Bei langanhaltender Krankheit oder häufigen Kurzerkrankungen wird der Arbeitgeber üblicherweise eine fristgerechte Kündigung aussprechen. In der dem BAG vorliegenden Sache liegt der ungewöhnliche Fall einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung vor. Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen der Stahlindustrie. Der wegen der Krankheit gekündigte Arbeitnehmer und spätere Kläger ist über 50 Jahre alt und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
Der Kläger arbeitete ursprünglich in der Kaltwalzwerk-Adjustage als Packer. Nach Vorlage eines ärztlichen Attests, dem zufolge er die Tätigkeit nicht mehr ausüben dürfe, wurde ihm leichtere Tätigkeitsbereiche zugewiesen. Zuletzt sollte er Reinigungsarbeiten durchführen. Mit der Begründung, die Tätigkeit tue ihm gesundheitlich nicht gut, bat der Kläger um Zuweisung einer anderen Aufgabe. Das lehnte die Beklagte – nach Einschaltung des Werksarztes – ebenso ab wie den Wunsch des Klägers nach einer erneuten gestuften Wiedereingliederung.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien – mit Zustimmung des Integrationsamts sowie nach Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung – außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. September 2010.
Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung, der insbesondere wie folgt regelt:
„§ 17. Einstellung, Kündigung
Einem Arbeitnehmer, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört, kann nur noch aus in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegendem wichtigen Grund oder bei Vorliegen eines Sozialplans oder bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien gekündigt werden. ..Im übrigen gelten für ordentliche Kündigungen die gesetzlichen Bestimmungen. Die gesetzlichen Bestimmungen über fristlose Kündigungen bleiben unberührt.“
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Auf die Revision des beklagten Arbeitgebers ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung aufgelöst worden ist, steht nach Ansicht des BAG noch nicht fest.
Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein. Regelmäßig ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten, und schon an eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nach der Rechtsprechung nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist.
Die Auffassung des LAG weil der Beklagten als „milderes Mittel“ die ordentliche Kündigung zur Verfügung gestanden habe, hält das BAG für fehlgehend, weil § 17 des TV bei einem -wie hier- über 50-jährigen Mitarbeiter eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers ausnahmslos ausschließe.
Die Sache ist nach den Feststellungen des BAG nicht entscheidungsreif. Das LAG hat nun Feststellungen zu treffen, ob im Kündigungszeitpunkt von einer dauernden Leistungsunfähigkeit des Klägers auszugehen war und ob die Möglichkeit eines Einsatzes auf einem anderen Arbeitsplatz gegeben war.
Ist der Leistungsaustausch auf Dauer umfassend gestört, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung auf unabsehbare Zeit keine Arbeitsleistung mehr erbringen wird, kann eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt sein. Deren Unwirksamkeit kann sich dann in der Regel nur noch aus der Abwägung der wechselseitigen Interessen ergeben (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 288/13).
Das Landesarbeitsgericht wird zu berücksichtigen haben, dass nicht nur die dauerhafte Leistungsunfähigkeit ein wichtiger Grund für eine Kündigung sein kann. Auch häufige kürzere Erkrankungen können dazu führen, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und verlässlich geplant werden kann und dieser damit zur Förderung des Betriebszwecks praktisch nichts mehr beiträgt. Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen sinnentleerten Arbeitsverhältnisses kann dem Arbeitgeber auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung unzumutbar sein.
Das BAG hält es zumindest nicht für ausgeschlossen, dass es der Beklagten aufgrund der zuletzt deutlich angewachsenen Fehlzeiten des Klägers in Verbindung mit einer stetigen Verschlechterung seines Gesundheitszustands, der Vielzahl ergebnislos verlaufener Wiedereingliederungsversuche und weiterer vom Kläger abgelehnter Tätigkeiten nach einem strengen Prüfungsmaßstab unzumutbar war, am Arbeitsverhältnis festzuhalten.
Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 288/13
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