Sachgrundlose Verlängerung nach Ablauf des 4-Jahres-Zeitraums

VonRA Moegelin

Sachgrundlose Verlängerung nach Ablauf des 4-Jahres-Zeitraums

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14 Abs. 2a) TzBfG gestattet nicht die sachgrundlose Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages, wenn die letzte Verlängerung nach Ablauf des 4-Jahres-Zeitraums – gerechnet ab der Gründung des Unternehmens – erfolgt. (Leitsatz)

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.01.2020 – 29 Ca 9162/19:

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung vom 29.06.2018 mit Ablauf des 08.08.2019 endete, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.762,87 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1 Die Parteien streiten über die Befristung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

2 Der Kläger ist seit dem 09. August 2016 durchgehend als Auslieferfahrer für die Beklagte, die einen Bringdienst für Lebensmittel betreibt, tätig, zuletzt aufgrund der Vereinbarung vom 29. Juni 2018 (Anlage K4, Blatt 14 der Akten), wonach das Arbeitsverhältnis bis zum 08. August 2019 befristet ist. Die Arbeitszeit beträgt aktuell 39 Stunden in der Woche, der monatliche Bruttoverdienst 2.254,29 EURO.

3 Die Beklagte wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 07. Februar 2014 errichtet und am 27. Februar 2014 erstmals im Handelsregister eingetragen. Mit Gewerbeanmeldung vom 23. Juni 2014 wurde auch das Gewerbe der Beklagten beim Gewerberegister rückwirkend zum Tag der Entstehung der Beklagten, das heißt zum 27. Februar 2014, angemeldet.

4 Mit seiner beim Arbeitsgericht am 25. Juli 2019 eingegangenen und der Beklagten am 01. August 2019 zugestellten Befristungskontrollklage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.

5 Er ist der Auffassung, die Beklagte könne sich nicht auf die Privilegierung nach § 14 Abs. 2a) Satz 2 TzBfG berufen. Erleichterungen in der Aufbauphase eines neugegründeten Unternehmens sollten nämlich unterbleiben, wenn für die im Wege einer Umstrukturierung erfolgte Neugründung aufgrund der Fortführung bereits vorhandener unternehmerischer Aktivitäten typischerweise keine besonderen Unsicherheiten über die Unternehmensentwicklung bestünden. So sei es vorliegend. Die Beklagte habe von der B. GmbH offenbar die Logistik übernommen ohne die ein Lieferservice nicht funktioniere. Eine Auslieferung von Lebensmitteln ohne Lager, Fahrzeuge und Personal sei undenkbar.

6 Ferner dürfe die letzte Verlängerung des Arbeitsvertrages nicht außerhalb des 4-Jahreszeitraums nach § 14 Abs. 2a) Satz 1 TzBfG liegen.

7 Der Kläger beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen,

8 festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung vom 29. Juni 2018 mit Ablauf des 08. August 2019 endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

9 Die Beklagte beantragt,

10 die Klage abzuweisen.

11 Sie ist der Auffassung, die Beklagte könne sich auf § 14 Abs. 2a) Satz 1 TzBfG berufen, da es sich um ein neugegründetes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift handele.

12 Bei der Beklagten handele es sich um eine solche privilegierte Neugründung, wie diese in ihrem Schriftsatz vom 06. Januar 2020 im Einzelnen ausführt (Blatt 86 ff. der Akten). Auf diesen Vortrag wird insoweit Bezug genommen.

13 Ferner vertritt die Beklagte die Auffassung, dass ein innerhalb der ersten vier Jahre nach Unternehmensgründung für eine Laufzeit von weniger als vier Jahre geschlossener Vertrag auch dann noch bis zur gesetzlich zulässigen Gesamtdauer von vier Jahren verlängert werden könne, wenn der oder die Verlängerungsverträge außerhalb des 4-Jahreszeitraums nach Gründung beginnen. Für den Beginn des 4-Jahreszeitraums komme es nämlich auf die vereinbarte Arbeitsaufnahme an.

14 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

15 Die nach den §§ 256 Abs. 1 ZPO, 17 TzBfG, 7 KSchG zulässige Befristungskontrollklage, welche auch innerhalb der Frist des § 17 Satz 1 TzBfG bei Gericht eingegangen ist, erweist sich als begründet.

16 Die Befristung ist nach § 16 TzBfG rechtsunwirksam, so dass der befristete Arbeitsvertrag (nach ständiger Rechtsprechung des BAG war lediglich der letzte Arbeitsvertrag vom 29. Juni 2018 maßgebend) als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt.

17 Der letzte Arbeitsvertrag des Klägers war ohne Sachgrund abgeschlossen. Eine Zulässigkeit der Befristung ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG liegt unstreitig nicht vor.

18 Die Beklagte kann sich aber auch nicht auf die Privilegierung nach § 14 Abs. 2a) Satz 1 TzBfG berufen.

19 Dabei kann unentschieden bleiben, ob es sich tatsächlich um eine Neugründung im Sinne dieser Vorschrift handelt oder etwa um lediglich eine rechtliche Umstrukturierung, wie der Kläger meint.

20 Nach Auffassung der Kammer ist es nämlich nicht zulässig, dass der befristete Arbeitsvertrag außerhalb des 4-Jahreszeitraums, gerechnet ab Gründung des Unternehmens, ohne Sachgrund geschlossen bzw. verlängert wird.

21 Maßgebend für den Zeitraum der Gründung des Unternehmens ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Es entscheidet der Zeitpunkt der tatsächlichen Aufnahme der anzeigepflichtigen Tätigkeit, nicht ihrer Anzeige. § 14 Abs. 2a) erlaubt den neugegründeten Unternehmen den Abschluss befristeter Arbeitsverträge bis zu ihrem vierten Geburtstag für die Dauer von höchstens vier Jahren, sofern die Arbeitsaufnahme noch innerhalb der nach §§ 187, 188 Abs. 2 BGB zu bestimmenden 4-Jahres-Frist liegt. Damit kann die Privilegierung noch bis zum Ablauf des 8. Jahres nach Gründung des Unternehmens wirken. Das setzt aber voraus, dass der letzte Vertrag über eine vierjährige Laufzeit vereinbart wird, denn Verlängerungsverträge können von einem über vier Jahre altem Unternehmen nicht mehr Abs. 2a) geschlossen werden (Müller-Glöge im Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 20. Auflage 2020, Rd.-Nr. 104a, 105 zu § 14 TzBfG mit weiteren Nachweisen).

22 Damit hätte die letzte Verlängerung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses noch vor dem 28. Februar 2018 erfolgen müssen. Dies ist nicht geschehen. Die letzte Verlängerung ist vielmehr am 29. Juni 2018 erfolgt.

23 Der gegenteiligen Rechtansicht, der 4-Jahres-Zeitraum beginne mit der Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers, vermag die erkennende Kammer nicht zu folgen. Der Wortlaut der Vorschrift spricht nicht für diese Auslegung. Auch sprechen die besseren Argumente für die klägerische Auffassung. Denn nach mehr als vier Jahren bestehen typischerweise keine gründungsbedingten Unsicherheiten über die Unternehmensentwicklung mehr. Daher besteht auch kein Bedürfnis, außerhalb des 4-Jahres-Zeitraums noch sachgrundlose Befristungen zuzulassen. Der Ausnahmecharakter von Befristungen, den das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 06. Juni 2018 1 BVL 7/14, 1 BVR 13175/14) zuletzt betonte, muss dann wieder Vorrang haben.

24 Nach alledem war dem Befristungskontrollantrag stattzugeben.

25  Die Kosten des Rechtsstreits trägt die unterliegende Beklagte (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, bleibt dies kostenmäßig außer Betracht. Der Kläger hat nämlich einen unechten Hilfsantrag (Beschäftigungsantrag) vor Entscheidung über den Befristungskontrollantrag wieder zurückgenommen. Damit ist er nicht mehr zur Entscheidung angefallen.

26 Der Wert des Streitgegenstandes ist nach den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 2 Satz 2 GKG auf den Betrag der für ein Vierteljahr geschuldeten Vergütung festzusetzen.

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