Jahresarchiv 7. März 2020

VonRA Moegelin

Sachgrundlose Verlängerung nach Ablauf des 4-Jahres-Zeitraums

Share

14 Abs. 2a) TzBfG gestattet nicht die sachgrundlose Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages, wenn die letzte Verlängerung nach Ablauf des 4-Jahres-Zeitraums – gerechnet ab der Gründung des Unternehmens – erfolgt. (Leitsatz)

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.01.2020 – 29 Ca 9162/19:

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung vom 29.06.2018 mit Ablauf des 08.08.2019 endete, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.762,87 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1 Die Parteien streiten über die Befristung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

2 Der Kläger ist seit dem 09. August 2016 durchgehend als Auslieferfahrer für die Beklagte, die einen Bringdienst für Lebensmittel betreibt, tätig, zuletzt aufgrund der Vereinbarung vom 29. Juni 2018 (Anlage K4, Blatt 14 der Akten), wonach das Arbeitsverhältnis bis zum 08. August 2019 befristet ist. Die Arbeitszeit beträgt aktuell 39 Stunden in der Woche, der monatliche Bruttoverdienst 2.254,29 EURO.

3 Die Beklagte wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 07. Februar 2014 errichtet und am 27. Februar 2014 erstmals im Handelsregister eingetragen. Mit Gewerbeanmeldung vom 23. Juni 2014 wurde auch das Gewerbe der Beklagten beim Gewerberegister rückwirkend zum Tag der Entstehung der Beklagten, das heißt zum 27. Februar 2014, angemeldet.

4 Mit seiner beim Arbeitsgericht am 25. Juli 2019 eingegangenen und der Beklagten am 01. August 2019 zugestellten Befristungskontrollklage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.

5 Er ist der Auffassung, die Beklagte könne sich nicht auf die Privilegierung nach § 14 Abs. 2a) Satz 2 TzBfG berufen. Erleichterungen in der Aufbauphase eines neugegründeten Unternehmens sollten nämlich unterbleiben, wenn für die im Wege einer Umstrukturierung erfolgte Neugründung aufgrund der Fortführung bereits vorhandener unternehmerischer Aktivitäten typischerweise keine besonderen Unsicherheiten über die Unternehmensentwicklung bestünden. So sei es vorliegend. Die Beklagte habe von der B. GmbH offenbar die Logistik übernommen ohne die ein Lieferservice nicht funktioniere. Eine Auslieferung von Lebensmitteln ohne Lager, Fahrzeuge und Personal sei undenkbar.

6 Ferner dürfe die letzte Verlängerung des Arbeitsvertrages nicht außerhalb des 4-Jahreszeitraums nach § 14 Abs. 2a) Satz 1 TzBfG liegen.

7 Der Kläger beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen,

8 festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung vom 29. Juni 2018 mit Ablauf des 08. August 2019 endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

9 Die Beklagte beantragt,

10 die Klage abzuweisen.

11 Sie ist der Auffassung, die Beklagte könne sich auf § 14 Abs. 2a) Satz 1 TzBfG berufen, da es sich um ein neugegründetes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift handele.

12 Bei der Beklagten handele es sich um eine solche privilegierte Neugründung, wie diese in ihrem Schriftsatz vom 06. Januar 2020 im Einzelnen ausführt (Blatt 86 ff. der Akten). Auf diesen Vortrag wird insoweit Bezug genommen.

13 Ferner vertritt die Beklagte die Auffassung, dass ein innerhalb der ersten vier Jahre nach Unternehmensgründung für eine Laufzeit von weniger als vier Jahre geschlossener Vertrag auch dann noch bis zur gesetzlich zulässigen Gesamtdauer von vier Jahren verlängert werden könne, wenn der oder die Verlängerungsverträge außerhalb des 4-Jahreszeitraums nach Gründung beginnen. Für den Beginn des 4-Jahreszeitraums komme es nämlich auf die vereinbarte Arbeitsaufnahme an.

14 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

15 Die nach den §§ 256 Abs. 1 ZPO, 17 TzBfG, 7 KSchG zulässige Befristungskontrollklage, welche auch innerhalb der Frist des § 17 Satz 1 TzBfG bei Gericht eingegangen ist, erweist sich als begründet.

16 Die Befristung ist nach § 16 TzBfG rechtsunwirksam, so dass der befristete Arbeitsvertrag (nach ständiger Rechtsprechung des BAG war lediglich der letzte Arbeitsvertrag vom 29. Juni 2018 maßgebend) als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt.

17 Der letzte Arbeitsvertrag des Klägers war ohne Sachgrund abgeschlossen. Eine Zulässigkeit der Befristung ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG liegt unstreitig nicht vor.

18 Die Beklagte kann sich aber auch nicht auf die Privilegierung nach § 14 Abs. 2a) Satz 1 TzBfG berufen.

19 Dabei kann unentschieden bleiben, ob es sich tatsächlich um eine Neugründung im Sinne dieser Vorschrift handelt oder etwa um lediglich eine rechtliche Umstrukturierung, wie der Kläger meint.

20 Nach Auffassung der Kammer ist es nämlich nicht zulässig, dass der befristete Arbeitsvertrag außerhalb des 4-Jahreszeitraums, gerechnet ab Gründung des Unternehmens, ohne Sachgrund geschlossen bzw. verlängert wird.

21 Maßgebend für den Zeitraum der Gründung des Unternehmens ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Es entscheidet der Zeitpunkt der tatsächlichen Aufnahme der anzeigepflichtigen Tätigkeit, nicht ihrer Anzeige. § 14 Abs. 2a) erlaubt den neugegründeten Unternehmen den Abschluss befristeter Arbeitsverträge bis zu ihrem vierten Geburtstag für die Dauer von höchstens vier Jahren, sofern die Arbeitsaufnahme noch innerhalb der nach §§ 187, 188 Abs. 2 BGB zu bestimmenden 4-Jahres-Frist liegt. Damit kann die Privilegierung noch bis zum Ablauf des 8. Jahres nach Gründung des Unternehmens wirken. Das setzt aber voraus, dass der letzte Vertrag über eine vierjährige Laufzeit vereinbart wird, denn Verlängerungsverträge können von einem über vier Jahre altem Unternehmen nicht mehr Abs. 2a) geschlossen werden (Müller-Glöge im Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 20. Auflage 2020, Rd.-Nr. 104a, 105 zu § 14 TzBfG mit weiteren Nachweisen).

22 Damit hätte die letzte Verlängerung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses noch vor dem 28. Februar 2018 erfolgen müssen. Dies ist nicht geschehen. Die letzte Verlängerung ist vielmehr am 29. Juni 2018 erfolgt.

23 Der gegenteiligen Rechtansicht, der 4-Jahres-Zeitraum beginne mit der Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers, vermag die erkennende Kammer nicht zu folgen. Der Wortlaut der Vorschrift spricht nicht für diese Auslegung. Auch sprechen die besseren Argumente für die klägerische Auffassung. Denn nach mehr als vier Jahren bestehen typischerweise keine gründungsbedingten Unsicherheiten über die Unternehmensentwicklung mehr. Daher besteht auch kein Bedürfnis, außerhalb des 4-Jahres-Zeitraums noch sachgrundlose Befristungen zuzulassen. Der Ausnahmecharakter von Befristungen, den das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 06. Juni 2018 1 BVL 7/14, 1 BVR 13175/14) zuletzt betonte, muss dann wieder Vorrang haben.

24 Nach alledem war dem Befristungskontrollantrag stattzugeben.

25  Die Kosten des Rechtsstreits trägt die unterliegende Beklagte (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, bleibt dies kostenmäßig außer Betracht. Der Kläger hat nämlich einen unechten Hilfsantrag (Beschäftigungsantrag) vor Entscheidung über den Befristungskontrollantrag wieder zurückgenommen. Damit ist er nicht mehr zur Entscheidung angefallen.

26 Der Wert des Streitgegenstandes ist nach den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 2 Satz 2 GKG auf den Betrag der für ein Vierteljahr geschuldeten Vergütung festzusetzen.

Share
VonRA Moegelin

Benachteiligung und Schwerbehindertenvertretung

Share

Verstößt ein Arbeitgeber gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, greift grundsätzlich die Vermutung im Sinne des § 22 AGG, wonach eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes. Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gegen die Verpflichtung nach § 164 I 4 SGB IX verstoßen hat. Das ist der Fall, wenn die Schwerbehindertenvertretung nicht unmittelbar darüber informiert wird, dass eine Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen vorliegt.

 

Leitsatz

 

  1. Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der – hier 50 – Bewerber schwerbehindert ist.
  2. Die Klägerin ist als schwerbehinderte Bewerberin nicht automatisch deswegen offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L im Sinne von § 165 S. 4 SGB IX, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt. (Leitsatz)

 

Volltext des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg vom 27.11.2019 – 15 Sa 949/19:

 

Tenor

 

  1. Die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.04.2019 – 58 Ca 11246/18 – werden zurückgewiesen.

 

  1. Die Kosten des Rechtsstreits II. Instanz haben die Klägerin zu 1/3 und das beklagte Land zu 2/3 zu tragen.

 

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

1

 

Die Parteien streiten über eine Entschädigung wegen einer behaupteten Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung.

 

2

 

Die 1967 geborene Klägerin hat einen GdB (Grad der Behinderung) von 90. Sie weist einen Abschluss als staatlich anerkannte Grafik-Designerin auf, den sie nach dreijähriger Ausbildung im Jahr 1992 beim L. Verein, einer Berufsfachschule, erwarb. Danach war sie verschiedentlich als Grafikerin, aber auch in anderen Berufen tätig.

 

3

 

Das beklagte Land schrieb unter Angabe einer Bewerbungsfrist bis zum 30. März 2018 (Karfreitag) eine Stelle für eine Grafikerin für das Aufgabengebiet Grafik und Layout, Corporate Design, die nach der Entgeltgruppe 10 TV-L bewertet ist, aus. Als Anforderungen wurden in der Ausschreibung ein Studium Kommunikationsdesign, Grafikdesign (Bachelor oder FH-Diplom) und eine mindestens dreijährige Berufserfahrung als Grafikerin oder Kommunikationsdesignerin angeführt sowie wegen weiterer fachlicher und außerfachlicher Anforderungen auf ein ergänzendes Anforderungsprofil verwiesen. Wegen des weiteren Inhalts dieser Ausschreibung, insbesondere auch im Hinblick auf das dort genannte Arbeitsgebiet und die ausweislich des Anforderungsprofils genannten Fachkompetenzen wird auf die Anlage K 1 (Blatt 19 bis 27 der Akte) Bezug genommen. Die Klägerin bewarb sich elektronisch am 30.03.2018 unter Hinweis auf die bei ihr vorliegende Schwerbehinderteneigenschaft. Wegen ihres Lebenslaufs und der weiteren mit ihrer Bewerbung eingereichten Unterlagen wird auf das Anlagenkonvolut K 2 (Blatt 28 bis 41 der Akte) Bezug genommen.

 

4

 

Das beklagte Land hat einheitlich ein elektronisches Bewerbungsverfahren eingeführt. Innerhalb der einzelnen Senatsverwaltungen werden die eingehenden Bewerbungen mittels des sogenannten E-Recruitingverfahrens rexx erfasst und bearbeitet. Die Schwerbehindertenvertretung hat über das Portal laufend die Möglichkeit, sich über die Stellenausschreibungen und deren Anforderungsprofile zu informieren. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist wird das Bewerberverfahren durch die Stellenwirtschaft weitergeleitet, womit dann die Angaben und Unterlagen für den beteiligten Fachbereich und die Gremien innerhalb des Verfahrens rexx einsehbar werden. In eine so genannte Generalienakte kommen dabei nach Ablauf der Bewerbungsfrist die Angaben des Fachbereichs zu einer Vorauswahl und die jeweilige Bewerberliste. Im Fall der Klägerin wurde die Schwerbehindertenvertreterin am 03.04.2018 mit dem Verfahren rexx über die vorliegenden 50 Bewerbungen, einschließlich der Bewerbung der Klägerin informiert. Sämtliche Unterlagen waren einsehbar. Ein gesonderter Hinweis an die Schwerbehindertenvertretung, dass sich eine schwerbehinderte Person unter den Bewerbern befand, erfolgte nicht. Das System zeigt an, wenn es Veränderungen in einem Bewerbungsverfahren gibt. Das System lässt es auch zu, dass die beteiligten Fachbereiche und Gremien eigene Listen und Bearbeitungen erstellen. Der interne Vorauswahlvermerk vom 09.04.2018 über die Einladungen zu einem Auswahlgespräch sowie eine Bewerbungsübersicht in tabellarischer Form (Bl. 127f der Akte) wurde am 26.04.2018 in der Generalienakte abgespeichert und war ab diesem Zeitpunkt auch für die Schwerbehindertenvertreterin dort sichtbar.

 

5

 

Vorstellungsgespräche, zu denen 7 Personen eingeladen wurden, fanden am 04.05.2018 statt. Die Auswahlentscheidung wurde am 09.05.2018 getroffen. Am 15.05.2018 hat die Schwerbehindertenvertretung durch Abzeichnung ihre Beteiligung abgeschlossen.

 

6

 

Mit Schreiben vom 23.05.2018 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, die Wahl sei auf eine Mitbewerberin gefallen. Mit Schreiben vom 16.07.2018, auf das das beklagte Land mit Schreiben vom 20.07.2018 antwortete, machte die Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG (Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) geltend.

 

7

 

Mit der am 23.08.2018 eingereichten Klage verfolgt sie dieses Begehren weiter. Sie hat in zweierlei Hinsicht Indizien für eine Diskriminierung wegen der bei ihr vorliegenden Schwerbehinderung als gegeben angesehen. So sei der Vortrag zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unsubstantiiert geblieben. Weiter stelle die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sich als entsprechendes Indiz dar, da es ihr jedenfalls nicht offensichtlich an der fachlichen Eignung für die fragliche Stelle fehle. Soweit in der Ausschreibung ein Hochschulabschluss gefordert werde, sei dies für die in Aussicht genommenen Aufgaben nicht zwingend, ein Bezug zu diesem bereits nicht erkennbar. So finde sich die nunmehr angeführte Erforderlichkeit der Anleitung einer einzigen bereits tätigen Grafikerin mit einer Eingruppierung und Vergütung nach Entgeltgruppe 8 bereits nicht in der Ausschreibung, auch erschließe sich das Erfordernis einer akademischen Ausbildung hierfür nicht. Auch werde dort Führungserfahrung nicht gefordert, sei bei ihr, der Klägerin, aber sogar vorhanden. Das weiter angeführte Argument des beklagten Landes, es handele sich um die Position eines Senior Art Directors beziehungsweise einer künstlerischen Leiterin für Corporate Design und Corporate Identity finde sich ebenfalls nicht in der Ausschreibung. Soweit das beklagte Land darauf abstelle, dass auch eine inhaltliche und konzeptionelle Entwicklung von Publikationen in Eigenverantwortung anfalle, ergebe sich aus ihrer Bewerbung, dass dies sowohl zu ihrer aktuellen Aufgabe zähle als auch in der Vergangenheit zu ihren Berufserfahrungen, nämlich im museumspädagogischen Bereich in einer dortigen Beschäftigung mit derartigen Aufgaben von rund einem Jahr. Schließlich bleibe der Vortrag des beklagten Landes unsubstantiiert, soweit es behaupte, als leitende Grafikerin sei ein Agieren mit den Redakteuren, die ihrerseits mindestens einen Fachhochschulabschluss aufwiesen, „auf Augenhöhe“ geboten.

 

8

 

Der Höhe nach, so die Klägerin weiter, solle sich die begehrte Entschädigung auf mindestens drei zu erwartende Bruttomonatsgehälter belaufen, wobei sie von einer Eingruppierung und Vergütung wie ausgeschrieben in die Entgeltgruppe 10 sowie einer Stufenzuordnung in Stufe 3 im Hinblick auf ihre vorangegangenen Berufserfahrungen ausgeht.

 

9

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

10

 

das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch 10.960,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

11

 

Das beklagte Land hat beantragt,

 

12

 

die Klage abzuweisen.

 

13

 

Es hat behauptet, die Schwerbehindertenvertretung habe den Vorgang am 15.05.2018 zur Beteiligung gehabt; über die Vorabauswahlentscheidung sei sie mittels Netzinformation an diesem Tag informiert worden, weiter darüber, dass schwerbehinderte Menschen am Vorauswahlverfahren beteiligt waren; Einwendungen seien durch die Schwerbehindertenvertretung nicht erhoben worden. Zum Beweis bezieht sich das beklagte Land auf das Zeugnis der Schwerbehindertenvertreterin Frau D..

 

14

 

Eine Einladung der Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch, so das beklagte Land weiter, sei im Hinblick auf deren offensichtlich fehlende fachliche Eignung entbehrlich gewesen, denn die Klägerin weise den im Anforderungsprofil als erforderlich aufgeführten Fachhochschulabschluss nicht auf. Das Anforderungsprofil wiederum mit der dort geforderten akademischen Ausbildung und mindestens dreijährigen Berufserfahrung sei nach den zu erledigenden Aufgaben und im Hinblick auf diese erstellt worden. Sowohl die Anleitung der bereits beschäftigten Grafikerin der Entgeltgruppe 8 als auch das Agieren als leitende Grafikerin „auf Augenhöhe“ mit den Redakteuren, die ihrerseits mindestens ein Fachhochschulstudium aufweisen müssten, erfordere einen derartigen Abschluss. Zu den Aufgaben zählten auch die inhaltliche und konzeptionelle eigenverantwortliche Entwicklung von Publikationen; es handele sich um die Position eines Senior Art Directors (künstlerische Leiterin). Schließlich zähle es auch zu den Aufgaben, die fachlichen Präsentationen für die Hausleitung grafisch umzusetzen und inhaltlich zu entwickeln. Dieses Aufgaben-Portfolio mache die geforderte akademische Ausbildung erforderlich.

 

15

 

Jedenfalls aber, so das beklagte Land weiter, sei bei einer etwaigen Entschädigung hinsichtlich der Höhe zu berücksichtigen, dass die Klägerin mangels Vorhandenseins des geforderten Abschlusses allenfalls in die Entgeltgruppe 9 hätte eingruppiert und entsprechend vergütet werden können.

 

16

 

Mit Urteil vom 11.04.2019 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klägerin eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsgehältern (je 3.172,55 €, somit insgesamt 6.345,10 €) zugesprochen. Die Klägerin habe zwei Indizien für eine Benachteiligung wegen Ihrer Schwerbehinderung dargetan. Es sei nicht ersichtlich, dass die Schwerbehindertenvertretung umfassend unterrichtet worden sein soll. Der Hinweis, die Schwerbehindertenvertretung sei „mittels Netzinformation“ in Kenntnis gesetzt worden, reiche insofern nicht aus. Ein weiteres Indiz ergebe sich daraus, dass das beklagte Land entgegen der Verpflichtung aus § 165 S. 3 SGB IX die Klägerin als schwerbehinderten Menschen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Die behauptete offensichtlich fehlende fachliche Eignung der Klägerin liege aus Sicht der Kammer nicht vor, auch wenn die Klägerin nicht über den im Anforderungsprofil geforderten akademischen Abschluss verfüge. Weder der Ausschreibung noch den ergänzenden schriftsätzlichen Ausführungen lasse sich entnehmen, dass der geforderte akademische Abschluss für die zu besetzende Stelle erforderlich sein soll. Die Anleitung einer einzigen Grafikerin setze nicht zwingend eine akademische Ausbildung voraus. Es seien zwei Gehälter als Entschädigung anzusetzen, da vorliegend zwei Indizien für eine Diskriminierung verwirklicht worden sind. Wegen des fehlenden akademischen Abschlusses sei davon auszugehen, dass die Vergütung der Klägerin entsprechend der Vorbemerkung zu allen Teilen der Entgeltordnung zum TV-L nach der nächst niedrigeren Entgeltgruppe 9 (dort Stufe 3) erfolgt wäre.

 

17

 

Hiergegen richten sich die Berufung des beklagten Landes und die Anschlussberufung der Klägerin.

 

18

 

Das beklagte Land hat erstmals und ausführlich das E-Recruitingverfahren rexx dargestellt. Es ist insofern der Ansicht, dass die Schwerbehindertenvertretung über dieses Verfahren ausreichend informiert worden sei. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts hätte auch in zutreffender Weise verlangt werden dürfen, dass ein Studienabschluss vorliegt. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die einzustellende Person nicht nur einzelne Produkte zu gestalten hätte, sondern für die Entwicklung des Corporate Designs der gesamten Senatsverwaltung verantwortlich wäre. Auch aus der Größe und Bedeutung der Senatsverwaltung (34.000 Lehrkräfte; 600 Schulen; 350.000 Schüler und 170.000 Kinder in Kitas) ergebe sich, dass eine Leitungsposition mit akademischen Abschluss erforderlich sei. Das Verfahren rexx sei unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung entwickelt worden und eröffne ab Beginn eines Bewerbungsverfahrens die Möglichkeit, sich fortlaufend zu informieren. Am 09.05.2018 sei die Schwerbehindertenvertretung in Schriftform über das Vorauswahlverfahren (Verlauf und Ergebnisse) informiert worden.

 

19

 

Das beklagte Land beantragt sinngemäß,

 

20

 

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.04.2019 – 58 Ca 11246/18 – teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

 

21

 

Die Klägerin beantragt,

 

22

 

  1. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen und

 

23

 

  1. das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.04.2019, AZ. 58 Ca 11246/18 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch 9.517,65 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2018 zu zahlen.

 

24

 

Das beklagte Land beantragt,

 

25

 

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

 

26

 

Die Klägerin ist der Ansicht, die Schwerbehindertenvertretung sei nicht unverzüglich über ihre Bewerbung informiert worden. Ein reines Einstellen von Unterlagen in ein elektronisches System reiche nicht aus. Auch hätte die Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung angehört werden müssen, welche Personen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden sollen. Sie hätte zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Auf die formalen Anforderungen eines Anforderungsprofils komme es nicht an. Maßgeblich sei vielmehr, welche Anforderungen an den Bewerber redlicherweise hätten gestellt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei auch, dass in zahlreichen Stellenausschreibungen für ähnliche Tätigkeiten ein Studium nicht verlangt wird. Es sei davon auszugehen, dass die Bewerberin, die mit einem Grad von 30 behindert sei, über das geforderte Studium nicht verfüge. Diese sei jedoch unstreitig zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass sie seit über einem Jahr arbeitslos und mit einem hohen Grad schwerbehindert sei.

 

Entscheidungsgründe

 

A.

 

27

 

Die Berufung des beklagten Landes ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig. Im Ergebnis hat sie jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung i.H.v. 6.345,10 € zu zahlen. Die Klägerin hat in zwei Punkten ausreichend Indizien für eine Benachteiligung wegen Ihrer Schwerbehinderung nachgewiesen, die das beklagte Land nicht widerlegt hat (§ 22 AGG). Insofern steht der Klägerin eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsentgelten gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu. Auch das neue und ausführliche Vorbringen des beklagten Landes rechtfertigt eine abweichende Entscheidung nicht. Daher war die Berufung zurückzuweisen.

 

28

 

  1. Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht an formalen Voraussetzungen (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG), was zwischen den Parteien auch nicht streitig ist.

 

29

 

Nachdem die Klägerin am 23.05.2018 erstmals eine Absage zu Ihrer Bewerbung erhalten hat, hat sie mit Schreiben vom 16.07.2018 Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Die Klage ging dann am 23.08.2018 beim Arbeitsgericht ein.

 

30

 

  1. Ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann nur mit Erfolg durchgesetzt werden, wenn ein Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot vorliegt. Insofern sind sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen im Sinne des § 3 AGG verboten. Das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 AGG untersagt eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, unter anderem auch wegen einer Behinderung. Unabhängig hiervon dürfen Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des AGG (BAG 16.05.2019 – 8 AZR 315/18 – juris Rn. 13).

 

31

 

  1. Die Klägerin hat eine Benachteiligung wegen ihrer (Schwer-) Behinderung erfahren.

 

32

 

Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des beklagten Landes im Berufungsverfahren liegen weiterhin Indizien im Sinn des § 22 AGG vor, die für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau aller Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligten Behandlung und einem Grund im Sinne des § 1 AGG (hier die Schwerbehinderung) der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand.

 

33

 

1.1 Die Klägerin wurde dadurch, dass sie von dem beklagten Land nicht eingestellt wurde, unmittelbar im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, denn sie hat eine ungünstigere Behandlung erfahren als die letztlich eingestellte Person.

 

34

 

1.2. Verstößt ein Arbeitgeber gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, greift grundsätzlich die Vermutung im Sinne des § 22 AGG, wonach eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vorliegt (BAG 16.05.2019 – 8 AZR 315/18 – juris Rn. 22).

 

35

 

1.2.1. Ein solcher Verstoß kann hier deswegen festgestellt werden, weil das beklagte Land gegen die Verpflichtung nach § 164 I 4 SGB IX verstoßen hat. Es hat die Schwerbehindertenvertretung nicht unmittelbar darüber informiert, dass mir der Bewerbung der Klägerin eine Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen vorlag.

 

36

 

Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der – hier 50 – Bewerber schwerbehindert ist. Daran fehlt es. Das beklagte Land hat die Schwerbehindertenvertretung nicht informiert, sondern ihr nur die Möglichkeit eingeräumt, nach Durchsicht zahlreicher Dokumente die erforderliche Information selbst zu finden.

 

37

 

Sinn und Zweck der Informationspflichten ist es, dass der Arbeitgeber frühzeitig Transparenz über die eingegangenen Bewerbungen gegenüber den betrieblichen Interessenvertretungen schafft, soweit es um Bewerbungen schwerbehinderter Menschen geht (FKS-SGB IX-Faber/Rabe-Rosendahl, 4. Aufl. 2018, § 164 Rn 18). Hierbei hat der Arbeitgeber so umfassend zu informieren, dass die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzt wird, die ihr nach § 178 SGB IX auferlegten Pflichten wahrzunehmen, insbesondere die Interessen der schwerbehinderten Menschen sachgerecht zu vertreten. Der Schwerbehindertenvertretung soll es ermöglicht werden, sich inhaltlich auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber auseinander zu setzen (Mushoft in Hauck/Noftz, SGB IX 2018, § 178 Rn 53). All dies ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung zielgerichtet über eingegangene Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen informiert. Wollte man dies anders beurteilen, bestünde die Gefahr, dass die Schwerbehindertenvertretung bei Durchsicht der umfangreichen Unterlagen übersieht, dass auch Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen vorliegen. Dies ist auch interessengerecht. Nach der Rechtsprechung des BAG muss ein Arbeitgeber nicht sämtliche Unterlagen eines Bewerbers auf einen Hinweis zu einer Schwerbehinderung überprüfen. Aus der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme hat das BAG entwickelt, dass entsprechende Informationen im Bewerbungsschreiben oder an herausgehobener Stelle im Lebenslauf aufzuführen sind (BAG 18.09.2014 – 8 AZR 759/13 – juris Rn. 37). Nach den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist der Arbeitgeber daher umgekehrt im Verhältnis zur Schwerbehindertenvertretung verpflichtet, die von ihm ermittelte Information der Schwerbehinderung in transparenter Form mitzuteilen.

 

38

 

Die Freischaltung gegenüber den Gremien reicht vorliegend auch deswegen allein nicht aus, weil die Schwerbehindertenvertretung nicht bei allen Bewerbungsverfahren zu beteiligen ist, sondern nur dann, wenn ein schwerbehinderter Mensch sich beworben hat. Nur dann steht der Schwerbehindertenvertretung auch ein Einsichtsrecht in die jeweiligen Bewerbungsunterlagen zu. Wenn die Schwerbehindertenvertretung jedoch nicht ausdrücklich darüber informiert wird, in welchem Bewerbungsverfahren sich schwerbehinderte Bewerber beteiligt haben, kann sie auch nicht beurteilen, ob sie in diese Bewerbungsunterlagen überhaupt Einblick nehmen darf.

 

39

 

Nach Darstellung des beklagten Landes konnte die Schwerbehindertenvertretung frühestens am 26.04.2018 in halbwegs übersichtlicher Form indirekt durch Zusammenstellung einer Bewerberübersicht mit Angaben zu einer Schwerbehinderteneigenschaft und Einstellung in die Generalienakte darüber informiert worden sein, dass bei der Klägerin das entsprechende Merkmal vorlag. In zeitlicher Hinsicht stellt dies jedenfalls keine „unmittelbare“ Information dar, denn die Klägerin hatte sich schon am 30.03.2018 beworben. Nach hiesiger Ansicht dürfte jedoch auch erst die schriftliche Informierung am 09.05.2018 als ausreichend anzusehen sein.

 

40

 

1.2.2. Ein weiterer Verstoß gegen bestehende Verpflichtungen zum Schutz schwerbehinderter Menschen ist darin zu sehen, dass das beklagte Land die Klägerin nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, obwohl hierzu nach § 165 S. 3 SGB IX eine Verpflichtung bestand.

 

41

 

Nach dieser Norm sind schwerbehinderte Menschen von einem öffentlichen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie sich beworben haben.

 

42

 

Das beklagte Land kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Ausnahmevorschrift nach § 165 S. 4 SGB IX berufen. Danach ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

 

43

 

Zur Beurteilung der fachlichen Eignung des/der Bewerbers/Bewerberin ist auf das in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthaltene Anforderungsprofil abzustellen (BAG 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 – juris Rn. 35). Die Festlegung des Anforderungsprofils muss jedoch wegen der so genannten Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar sein (BAG 12.09.2006 – 9 AZR 807/05 – juris Rn. 33).

 

44

 

Die hiesige Klägerin ist als schwerbehinderte Bewerberin nicht automatisch deswegen offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L im Sinne von § 165 S. 4 SGB IX, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt.

 

45

 

Die Tatbestandsmerkmale für die Entgeltgruppe E 10 TV-L setzen nicht eine bestimmte Hochschulausbildung voraus, sondern verlangen nur eine Heraushebung im Hinblick auf die „besondere Schwierigkeit und Bedeutung“ der Tätigkeit.

 

46

 

Erst ab der Entgeltgruppe E 13 werden Beschäftigte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulausbildung und entsprechender Tätigkeit erfasst sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben. Schon dies zeigt, dass die Tarifvertragsparteien gerade nicht davon ausgehen, dass nur ein formaler Ausbildungsabschluss eine bestimmte Tätigkeit ermöglicht.

 

47

 

Auch das BAG geht davon aus, dass der Festlegung einer formalen Ausbildungsqualifikation nur die Aufgabe zukommt, die durch eine Prüfung nachgewiesene Befähigung zur Erledigung bestimmter Aufgaben abstrakt zu beschreiben. Im Hinblick auf das Recht des Zugangs zu einem öffentlichen Amt gemäß Art. 33 Abs. 2 GG ist ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes deswegen gehindert, aus subjektiven Erwägungen die Inhaber von gleichwertigen oder gar höherwertigen Qualifikation allein aus formalen Gründen auszuschließen (BAG 12.09.2006 – 9 AZR 807/05 – juris Rn. 34). Daher hätte das beklagte Land vorliegend prüfen müssen, ob die Klägerin nicht unabhängig von ihrer formalen Qualifikation auf Basis ihrer langjährigen Berufserfahrung offensichtlich nicht über gleichwertige Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt wie ein Bewerber, der das geforderte Studium formal abgeschlossen hat. Daran fehlt es.

 

48

 

Im Gegensatz zur Auffassung des beklagten Landes lässt sich unabhängig hiervon aus den Anforderungen der zu besetzenden Stellen auch nicht ableiten, dass Qualifikationen auf dem Niveau eines Fachhochschulabschlusses überhaupt erforderlich sein sollen. Die Leistungsmerkmale zu den Fachkompetenzen beziehen sich auf Kenntnisse mit InDesign, Photoshop, Gestaltung von Printmedien, MS Office einschließlich Powerpoint, Erstellung bzw. Weiterentwicklung eines Corporate Designs und Ähnliches. Er wird an keiner Stelle kenntlich gemacht, warum hierfür ein Fachhochschulabschluss notwendig sein soll. Dies gilt auch für die übrigen Rubriken (Leistungsverhalten, wirtschaftliches Handeln, Organisationsfähigkeit, Selbstständigkeit, Entscheidungsfähigkeit etc.). Soweit im Rahmen des Berufungsvorbringens darauf abgestellt wird, dass bei der Beschreibung des Arbeitsgebietes im Anforderungsprofil auch die Entwicklung des Corporate Designs der Senatsverwaltung angegeben ist, lässt sich auch daraus nicht die Notwendigkeit eines formalen Abschlusses der hier geforderten Form ableiten. Das entsprechende Design ist vielmehr für das gesamte Bundesland und die verschiedenen Senatsverwaltungen einheitlich (vergleiche Briefkopf des beklagten Landes 27.03.2019, Bl. 88 der Akte). Welche Spielräume insofern bestehen, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen hat die Klägerin unter Darlegung ihres Ausbildungsplans (Anl. K7, Bl. 164 der Akte) dargelegt, dass zu ihren theoretischen Fächern auch der Bereich Corporate Design gehörte.

 

49

 

Zusammengefasst hätte das beklagte Land eine offensichtliche Ungeeignetheit der Klägerin nicht damit begründen dürfen, dass ein von ihm verlangter formaler Ausbildungsabschluss nicht vorlag. Schon bei Zweifeln hinsichtlich der Geeignetheit der Klägerin hätte es diese vielmehr zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen.

 

50

 

  1. Das beklagte Land hat es nicht vermocht, die hier festgestellten Indizwirkungen zu beseitigen.

 

51

 

Liegen Indizien vor, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Insofern muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG aaO Rn. 21). Ihm obliegt der Vollbeweis. Die Schwerbehinderung darf insofern auch nicht im Rahmen eines Motivbündels (BAG 12.12.2013 – 8 AZR 838/12 – juris Rn. 22) eine Rolle spielen. Zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung reicht es nicht aus, wenn Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung für die Benachteiligung des Bewerbers ausschlaggebend waren, sondern es muss hinzukommen, dass diese Gründe nicht die fachliche Eignung des Bewerbers betreffen. Dies gilt aber ausschließlich dann, wenn bei einem öffentlichen Arbeitgeber eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch unterblieben ist (BAG 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 – juris Rn. 50).

 

52

 

Gemessen hieran hat das beklagte Land keinerlei Tatsachen vorgetragen, um einen gegenteiligen Vollbeweis zu erbringen.

 

53

 

III. Die Höhe der Entschädigung war auf zwei Monatsgehälter (6.345,10 €) zu beschränken. In dieser Höhe ist sie ausreichend und angemessen.

 

54

 

Nach der Rechtsprechung des BAG muss die Entschädigung einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte gewährleisten. Die Schwere des Verstoßes muss sich in der Höhe der Sanktionen widerspiegeln, aber auch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles – wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns – und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13 – juris Rn. 44).

 

55

 

Der Verstoß ist hier als schwerwiegender einzuschätzen, zumal als Indiztatsachen zwei Verstöße gegen Schutzvorschriften festzustellen waren. Die Klägerin, die inzwischen länger arbeitslos ist, hatte keine Chance, ihre Fertigkeiten und Kenntnisse in einem Vorstellungsgespräch näher erläutern zu können. Das beklagte Land hat nicht bewusst eine Diskriminierung herbeiführen wollen, sondern die langjährige Praxis des E-Recruitingverfahrens für ausreichend erachtet. Auch hat es die rechtliche Situation verkannt, indem es einseitig auf formale Qualifikationen meinte abstellen zu dürfen. Da das beklagte Land einem Großbetrieb gleichgestellt werden kann, ist eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsgehältern angemessen, aber auch unter Berücksichtigung der Situation der Klägerin ausreichend, wobei die Höhe des Monatsgehalts zwischen den Parteien nicht streitig ist.

 

B.

 

56

 

Die Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Mehr als zwei Monatsgehälter waren als Entschädigung nicht festzusetzen. Insofern wird auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen.

 

C.

 

57

 

Die Parteien haben die Kosten des Berufungsverfahrens anteilig zu ihrem Obsiegen und Unterliegen zu tragen (§ 92 ZPO).

 

58

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich an der Rechtsprechung des BAG orientiert. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Share
VonRA Moegelin

Hinweis auf drohenden Verfall von Urlaub

Share

In der folgenden Pressemitteilung 2/2019 des LAG K̦ln vom 01.07.2019 Р4 Sa 242/18- geht es um die Frage, ob der Arbeitgeber einen Hinweis auf den drohenden Verfall von Urlaub aus vergangenen Jahren zu erteilen hat:

Nach einem nunmehr veröffentlichten Urteil der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln erlischt der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über seinen Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Diese Initiativlast des Arbeitgebers bezieht sich nicht nur auf das laufende Kalenderjahr, sondern auch auf den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.

Der Kläger war in der Zeit vom 01.09.2012 bis zum 31.03.2017 als Bote bei dem beklagten Apotheker beschäftigt. Bezüglich der Urlaubsansprüche des Klägers trafen die Parteien im Arbeitsvertrag eine Regelung, wonach der Kläger seinen Jahresurlaub auf eigenen Wunsch in Form einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung nimmt. Statt der bezahlten 30 Stunden/Woche arbeitete der Kläger nur 27,5Stunden/Woche. Die Gewährung darüber hinausgehenden Urlaubs hat der Kläger während des Arbeitsverhältnisses nicht verlangt.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begehrte der Kläger einen finanziellen Ausgleich für in den Jahren 2014, 2015 und 2016 nicht gewährten Urlaub.

In erster Instanz hatte der Kläger mit seiner Klage im Hinblick auf Urlaub aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 keinen Erfolg.  Die Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht Köln war im Wesentlichen erfolgreich.

Nach der Bewertung des Landesarbeitsgerichts sind die Urlaubsansprüche des Klägers nicht durch den geringeren Arbeitszeitumfang erfüllt worden. Die wöchentliche Arbeitszeitverkürzung stelle keinen Erholungsurlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes dar. Die Urlaubsansprüche des Klägers seien auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Unter Berücksichtigung des europäischen Rechts verfalle der Urlaub eines Arbeitnehmers in der Regel nur, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor konkret aufgefordert habe, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen habe, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlösche. Entsprechende Vorgaben hatte am 06.11.2018 der Gerichtshof der Europäischen Union unter dem Aktenzeichen C-684/16 gemacht. Dem Arbeitgeber obliege die Initiativlast, im laufenden Kalenderjahr den Arbeitnehmer konkret aufzufordern, den Urlaub zu nehmen. Diese Obliegenheit des Arbeitgebers bezieht sich nach Auffassung der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 09.04.2019 kann in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE http://www.nrwe.de unter Eingabe des Aktenzeichens 4 Sa 242/18 aufgerufen werden.

7 Abs. 3 BUrlG lautet auszugsweise: „Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.“

Share
VonRA Moegelin

Unwirksame Kündigungen bei Air Berlin

Share

Nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten, bevor er in einem Betrieb eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Damit hat der deutsche Gesetzgeber die unionsrechtliche Verpflichtung aus Art. 3 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie – MERL) umgesetzt.

Bezüglich der Kündigungen des Cockpit-Personals der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin bestand eine Anzeigepflicht. Bei der Anzeige ist jedoch der für § 17 KSchG maßgebliche Betriebsbegriff der MERL verkannt und deswegen die Anzeige nicht für den richtigen Betrieb erstattet worden. Das hatte zur Folge, dass die Anzeige bei einer örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit erfolgte und nicht die erforderlichen Angaben enthielt. Dies bewirkt die Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen.

Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sog. Stationen. Diesen war Personal für die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit zugeordnet. Der Kläger war bei Air Berlin als Pilot mit Einsatzort Düsseldorf beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde nach der am 1. November 2017 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung wie das aller anderen Piloten wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt. Air Berlin erstattete die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen „Betrieb Cockpit“ und damit bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal. Dieses Betriebsverständnis beruhte auf den bei Air Berlin tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal (vgl. § 117 Abs. 2 BetrVG). Die Anzeige erfolgte wegen der zentralen Steuerung des Flugbetriebs bei der für den Sitz der Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Der Kläger hat die Stilllegungsentscheidung bestritten. Der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.

Die Vorinstanzen haben seine Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Nach dem unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriff des § 17 Abs. 1 KSchG handelte es sich bei den Stationen der Air Berlin um Betriebe im Sinne dieser Norm. Folglich hätte die Massenentlassungsanzeige für die der Station Düsseldorf zugeordneten Piloten bei der dafür zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf erfolgen müssen. Dort traten bei typisierender Betrachtung die Auswirkungen der Massenentlassung auf, denen durch eine frühzeitige Einschaltung der zuständigen Agentur für Arbeit entgegen getreten werden soll. Die Anzeige hätte sich zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränken dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen-Personal erfassen müssen. Für den Betriebsbegriff der MERL ist ohne Belang, dass diese Beschäftigtengruppen kollektivrechtlich in andere Vertretungsstrukturen eingebettet waren.

Der Senat hatte aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung nach § 17 Abs. 1 KSchG, § 134 BGB nicht darüber zu entscheiden, ob ein Betriebs(teil-)übergang auf eine andere Fluggesellschaft stattgefunden hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Februar 2020 – BAG 6 AZR 146/19 –

Siehe Pressemitteilung Nr. 7/20 des BAG

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 8. Januar 2019 – 3 Sa 338/18 –

Share
VonRA Moegelin

Eignung als Lehrer wegen rechtsextremistischer Tattoos

Share

Das beklagte Land kann die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nicht mit Erfolg darauf stützen, dass der Kläger durch das Anbringen rechtsextremistischer Tattoos auf seinem Körper (Leitspruch der SS) nach außen erkennbar die innere Abkehr von der Verfassungsordnung dokumentiert habe, weil es in der Anhörung des Personalrats darauf hingewiesen habe, dass der Kläger sich deutlich vom nationalsozialistischen Gedankengut distanziert habe (Leitsatz).

Volltext des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg vom 11.12.2019- 15 Sa 1496/19:

Tenor

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 13.06.2019 – 4 Ca 162/19 – teilweise abgeändert:

Die Klage wird hinsichtlich des vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrages abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ¼ und das beklagte Land ¾ zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 13.02.2019 und den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch.

2

Der im Januar 1983 geborene Kläger ist ausgebildeter Diplom-Chemiker. Seit dem 31.08.2016 ist er als Lehrer (Seiteneinsteiger) im Schuldienst des beklagten Landes beschäftigt.

3

Bei einem Schulsportfest am 03.07.2018 zog der Kläger bei großer Hitze sein T-Shirt aus. Ein Lehrer machte von dem Sportfest Fotos. Auf einem der Fotos (Kopie Bl. 22 d.A.) sind verschiedene Tattoos auf dem Oberkörper des Klägers zu sehen: an einem Arm der Schriftzug „Legion Walhalla“, im Bereich beider Brustwarzen eine „Schwarze Sonne“ und „Thors Hammer“ (Mjölnir) mit einer Wolfsangel und einer Gibor-Rune. Darunter füllt in großen Buchstaben und Frakturschrift der Leitspruch der SS („Meine Ehre heißt Treue“) den gesamten Bauchbereich aus. Auf einem weiteren Foto, das der Kläger als Kopie im Berufungstermin zur Akte gereicht hat (Bl. 241), ist bei stark abgesenktem Hosenbund unter dem Wort Treue der Zusatz „Liebe Familie“ zu sehen. Andere Tattoos sind nicht identifizierbar. Auf einem Oberarm ist noch tätowiert: „Odin statt Jesus“.

4

Am 04.07.2018, dem letzten Schultag vor den Sommerferien, haben der fotografierende und ein weiterer Lehrer den Kläger wegen der Tattoos angesprochen. Anschließend fand eine Aussprache bei dem stellvertretenden Schulleiter statt. Hierüber sind schriftliche Vermerke gefertigt worden, die zur Akte gereicht wurden. Der Kläger hat unter dem 06.07.2018 eine 6-seitige schriftliche Stellungnahme an die amtierende Schulleiterin und den stellvertretenden Schulleiter verfasst (Bl. 208ff d.A.). Hierin versichert er „vehement“, dass er „nie eine rechte Gesinnung hatte und haben werde.“ Er verwies auch auf den Zusatz „Liebe Familie“. Zu den Tattoos erklärte er u.a.:

5

„Die „Schwarze Sonne“ gilt als Götterkenntnis, die Erleuchtung und das absolute Wissen über die Zusammenhänge des gesamten Lebens aus einem arteigenen, germanischen Denken und Gefühlslebens heraus. … Die „Schwarze Sonne“ ist somit, vereinfacht gesagt, die Hüterin unserer uralten eigenen germanischen Werte. Wer heute die „Schwarze Sonne“ trägt, zeigt mit diesem Symbol die Verbundenheit mit der eigenen Art und mit den uns arteigenen Wertvorstellungen. Gleichzeitig ist es ein Bekenntnis gegen die herrschenden, zerstörerischen Kräfte des Mammons und der zunehmenden Dekadenz.“

6

Das Schulamt erfuhr am 17.10.2018 von den Vorfällen durch einen Vermerk des amtierenden Schulleiters an das Schulamt (Bl. 50, 52 d.A.), dem die Stellungnahmen der beiden Lehrer und des Klägers beigefügt waren. Nach diesem Vermerk habe die ehemalige Schulleiterin bestätigt, dass sie Kenntnis von den tätowierten Symbolen gehabt hätte. Der Kläger habe ihr gegenüber „eine dunklere Vergangenheit“ angedeutet und den kompletten Oberkörper gezeigt. Sie habe ihm den Hinweis gegeben, die Tattoos zu verdecken. Andere Lehrkräfte hätten angezeigt, dass der Kläger in seiner Artistik-AG in der Vergangenheit oberkörperfrei agiert habe. Seit dem Gespräch achte der Kläger sehr genau darauf, dass keines seiner Tattoos mehr sichtbar sei. Ferner wurde Bezug genommen auf das nunmehr von der einen Lehrkraft eingereichte Foto mit dem Hinweis, dass hierdurch deutlich geworden sei, dass es um großflächige Tätowierungen ginge, die besonders in ihrer Kombination hochproblematisch seien. Es werde um Prüfung ersucht, inwiefern es sich um einen Vorfall mit rechtsextremistischem Hintergrund handelt. Das betreffende Foto selbst war nicht beigefügt. Der Schulrat ging davon aus, dass es sich um eher unauffällige, kleine Tätowierungen handelte, die mit bloßem Auge schwer erkennbar seien. Der amtierende Schulleiter wurde nochmals darauf hingewiesen, dass die Tätowierungen immer vollständig zu bedecken seien, selbst bei Schwimmbadbesuchen.

7

Im November 2018 erstattete der Kläger Selbstanzeige.

8

Bei einer Schulfahrt am 15.01.2019 öffnete der Kläger einer anklopfenden Kollegin die Zimmertür, nachdem er sich vergewissert hatte, dass vor der Tür keine Schüler stünden. Der Kläger war nur mit Boxershorts bekleidet, so dass auch der gesamte Oberkörper sichtbar war.

9

Das Schulamt erfuhr hiervon am 31.01.2019, wobei diesmal das Foto vom Schulsportfest beigefügt war. Am 05.02.2019 erfolgte ein Telefonat mit dem Verfassungsschutz des beklagten Landes, der sich am 07.02.2019 äußerte (Bl. 59 d.A.). Der Kläger wurde am 12.02.2019 unter Beisein eines von ihm hinzugezogenen Rechtsanwalts zu den Vorwürfen angehört (Vermerk Bl. 62ff d.A.). Der Kläger betonte unter anderem mehrmals, dass er keine rechte Gesinnung habe. Das letzte Tattoo sei vor ca. 10 Jahren erstellt worden. Er sei bereit, die Tätowierungen entfernen zu lassen.

10

Am 13.02.2019 wurde der Personalrat schriftlich zu der beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört (Bl. 67ff d.A.). Dort heißt es einleitend:

11

„ Die Lehrkraft… hat seine Dienstpflichten als Lehrkraft dadurch schwer verletzt, dass er seine z.T. eindeutig verfassungswidrigen Tätowierungen wiederholt in schulischen Zusammenhängen gezeigt hat.“

12

Später wird ausgeführt:

13

„Wenn ihm eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut auch nicht nachgewiesen werden kann, er distanziert sich hiervon deutlich, ist diese laxe Haltung gegenüber den zum Teil eindeutig verfassungsfeindlichen Symbolen für eine Lehrkraft im Land Brandenburg nicht tragbar.… Die Gefahr, die von den Symbolen auf seinem gesamten Oberkörper ausgeht, ignoriert Herr K. auch nach deutlichen Hinweisen. Abweichend zu seinen Bekenntnissen in den Gesprächen an der Schule, scheint es ihm ein nicht zu unterdrückendes Bedürfnis zu sein, seine als Kunst empfundenen Tätowierungen zu präsentieren.“

14

Der Personalrat hat am selben Tag der beabsichtigten Kündigung zugestimmt. Mit Schreiben vom selben Tag wurde gegenüber dem Kläger eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31.03.2019 ausgesprochen.

15

Unter dem 14.03.2019 hat die Polizeidirektion Nord, Abteilung Staatsschutz gegenüber dem Schulamt die Tätowierungen beurteilt (Bl. 41ff d.A.). Dort heißt es:

16

„In Zusammenhang mit der Losung „Meine Ehre heißt Treue“ ist jedoch davon auszugehen, dass der Träger der Tätowierungen eine manifestierte rechtsextreme Meinung besitzt, die sich insbesondere in den Gedanken von „arischer“ (Vor) Herrschaft und Machtausübung sowie den philosophischen Gedanken der Herrschaftsrasse und des nationalsozialistisch interpretierten Sozialdarwinismus widerspiegelt.“

17

Das Amtsgericht Oranienburg hat wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen einen Strafbefehl i.H.v. 40 Tagessätzen zu je 50 € (2.000 €) erlassen. Hiergegen hat der Kläger Einspruch eingelegt. Das Verfahren wird beim Amtsgericht Oranienburg unter dem Az. 18 Cs 109/19 geführt, wobei eine auf den 10.12.2019 angesetzte Hauptverhandlung abgesetzt wurde.

18

Zuletzt mit Bescheid vom 09.08.2019 hat das beklagte Land den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst, der dem öffentlichen Recht unterliegt, vorzeitig wegen grober Dienstpflichtverletzungen beendet und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet. Hiergegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt und in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht Potsdam beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen. Mit Beschluss vom 27.11.2019 (VG 12 L 668/19) hat das Verwaltungsgericht Potsdam den Antrag abgelehnt.

19

Mit Schreiben vom 20.11.2019 hat der Kläger erneut eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31.03.2020 erhalten (Bl. 206f d.A.), über deren Rechtmäßigkeit in einem weiteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht Neuruppin (3 Ca 967/19) gestritten wird.

20

Mit der am 27.02.2019 beim Arbeitsgericht Neuruppin eingegangenen Klage setzt der Kläger sich gegen die hier streitgegenständliche Kündigung zur Wehr. Er hat die Ansicht vertreten, wegen des Zusatzes „Liebe Familie“ könne der Spruch im Bauchbereich nicht strafbar sein. Er hat insofern auf die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen verwiesen, wonach Fantasielosungen für eine Strafbarkeit nicht ausreichten. Da es auch um steuerbares Verhalten gehe, hätte zuvor eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Er habe bei dem Sportfest nur wegen der Hitze die Kleidung abgelegt. Es sei ihm nie um das Zeigen der Tattoos gegangen. Er verweist zu seinen Gunsten auf eine Stellungnahme einer Lehrerin, eines Revierpolizisten und die Unterschriftensammlung von ca. 80 Schülern und Schülerinnen.

21

Der Kläger hat beantragt,

22

  1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.02.2019 aufgelöst worden ist;

23

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet werden wird, sondern über den 14.02.2019 fortbesteht;

24

  1. das beklagte Land zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites als Lehrer vertragsgemäß weiter zu beschäftigen.

25

Das beklagte Land hat beantragt,

26

die Klage abzuweisen.

27

Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, dass eine Lehrkraft im öffentlichen Dienst, die eindeutig verfassungsfeindliche und bedenkliche Tätowierungen unübersehbar am Körper trage, diese mindestens zweimal im schulischen Umfeld unter Missachtung des Gebotes, diese bedeckt zu halten, zeigt, ohne sich von dem Anschein, den diese Abbilder erwecken und den Tätowierungen an sich zu distanzieren, sei nicht mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag und der Verfassungstreue des öffentlichen Schuldienstes zu vereinbaren und stelle eine erhebliche Gefahr dar. Nachdem bekannt geworden sei, dass die streitgegenständlichen Tätowierungen deutlich erkennbar und nicht abzukleben seien und dass der Kläger sich nicht an das Gebot, diese ständig im schulischen Umfeld zu bedecken, habe halten können, habe man unverzüglich gehandelt und die außerordentliche Kündigung ausgesprochen.

28

Das Arbeitsgericht Neuruppin hat mit Urteil vom 13.06.2019 die Klage hinsichtlich des Antrages zu 2 (allgemeiner Feststellungsantrag) abgewiesen. Im Übrigen hat es der Klage stattgegeben. Es hat dies damit begründet, dass ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung nicht vorliege. Das Zeigen von rechtsextremen Symbolen und erst recht von Schriftzügen der SS verstoße zwar gegen § 3 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrages der Länder (TV-L), wonach sich die Beschäftigten durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen haben, doch sei das beklagte Land seit dem 19.10.2018 trotz Kenntnis des Verhaltens des Klägers beim Sportfest untätig geblieben. Es erscheine wenig überzeugend, dass man von „kleinen“ Tätowierungen ausgegangen sei, aber andererseits die Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens habe abwarten wollen. Das Verhalten am 15.01.2019 könne eine fristlose Kündigung ebenfalls nicht rechtfertigen, da nicht ersichtlich sei, inwiefern der Kläger hierbei den Schulbetrieb gefährdet habe. Auch hätte wegen dieses Verhaltens eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Das Gericht habe auch nicht zu der Feststellung gelangen können, dass dem Kläger aufgrund seiner Tätowierungen die Eignung fehle, im Schuldienst des beklagten Landes tätig zu sein. Von den regelmäßig nicht sichtbaren Tätowierungen des Klägers gehe zwar eine erhebliche Belastung des Arbeitsverhältnisses aus. Hierbei komme es nicht darauf an, ob der Kläger sich mit den Inhalten der Tätowierungen – noch – identifiziere. Entscheidend sei der nach außen gerichtete Anschein. Dieser Anschein reiche für sich allein aber nicht aus, eine negative Prognose für etwaige weitere Belastungen des Arbeitsverhältnisses anstellen zu können. Insofern komme es auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände an. Hierzu gehöre, dass der Kläger wohl bisher eine hinreichende Sensibilisierung für den Schein, welcher bei den Betrachtern der Tätowierungen hervorgerufen wird, vermissen lasse. Weiterhin sei aber auch zu berücksichtigen, dass keine Erkenntnisse vorlägen, dass der Kläger im dienstlichen oder im außerdienstlichen Bereich irgendwelche Aktivitäten oder Äußerungen getätigt habe, die zu einem Vertrauensverlust beitragen könnten. Nach dem Eindruck des Klägers aus der mündlichen Verhandlung gehe das Gericht davon aus, dass der Kläger unter dem Eindruck der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigungen es unterlassen werde, die Tätowierungen zu präsentieren. Hinzu komme das Angebot des Klägers, zumindest die brisanten Tätowierungen zu entfernen bzw. unkenntlich zu machen. Aus den gleichen Gründen scheitere auch die dem Kläger ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung. Insofern wäre jedenfalls Voraussetzung gewesen, dass der Kläger abgemahnt worden wäre. Dem Weiterbeschäftigungsantrag sei ebenfalls stattzugeben. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur vorläufigen Weiterbeschäftigung, wenn im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses die Kündigung für unwirksam erachtet worden ist.

29

Hiergegen richtet sich die Berufung des beklagten Landes. Die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts sei falsch. Der Kläger sei auf Basis verschiedener Normen zur Verfassungstreue verpflichtet. Von den Tätowierungen ginge eine erhebliche Gefahr für den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule aus, was schon im Kündigungsschreiben ausgeführt worden sei. Zwar sei auch das Zurschaustellen Kündigungsgrund, doch werde dieser überlagert von dem Kündigungsgrund, dass eine Lehrkraft in den Diensten des beklagten Landes, die sich öffentlich als Anhängerin des Nationalsozialismus zu erkennen gibt, dem Vorstellungsbild der Verfassungsordnung des Grundgesetzes und des Landes Brandenburg in diametraler Weise widerspricht. Eine solche Einstellung stehe auch im Gegensatz zu Verpflichtungen aus dem TV-L, dem Schulgesetz und dem abgelegten Gelöbnis. Der Kläger sei daher gänzlich ungeeignet, als Lehrkraft weiter eingesetzt zu werden. Er sei verpflichtet, bereits dem Anschein einer Wiederbelebung nationalsozialistischer Tendenzen entgegenzutreten. Dies sei beim Kläger auszuschließen, weil er seinen Oberkörper mit einer Vielzahl assoziierungsgeneigter Symbole versehen hat und dadurch nach außen seine innere Abkehr von der Verfassungsordnung dokumentiert habe. Durch die Tätowierungen trete eine innere verfassungsfeindliche Haltung des Klägers zu Tage. Diese könne nicht durch das Anbringen eines Klebebandes oder das Überziehen eines T-Shirts beseitigt werden. Die schlichte Angabe des Klägers, er habe keine Sympathien für nationalsozialistisches Gedankengut, sei eine inhaltsleere Floskel.

30

Das beklagte Land beantragt sinngemäß,

31

das am 13.06.2019 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin – 4 Ca 162/19 – teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen.

32

Der Kläger beantragt,

33

die Berufung zurückzuweisen.

34

Der Kläger wiederholt seine erstinstanzlichen Rechtsauffassungen. Auch wenn es zutreffend sein mag, dass die Tätowierungen der so genannten rechten Szene zugeordnet werden könnten, könne seiner Auffassung nach daraus jedenfalls nicht abgeleitet werden, dass aus diesen Tätowierungen eine gegenwärtige und aktuelle rechtsradikale bzw. verfassungsfeindliche Gesinnung abzuleiten sei. Er habe sich hiervon ausdrücklich distanziert, was sich schon aus dem Schreiben vom 06.07.2018 deutlich ergebe. Er würde sich heute die Tätowierungen nicht mehr in der Art und Weise stechen lassen, wie er es als junger Mann tat. Er plane auch, Maßnahmen zu ergreifen, diese Tätowierungen gegebenenfalls entfernen zu lassen bzw. zu „neutralisieren“. Dies sei ein langwieriger und möglicherweise auch schmerzhafter Eingriff, der gut geplant sein wolle.

Entscheidungsgründe

35

  1. Die Berufung des beklagten Landes ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.

36

  1. In der Sache hat die Berufung jedoch nur in geringem Umfang Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht Neuruppin festgestellt, dass die Kündigung vom 13.02.2019 unwirksam ist (1.). Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung war nunmehr jedoch abzuweisen, so dass insofern das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin teilweise abzuändern war(2).

37

  1. Die Kündigung vom 13.02.2019 ist unwirksam. Es liegt weder ein Grund für eine außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB), noch für eine ordentliche Kündigung (§ 1 KSchG) vor. Nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit wäre vielmehr eine Abmahnung ausreichend gewesen.

38

1.1. Das beklagte Land kann die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nicht mit Erfolg darauf stützen, dass der Kläger durch das Anbringen rechtsextremistischer Tattoos auf seinem Körper (Leitspruch der SS) nach außen erkennbar die innere Abkehr von der Verfassungsordnung dokumentiert habe, weil es in der Anhörung des Personalrats darauf hingewiesen hat, dass der Kläger sich deutlich vom nationalsozialistischen Gedankengut distanziert habe.

39

In der Berufungsbegründung hat das beklagte Land stark hervorgehoben, dass als Kündigungsgrund vor allem die Ungeeignetheit des Klägers im Hinblick auf die angenommene Verfassungsfeindlichkeit angesehen werden müsse. Es hat sich hierbei vor allem auf das Gutachten des Staatsschutzes vom 14.03.2019 bezogen. Der Kläger hat hingegen immer wieder betont, er sei weder aktuell noch in der Vergangenheit rechtsextremistisch gewesen. Zur teilweisen Deutung der Tattoos bezieht er sich vor allem darauf, dass der eingestochene Spruch sich nicht nur auf die Treue, sondern auch auf Liebe und Familie beziehe. Er nimmt ferner Bezug auf sein Schreiben vom 06.07.2018. Die dort gewählten Formulierungen zum Bedeutungsgehalt der „Schwarzen Sonne“ stellen jedoch eine leicht veränderte Abschrift eines Textes dar, der sich vereinzelt auf mehreren Seiten im Internet findet. Heißt es beim Kläger allerdings einleitend: „Die „Schwarze Sonne“ gilt als Götterkenntnis…“, so lautet das Original: „Die „Schwarze Sonne“ gilt somit als die arische Gotterkenntnis…“ (https://unzensiertes.de.tl/Das-3-.–Reich.htm unter der Rubrik „Das Dritte Reich – Eine spirituelle Staatsführung? ferner: https://vk.com/wall418846577?offset=40; Eintrag von Joseph Doktor, 25. Jan. 21:49; auf der Seite zahlreiche antisemitische und Faschismus verherrlichende Beiträge; VP ist nach Eigenangaben „the largest social Network in Russia“; weiterhin: https://germanenherz.wordpress.com/tag/zentralheiligtum-von-germanen/ Stichwort „Schwarze Sonne; veröffentlicht am 21.5.2009; die Seite wird von einem „Reichsbürger“ betrieben mit Stichworten wie: Firma BRD – Eine Staatssimulation auf der Grundlage von Täuschung und Betrug). Im zweiten Teil der Erklärung vom 6.7.2018 führt der Kläger einen Satz nur verkürzt aus: „Die „Schwarze Sonne“ ist somit, vereinfacht gesagt, die Hüterin unserer uralten eigenen germanischen Werte.“ Den dann folgenden Halbsatz hat der Kläger weggelassen: „…und gilt als Widerstandszeichen gegen die heute in Deutschland herrschende internationalistische und völkerzerstörende Kraft des uns vom innersten her fremden und aufgezwungenen Materialismus.“ (so zusätzlich auf den Seiten https://caordenderschwarzensonne.hpage.com/bedeutung-der-schwarzen-sonne.html „Orden der Schwarzen Sonne – Die Zeit unserer Feinde ist abgelaufen“; https://www.fly-style-jewelry.com/de/ohrschmuck/fleshplugs/a-100807, die Seite eines Schmuckvertriebes aus Zwickau). Damit stellen die Originaltexte nicht nur eine Ableitung aus dem Ariertum dar, sondern liefern auch einen eindeutigen Handlungsbezug zum heutigen Deutschland.

40

Letztendlich kann jedoch offen bleiben, ob der Kläger aktuell einer nationalsozialistischen und damit verfassungsfeindlichen Auffassung anhängt, denn zu diesem Kündigungsgrund ist der Personalrat nicht angehört worden.

41

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss ein Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Teilt ein Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat nicht mit, ist es ihm verwehrt, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über eine Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen (BAG 11.12.2003 – 2 AZR 536/02 – juris Rn. 27). Im Rahmen einer ordnungsgemäßen Unterrichtung kommt es darauf an, dass für den Betriebsrat der Kündigungsgrund im Sinne eines aus mehreren Tatsachen und einer groben rechtlichen Einordnung gebildeten Begründungszusammenhangs erkennbar wird, auf den der Arbeitgeber sich stützen will (BAG aaO Rn. 29). Das Bundesarbeitsgericht begründet dies mit dem Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Dem Betriebsrat soll Gelegenheit gegeben werden, vor Erklärung der Kündigung auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers im Hinblick auf die diesem bekannten und deshalb seine Absicht beeinflussenden Umstände einzuwirken. Daher könne es dem Arbeitgeber nicht gestattet werden, sich im späteren Kündigungsschutzprozess auf „neue“ Gründe zu berufen, die eventuell seinen Kündigungsentschluss mit beeinflusst haben, hinsichtlich derer er jedoch dem Betriebsrat keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG 18.06.2015 – 2 AZR 256/14 – juris Rn. 47). In Bezug auf die Personalratsbeteiligung gelten die gleichen Anforderungen wie sie an die Anhörung eines Betriebsrates nach § 102 BetrVG zu stellen sind (BAG 16.07.2015 – 2 AZR 85/15 – juris Rn. 63).

42

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die vom beklagten Land behauptete Verfassungsfeindlichkeit des Klägers nicht als Kündigungsgrund im hiesigen Kündigungsschutzprozess herangezogen werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass gegenüber dem Personalrat in dem Anhörungsschreiben vom 13.02.2019 an keiner Stelle behauptet worden war, dass der Kläger über eine solche verfassungsfeindliche Einstellung verfüge. Dem Personalrat war vielmehr dargelegt worden, dass man dem Kläger eine Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut nicht nachweisen könne. Wenn nach Ansicht des beklagten Landes nicht einmal eine Nähe zu einem solchen Gedankengut positiv festgestellt werden kann, dann kann der Kläger auch nicht Anhänger eines solchen Gedankenguts sein. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das beklagte Land gegenüber dem Personalrat dargestellt hat, dass der Kläger sich von einem nationalsozialistischen Gedankengut deutlich distanziert habe. An keiner Stelle in der sechsseitigen Anhörung zieht das Schulamt diese Distanzierung in Zweifel oder behauptet gar, der Kläger sei Anhänger nationalsozialistischer Gedanken.

43

1.2. Soweit das beklagte Land als weiteren Kündigungsgrund den laxen Umgang des Klägers mit diesen Tätowierungen und das zweimalige Zeigen heranzieht, rechtfertigt auch dies weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung. Dies hat das Arbeitsgericht Neuruppin im Ergebnis zutreffend festgestellt. Auch bei Prüfung dieses Kündigungsgrundes ist nach den obigen Grundsätzen davon auszugehen, dass der Kläger nicht Anhänger der nationalsozialistischen Gesinnung ist, was nachfolgend durchgängig unterstellt wird.

44

Kündigungen stellen nach ständiger Rechtsprechung keine Sanktion auf ein Verhalten in der Vergangenheit dar. Es ist vielmehr zu prüfen, ob einem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung zumutbar ist, wobei eine Gesamtwürdigung unter Bewertung des Einzelfalls und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen hat. So kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten (ordentliche Kündigung, Versetzung, Abmahnung) unzumutbar sind (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – juris Rn. 29). Ist die Vertragspflichtverletzung auf ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und auch außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen daher regelmäßig eine Abmahnung voraus. Eine Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG aaO Rn 30).

45

Bei Anwendung dieser Grundsätze wäre im Hinblick auf die Pflichtverletzungen des Klägers eine Abmahnung ausreichend gewesen.

46

Das Zeigen der Tattoos im schulischen Umfeld stellt allerdings eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Klägers dar. Allein der üblicherweise zu sehende SS-Spruch muss bei Schülern, Kollegen oder auch Eltern den Eindruck erwecken, hier einen Lehrer mit entsprechender Gesinnung vor sich zu haben. Dies beeinträchtigt mindestens das Ansehen des Schuldienstes im Lande Brandenburg, denn dies legt die Vermutung nahe, dass Lehrer trotz einer solchen Gesinnung im Beschäftigungsverhältnis geduldet werden. Dies stünde im scharfen Gegensatz zu § 4 Abs. 5 Z. 10 SchulG Brandenburg, wonach die Fähigkeit und Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler gefördert werden soll, „Ursachen und Gefahren der Ideologie des Nationalsozialismus sowie anderer zur Gewaltherrschaft strebender politischer Lehren zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken,“ worauf das beklagte Land zu Recht hingewiesen hat. Mit einem Lehrer, der den Eindruck erweckt, Nazi zu sein, geht dies offensichtlich nicht.

47

Das Zeigen der Tattoos stellt ein steuerbares Verhalten dar. Dem Kläger war jedoch bisher nicht durch eine Abmahnung mit Kündigungsandrohung verdeutlicht worden, dass ein nochmaliges Zeigen dieser Tattoos zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen soll. Eine solche Abmahnung war nach den obigen Grundsätzen auch nicht entbehrlich. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger nach Ausspruch einer Abmahnung unbelehrbar gewesen wäre. Es handelt sich auch nicht um eine derart schwere Pflichtverletzung, dass eine erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Kläger ausgeschlossen war. Dies ergibt sich schon daraus, dass dem Kläger im Anschluss an das Schulsportfest auch durch das Schulamt nur die Auflage erteilt worden war, seine Tattoos bedeckt zu halten. Dies geschah, obwohl in der Stellungnahme des fotografierenden Lehrers dargestellt worden war, dass der SS-Spruch sich „über den gesamten Bauch“ erstreckt. Der inzwischen amtierende Schulleiter bezeichnet das Tattoo in seinem Vermerk als „großflächig“. Eine erstmalige Hinnahme ohne Beendigung des Arbeitsverhältnisses war insofern gerade erfolgt. Unerheblich ist, dass der zuständige Schulrat die Tattoos fälschlicherweise als „kleine Tätowierungen“ eingeschätzt hat. Für den Kläger, auf dessen Handeln eingewirkt werden sollte, war dies schon nicht erkennbar. Weil das beklagte Land die erstmalige Pflichtverletzung nicht einmal zum Anlass für den Ausspruch einer Abmahnung genommen hat, konnte auf die zweite Pflichtverletzung im Januar 2019 nicht gleich mit einer Kündigung reagiert werden.

48

  1. Soweit das Arbeitsgericht Neuruppin das beklagte Land zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt hat, war die Berufung insofern erfolgreich. In diesem Punkt war das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen, da inzwischen das beklagte Land unter dem 20.11.2019 eine weitere außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat.

49

Nach der Rechtsprechung des BAG endet der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung trotz Unwirksamkeit einer ersten Kündigung dann, wenn eine weitere Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist (BAG 19.12.1985 – 2 AZR 190/85 – juris Rn. 26f).

50

Vorliegend ist nicht erkennbar, dass die weitere Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Diese wird ausweislich des Kündigungsschreibens selbst mit einem neuen Lebenssachverhalt begründet, nämlich einer mangelnden Eignung des Klägers aufgrund einer unterstellten nationalsozialistischen Gesinnung. Dies stellt auch nicht einfach eine unwirksame Wiederholungskündigung dar, denn dieser Kündigungsgrund war im hiesigen Verfahren aus formalen Gründen nicht berücksichtigungsfähig.

51

III. Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits anteilig zu ihrem Unterliegen zu tragen (§ 92 ZPO).

52

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich an der Rechtsprechung des BAG orientiert. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Share
VonRA Moegelin

Diskriminierung beim Zugang zur Versorgung mit Wohnraum

Share

Der Anwendungsbereich des AGG ist gemäß § 2 Abs. 1 Nummer 8 AGG eröffnet, wenn der Anspruchsteller behauptet, vom Anbieter beim öffentlich angebotenen Zugang zur Versorgung mit Wohnraum diskriminiert worden zu sein.

Durch die Versendung von Absagen zur Wohnungsbesichtigung hat der Anbieter gegen das Verbot der Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft aus § 19 Abs. 2 AGG verstoßen, wenn es hinreichende Indizien dafür gibt, dass die Ablehnung aufgrund des türkisch klingenden Namens des Anspruchstellers erfolgte und es ihm nicht gelungen ist zu beweisen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Volltext des Urteils des Amtsgerichts Charlottenburg vom 14.01.2020 – 203 C 31/19:

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.000,00 € zu zahlen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte vermietet in Berlin ca. 110.000 Wohnungen. Auf ihrer Internetseite veröffentlicht sie Wohnungsangebote. Über ein online-Formular können sich Interessenten um einen Besichtigungstermin für die angebotenen Wohnungen bewerben.

2

Am 09.10.2018 bewarb sich der Kläger um die Besichtigung der von der Beklagten inserierten Wohnung …… in … Berlin (Wohnungsnummer: ……). Außer seinem Namen und seinen Kontaktdaten enthielt das Onlineformular keine weiteren Daten des Klägers. Am 10.10.2018 erhielt der Kläger von der Zeugin …, einer Mitarbeiterin der Beklagten, eine E-Mail mit einer Absage. In dieser E-Mail heißt es, dass bedauerlicherweise dem Kläger für diese Wohnung aufgrund der zahlreichen Anfragen kein Angebot unterbreitet werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die E-Mail der Zeugin …… vom 10.10.2018 (Blatt 10 d.A.) verwiesen.

3

Der Kläger bewarb sich mit E-Mail vom gleichen Tag unter dem fiktiven Namen … … noch ein Mal um die Besichtigung derselben Wohnung in der … in … Berlin. Mit E-Mail vom 11.10.2018 teilte die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin … dem Kläger unter dem Namen …… mit, er könne sich die Schlüssel für eine Besichtigung am Servicepoint … abholen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die E-Mail der Zeugin …… vom 11.10.2018 (Blatt 11 d.A.) verwiesen.

4

Im November 2018 bewarb sich der Kläger unter seinem richtigen Namen um die Besichtigung einer Wohnung. Diesmal bezog sich die Bewerbung auf eine Besichtigung der Wohnung …… in Berlin (Wohnungsnummer: ……). Mit E-Mail vom 12.11.2018 erhielt der Kläger von der Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin …… eine Absage. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die E-Mail vom 12.11.2018 (Blatt 13 d.A.) verwiesen. Der Kläger bewarb sich am gleichen Tag unter dem fiktiven Namen … … nochmals um die Besichtigung der Wohnung …… in … Berlin. Mit E-Mail vom 12.11.2018 (Blatt 14-15 d.A.) teilte ihm die Zeugin …… mit, dass er sich die Schlüssel für eine Besichtigung der Wohnung im Servicepoint … abholen könne.

5

Der Kläger wandte sich daraufhin an die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und ließ sich beraten. Mit Schreiben vom 21.11.2018 (Blatt 16-20 d.A.) wandte sich die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt als Vertreterin des Klägers an die Beklagte und teilte ihr den oben dargestellten Sachverhalt mit. Sie wies darauf hin, dass es sich um einen Fall der Diskriminierung nach § 21 AGG handele. Dem Schreiben war ferner eine Anlage beigefügt, in der der Kläger erklärte, dass er vorsorglich seine Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung, Schadensersatz und Entschädigung nach § 21 AGG geltend mache. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 21. November 2018 (Blatt 16-20 d.A.) verwiesen.

6

Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 28.11.2018. Sie wies den Vorwurf der Diskriminierung zurück. Der Sachverhalt lasse sich darauf zurückführen, dass die Beklagte für die Wohnungsangebote mehr als 200 Bewerbungen innerhalb kurzer Zeit erhalten hätte und aufgrund der hohen Bewerberzahlen und entsprechend kurzen Terminfristen die Mitarbeiter eventuell eine nicht mehr aktuelle Information an den Kläger herausgegeben hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben der Beklagten vom 28.11.2018 (Blatt 21-26 d.A.) verwiesen.

7

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 28.12.2018 machte der Kläger erneut Ansprüche wegen Diskriminierung geltend. Die Beklagte wurde aufgefordert, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 5.000 € sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28.12.2018 (Blatt 27-30 d.A.) verwiesen.

8

Mit Schreiben vom 09.01.2019 meldeten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers und baten um Fristverlängerung. Eine weitere Stellungnahme erfolgte bis zum Eingang der Klageschrift nicht.

9

Der Kläger behauptet, er lebe derzeit in … und arbeite seit März 2017 bei der …… in der …… in … in Berlin. Daher suche er für sich und seine Frau nach einer Wohnung in Berlin. Nachdem er im Oktober 2018 für die Wohnung …… unter dem Namen …… eine Zusage zu einer Besichtigung der Wohnung erhalten habe sei er am 12.10.2018 zwischen 12:15 und 12:40 Uhr persönlich zu dem Servicepoint der Beklagten in … gefahren und habe dort seine Bewerbungsunterlagen für die Wohnung in der …. abgegeben. Am dortigen Schalter habe ihm eine Mitarbeiterin der Beklagten mitgeteilt, dass die Wohnung bereits vergeben sei. Später am 12.10.2018 um 13:43 Uhr habe der Arbeitskollege des Klägers, der Zeuge … bei der Beklagten unter der Tel.-Nr. 030 …… angerufen und sich als Herr …… vorgestellt. Er habe auf die Besichtigungsanfrage unter dem Namen …… Bezug genommen und nach dem Stand der Wohnung in der …… gefragt. Die Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung habe dem Zeugen … daraufhin mitgeteilt, dass er die Wohnung gerne während der Öffnungszeiten des Servicepoints besichtigen könne.

10

Der Kläger behauptet weiter nach Zugang des Schreibens der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt vom 21.11.2018 sei seine E-Mail-Adresse für Onlineanfragen auf der Seite der Beklagten gesperrt gewesen. Üblicherweise habe er nach Absendung einer online Anfrage eine Bestätigung per E-Mail erhalten, dass diese bei der Beklagten eingegangen sei. Diese Bestätigung habe er später nicht mehr erhalten.

11

Mittlerweile habe er im …… in …… Berlin eine Wohnung käuflich erworben. Diese sei jedoch vermietet gewesen. Er habe sie daher mit Schreiben vom 09.09.2019 (Blatt 121 d.A.) wegen Eigenbedarfs gekündigt.

12

Der Kläger beantragt,

13

an ihn eine angemessene Entschädigung zu zahlen, deren Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wird und 2.000 € nicht unterschreiten sollte.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte behauptet, die Verteilung von Einladungen und Absagen zu einem Besichtigungstermin für ein Wohnungsangebot beruhe auf bloßem Zufall. Die Mitarbeiter der Beklagten, die für die Beantwortung der Anfragen zur Wohnungsbesichtigung zuständig seien, würden den gesamten Prozess der Vermietung einer Wohnung ab dem Zeitpunkt des Eingangs einer Kündigung bis hin zur Wohnungsübergabe an den neuen Mieter verantworten. Die Phase der Interessenbekundung an einem Mietobjekt sei die 1. Phase im Vermietungsprozess. Vor dem Hintergrund des umfangreichen Tätigkeitsfeldes dieser Mitarbeiter sei das Zeitfenster für die Abarbeitung von Besichtigungsanfragen nur äußerst begrenzt. Die Beklagte behauptet, online-Anfragen würden grundsätzlich blockweise abgearbeitet. Die Anfrage werde an den zuständigen Mitarbeitenden über die Software „……“ zugeleitet. Ohne Berücksichtigung des Inhalts der Anfrage, dem Namen oder der Anfragenden oder sonstigen Kriterien kennzeichne der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin beispielsweise 3,4 oder 5 aufeinanderfolgende Anfragen dahingehend, dass eine Absage-Mail verschickt werde und folgend ein, 2 oder 3 Anfragen dahingehend, dass eine Einladung für eine Besichtigung per Mail versendet werde und dieses dann fortlaufend. Dies geschehe in der Regel bzw. bei Bedarf mehrmals pro Tag. Hierdurch sei es zu erklären, dass ein Interessent zu einem früheren Zeitpunkt eine Absage erhalte, während einem Interessent, der seine Anfrage zu einem späteren Zeitpunkt versendet hat, eine Einladung zur Wohnungsbesichtigung zugesandt werde. In den vom Kläger vorgetragenen Fällen sei genauso vorgegangen worden. Die Zeuginnen hätten sich nicht davon leiten lassen, ob der Kläger einen deutsch klingenden oder einen türkisch klingenden Nachnamen trage. Die verwendete Software …… würde auch nicht die Anfragen nach bestimmten Kriterien vorauswählen. Es gäbe auch keine Vorgaben bzw. Arbeitsanweisungen, nach welchen Kriterien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheiden sollten, ob und wie viele Zu- und Absagen sie versenden. Dies könne frei entschieden werden. Es sei zudem technisch nicht möglich, E-Mail-Adressen von Absendern jeglicher Art zu blockieren oder zu sperren, mit dem Ergebnis, dass es den Absendern nicht mehr möglich sei, eine E-Mail an den gewünschten Adressaten zu senden. Die Zeugin … habe nach Erhalt des Schreibens der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eine Funktion in der verwendeten Software …… aktiviert, in der für den Kläger die Kommunikation per E-Mail als unerwünschter Kontaktweg eingestellt wird. Die vom Kläger versandten E-Mails seien bei der Beklagten eingegangen. Die Beklagte könne ihm aber keine E-Mails an seine E-Mail-Adresse versenden. Daher habe er auch keine automatische Bestätigungsmail für den Eingang seiner Anfragen erhalten. Hintergrund sei gewesen, dass die Zeugin … die schwerwiegenden Vorwürfe mit ihren Mitarbeiterinnen zunächst habe aufklären wollen. Die Funktion, dass ein unerwünschter Kommunikationsweg eingestellt würde, finde beispielsweise auch Verwendung, wenn die Beklagte E-Mails mit beleidigendem Inhalt erhalte.

17

Nach Durchführung der Beweisaufnahme behauptet die Beklagte, die Zeugin …… habe den Kläger nicht benachteiligen wollen. Sie sei davon ausgegangen, in Ãœbereinstimmung mit den Richtlinien aus § 19 Abs. 3 AGG zu handeln. Es läge damit das für den Anspruch aus § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG erforderliche Verschulden nicht vor.

18

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 25.07.2019 (Blatt 73 d.A.) nach Maßgabe des Beschlusses vom 16.09.2019 (Blatt 107/108 d.A.) und Beschluss vom 31.10.2019 durch Vernehmung der Zeugen …… und ….. sowie durch Vernehmung des Klägers als Partei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.10.2019 (Blatt 124-131 der Akte) verwiesen.

19

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Klage ist begründet.

21

Der unbestimmte Klageantrag ist gemäß § 253 Abs. 2 Nummer 2 ZPO zulässig. Der Kläger kann die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrag nicht notwendig ist. Hinreichend ist, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrages heranziehen soll und eine Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat sowohl eine Größenordnung angegeben sowie erklärt, welche Umstände das Gericht bei der Bemessung des Entschädigungsbetrages berücksichtigen soll.

22

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG.

23

Der Anwendungsbereich des AGG ist vorliegend gemäß § 2 Abs. 1 Nummer 8 AGG eröffnet. Der Kläger behauptet beim Zugang zur Versorgung mit Wohnraum von der Beklagten diskriminiert worden zu sein. Unstreitig hat die Beklagte die Wohnungen öffentlich angeboten.

24

Ferner hat die Beklagte durch die Versendung von Absagen zur Wohnungsbesichtigung gegen das Verbot der Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft aus § 19 Abs. 2 AGG verstoßen, da es hinreichende Indizien dafür gibt, dass die Ablehnung aufgrund des türkisch klingenden Namens des Klägers erfolgte und es der Beklagten nicht gelungen ist zu beweisen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Dass ein Rechtfertigungsgrund gemäß § 19 Abs. 3 AGG vorliegt, kann nicht festgestellt werden.

25

Durch die Versendung der Absagen an den Kläger unter seinem türkisch klingenden Namen und der Einladung zur Besichtigung aufgrund seiner Anfragen unter dem Namen …X ist der Kläger weniger günstig behandelt worden als eine Person mit deutsch klingenden Namen.

26

Der Kläger ist mithin benachteiligt worden. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person aus den in § 1 AGG genannten Gründen „eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“ (§ 3 Abs. 1 AGG).

27

Das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot gilt auch bereits im Vorfeld der Vermietung (Schmidt/Futterer-Blank Mietrecht Vor § 535 Rdnr. 204).

28

Dem Kläger ist es gelungen, Indizien darzulegen und zu beweisen, die die Vermutung rechtfertigen, dass er allein aufgrund seines türkisch klingenden Namens, mithin seiner ethnischen Herkunft, keine Einladung zu einem Besichtigungstermin erhalten hat.

29

Dies ergibt sich bereits aus der Reaktion der Mitarbeiterinnen der Beklagten auf die E-Mail Anfragen des Klägers im Oktober und November 2018 für die Wohnungen in der …… und in der Straße …… in Berlin. In beiden Fällen hat der Kläger unstreitig bei den Anfragen mit seinem türkisch klingenden Namen eine Absage und mit dem deutsch klingenden Namen eine Einladung zur Besichtigung erhalten.

30

Darüber hinaus hat zur Ãœberzeugung des Gerichts die Beweisaufnahme ergeben, dass dem Kläger bei seiner persönlichen Anfrage am 12.10.2018 im Servicepoint … mitgeteilt wurde, die Wohnung sei schon vergeben, während dem Zeugen …X nur 1 Stunde später in einer telefonischen Anfrage mitgeteilt wurde, dass die Wohnung noch besichtigt werden könne. Der Zeuge … konnte das geführte Telefongespräch widerspruchsfrei schildern. Vor dem Hintergrund des Zeitablaufs und des Umstandes, dass der Zeuge persönlich in den Sachverhalt nicht involviert war, ist es plausibel, dass er sich beispielsweise an den Namen der Dame mit der er telefonierte und auch an die konkrete Rufnummer nicht mehr erinnern konnte. In der durchgeführten Parteivernehmung konnte der Kläger gemäß seinem Vortrag angeben, dass ihm mitgeteilt worden sei, dass die Wohnung schon weg sei. Besonders eindrücklich konnte der Kläger dabei schildern, dass er sich darüber wunderte, dass die Mitarbeiterin nicht irgendwo nachsehen musste, um ihm die Auskunft zu erteilen. Sie habe ihm das gleich gesagt, nachdem sie die Adresse gesehen habe. Mithin gab es insgesamt 3 unterschiedliche Anfragen an die Beklagte zu Wohnungsbesichtigungen, bei denen sie in allen Fällen dem Kläger unter seinem türkisch klingenden Namen eine Absage erteilte und ihn unter dem deutsch klingenden Namen …… zu einem Besichtigungstermin einlud. Hierbei ist weiter zu bemerken, dass der Kläger in den jeweiligen Bewerbungen mit den unterschiedlichen Namen bis auf diesen Namen identische Angaben machte.

31

Das vom Kläger durchgeführte sogenannte. „Testing-Verfahren“ ist im Bereich der Wohnungsmiete ausdrücklich zulässig (vgl. Schmidt/Futterer-Blank Mietrecht Vor § 535 Rdnr. 230). Mithin sprechen die Indizien für eine Benachteiligung des Klägers aufgrund seines türkisch klingenden Namens, mithin seiner ethnischen Herkunft.

32

Diese Vermutung vermochte die Beklagte nicht zu widerlegen (§ 22 AGG). Nach der Beweisaufnahme steht zur Ãœberzeugung des Gerichts fest, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass jedenfalls für die Wohnung …… die Ablehnung eines Besichtigungstermins auf den türkisch klingenden Namen des Klägers zurückgeführt werden kann. Die hierzu vernommene Zeugin ……, die dem Kläger mit E-Mail vom 10.10.2018 mitteilte, dass keine Besichtigung für die Wohnung …… angeboten werden könne, hat in ihrer Vernehmung angegeben, dass sie bei der Vermietung auch auf eine „gesunde Mischung“ achte. Auch die Herkunft spiele eine Rolle. Ausdrücklich erklärte sie, dass zum Beispiel, wenn man ein 6 Familienhaus nehme und da schon 5 Familien aus China wohnen würden sie nicht an einen 6. Chinesen vermieten würde.

33

Auf ausdrückliche Nachfrage erklärte sie zwar, sie habe sich bei der Entscheidung, ob sie eine Einladung oder Absage ausspreche nicht vom Namen oder Herkunft des Klägers leiten lassen. Das Gericht hat daran erhebliche Zweifel. Denn die Zeugin erklärte auch, dass sie keine Einladungen zu Wohnungsbesichtigungen aussprechen würde, wenn für sie von vornherein klar wäre, dass der jeweilige Interessent als Mieter nicht in Betracht käme. Sie erklärte auch, dass sie die Mieterstruktur in der …… ungefähr kenne. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Zeugin die Erklärung über die Berücksichtigung einer „gesunde Mischung“ im ersten Teil ihrer Aussage abgab. In diesem Teil ließ das Gericht die Zeugin ihre Wahrnehmungen zur Beweisfrage frei schildern. Erst als sie vom Beklagtenvertreter direkt gefragt wurde, ob Herkunft und Name des Klägers bei der Entscheidung über die Einladung oder Absage eine Rolle gespielt hätten verneinte sie dies. Das Gericht hatte den Eindruck, dass die Zeugin auf diese konkrete Nachfrage ihre zuvor getätigte Aussage relativieren wollte. Die Bekräftigung der Zeugin ……, dass die Versendung einer Absage zur Besichtigung der Wohnung nicht auf dem Namen oder der Herkunft des Klägers beruhte, ist daher für das Gericht nicht glaubhaft.

34

Zuzugeben ist, dass die übrigen Zeuginnen nicht erklärten, dass Name oder Herkunft der Mietinteressenten bei der Versendung von Einladungen und Absagen eine Rolle spielen würden. Aufgrund der Aussage der Zeugin …… und … gewann das Gericht eher den Eindruck, dass die Mitarbeiterinnen keine Vorgaben hinsichtlich der Auswahl der Mietinteressenten für eine Besichtigung hätten. Offenbar entscheidet jeder selbst, wie viele Zu- und Absagen versandt werden. Die von den Zeuginnen geschilderten Arbeitsabläufe sind ferner als ungeordnet zu beschreiben. Es herrschte demnach kein Ãœberblick darüber, welche und wie viele Zu- und Absagen schon versandt worden waren. Auffällig war in den Aussagen der Zeuginnen …X und ……, dass beide offenbar mit ihrer Vorgesetzten …… über den hiesigen Fall vor ihrer Aussage gesprochen hatten. Beide Zeuginnen gaben vor, sich an den konkreten Inhalt des Gesprächs nicht mehr erinnern zu können. Dies ist umso mehr verwunderlich, als es sich um ein ungewöhnliches und für die Zeuginnen unangenehmes Thema handelte. Schließlich wurde ihnen vom Kläger Diskriminierung vorgeworfen.

35

Die Beklagte kann sich auch nicht auf § 19 Abs. 3 AGG berufen. Hierzu hat das AG Hamburg-Barmbek bereits in einem vergleichbaren Fall wie folgt entschieden:

36

„Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Wohnungsbauförderung, sozial stabile Bewohnerstrukturen, ausgewogene Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verhältnisse zu schaffen und zu erhalten (§ 6 Abs 1 Nr 3 und 4 WoFG), statuiert Abs 3 eine generelle Ausnahme von den Benachteiligungsverboten des Abs 1 zur Erreichung dieser Ziele (Staudinger/Christian-Rolfs AGG § 19, Rn. 39). Die Vereinbarkeit mit der RL 2000/43/EG und der RL 2004/113/EG ist aber mehr als zweifelhaft, da diese Richtlinien keine entsprechende Einschränkung kennen (Staudinger/Christian a.a.O.). Es ist daher § 19 Abs. 3 AGG nur dann nicht auf Benachteiligungen wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft und des Geschlechts anzuwenden, wenn es sich bei der gezielten Vermietung an bestimmte Personen oder Personengruppen um „positive Maßnahmen“ iS von § 5 AGG (die auch Art 5 RL 2000/78/EG und Art 6 RL 2004/113/EG gestatten) handelt (Staudinger/Christian a.a.O.).“

37

(AG Hamburg-Barmbek, Urteil vom 03. Februar 2017 – 811b C 273/15 –, Rn. 12 – 15, juris)

 

38

Dem schließt sich das erkennende Gericht nach Prüfung der Rechtslage an. Für ein Vermietungskonzept, das diesen Anforderungen gerecht wird, fehlt es – ebenso wie in dem vorzitierten Fall – an Anhaltspunkten und Sachvortrag.

39

Der Kläger hat gemäß § 21 Abs. 2 AGG einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Teilweise wird vertreten, dass eine Entschädigung nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG nur bei einer vorsätzlichen Diskriminierung verlangt werden kann (Schmidt/Futterer-Blank, Mietrecht Vor § 535 BGB Rn. 224). Dem ist nicht zuzustimmen. § 21 Abs. 2 AGG enthält keine derartige Einschränkung. Eine solche kann mithin auch nicht in diese Vorschrift hineininterpretiert werden (vgl. AG Hamburg-Barmbek, Urteil vom 03. Februar 2017 – 811b C 273/15 –, Rn. 12 – 15, juris).

40

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist zudem davon auszugehen, dass die Diskriminierung des Klägers schuldhaft, zumindest fahrlässig erfolgte. Die Beklagte verkennt hierbei, dass nicht allein auf einen möglichen Rechtsirrtum der Zeugin … abzustellen ist. Vielmehr liegt der Verschuldensvorwurf, der der Beklagten zu machen ist, bereits darin, dass sie durch die von den Zeuginnen geschilderten chaotischen Arbeitsabläufen und der fehlenden Vorgabe von Kriterien, anhand der die Mietinteressenten ausgewählt werden sollen, nicht ansatzweise zu verhindern versucht, dass es zu einer Diskriminierung der Wohnungsbewerber kommt. Wie die Zeuginnen übereinstimmend schilderten, gab es keine Schulungen und auch keine Arbeitsanweisungen wie sie bei der Auswahl der Mietinteressenten vorzugehen hatten. Auch das von der Beklagten zunächst behauptet blockweise Vorgehen bei der Verteilung von Einladungen und Absagen konnte nicht erwiesen werden. Keine der vernommenen Zeuginnen schilderten, dass sie so vorgehen würden. Die Beklagte ergreift somit keine Maßnahmen, um eine Diskriminierung zu verhindern. Angesichts der Größe der Beklagten und des Umstandes, dass sie mehr als 100.000 Wohnungen in Berlin vermietet, wäre aber eine entsprechende Schulung der Mitarbeiter oder eine Vorgabe zumindest zu erwarten gewesen.

41

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000,00 Euro zu. Bei der der Bemessung der Geldentschädigung stellen der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers, die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung und der Präventionsgedanke Bemessungsfaktoren dar, die sich je nach Lage des Falls unterschiedlich auswirken können (MüKoBGB/Thüsing, 8. Aufl. 2018, AGG § 21 Rn. 57). Im Vordergrund steht im Bereich des Diskriminierungsrechts, dass die Entschädigung dem Benachteiligten Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung oder Zurücksetzung verschaffen kann. In Hinblick auf die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere die Schwere der Benachteiligung zu beachten. Einfließen können dabei objektive und subjektive Umstände. In objektiver Hinsicht kann die Dauer, Häufigkeit und Intensität des benachteiligenden Verhaltens eine Rolle spielen, wie auch die Bedeutung des Schuldverhältnisses für den Benachteiligten. Auf der subjektiven Seite kann der Verschuldensgrad sowie ein Benachteiligungsvorsatz oder eine dahingehende Absicht Berücksichtigung finden. Bei unmittelbarer Diskriminierung dürfte der Anspruch daher höher sein als bei mittelbarer Diskriminierung, bei vorsätzlicher höher als bei fahrlässiger oder gar schuldloser (MüKoBGB/Thüsing, a.a.O.).

42

Danach ist ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 3.000 € angemessen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der Beklagten um einen der größten Vermieter in Berlin handelt. Diskriminierungen durch die Beklagte wirken sich daher besonders schwerwiegend aus, da der Kläger hierdurch vom Zugang zu einem erheblichen Anteil des Mietwohnungsmarktes in Berlin abgeschnitten ist. Ferner ist die Diskriminierung des Klägers durch das nachträgliche Verhalten der Beklagten noch verstärkt worden. Wie sie selbst schließlich einräumte, hat sie nach Erhalt des Schreibens der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt den Kontakt zum Kläger per E-Mail ausgeschlossen. Da die meisten Wohnungsanfragen mittlerweile jedoch online erfolgen und der Kläger hierüber auch nicht informiert wurde, konnte er nach November 2018 sich rein tatsächlich nicht mehr um eine Wohnung bei der Beklagten bewerben. Zwar erhielten die Mitarbeiter der Beklagten seine E-Mails, jedenfalls nach Darstellung der Beklagten, noch. Sie hatten aber keine Möglichkeit ihm zu antworten, da das von der Beklagten verwendete Formular nur die Kontaktmöglichkeit per E-Mail vorsieht. Er konnte so gar nicht mehr zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen werden. Der Kläger ist daher alleine dafür, dass er sachlich seine Ansprüche bei der Beklagten angemeldet hat ein weiteres Mal benachteiligt worden.

43

Die Anspruchsfrist gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 AGG hat der Kläger eingehalten. Er hat seinen Anspruch spätestens mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 28.12.2018 bei der Beklagten geltend gemacht.

44

Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers konnte die Beklagte nicht substantiiert vortragen. Soweit sie bestreitet, dass der Kläger tatsächlich eine Wohnung in Berlin sucht, konnten vernünftige Zweifel daran bereits durch die Vernehmung des Zeugen …X ausgeräumt werden. Dieser bestätigte, dass der Kläger in Berlin arbeite. Auch der substantiierte Vortrag zum Kauf einer Wohnung hier in Berlin vermochte die Beklagte nicht durch ebenso substantiierten Vortrag zu widerlegen. Die Behauptung der Kläger suche überhaupt keine Wohnung in Berlin erfolgt ins Blaue hinein und ist unbeachtlich.

45

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Share
Blogverzeichnis TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste Blogverzeichnis Bloggerei.de