter Schwangerschaft – 2 AZN 382/18

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Nunmehr hat das BAG am 16.08.18 rechtskräftig entschieden, dass eine Kündigung wegen einer vermuteten Schwangerschaft unzulässig ist. Die Beschwerde des beklagten Arbeitgebers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg hat das Bundesarbeitsgericht als unzulässig verworfen.

Wie so oft – so auch hier – scheitern Anwälte schon daran, eine formgerechte „Rechtsfrage“ zu formulieren, um die erforderliche Entscheidungserheblichkeit darzulegen, die für die Zulassung der Revision erforderlich ist.

Insoweit hat das BAG seinen abweisenden Beschluss sehr knapp begründen können:

BUNDESARBEITSGERICHT

2 AZN 382/18

10 Sa 1509/17

Landesarbeitsgericht

Berlin-Brandenburg

BESCHLUSS

In Sachen

(…) Beklagte, Berufungsbeklagte und Nichtzulassungsbeschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte: (…)

gegen

(…) Klägerin, Berufungsklägerin und Nichtzulassungsbeschwerdgegenerin,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Olaf Moegelin, Zerndorfer Weg 63, 13465 Berlin,

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts am 16. August 2018 beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revisionin dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. März 2018 – 10 Sa 1509/17 – wird auf Ihre Kosten als unzulässig verworfen.
  1. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 3.900,00 Euro festgesetzt.

GRÃœNDE

Die allein auf dem Zulassungsgrund aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht in der von § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG verlangten Form begründet worden. Die Beklagte legt jedenfalls die Entscheidungserheblichkeit der von Ihr zu II 1 der Beschwerdebegründung formulierten „Rechtsfrage“ nicht dar. Das Landesarbeitsgericht ist nicht davon ausgegangen, die Klägerin habe mitgeteilt, nicht zu wissen, ob sie schwanger sei. Vielmehr hat es gemeint, sie habe mit ihrer E-Mail vom 14. Dezember 2016 „eine vermutete Schwangerschaft angezeigt“ (Seite 12 des amtlichen Umdrucks). Die Beklagte beanstandet „nur“ eine fehlerhafte Auslegung der Mitteilung, die ihr für sich genommen – selbst wenn sie vorläge – die Revision nicht zu eröffnen vermöchte. Von einer weiteren Begründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

Koch Rachor Niemann

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen vermuteter Schwangerschaft

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Die Mitteilung einer vermuteten oder möglichen Schwangerschaft ist ausreichend, um den Sonderkündigungsschutz aus § 17 MuSchG auszulösen. So lautet der Leitsatz des LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.03.2018 – 10 Sa 1509/17.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen hat der beklagte Arbeitgeber Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Das Verfahren wird unter dem AZ BAG 2 AZN 382/18 geführt. Rechtsanwalt Moegelin vertritt die Klägerin und Arbeitnehmerin seit der 2. Instanz. Die Beschwerde sollte zurückgewiesen werden, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Zutreffend hat das LAG auf die Rechtsprechung verwiesen (EuGH C-232/09; BAG 2 AZR 278/73; BAG 2 AZR 270/90), wonach die Mitteilung einer vermuteten Schwangerschaft ausreicht. In Anbetracht der Rechtsprechung zu genau dieser Sache erscheint die Sache nicht klärungsbedüftig.

Sollte der Beschwerde dennoch stattgegeben werden und sogar zugunsten der Beklagten entschieden werden, wonach die hier erfolgte Mitteilung nicht ausreicht für den Sonderkündigungsschutz sein soll, kommt es darauf an, ob die Kündigung überhaupt zugegangen ist. Das LAG hat das konsequenterweise offengelassen, da es seiner Meinung nach darauf nicht ankam.

Volltext des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.03.2018 – 10 Sa 1509/17 (Siehe auch Gerichtsentscheidungen Berlin-Brandenburg)

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. September 2017 – 26 Ca 944/17 – abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine Kündigung der Beklagten vom 19. Dezember 2016 oder per E-Mail vom 5. Januar 2017 nicht aufgelöst worden ist.

II.   Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Der Gebührenwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.900,00 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1   Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Schwangerschaft der Klägerin.

2  Die Klägerin ist 29 Jahre alt (… 1988) und stand seit dem 1. September 2016 zunächst befristet und seit dem 1. Dezember 2016 unbefristet in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten als kaufmännische Bürokraft bei 30 Wochenstunden und einer Vergütung von 1.300,00 EUR brutto.

3  Die Klägerin war arbeitsunfähig krank. Weil die Arbeitsunfähigkeit durch eine Gynäkologin bescheinigt war, fragte der Geschäftsführer der Beklagten wie auch die Büroleitung nach dem Grund der Arbeitsunfähigkeit. Die Kommunikation zwischen den Parteien erfolgte üblicherweise per WhatsApp und per E-Mail.

4  Am 14. Dezember 2016 teilte die Klägerin per E-Mail der Beklagten mit:

5   Hallo Ihr Lieben,

ich fühle mich noch nicht wirklich gut, sodass ich nicht kommen kann.

Ihr fragt euch bestimmt, ob ich schwanger bin. Das kann ich selbst nicht ganz beantworten. Habe auch keine Arbeitgeberbescheinigung oder ähnliches bekommen. Geplant war das auch nicht, wir haben gerade den Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben, Baubeginn ist im Frühjahr 2017.

Es sieht momentan so aus, als wäre eine Fruchthöhle da… mehr kann ich euch nicht sagen! Zudem kamen durch den Sturz noch einige Komplikationen.  Ich hoffe ihr wisst die Offenheit zu schätzen.

6  Unter dem 19. Dezember 2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin, nach Darlegung der Beklagten mittels Einwurf-Einschreiben unter der Sendungsnummer RE 4637 07887 DE mit einer Einlieferung am 19. Dezember 2016 um 13:26 Uhr. Nach einem handschriftlichen Zusatz einer Mitarbeiterin der Beklagten auf dem Einlieferungsbeleg handelte es sich um die Kündigung der Klägerin. Ob die Kündigung der Klägerin zugegangen ist, ist zwischen den Parteien streitig. Nach den Unterlagen der Deutschen Post wurde eine Sendung mit der Sendungsnummer RE 4637 0788 7DE am 20. Dezember 2016 zugestellt. Was wem zugestellt wurde, ist der Sendungsverfolgung nicht zu entnehmen. Dem reproduzierten Auslieferungsbeleg der Deutschen Post kann entnommen werden, dass es sich um eine Auslieferung im Postleitzahlbereich …, also dem Wohnbereich der Klägerin, handelte.

7  Mit E-Mail vom 28. Dezember 2016 teilte die Klägerin der Beklagten u.a. mit:

8 „Nun gut, ich bin schwanger.“

9  Am 4. Januar 2017 teilte der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin per E-Mail mit, dass sie in den nächsten Tagen die Büroschlüssel vorbeibringen solle. Nach Mitteilung der Klägerin, dass sie so schnell wie möglich wieder zur Arbeit kommen wolle, erklärte der Geschäftsführer der Beklagten mit E-Mail vom 5. Januar 2017 an die Klägerin, dass der Arbeitsvertrag zum 31.01.2017 aufgelöst sei. Die Klägerin antwortete, dass die Bestätigung über ihre Schwangerschaft per Post auf dem Weg zur Beklagten sei. Deshalb sei die Kündigung unwirksam. Falls die Rücknahme nicht innerhalb von 5 Werktagen bestätigt werde, müsse sie leider Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Zusätzlich fügte die Klägerin an: „Ich bin gerade mehr als traurig und schockiert, denn ich habe mich sehr wohl bei Ihnen gefühlt und möchte so schnell wie möglich wieder zur Arbeit kommen.“ Mit E-Mail vom 11. Januar 2017 wies die Beklagte die Klägerin auf den Zugang der Kündigung am 20. Dezember 2016 hin.

10  Am 23. Januar 2017 erhob die Klägerin durch ihre damaligen Prozessbevollmächtigten Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Berlin. Sie trägt vor, eine schriftliche Kündigung der Beklagten nicht erhalten zu haben. Die Belege der Post würden den Zugang der Kündigung nicht dokumentieren. Die Klägerin wohne in einem Haus mit 12 Mietparteien. Die Klägerin und ihr Ehemann (damals Lebensgefährte) hätten den Briefkasten mindestens zweimal täglich kontrolliert und die Post herausgeholt. Da die Klägerin aufgrund eines Sturzes arbeitsunfähig gewesen sei, habe der Ehemann der Klägerin in der Zeit des angeblichen Kündigungszugangs den Briefkasten stets nach der Arbeit bei Rückkehr nach Hause kontrolliert, die Post mit nach Hause genommen und seiner Ehefrau übergeben. Das behauptete Kündigungsschreiben sei nicht dabei gewesen. Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sei Frau A. nie mit dem Geschäftsführer irgendwohin gefahren. Bei zwei Anlässen habe die Klägerin selbst die Erfahrung gemacht, dass der Geschäftsführer auch Mitarbeiterkündigungen selbst zur Post gebracht habe, nie jedoch mit der Büroleiterin Frau A. gemeinsam.

11   Die Beklagte erwidert, dass etwaige arbeitsrechtliche Kündigungen üblicherweise vom Geschäftsführer der Beklagten persönlich übergeben würden. Nur wenn der betroffene Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank sei, bringe er das Kündigungsschreiben im Beisein eines Zeugen zur Post. Hier habe er das Kündigungsschreiben im Beisein der Mitarbeiterin Daniela A. persönlich am 19. Dezember 2016 geschrieben, ausgedruckt und in einen Umschlag gepackt. Anschließend habe er gegen 13:00 Uhr den Umschlag mit dem Kündigungsschreiben mit seinem Auto im Beisein von Frau A. zur Postfiliale in der Bernauer Straße gebracht und den Versand als Einwurf-Einschreiben veranlasst. Nach Rückkehr in den Betrieb habe er der Buchhalterin I. B. den Einlieferungsbeleg gegeben und mitgeteilt, dass es sich um den Einlieferungsbeleg hinsichtlich des die Klägerin betreffenden Kündigungsschreibens handele, worauf Frau B. auf dem Einlieferungsbeleg den Vermerk „Kündigung, B.“ notiert habe. In der Zeit der tatsächlichen Beschäftigung der Klägerin sei es nur zu einer weiteren Kündigung gekommen, die persönlich übergeben worden sei.

12   Nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Ehemannes der Klägerin ist das Arbeitsgericht im Urteil vom 15. September 2017 davon ausgegangen, dass die Klägerin den durch den Einlieferungsbeleg und den Auslieferungsbeleg der Deutschen Post bestehenden Beweis des ersten Anscheins nicht hinreichend erschüttert habe. Danach sei davon auszugehen, dass die Kündigung der Klägerin am 20. Dezember 2016 zugegangen sei. Die Klage gegen diese Kündigung habe deshalb nach § 4 Satz 1 KSchG innerhalb der Klagefrist von drei Wochen bis zum 10. Januar 2017 beim Arbeitsgericht eingehen müssen. Die Sondervorschrift des § 4 Satz 4 KSchG greife nicht, da die E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2016 für einen neutralen Leser in erster Linie so zu verstehen gewesen sei, dass möglicherweise eine Schwangerschaft bestehe. Jedenfalls sei eine positive und sichere Kenntnis der Beklagten damit nicht verbunden gewesen. Die Beklagte habe keine weitergehende Aufklärungspflicht gehabt.

13   Gegen dieses den damaligen Klägerinvertretern am 16. Oktober 2017 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 15. November 2017 Berufung ein und begründete diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 12. Januar 2018. Der Auslieferungsbeleg beinhalte weder den Namen noch die Adresse des Empfängers. Ein Erfahrungssatz, wie ihn das Arbeitsgericht aufgestellt habe, dass es unwahrscheinlich sei, dass ein Schriftstück der Beklagten für denselben Postleitzahlbereich am 19. Dezember 2016 aufgegeben worden sei, könne nicht angenommen werden. Die Beklagte habe sich nicht dazu erklärt, ob es eine weitere Zustellung an die besagte Postleitzahl gegeben habe. Frau A. habe früher in dem Wohngebiet „Sonnengarten“ gewohnt und aktuell dort auch noch Freunde und Bekannte und einen engen Verwandten, wohl ihren Bruder C. S., Am K. .. 16548 G.. Das Arbeitsgericht habe die Beweiswürdigung unzutreffend vorgenommen. Die Wertungen des Gerichts zum Vortrag der Klägerin seien widersprüchlich, wenn ihr einerseits kein wahrheitswidriger Vortrag unterstellt werde, andererseits aber ein Öffnen des Briefes durch die Klägerin für möglich gehalten werde. Die Annahme des Arbeitsgerichts, dass auch ein Wegwerfen des Briefes zusammen mit Werbung erfolgt sein könne, entbehre jeder Grundlage. Werbung komme in Folie oder Umschlag verpackt oder als einzelnes Blatt. Dort könne kein Brief hineingeraten. Es handele sich um eine reine Spekulation des Arbeitsgerichts. Es hätte zumindest die Parteianhörung der Klägerin erfolgen müssen.

14   Die Klägerin habe aber auch mit ihrem Fortbestehensantrag bereits in der Klageschrift und auch später die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragt.

15   Die E-Mail vom 14. Dezember 2016 möge ein wenig umständlich klingen, jedoch bringe sie im Kern unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Klägerin schwanger sei. Hätte die Beklagte die Erklärung unklar oder mehrdeutig empfunden, wäre eine Nachfrage erforderlich, möglich und zumutbar gewesen, um die letztendliche Klarheit zu erzielen. Bei der Mitteilung der Schwangerschaft müsse hinsichtlich der Auslegung der Erklärung auch ein weniger strenger Maßstab gelten als beim Abschluss eines Vertrages.

16  Die Klägerin beantragt,

17   das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. September 2017 – 26 Ca 944/17 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine angebliche Kündigung der Beklagten vom 19. Dezember 2016 oder die E-Mail vom 5. Januar 2017 nicht aufgelöst wurde.

18   Die Beklagte beantragt,

19   die Berufung zurückzuweisen.

20   Die Beklagte erwidert, dass der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht die Kündigung vom 19. Dezember 2016 am 20. Dezember 2016 zugegangen sei. Mit der Klageerhebung am 23. Januar 2017 habe sie die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG versäumt.

21  Ein- und Auslieferungsbeleg hätten die gleiche Sendungsnummer getragen und der Einlieferungsbeleg den Zusatz „Kündigung B.“. Der Brief sei auch der einzige gewesen, den der Geschäftsführer und Frau A. an dem Tag zur Post gebracht hätten. Der Vortrag der Klägerin in der Berufung entkräfte den Vortrag der Beklagten nicht. Der von der Klägerin geschilderte mögliche alternative Geschehensablauf einer eingeschriebenen Briefsendung an eine andere Person im Postleitzahlbereich sei schlichtweg abwegig. Die Beweiswürdigung durch das Arbeitsgericht sei zutreffend erfolgt. Der Zeuge habe nicht ausschließen können, dass die Klägerin an jenem Tag selbst aus dem Briefkasten genommen hätte.

22   Ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage sei erstinstanzlich nicht gestellt worden. Die Klägerin habe sich durchgängig nur auf den fehlenden Zugang der Kündigung berufen. Die Kenntnisnahme von der Schwangerschaft sei zu keinem Zeitpunkt thematisiert worden. Es könne der Klägerin auch nicht gefolgt werden, dass die E-Mail vom 14. Dezember 2016 die Mitteilung einer Schwangerschaft beinhaltet habe. Die Klägerin selbst habe mitgeteilt, dass sie nicht wisse, ob sie schwanger sei. Dann könne die Beklagte das erst recht nicht wissen. Eine positive Kenntnis der Beklagten von der Schwangerschaft könne jedenfalls ausgeschlossen werden. Diese habe erst mit der E-Mail vom 28. Dezember 2016 vorgelegen und zwar aufgrund einer Nachfrage der Beklagten nach dem Grund der Arbeitsunfähigkeit.

23   Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Klägerin vom 9. Januar 2018 und ihren Schriftsatz vom 9. März 2017 sowie den vorgetragenen Inhalt der Berufungserwiderung der Beklagten vom 16. Februar 2018 und ihren Schriftsatz vom 1. März 2018 sowie das Sitzungsprotokoll vom 15. März 2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

24   Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

25   Die Berufung ist auch begründet. Denn die Klägerin war zum Kündigungszeitpunkt unstreitig schwanger und hatte der Beklagten mit ihrer E-Mail vom 14. Dezember 2016 eine vermutete Schwangerschaft mitgeteilt.

1.

26   Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, hatte die Beklagte zum Zeitpunkt des vom Arbeitsgericht angenommenen Zeitpunkts des Zugangs der Kündigung keine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft der Klägerin. Auch die E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2016 beinhaltete keine solche – sichere – Mitteilung. Auch die Anzeige einer vermuteten Schwangerschaft ist jedoch ausreichend, um den Sonderkündigungsschutz des § 9 MuSchG (bzw. seit dem 1.1.2018 § 17 MuSchG) auszulösen, wenn zum Kündigungszeitpunkt tatsächlich eine Schwangerschaft besteht (vgl. BAG, Urteil vom 15. November 1990 – 2 AZR 270/90).

1.1

27   Nach dem Wortlaut des seinerzeit maßgeblichen § 9 MuSchG musste die Mitteilung der Klägerin, die an keine besondere Form gebunden war, „die Schwangerschaft oder Entbindung“ zum Gegenstand haben. Aus der Mitteilung musste nicht hervorgehen, dass sich die Klägerin auf den besonderen Kündigungsschutz berufe. Der besondere Kündigungsschutz des § 9 MuSchG greift kraft Gesetzes ein. Der konkrete Inhalt der Mitteilung ist im Gesetz nicht näher beschrieben. Im Interesse der Effektivität des Mutterschutzes sind solche Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit des Arbeitgebers hinzunehmen, die sich aufgrund der besonderen Ungewissheitslage, wie sie für beginnende Schwangerschaften typisch ist, nicht vermeiden lassen. Die Mitteilung muss dem Arbeitgeber deswegen noch keine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft vermitteln (vgl. KR-Gallner, MuSchG § 9 RN 57 m.w.N.). Es reicht aus, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber ohne sofortigen Nachweis eine ihm noch nicht bekannte Schwangerschaft anzeigt oder ihm mitteilt, sie sei zum Zeitpunkt der Kündigung vermutlich schwanger gewesen. Um den besonderen Kündigungsschutz zu erhalten, genügt auch eine nur vorsorgliche Mitteilung der Arbeitnehmerin, eine Schwangerschaft sei wahrscheinlich oder werde vermutet (BAG, Urteil vom 6. Juni 1974 (2 AZR 278/73); KR-Gallner, MuSchG § 9 Rn 57; Buchner/Becker § 9 MuSchG Rn 114; Gröninger/Thomas § 9 MuSchG Rn 29; APS-Rolfs § 9 MuSchG Rn 35; KDZ-Söhngen § 9 MuSchG Rn 31).

1.2

28  Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 11. November 2010 (C-232/09) zur Richtlinie 92/85/EWG – Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz – ist der Begriff „schwangere Arbeitnehmerin“ weit auszulegen und damit die Anforderung an eine Mitteilung der Schwangerschaft nicht besonders hoch. Bereits in der Entscheidung 1 AZR 454/59 vom 5. Mai 1961 hatte das BAG entsprechend unter Ziffer 1 der Gründe ausgeführt:

29   Der bloße Wortlaut des Gesetzes, wonach „die“ Schwangerschaft mitzuteilen ist, mag für die Auffassung der Beklagten ins Feld geführt werden können. Eine sachgemäße Auslegung darf aber nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern muss den wirklichen Willen des Gesetzgebers erforschen und diesen der Rechtsfindung zugrunde legen (§ 133 BGB). In diesem Zusammenhang ist als sicher davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die natürlichen Gegebenheiten bei einer Schwangerschaft bekannt gewesen sind. Da der Kündigungsschutz für werdende Mütter zeitlich nicht beschränkt ist, sondern vom Beginn der Schwangerschaft an gewährt wird, sind auch die Fälle in die Regelung einbezogen, in denen bei einer vom Arbeitgeber erklärten Kündigung nicht sofort mit Sicherheit das Bestehen einer Schwangerschaft mitgeteilt werden kann, weil eine Schwangerschaft im Anfangsstadium vielfach nur schwer zuverlässig festzustellen ist. Damit hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass die für den Eintritt des Kündigungsschutzes erhebliche Mitteilung der Schwangerschaft im Frühstadium regelmäßig nur in der Form erfolgt, dass eine Schwangerschaftsvermutung bestehe oder dass das Vorliegen einer Schwangerschaft wahrscheinlich sei. Würde eine derartige Mitteilung nicht anerkannt, dann wäre die Arbeitnehmerin u.U. zur Unehrlichkeit gezwungen, indem sie eine Schwangerschaft fest behaupten müsste, obwohl sie diese nur vermuten kann; andernfalls ginge sie des vom Gesetz auch einer solchen Frau zugedachten Schutzes verlustig. Diese Auslegung des § 9 Abs. 1 MuSchG entspricht der weit überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum.

30   In der Entscheidung 2 AZR 278/73 vom 6. Juni 1974 hatte das BAG unter III 1 der Gründe auf gleicher Linie ausgeführt:

31  „Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung unter zwei Voraussetzungen unzulässig: Die Kündigung muss während einer Schwangerschaft ausgesprochen worden sein und die gekündigte Arbeitnehmerin muss dem Arbeitgeber, wenn er von dem Bestehen der Schwangerschaft noch nicht unterrichtet war, diese innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt haben. Ein Nachweis der Schwangerschaft wird in § 9 MuSchG nicht gefordert. Die Mitteilung der Schwangerschaft, auf die § 9 Abs. 1 MuSchG abstellt, und der Nachweis der Schwangerschaft werden im Mutterschutzgesetz als zwei rechtlich voneinander zu unterscheidende Vorgänge behandelt. Das lässt § 5 Abs. 1 MuSchG erkennen, wonach eine werdende Mutter dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft nur mitteilen soll und erst auf Verlangen des Arbeitgebers gehalten ist, die Schwangerschaft durch das Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme nachzuweisen. Die Mitteilung im Sinne des § 9 Abs. 1 MuSchG braucht zudem nicht so beschaffen zu sein, dass sie dem Arbeitgeber bereits eine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft vermittelt. Aus diesem Grunde genügt es, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber innerhalb der Zweiwochenfrist des § 9 Abs. 1 MuSchG ohne sofortigen Nachweis eine dem Arbeitgeber noch nicht bekannte Schwangerschaft anzeigt oder ihm mitteilt, dass sie vermutlich schwanger sei.

32

  1. a) Diese Rechtslage ist aufgrund der Neufassung des § 9 MuSchG durch das Änderungsgesetz vom 24. August 1965 (BGBl. I, 912) nicht verändert worden. Nachdem der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits in der Entscheidung vom 5. Mai 1961 die vorsorgliche Mitteilung der Arbeitnehmerin, eine Schwangerschaft sei wahrscheinlich oder werde vermutet, für ausreichend erachtet hatte, ohne einen Nachweis innerhalb der Mitteilungsfrist zu verlangen, hat es der Gesetzgeber gleichwohl bei dem so durch die Rechtsprechung ausgelegten Begriff der Mitteilung in § 9 Abs. 1 MuSchG belassen. Ein Nachweis der Schwangerschaft ist weiterhin nur in § 5 Abs. 1 MuSchG vorgesehen.

33   Auch in der Entscheidung des BAG vom 15. November 1990 – 2 AZR 270/90 hat dieses erneut ausgeführt:

34   „…Dem steht nicht entgegen, dass bereits die Mitteilung einer vermuteten Schwangerschaft ausreicht. Hierbei handelt es sich, wie in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 5. Mai 1961 – 1 AZR 454/89 – ausgeführt, lediglich um den Inhalt der Mitteilung, die im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Feststellung der Schwangerschaft im Frühstadium für ausreichend anzusehen ist. Auch diese Mitteilung muss jedoch die Vermutung einer kündigungsrelevanten Schwangerschaft zum Inhalt haben. Die Rechtssicherheit für den Arbeitgeber, die die Vorschrift gewährleisten will, muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts nur insoweit zurücktreten, als Art. 6 Abs. 4 GG entgegensteht oder Schwierigkeiten der Feststellung der Schwangerschaft im Anfangsstadium eine Einschränkung der Anzeigeobliegenheit gebieten.

35   Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung folgen die Instanzgerichte. So hat das LAG Düsseldorf mit Urteil vom 23. Juli 2002 (16 Sa 162/02) entschieden:

36   Auch die fristgerechte Mitteilung einer nur vermuteten oder möglichen Schwangerschaft genügt zur Erhaltung des Sonderkündigungsschutzes nach § 9 MuSchG (BAG vom 15.11.1990 – 2 AZR 270/90).

37  Und das ArbG Oldenburg hat noch mit Urteil vom 4. März 2015 (2 Ca 544/14) ausgeführt:

38   „Im Frühstadium einer Schwangerschaft ist es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausreichend, wenn die Mitteilung lediglich die Vermutung einer kündigungsrelevanten Schwangerschaft zum Inhalt hat. Die Rechtssicherheit für den Arbeitgeber tritt zurück, da Schwierigkeiten bei der Feststellung der Schwangerschaft eine Einschränkung der Anzeigeobliegenheit erfordern.“

2.

39   Die E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2016 ist auslegungsbedürftig (§ 133 BGB).

2.1

40   Nach § 133 BGB ist der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Ausgehend vom Wortlaut der Erklärung ist der objektive Bedeutungsgehalt zu ermitteln. In die Auslegung einzubeziehen sind auch die Begleitumstände der Erklärung, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (vgl. BAG, Urteil vom 18. Juli 2013 – 6 AZR 47/12). Im Zweifel sind Erklärungen so auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Erklärenden nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Dabei sind die schutzwürdigen Belange des Adressaten der Erklärung zu berücksichtigen (vgl. BAG, Urteil vom 7. Juli 2015 – 10 AZR 416/14)

2.2

41   Ausgangspunkt der E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2016 war eine Nachfrage der Beklagten, was der Anlass für die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin sei. Mit dem Satz „Das kann ich selbst nicht ganz beantworten“, dem Hinweis darauf, dass es „momentan so aus[sieht], als wäre eine Fruchthöhle da …“ und dem Nachsatz, dass es „durch den Sturz noch einige Komplikationen [gab], hat die Klägerin nach Ansicht der Kammer gegenüber der Beklagten eine vermutete Schwangerschaft angezeigt.

42   Nur diese Bedeutung ihrer Erklärung ist nach den Maßstäben der oben unter 1.2 dargestellten Rechtsordnung vernünftig und entsprach der wohlverstandenen Interessenlage der Klägerin. Schutzwürdige Belange der Beklagten sind dadurch nicht verletzt. Denn einerseits hatte die Beklagte ausdrücklich nach dem Grund der Arbeitsunfähigkeit gefragt und andererseits enthält Art 6 Abs. 4 GG den bindenden Auftrag, jeder Mutter Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft angedeihen zu lassen. Dieser Verfassungsauftrag erstreckt sich insbesondere auf den Schutz der werdenden Mutter (BVerfG, Beschluss vom 13. November 1979 – 1 BvL 24/77, 19/78 und 38/79). Dem trägt § 9 MuSchG (jetzt § 17 MuschG) durch das prinzipielle Verbot der Kündigung einer werdenden Mutter Rechnung. Dabei ist es nicht zu vermeiden, dass der besondere Schutz der werdenden Mutter eine entsprechende Einschränkung der Interessen des Arbeitgebers mit sich bringt (BVerfG, Beschluss vom 13. November 1979 – 1 BvL 24/77, 19/78 und 38/79).

43  Auch etwaige wirtschaftliche Folgen für die Beklagte aufgrund von Ansprüchen der Klägerin aus dem MuSchG führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn für die Beklagte als Kleinbetrieb sieht das Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (AAG) weitgehende Ausgleichszahlungen vor.

3.

44  Da die Klägerin mit der E-Mail vom 14. Dezember 2016 eine vermutete Schwangerschaft mitgeteilt hatte, lief die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts nicht nach § 4 Satz 1 KSchG mit dem Tag des vom Arbeitsgericht angenommenen Zugangs der Kündigung. Nach § 4 Satz 4 KSchG war die Anrufung des Arbeitsgerichts am 23. Januar 2017 noch rechtzeitig.

45  Da die Kündigung einer Schwangeren ohne behördliche Zustimmung im Dezember 2016 nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig war und die Beklagte keine solche behördliche Zustimmung besaß, war der Klage zu entsprechen und die Unwirksamkeit der Kündigung vom 19. Dezember 2016 festzustellen.

III.

46   Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

47  Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.

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VonRA Moegelin

Rückzahlung einer Sonderzuwendung beim Ausscheiden im Folgejahr

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In Tarifverträgen kann der Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag außerhalb des Bezugszeitraums im Folgejahr abhängig gemacht werden.

Der Beklagte arbeitete seit 1995 als Busfahrer in dem Verkehrsunternehmen der Klägerin. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme ein Tarifvertrag Anwendung, der einen Anspruch auf eine bis zum 1. Dezember zu zahlende Sonderzuwendung vorsieht. Diese dient auch der Vergütung für geleistete Arbeit. Die Sonderzuwendung ist vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen, wenn er in der Zeit bis zum 31. März des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im Oktober 2015 zum Januar 2016. Mit der Abrechnung für den Monat November 2015 zahlte die Klägerin an ihn die tarifliche Sonderzuwendung in Höhe eines Monatsentgelts. Nachdem das Arbeitsverhältnis geendet hatte, verlangte die Klägerin die Sonderzuwendung nach der tarifvertraglichen Regelung zurück. Der Beklagte lehnte das ab, weil die Tarifvorschrift unwirksam sei. Sie verstoße als unverhältnismäßige Kündigungsbeschränkung gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Die Rückzahlungsregelung wäre nach der Rechtsprechung des Senats allerdings unwirksam, wenn sie als arbeitsvertragliche Allgemeine Geschäftsbedingung einer Klauselkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen wäre (ausführlich BAG 18. Januar 2012 – 10 AZR 612/10BAGE 140, 231). Arbeitsvertraglich in ihrer Gesamtheit einbezogene Tarifverträge unterliegen jedoch keiner solchen Inhaltskontrolle, weil sie nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Tarifverträge stehen nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften im Sinn von § 307 Abs. 3 BGB gleich.

Die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten, die sich aus der tarifvertraglichen Stichtagsregelung ergibt, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verletzt insbesondere nicht Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, die die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung zu beachten haben. Den Tarifvertragsparteien steht dabei aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu, über den Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht in gleichem Maß verfügen. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn es für die getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gibt.

Die tarifvertragliche Regelung, die der Senat anzuwenden hatte, greift zwar in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein. Art. 12 Abs. 1 GG schützt auch die Entscheidung eines Arbeitnehmers, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben. Die Einschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ist hier aber noch verhältnismäßig. Die Grenzen des gegenüber einseitig gestellten Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen erweiterten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien sind nicht überschritten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Juni 2018, BAG 10 AZR 290/17 – siehe Pressemitteilung Nr. 36/18

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Kammern Freiburg –

Urteil vom 9. Mai 2017 – 9a Sa 12/17

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