Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

VonRA Moegelin

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

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Das Unterlassen unzumutbarer Erwerbsarbeit ist nicht als „böswillig“ anzusehen. Die Unzumutbarkeit der Beschäftigung
kann sich aus schlechteren Vertragsbedingungen ergeben, wenn eine nicht
allein auf eine ggf. eintretende Verminderung des Verdienstes abstellende Gesamtbetrachtung
ergibt, dass die Abweichungen von den beim bisherigen Arbeitgeber
geltenden Vertragsbedingungen nicht hinnehmbar sind. „Böswillig“ unterlässt der Arbeitnehmer
anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit
ablehnt.

Volltext des Urteils des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 17.08.2019 – 2 Sa 364/18:

Tenor

Die Berufung der Beklagten/Widerklägerin gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Dresden vom 10.09.2018 – 11 Ca 114/18 – wird
auf Kosten der Beklagten/Widerklägerin zurückgewiesen.
Revision ist für sie und insoweit zugelassen, als sie auch zur
Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von dreimal 40,00 € =
120,00 € verurteilt ist.
Im Ãœbrigen ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Tatbestand

Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren unverändert darüber, ob die Beklagte
zu verurteilen ist, an den Kläger Vergütung für
– Oktober 2017 in Höhe von 2.412,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.11.2017 zzgl. einer
Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € nette abzüglich gezahlter
462,98 € netto,
– November 2017 in Höhe von 2.412,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.12.2017 zzgl.
einer Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € netto abzüglich gezahlter
462,98 € netto
und
– Dezember 2017 in Höhe von 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2018 zzgl.
einer Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € netto
zu zahlen.
Die dahingehenden Klageansprüche hat das vom Kläger angegangene Ausgangsgericht
(Arbeitsgericht Dresden vom 10.09.2018 – 11 Ca 114/18 –) ausgeurteilt.
Ergänzend geht es in dem Berufungsverfahren der Beklagten auf ihren unechten
Hilfsantrag widerklagend darum, die von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung
aus dem Ausgangsurteil gezahlten Beträge zurückzuerlangen.
Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes im ersten Rechtszug wird hier aufgrund
der Regelung in § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG abgesehen und stattdessen auf
den Tatbestand des Ausgangsurteils Bezug genommen. In ihm ist nach Aktenlage
sowie nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens das Vorbringen beider Parteien
vollständig und richtig beurkundet. Tatbestandsrügen sind nicht erhoben.
Zu ergänzen ist, dass der Kläger ausweislich der Abrechnung der Brutto-Netto-
Bezüge für die Monate Oktober, November und Dezember 2017 ohne die von der
Beklagten/Widerklägerin (fortan lediglich: Beklagte) vorgenommenen Abzüge monatlich
2.412,96 € brutto als Arbeitsvergütung zu beanspruchen gehabt hätte. Zu
ergänzen ist weiter, dass der Kläger in der bei dem Arbeitsgericht Dresden gegen
die Beklagte geführten Sache (12 Ca 2233/17) nicht nur die Kündigung angegriffen,
sondern auch seine Prozessbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen von/bei
der Beklagten verlangt hat.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 17.09.2018 zugestellte Ausgangsurteil am
15.10.2018 Berufung eingelegt und diese am 14.11.2018 ausgeführt.
Sie bleibt bei ihrem dahingehenden Verteidigungsvorbringen des Inhalts, wonach
sich der Kläger auf seine Vergütung für den Streitzeitraum den Wert desjenigen
anrechnen zu lassen habe, was er bei … bzw. … zu erwerben böswillig unterlassen
habe.
Darüber hinaus müsse sich der Kläger hilfsweise auf den Vergütungsanspruch ersparte
Aufwendungen für den Arbeitsweg zum bisherigen Arbeitsort von 10 km einfache
Strecke anrechnen lassen: 20 km x 57 Arbeitstage = 1.140 km, bei einem
Durchschnittsverbrauch von 8 Liter/100 km und ca. 1,40 €/Liter Benzinkosten =
127,68 € netto.
Die ausgeurteilte Verzugspauschale könne er nach der mittlerweile zu der die
Kostentragungspflicht betreffenden Regelung in § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorliegenden
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht beanspruchen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Ausgangsurteils abzuweisen
und den Kläger zu verurteilen, an sie
– 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.11.2017
bis 02.10.2018 zzgl. Verzugspauschale von 40,00 € für den
Monat Oktober 2017,
– 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.12.2017
bis 02.10.2018 zzgl. Verzugspauschale von 40,00 € für den
Monat November 2017
und – 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2018
bis 02.10.2018 zzgl. Verzugspauschale von 40,00 € für den
Monat Dezember 2017
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
auf 5.611,10 € seit 02.10.2018 (zurück) zu bezahlen.
Der Kläger beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Auch der Kläger bleibt im Wesentlichen bei seinem erstinstanzlichen Vorbringen.
Hinsichtlich des Arbeitswegs hätte es für ihn keinen Unterschied gemacht, wenn er
anstelle für die Beklagte für eines der beiden auf demselben Betriebsgelände tätigen
Drittunternehmen tätig geworden wäre.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien sowie ihrer umfangreichen
Rechtsausführungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug
genommen.

Entscheidungsgründe

I.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die – ihrerseits zulässige – Klage ist
im ausgeurteilten Umfang begründet. Damit fällt die auf den unechten Hilfsantrag
geführte Widerklage aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO der Kammer nicht zur Entscheidung
an.
1. Dem Kläger steht die ausgeurteilte Hauptforderung gegen die Beklagte aufgrund
der Regelung in § 615 Satz 1 BGB zu.
a) Danach kann der zur Dienstleistung verpflichtete Arbeitnehmer für die infolge
des mit der Annahme seiner Dienste in Verzug befindlichen dienstberechtigten Arbeitgebers
nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur
Nachleistung verpflichtet zu sein. Allerdings muss er sich nach § 615 Satz 2 BGB
u. a. den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der
Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt
oder zu erwerben böswillig unterlässt.
Zur Begründung des Annahmeverzugs bedarf es bei einer unwiderruflichen Freistellung
in einer Kündigungserklärung keines wörtlichen Angebots (§ 295 Satz 1
BGB; BAG vom 06.09.2006 – 5 AZR 703/05 – Juris Rdnr. 21).
Nach der Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 BGB ist – wie nach jener in § 11
Satz 1 Nr. 2 KSchG – zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben
(§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitswahl (Art. 12
GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist (vgl. BAG vom
11.10.2006 – 5 AZR 754/05 – Juris Rdnr. 18). Das Unterlassen unzumutbarer Erwerbsarbeit
ist nicht als „böswillig“ anzusehen. Die Unzumutbarkeit der Beschäftigung
kann sich aus schlechteren Vertragsbedingungen ergeben, wenn eine nicht
allein auf eine ggf. eintretende Verminderung des Verdienstes abstellende Gesamtbetrachtung
ergibt, dass die Abweichungen von den beim bisherigen Arbeitgeber
geltenden Vertragsbedingungen nicht hinnehmbar sind (vgl. BAG vom
22.03.2017 – 5 AZR 337/16 – Juris Rdnr. 23). „Böswillig“ unterlässt der Arbeitnehmer
anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit
ablehnt (BAG vom 22.03.2017 – 5 AZR 337/16 – Juris Rdnr. 17).
b) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich jedenfalls hier im Einzelnen Folgendes:
Die Beklagte ist aufgrund der als „unwiderruflich“ bezeichneten Freistellungserklärung
in dem Kündigungsschreiben mit der Annahme der Dienste des Klägers in
Verzug geraten, ohne dass dieser seine Arbeit hätte wörtlich anbieten müssen.
Fahrtkosten als ersparte Aufwendungen muss sich der Kläger nicht anrechnen lassen.
Die Ursächlichkeit des Unterbleibens der Dienstleistung hierfür hat der Kläger
in Abrede gestellt, und für sie – die Ursächlichkeit – ist im Übrigen auch nichts vorgetragen
(sondern nur eine angebliche Ersparnis).
Nicht anrechnen lassen muss sich der Kläger, was er bei … oder … hätte verdienen
können. Bei … hätte er einen Stundenlohn von 10,56 € brutto und bei … in Höhe
von 9,21 € brutto erzielen können. Demgegenüber ist er bei der Beklagten ausgehend
von einem Monatsbezug in Höhe von 2.412,96 € brutto auf einen Stundenlohn
in Höhe von 13,92 € brutto gekommen (2.412,96 € brutto/Monat bei einer 40-
Stunden-Woche ergibt bei 173,33 Stunden/Monat [40 Stunden/Woche x 13 Monate
: 3 Monate] jenen Stundenlohn, wenn 2.412,96 € brutto durch 173,33 Stunden geteilt
werden). Dies hätte für den Kläger bei … eine Einbuße von 24,14 % und bei …
sogar von 33,84 % ergeben. Demgegenüber hatte der Kläger gegen die Beklagte
für die Dauer des Laufs der Kündigungsfrist aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis
noch Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung zu unveränderten Bedingungen;
ihm war schließlich nicht außerordentlich fristlos gekündigt worden. In einer
derartigen Situation temporären Bestands- und Änderungsschutzes (was übrigens
die Frage nach der Wirksamkeit der Freistellung aufwirft, vgl. ErfK/Preis
§ 611 a BGB Rdnr. 570) ist es dem Kläger jedenfalls nicht vorzuwerfen, er habe
durch unterbliebenen Antritt bei … oder/und … vorsätzlich „ohne ausreichenden
Grund“ Arbeit abgelehnt. Insbesondere hatte er sich gegenüber der Beklagten auch
nicht mit der Freistellung einverstanden erklärt, sondern – im Gegenteil – durch
Kündigungsschutzklage und Prozessbeschäftigungsanspruch sein unverändertes
Beschäftigungsinteresse dokumentiert.
2. Die Höhe der sich ohne Abzüge ergebenden bereits vom Arbeitsgericht ausgeurteilten
Hauptforderung steht außer Streit. Als Schuldnerin hat die Beklagte die
Forderung – wie ebenfalls bereits ausgeurteilt – gemäß §§ 288 Abs. 1 Satz 2,
Satz 1 BGB, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, 614 Satz 2 BGB in ausgeurteilter Höhe
zu verzinsen. Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagte aufgrund deren
Schuldnerverzuges nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auch Anspruch auf Zahlung der
ebenfalls bereits ausgeurteilten Pauschalen in Höhe von monatlich 40,00 € für die
in den Monaten Oktober, November und Dezember unterbliebenen Lohnleistungen.
§ 288 Abs. 5 Satz 1 BGB wird im Arbeitsrecht entgegen BAG vom 25.09.2018
(8 AZR 26/18 – Juris – mit ausführlicher Begründung Rdnr. 23 ff.; BAG vom
19.12.2018 – 10 AZR 231/18 – Juris unter Bezugnahme in Rdnr. 75 auf BAG vom
25.09.2018 a. a. O.) nicht von § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG verdrängt. Nach § 12 a
Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht zwar in Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs (bei
den Gerichten für Arbeitssachen) kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung
wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung
eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes. Die „Pauschale“ des § 288
Abs. 5 Satz 1 BGB hat aber den Verzug des Schuldners zur Voraussetzung und
stellt keine „Entschädigung wegen Zeitversäumnis“ des Gläubigers dar. Nicht dieser
hat etwas (Zeit) versäumt, sondern der Schuldner ist mit der zu beanspruchenden
Entgeltleistung säumig. Bereits dem Wortlaut nach vermag § 12 a Abs. 1
Satz 1 ArbGG einen Anspruch aus § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB daher nicht auszuschließen.
Die entgegenstehende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entfernt
sich grundlos vom Gesetzeswortlaut. Die Annahme, wonach § 12 a Abs. 1 Satz 1
ArbGG Auswirkung auch auf eine Kostentragungspflicht (so die Ãœberschrift der
Vorschrift) aus Gründen des materiellen Rechts habe, mag zwar mit der Historie
der Regelung begründbar gewesen sein. Allerdings hat sich durch § 288 Abs. 5
Satz 1 BGB jedenfalls insoweit und beschränkt auf den Regelungsbereich jener
Vorschrift die Rechtslage zugunsten von Gläubigern eines Schuldners, der kein
Verbraucher ist, also u. a. gerade zugunsten von Arbeitnehmern gegenüber ihren
Arbeitgebern, geändert. Selbst wenn der Gesetzeswortlaut des § 12 a Abs. 1
Satz 1 ArbGG in Kollision zum Regelungsgehalt des § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB stehen
sollte – wie nicht –, würde letztgenannte Bestimmung als die zeitlich jüngere
Regelung vorgehen. Der Gesetzgeber des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG konnte das
Inkrafttreten der die unionsrechtliche Zahlungsverzugsrichtlinie umsetzenden Regelung
in § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB nicht vorhersehen (in diesem Sinne bereits zutreffend
Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven vom 20.11.2018 – 6 Ca 6390/17 – Juris
Rdnr. 36 und vom 05.03.2019 – 6 Ca 6294/18 – Juris Rdnr. 40), und ein (etwaiger)
überholter gesetzgeberischer Wille lässt sich mithin auch nicht gegen eine Anwendbarkeit
des § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB ins Feld führen.
II.
Die Beklagte hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer ohne
Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen.
Für sie ist die Revision zuzulassen, weil das Urteil von der letzterwähnten Entscheidung
des Bundesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser
Abweichung beruht. Zugelassen ist die Revision deshalb insoweit, als die Beklagte
auch zur Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von dreimal 40,00 € = 120,00 €
verurteilt ist. Im Ãœbrigen ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Im Folgenden wird gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 ArbGG über das Rechtsmittel und das
Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die
einzuhaltende Frist und Form belehrt.

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