Das BVerfG (2 BvR 661/12) hat nur unwesentlich strenger geurteilt als zuvor das BAG. In einer unsäglichen Weise ist der gekündigte Chefarzt vom BAG als „illoyal“ bezeichnet worden, da er zum zweiten Mal geheiratet hat. Es geht um die Tiefen des Kirchenrechts (Iuris Canonici), die das BAG als Maßstab genommen hat. Außer Acht gelassen hat das BAG die „christliche Nächstenliebe“, die im Arbeitsvertrag festgeschrieben war. Zweifelhaft ist, ob man überhaupt noch in unserer heutigen Zeit dem moralisch fragwürdigen Kirchenrecht so eine Bedeutung zumessen darf, wenn es um die existenzielle Frage geht, ob ein Arbeitnehmer seinen Job behalten darf oder nicht.
Zutreffend hat das Bundesarbeitsgericht die Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung für rechtswidrig erklärt (BAG, Urteil vom 8. September 2011 – 2 AZR 543/10). Nachdem das BVerfG das Urteil nun kassiert hat, ist unter Maßgabe des strenger als zuvor anzulegenden „kirchlichen Selbstverständnisses“ neu zu entscheiden.
Das vorausgegangene Urteil des BAG ist widersprüchlich und inkonsequent, soweit es um die Frage der Illoyalität des klagenden Arztes geht, die vom BAG bejaht wurde. Trotz des vermeintlich illoyalen Verhalten sei aber die Kündigung unverhältnismäßig gewesen. In zweifelhafter Weise meint das BAG, der Chefarzt sei seinem Arbeitgeber gegenüber „illoyal“ gewesen, indem er ein zweites Mal geheiratet hat.
Aus Sicht eines Nicht-Katholiken dürfte das nur Befremden hervorrufen, dass eine Wiederheirat als „illoyal“ gegenüber dem Arbeitgeber gewertet werden kann. Denn ein normaler Arbeitnehmer verhält sich unter keinen Umständen illoyal, wenn er ein verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht wahrnimmt, indem er die Eingehung einer Ehe vollzieht, egal ob zum ersten oder zweiten Mal.
Richtig ist, dass der Kläger mit seiner Wiederverheiratung gegen Kirchenrecht verstoßen hat und zwar gegen Iuris Canonici von 1983 CIC Can. 1055, 1056, 1134,1141. Allein daraus folgt jedoch nicht die Annahme, der Kläger sei illoyal. Daraus folgt nur, dass ein Verstoß gegen Kirchenrecht vorliegt. Die Frage ist, wie der Verstoß arbeitsrechtlich zu bewerten ist. Im Arbeitsvertrag ist geregelt, dass ein solcher Verstoß als illoyal bewertet wird und die Kündigung zur Folge hat. Allerdings gilt der im Arbeitsvertrag festgeschriebene Grundsatz der „christlichen Nächstenliebe“ für die Parteien. Das hat das BAG aber nicht in seine Entscheidung einbezogen. Der Kläger hat sich ernsthaft bemüht um die Anerkennung seiner zweiten Ehe, um wieder in Einklang mit den Grundsätzen der katholischen Kirche zu kommen. Das ist möglich nach kanonischem Recht, wenn die erste Ehe als nichtig angesehen wird.
Zitat des BAG hierzu: „Der Kläger stellt die mit seiner Religionszugehörigkeit verbundenen ethischen Pflichten nicht in Abrede und hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen die kirchliche Sittenlehre ausgesprochen oder ihre Geltung oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im Gegenteil versucht er, den ihm nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur kirchenrechtlichen Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten. Seine Leistung und sein Einsatz für die ihm anvertrauten Patienten, für seine Mitarbeiter und für sie selbst werden von der Beklagten anerkannt. Störungen des Leistungsaustauschs bestehen nicht.“ Diese Wertung des Gerichts lässt es schwer fallen, den Kläger als „illoyal“ gegenüber seinem Arbeitgeber anzusehen.
Bei Anwendung der „christlichen Nächstenliebe“, der schließlich zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht wurde, führen die Bemühungen des Klägers zur Vergebung seines Pflichtverstoßes, der ihn im Ergebnis gegenstandslos macht.
Ein Drahtseilakt vollzieht das BAG, indem es die der katholischen Kirche eigenen religiösen Sichtweisen zum Maßstab macht, egal wie „unplausibel, irrational oder rückwärtsgerichtet (sie) erscheinen mögen“.
Diese Erwägungen basieren auf der grundrechtlich verbürgten Religionsfreiheit. Diese zutreffenderweise absurden religiösen Vorstellungen haben sich unterzuordnen, wenn andere verfassungsrechtliche Güter betroffen sind. Das ist hier der Fall mit der Berufsfreiheit des Chefarztes. Bei der existenziellen Frage ob er seinen Job behalten kann oder nicht, wiegen seine Rechte offensichtlich schwerer, als die diffusen, inhumanen Glaubenssätze einer religiösen Vereinigung.
Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 8. September 2011 – 2 AZR 543/10
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