Zumutbare Nachforschungspflicht vor öffentlicher Zustellung

VonRA Moegelin

Zumutbare Nachforschungspflicht vor öffentlicher Zustellung

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Der Nachforschungspflicht vor öffentlicher Zustellung ist nachgekommen beim Nutzen bekannter Email-Adressen oder Telefonnummern, um nach der zustellungsfähigen Anschrift zu fragen. Es ist unzumutbar, den Kläger mit der Nachfragepflicht bei unbekannten ehemaligen Nachbarn des Beklagten zu belasten.

Volltext des Beschlusses des Landgerichts Neuruppin vom 09.07.2023 – 4 T 33/23:

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Amtsgerichts
Oranienburg vom 08.05.2023, Az. 21 C 64/23, aufgehoben.
2. Die Zustellung der Klageschrift vom 22.12.2022 ist durch öffentliche Bekanntmachung
(öffentliche Zustellung) zu bewirken.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 11.05.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 08.05.2023, mit dem der Antrag des Klägers auf öffentliche Zustellung der Klageschrift vom 22.12.2022 abgelehnt worden ist, hat Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig, weil nach § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist auch begründet. Der Kläger hat die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 1 ZPO, gemessen an den Umständen des vorliegenden Einzelfalls, hinreichend dargelegt.

Die öffentliche Zustellung einer Klage gemäß § 185 Nr. 1 ZPO kommt erst dann in Betracht, wenn sowohl der Aufenthaltsort einer Person unbekannt als auch eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Dabei muss der Aufenthaltsort nicht nur dem Gegner und dem Gericht, sondern allgemein unbekannt sein (BGH, NJW 2002, 827). Da die öffentliche Zustellung einer Klageschrift unmittelbar das rechtliche Gehör und die Rechtsverfolgungs- und Rechtsverteidigungsmöglichkeiten der Partei berührt, gelten hier strenge
Anforderungen (BGH NJW 2012, 1645 Rn. 23 m.w.N., beck-online). Hintergrund ist, dass nach Art. 103 Abs. 1 GG dem Beklagten grundsätzlich Gelegenheit gegeben werden muss, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor deren Erlass zu äußern
(BVerfG NJW 1988, 2361, beck-online).

Zutreffend verweist der Beschwerdeführer allerdings darauf, dass es Grenzen für die Nachforschungsobliegenheiten geben muss, weil anderenfalls eine öffentliche Zustellung niemals bewilligt werden könnte. Voraussetzung ist deshalb, dass eine Anschrift, unter der der
Zustellungsadressat zu erreichen ist, dem Gericht bzw. dem die Zustellung Veranlassenden weder bekannt noch mit zumutbaren Mitteln in Erfahrung zu bringen ist. Teilweise fordert die Rechtsprechung hierfür Recherchen „im gesamten bisherigen Lebenskreis“, wie sie eine
„verständige, an der wirtschaftlich sinnvollen Durchsetzung berechtigter Ansprüche interessierte Partei“ vornehmen würde, wenn es die öffentliche Zustellung nicht gäbe (vgl. OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2006, 04805; OLG Celle MDR 2007, 170).

Zu pauschal ist jedenfalls die Aussage, dass in der Regel eine Anfrage bei dem letzten Einwohnermeldeamt und der Poststelle genüge, wenn diese ergebnislos verlaufen und Zustellungen zurückgelangen mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt.“ Derartige Angaben können zwar für Zustellungen eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Schuldner genügen. Dies ist jedoch damit zu begründen, dass die Anforderungen im Vollstreckungsverfahren weniger streng sind, wenn der Adressat infolge des vorangegangenen Verfahrens, das zu dem Titel geführt hat, mit einer Maßnahme gegen sich rechnen musste oder die Zustellung an ihn keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der gerichtlichen Vollstreckungsmaßnahme ist (§ 829 Abs. 3 ZPO). Im Erkenntnisverfahren, vor allem bei Verfahrenseinleitung, sind die Anforderungen deshalb streng (BGH NJW-RR 2019, 294 Rn. 16; MüKoZPO/Häublein/Müller, 6. Aufl. 2020, ZPO § 185). Es ist erforderlich, dass der begünstigte Beteiligte alle der Sache nach geeigneten und ihm zumutbaren Nachforschungen anstellt, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten zu ermitteln, und deren Ergebnis gegenüber dem Gericht darlegt (BGH, NJW 2012, 3582).

Dies hat der Kläger getan. Er hat nicht nur eine ergebnislose Anfrage an das Einwohnermeldeamt gestellt und auf den postalischen Vermerk der Unzustellbarkeit wegen „unbekannt verzogen“ verwiesen. Er – der Kläger – hat darüber hinaus den gesamten mit dem Beklagten geführten
E-Mail-Kontakt zur Akte gereicht. Aus diesem geht hervor, dass noch von Februar bis Juli 2022 eine wechselseitige Korrespondenz zwischen den Parteien vorhanden war, die u.a. die Forderung der ausstehenden Rechtsanwaltsgebühren sowie die dahingehende Einräumung einer Ratenzahlung zum Gegenstand hatte und mit der Ankündigung des Klägers endete, dass er den Beklagten verklagen werde. Nach dem 04.07.2022 brach der Kontakt zunächst ab. Mit E-Mail vom 24.04.2023 forderte der Kläger den Beklagten sodann auf, bis zum 02.05.2023 seine derzeitige Adresse mitzuteilen, um eine öffentliche Zustellung der nunmehr eingereichten Klage zu vermeiden. Dabei war eine Unzustellbarkeitsmitteilung hinsichtlich einer der gesendeten E-Mails nicht zu verzeichnen. Eine Rückmeldung des Beklagten erfolgte nicht.

Dies reicht für die Anordnung der öffentlichen Zustellung im vorliegenden Einzelfall aus.

Der Kläger ist der ihm obliegenden weitergehende Nachforschungspflicht nachgekommen, denn das Nutzen bekannter Email-Adressen oder Telefonnummern, um nach der zustellungsfähigen Anschrift zu fragen, stellt eine zumutbare und deshalb erforderliche Nachforschungshandlung dar (vgl. BGH NJW-RR 2014, 377 Rn. 4; OLG Frankfurt a. M. NJW 2009, 2543 (2544); OLG Zweibrücken BeckRS 2017, 134717 Rn. 10; OLG Köln BeckRS 2011, 05618; BSG BeckRS 2012, 74812).

Darüber hinaus gehende Nachforschungen sind vom Kläger nicht zu verlangen. Die dazu grundsätzlich in Betracht kommenden persönlichen Nachfragen beim ehemaligen Arbeitgeber, bei dem letzten Vermieter oder bei Hausgenossen und Verwandten des Zustellungsadressaten
(vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 23.5.2017 – 2 WF 145/17, NJOZ 2018, 50 m.w.N., beck-online; MüKoZPO/Häublein/Müller, 6. Aufl. 2020, ZPO § 185 Rn. 9) sind im hier zu beurteilenden Einzelfall weder zielführend noch zumutbar. Ausweislich des Akteninhalts ist der ehemaligen Arbeitgeber des Beklagten wegen Insolvenz nicht mehr existent, jedenfalls ist das Arbeitsverhältnis zum Beklagten beendet. Anhaltspunkte,
die auf die Person des Vermieters, eines Mitbewohners, eines Verwandten oder auf das kontoführende Institut des Beklagten schließen lassen, sind ebenfalls nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass es sich bei dem Namen des Beklagten „Christian
Schmidt“ um einen sehr häufig auftretenden, unauffälligen Namen handelt, was eine Nachforschung im hiesigen Fall deutlich erschwert. Dementsprechend stellt es sich im Ergebnis hier auch als unzumutbar dar, den Kläger mit der Nachfragepflicht bei unbekannten ehemaligen Nachbarn des Beklagten zu belasten.

Es genügt vielmehr, dass der Antragsteller über die ihm bekannte E-Mail-Adresse des Beklagten diesem am 04.07.2022 eine Klage ankündigte, woraufhin sich der Beklagte nochmals per E-Mail äußerte, und sodann am 24.04.2023 an dieselbe E-Mail-Adresse des Beklagten die Aufforderung sandte, zur Vermeidung der öffentlichen Zustellung die aktuelle Adresse mitzuteilen. Dennoch ließ der Beklagte die E-Mail unbeantwortet und zwar im Bewusstsein des für ihn bestehenden Risikos des drohenden endgültigen Rechtsverlusts im Falle einer rechtswirksamen öffentlichen Zustellung. Mehr ist dem Antragsteller nicht zumutbar. Weitere geeignete Maßnahmen zur Ermittlung des Aufenthaltes des Beklagten sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 3. 12. 2008 – 19 U 120/08; OLG Zweibrücken Beschluss vom 08.12.2017 – 4 W 64/17, BeckRS 2017, 134717 Rn. 5-13, beck-online).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Bestimmung eines Beschwerdewertes
bedarf es nicht, weil eine Festgebühr bestimmt ist (KV 1812 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

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