Vergleichsmehrwert für Einigung über Entfernung von Abmahnungen

VonRA Moegelin

Vergleichsmehrwert für Einigung über Entfernung von Abmahnungen

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Wird zugleich über ein Zwischen- und – ggf. auch nur hilfsweise – über ein Endzeugnis gestritten und wird zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende oder überhaupt nur eine Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse insgesamt nur einmal (vgl. LAG München 6. Juni 2023 – 3 Ta 59/23, Rn. 112, mwN zur Rspr. und Nr. I 29.3 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit; LAG Hamm 27. Januar 2023 – 8 Ta 232/22, Rn. 13 f.; LAG Nürnberg 30. Juni 2022 – 2 Ta 12/22, Rn. 25; 24. Februar 2020 – 5 Ta 12/20, Rn. 10 ff.). Der Gegenstand „Entfernung von unmittelbar vor einer verhaltensbedingten Kündigung ausgesprochenen Abmahnungen aus der Personalakte“ in einem Vergleich ist mit dem Wert für den die verhaltensbedingte Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag abgegolten. (Leitsatz)

Volltext des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.01.2024 –
26 Ta (Kost) 6005/24:

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 27. Dezember 2023, 20 Ca 13097/23, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Klägervertreter gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Dezember 2023 – 20 Ca 13097/23 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Parteien haben über eine verhaltensbedingte Kündigung vom 14. November 2023 gestritten, der vier Abmahnungen vom 2., 4., 6. und 9. Oktober 2023 vorausgegangen waren.

Die Klägerin hat in der Klageschrift ua einen Kündigungsschutzantrag und einen Antrag auf Verurteilung zur Abgabe eines Zwischenzeugnisses angekündigt, hilfsweise im Falle des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Verurteilung zur Erteilung eines Endzeugnisses. In einem Vergleich vom 8. Januar 2024 haben sich die Parteien ua auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt, die Entfernung von vier Abmahnungen aus der Personalakte sowie die Zahlung einer Abfindung und die Erstellung eines Zwischenzeugnisses sowie eines Endzeugnisses.

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert für das Verfahren auf 33.009 Euro festgesetzt. Dabei hat es für den Kündigungsschutzantrag drei Bruttoeinkommen und für die Zeugnisanträge ein Bruttoeinkommen angesetzt.

Mit ihrer Beschwerde machen die Klägervertreter geltend, für die Einigung über die Entfernung der vier Abmahnungen müsse ein Vergleichsmehrwert in Höhe von vier Bruttoeinkommen und für die Regelung über die Erteilung der beiden Zeugnisse jeweils ein Bruttoeinkommen festgesetzt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 17. Januar 2024 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Es ist kein Vergleichsmehrwert angefallen.

1) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).

2) Danach ist ein Vergleichsmehrwert nicht angefallen.

a) Soweit der Vergleich eine Regelung bezüglich der Zeugnisse beinhaltet, ist das bereits darauf zurückzuführen, dass der Gegenstand durch den für das Verfahren festgesetzten Betrag abgegolten ist. Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend ein Bruttoeinkommen in Ansatz gebracht.

aa) Wird zugleich über ein Zwischen- und – ggf. auch nur hilfsweise – ein Endzeugnis gestritten und wird zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende oder letztlich überhaupt nur eine Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse insgesamt nur einmal. Denn dann geht es im Kern um die Darstellung einer Tätigkeit und eine Beurteilung von Leistung und Führung in einem engen zeitlichen Zusammenhang. In diesem Fall ist für eine unterschiedliche bzw. abweichende Darstellung oder Beurteilung in beiden Varianten des Arbeitszeugnisses regelmäßig kein Raum, jedenfalls, wenn Anlass oder Notwendigkeit einer zwischenzeitlichen und gegebenenfalls abweichenden Neubeurteilung nicht erkennbar sind. Bei der gebotenen Betrachtung nach dem Interesse der klagenden Partei sind Zwischen- und Endzeugnis dann regelmäßig wertidentisch. Etwaige Begleitangaben begründen insoweit keinen in einem zusätzlichen Ansatz auszudrückenden Mehrwert (vgl. LAG München 6. Juni 2023 – 3 Ta 59/23, Rn. 112, mwN zur Rspr. und Nr. I 29.3 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit).

bb) So liegt der Sachverhalt hier. Es bestand von Anfang an ein unmittelbarer zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang. Das Endzeugnis war gerade für den Fall der Erfolglosigkeit der Klage geltend gemacht worden. Im Vergleich sind dann ein Zwischen- und ein Endzeugnis vereinbart worden. Hinsichtlich des Endzeugnisses waren damit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 GKG erfüllt. Der Umstand, dass es auch in dem Vergleich sowohl um ein Zwischen- als auch um ein Beendigungszeugnis gegangen ist, führt nicht dazu, dass zwei Bruttoeinkommen anzusetzen wären. Der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang wird hier gerade auch durch den Vergleichsinhalt deutlich. Bei beiden Zeugnissen sollte die Klägerin berechtigt sein, „auf das erteilte Zeugnis Änderungswünsche vorzubringen, die die Beklagte übernehmen wird“. Beide Zeugnisse sollten die Note „sehr gut“ in allen Elementen beinhalten. Zwischen dem Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs und dem der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses lag kein wesentlicher Zeitraum. Zudem ist die Klägerin ab dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses von der Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt worden.

b) Die Reglung unter Nr. 1 des Vergleichs über die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung der vier Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin hat einen Vergleichsmehrwert ebenfalls nicht ausgelöst. Der Gegenstand „Entfernung von unmittelbar vor einer verhaltensbedingten Kündigung ausgesprochenen Abmahnungen aus der Personalakte“ in einem Vergleich ist mit dem Wert für den die verhaltensbedingte Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag abgegolten. Die vier in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang kurz vor Ausspruch der verhaltensbedingten Kündigung in einem Abstand von jeweils zwei bis drei Tagen ausgesprochenen Abmahnungen sind von dem Streitgegenstand „verhaltensbedingte Kündigung“ umfasst. Das schließt eine gesonderte Bewertung aus. Auf die Frage, welche Bedeutung die Entfernung der Abmahnung für die Klägerin vor dem Hintergrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch hatte, kommt es daher im Ergebnis nicht an.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angefallen.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

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