Jahresarchiv 18. Februar 2023

VonRA Moegelin

Kündigung wegen übler Nachrede per WhatsApp

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Verbreitet eine Arbeitnehmerin eine unzutreffende Behauptung, die geeignet ist, den Ruf eines Kollegen erheblich zu beeinträchtigen (hier: die unzutreffende Behauptung, der Kollege sei wegen Vergewaltigung verurteilt worden) per WhatsApp an eine andere Kollegin, kann dies einen Grund darstellen, der den Arbeitgeber auch zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. (Leitsätze)

Volltext des Urteils des LAG Baden-Württemberg Urteil vom 14.3.2019, 17 Sa 52/18:

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des ArbG Stuttgart (24 Ca 1481/18) vom 10.04.2018 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die am … Oktober 1987 geborene Klägerin wurde zum 15. Februar 2018 (Donnerstag) von der Beklagten als kaufmännische Angestellte eingestellt. Die Parteien vereinbarten einen Bruttomonatsverdienst in Höhe von 2.100 EUR und eine Probezeit von 6 Monaten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von 2 Wochen beendet werden können soll.
2

Nachdem sie ihre Tätigkeit für die Beklagte am 15. Februar 2018 aufgenommen hatte, besuchte die Klägerin am Samstag, den 17. Februar 2018, in ihrer Freizeit ein Café. Dort entwickelte sich ein Gespräch an der Bar mit ihrem Bekannten J. H. und weiteren flüchtigen Bekannten der Klägerin. Seitens Herrn H. und weiterer Gesprächsteilnehmer wurde geäußert, dass ein Mitarbeiter der Beklagten, Herr R. S., der gleichzeitig der Vater des Geschäftsführers S. S. ist, angeblich ein verurteilter Vergewaltiger sein soll. Diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Dies erfuhr die Klägerin erst später, im Zusammenhang mit ihrer Kündigung.
3

Im Anschluss an diese Unterhaltung informierte die Klägerin am selben Tag ihre Kollegin, S. D., mittels des Messenger-Dienst „WhatsApp“ über den Inhalt des Gesprächs, vor allem über das – unzutreffende – Gerücht, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger.
4

In der Konversation über WhatsApp heißt es auszugsweise (auf der rechten Seite die Nachrichten der Klägerin, auf der linken Seite die Nachrichten von Frau S. D, Mitarbeiterin der Beklagten):
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„Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber er [Herr R. S., Mitarbeiter der Beklagten und Vater des Geschäftsführers; Anm. des Gerichts] soll ein verurteilter Vergewaltiger sein, deswegen will ganz L. nichts mehr mit ihm zu tun haben.
6

S. [Frau S. D.; Anmerkung des Gerichts], ich werde jetzt ALLES unternehmen, dass wir BEIDE dort rauskommen.

7

Jetzt bin ich geschockt. Ich wusste das er viel scheisse gebaut hat aber das ..
8

Ich habe auch die Augen aufgerissen. Habe erzählt, wo ich arbeite und die Leute erzählen mir sowas.
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Ja gibt’s da irgendein Urteil oder so und wann soll das denn gewesen sein ?
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Keine Ahnung, das haben die Leute nicht dazu gesagt, aber ganz EHRLICH für so jemanden werde ich nicht arbeiten.
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Und DU auch nicht.
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Ich lasse mir etwas einfallen. Mäuschen.
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So was ist schon eine krasse Behauptung
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Das haben mir mehrere Leute unabhängig von einander erzählt.

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Er soll früher wohl auch Betrug in der Versicherungsbranche durchgeführt haben. Das soll aber nie angezeigt worden sein.
16

…
17

Ich weiß es auch nicht, aber die Leute, die mir das erzählt haben, haben noch nie Mist erzählt. Bin auch schockiert gewesen, als ich das gehört habe. Hab sogar kurzzeitig überlegt, ihn mit den Behauptungen zu konfrontieren.“
18

Die Klägerin hatte Frau D., die schon seit längerem für die Beklagte arbeitete, erst zwei Tage zuvor, am Tage ihrer Arbeitsaufnahme, im Betrieb kennengelernt.
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Frau D. wiederum nahm noch an dem Tag, an dem sie von der Klägerin von der im Nachhinein falschen Behauptung Kenntnis erhielt, telefonisch Kontakt zum Geschäftsführer der Beklagten auf und bat um einen Gesprächstermin. In der anschließenden Unterredung, welche noch am gleichen Tag stattfand und in welcher neben dem Geschäftsführer S. S. auch dessen Vater R. S. anwesend war, informierte Frau D. über den Inhalt der WhatsApp-Kommunikation mit der Klägerin.
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Der Geschäftsführer der Beklagten kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich am Montag, den 19. Februar 2018, und hilfsweise ordentlich zum 6. März 2018.
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Am 13. März 2018 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Sie ist der Ansicht, die fristlose Kündigung sei nicht rechtswirksam. Nachdem sie von dem Gerücht, dass der Mitarbeiter R. S., der Vater des Geschäftsführers, wegen Vergewaltigung verurteilt worden sein soll, gehört hatte, habe sie Anlass zur Sorge gehabt. Sie habe auf die Vertraulichkeit der Kommunikation per WhatsApp mit der Kollegin Frau D. vertraut.
22

Die Klägerin beantragte erstinstanzlich:
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Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. Februar 2018 nicht beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf des 6. März 2018 fortbestanden hat.
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Die Beklagte beantragte erstinstanzlich,
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die Klage abzuweisen.
26

Sie ist der Ansicht, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, weil sich die Klägerin wahrheitswidrige Behauptungen zu eigen gemacht habe. Zudem habe sie versucht, ihre Kollegin dazu zu bewegen, ihre Arbeitsstelle bei der Beklagten aufzugeben. Sie habe damit rechnen müssen, dass sich ihre Kollegin Frau D. wegen der Aufklärung des Sachverhaltes an den Arbeitgeber wenden würde. Die Klägerin habe nicht nur den Kollegen R. S. erheblich in Misskredit gebracht, sondern auch das Ansehen der Firma geschädigt und den Betriebsfrieden nachhaltig gestört.
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Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, soweit sie sich gegen die außerordentliche Kündigung richtete. Es liege kein Grund für eine außerordentliche Kündigung vor. Das Arbeitsverhältnis habe infolge ordentlicher Kündigung in der Probezeit mit Ablauf des 6. März 2018 geendet. Die Klägerin habe keinen Vorsatz bezüglich der Unwahrheit der Behauptung gehabt, sie habe vielmehr den falschen Behauptungen Dritter Glauben geschenkt. Ihr könne nur vorgeworfen werden, die gravierenden Anschuldigungen nicht näher hinterfragt zu haben, sondern diese zum Anlass genommen zu haben, ihre Kollegin Frau D. dahingehend zu beeinflussen, dass eine Weiterarbeit im Betrieb der Beklagten für sie beide nicht möglich sei, nachdem sie selbst den Behauptungen Glauben schenkte. Bei alldem habe die Klägerin auf die Vertraulichkeit der WhatsApp-Kommunikation vertraut, da die Mitteilung nicht in einem Gruppen-Chat, sondern in einer 2-er Kommunikation erfolgte.
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Gegen das Urteil vom 12. Juli 2018, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt am 30. Juli 2018 legte die Beklagte am 27. August 2018 Berufung ein.
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Die Beklagte begründet ihre Berufung wie folgt: Die Klägerin habe keineswegs nur geglaubt, dass der Mitarbeiter R. S. ein verurteilter Vergewaltiger sei, sondern sei sogar fest davon ausgegangen. Das Arbeitsgericht habe unzutreffend unterstellt, die Klägerin habe ein klärendes Gespräch gesucht. Die Klägerin habe vehement auf die Kollegin D. eingewirkt, damit diese ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beendet.
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Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz:
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12. Juli 2018, Az.: 24 Ca 1481/18, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin trägt vor, sie habe auf den Wahrheitsgehalt der Äußerungen Dritter und auch auf die Vertraulichkeit der WhatsApp-Kommunikation mit der Kollegin vertraut.

Entscheidungsgründe

 

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I. Zulässigkeit der Berufung
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Die Berufung ist statthaft gem. § 64 Abs. 2 c) ArbGG. Die Berufung ist gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden. Sie genügt auch den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO an eine ordnungsgemäße Begründung der Berufung. Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung an, es habe rechtsfehlerhaft den der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht als Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen lassen.

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II. Begründetheit der Berufung
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Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht erst aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Probezeitkündigung endete, sondern bereits durch außerordentliche Kündigung vom 19. Februar 2018 mit sofortiger Wirkung. Die fristlose Kündigung vom 19. Februar 2018 ist gem. § 626 Abs. 1 BGB wirksam.
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1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt werden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
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Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, 19. Juli 2012 – 2 AZR 989/11).

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a) Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen u. a. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG, 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber und/oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG, 27. September 2012 – 2 AZR 646/11).

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Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung kann insbesondere vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zu Lasten eines Vorgesetzten den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) erfüllt. Die Begehung von (Ehr-)Delikten zu Lasten des Arbeitgebers oder zu Lasten von Vorgesetzten ist grundsätzlich geeignet, einen die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund darzustellen. Dabei kommt es nicht auf die strafrechtliche Wertung an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber deswegen nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAG, 21. April 2005 – 2 AZR 255/04). Mit der Begehung einer Straftat verletzt der Arbeitnehmer zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09; Rn. 26).

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b) Strafrechtlich ist im Ehrenschutz zwischen Beleidigung (§ 185 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB) und übler Nachrede (§ 186 StGB) zu unterscheiden.

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Im Unterschied zur einfachen Beleidigung erfasst der Tatbestand der üblen Nachrede das Behaupten oder Verbreiten von ehrenrührigen Tatsachen, wenn der Kundgabeempfänger nicht – oder zumindest nicht nur – der Betroffene ist. Im Unterschied zur Verleumdung setzt die üble Nachrede nicht voraus, dass der Täter weiß, dass die ehrenrührige Tatsachenbehauptung unwahr ist.

45

c) Weil § 186 2. Alt StGB für die Begehung der Tathandlung in öffentlicher Form oder unter Verbreitung von Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) einen höheren Strafrahmen vorsieht, ist für das Tatbestandsmerkmal „Verbreiten“ nicht erforderlich, dass die Tatsachenmitteilung an einen größeren Personenkreis gelangt oder gelangen soll. Die Mitteilung an nur einen Erklärungsempfänger reicht aus (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 186 Rn. 8 unter Verweis auf RG, 10. September 1897 – 2907/97; RGSt 30, 225).

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d) Im Rahmen des § 186 StGB muss sich der Vorsatz zwar auf die Ehrenrührigkeit der verbreiteten Tatsache, nicht aber auf deren Unwahrheit oder Nichterweislichkeit beziehen, auch eine Sorgfaltswidrigkeit ist insoweit nicht erforderlich (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 186 Rn. 11).

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e) Gegenüber der einfachen Beleidigung ist die üble Nachrede zwar nur in den Fällen, in denen der Täter sie öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften begeht, mit höherer Strafe bedroht. Aber sie ist bei abstrakter Betrachtung das Delikt mit dem höheren Unrechtsgehalt (vgl. Hilgendorf in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, Rn. 2 zu § 186 StGB): im Vergleich zum unsubstantiierten Werturteil (z.B. Bezeichnung als „Idiot“) hat die gegenüber einem Dritten abgegebene Tatsachenäußerung als motiviertes Urteil mehr Gewicht. Das Werturteil ist in seiner Suggestivkraft vom Prestige des Täters abhängig. Tatsachen hingegen sprechen für sich. Deshalb ist es stärker als das Werturteil oder die Meinungsäußerung geeignet, den Kundgabeempfänger gegen den Betroffenen einzunehmen (vgl. Hilgendorf in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, Rn. 2 zu § 186 StGB). Im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes bedroht das Gesetz in § 186 StGB die ehrenrührige Tatsachenbehauptung nicht erst mit Strafe, wenn sie unwahr ist, sondern schon dann, wenn sie „nicht erweislich wahr“ ist.
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2. Die Klägerin verbreitete über WhatsApp die objektiv unzutreffende Behauptung, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger. Diese Behauptung stellt eine ehrenrührige Behauptung dar, die zudem geeignet ist, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dass es sich bei der Behauptung um eine ehrenrührige Behauptung handelte, war der Klägerin bewusst. Dies ergibt sich bereits aus ihrer Formulierung „und deshalb will ganz L. mit ihm nichts mehr zu tun haben.“, dem gesamten Verlauf der Chat-Unterredung und aus ihrer Entscheidung heraus, wegen dieses Umstandes nicht mehr für die Beklagte arbeiten zu wollen.
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Für das Verbreiten reicht die Weitergabe einer Tatsachenbehauptung an Dritte als Gegenstand fremden Wissens oder Behauptens (Regge/Pegel in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, Rn. 18 zu § 186 StGB). Im Gegensatz zum Behaupten ist hierbei nicht erforderlich, dass der Täter sich die fremde Tatsachenbehauptung selbst zu eigen macht. Für das Verbreiten reicht es aus, wenn er die fremde Behauptung nur an eine weitere Person weitergibt, dies auch, wenn dies vertraulich geschieht (Regge/Pegel, a..a.O.; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 186 Rn. 8 unter Verweis auf RG, 10. September 1897 – 2907/97; RGSt 30, 225). Auch die Weitergabe in einem 2er Chat erfüllt damit den Tatbestand des Verbreitens im Sinne von § 186 StGB.
50

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Behauptung unwahr ist. Insoweit kommt es auf die Nichterweislichkeit der Wahrheit der Behauptung als objektiven Strafausschließungsgrund (vgl. BGH, 12. Februar 1958 – 4 StR 189/57) nicht an.
51

Die Klägerin kann sich auch nicht auf ihr Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG, 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14; Rn. 18), sondern wird durch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. Allerdings muss der auch strafrechtlich gewährleistete Ehrenschutz beachtet werden.
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Die Klägerin kann sich für ihr Verhalten auch nicht mit Erfolg auf einen Rechtfertigungsgrund, insbesondere die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) berufen.
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Eine Ehrverletzung, wie die üble Nachrede, ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil mit der Äußerung irgendwelche rechtlich schutzwürdigen Interessen verfolgt werden, sondern nur dann, wenn diese schutzwürdigen Interessen sich gerade auch gegenüber dem Recht auf Ehre durchsetzen dürfen. Insoweit ist eine Güter- und Interessenabwägung durchzuführen (vgl. BAG, 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14; Rn. 18).
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Nicht der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen Äußerungen, die lediglich der Freude am Klatsch, der Befriedigung menschlicher Neugier und der Erregung von Sensationen dienen (Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 193 Rn. 9). Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass sie in Sorge um ihr eigenes Wohl war und sich als Frau an ihrem Arbeitsplatz in der Firma nicht mehr sicher fühlte, nachdem sie von der Behauptung gehört hatte, Herr R. S. sei ein verurteilter Vergewaltiger. Sie könnte mit der Weitergabe der Behauptung gegenüber ihrer Kollegin, Frau S. D., versucht haben, sich Klarheit über den Wahrheitsgehalt der Behauptung zu verschaffen. Für eine derartige Klärung der Faktenlage ist jedoch eine Kollegin nicht unbedingt die geeignete Ansprechpartnerin. Darüber hinaus hatte sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Chats mit ihrer Kollegin bereits entschieden, nicht mehr weiter für die Beklagte arbeiten zu wollen. Stand ihr Entschluss fest, ist kein berechtigtes Interesse mehr erkennbar, weshalb die Klägerin das Gerücht in Wahrnehmung berechtigter Interessen verbreiten können soll. Die Sorge um das eigene Wohl und das Wohl einer Kollegin rechtfertigt nicht das Verbreiten des Gerüchtes, denn das Verbreiten des Gerüchts ist per se nicht geeignet, die eigene Sicherheit oder auch nur das von ihr empfundene Sicherheitsgefühl zu verbessern. Außerdem versuchte sie, auch die Kollegin dazu zu bringen, die Arbeit im Betrieb der Beklagten zu beenden.
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Eine Rechtfertigung scheidet damit aus. Die Weitergabe des Gerüchtes über WhatsApp an die Kollegin stellt einen Grund dar, der „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
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3. Auch bei der Interessenabwägung im Einzelfall überwiegt das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Klägerin an der Einhaltung der 14-tägigen Kündigungsfrist.
57

Bei der unwahren Tatsache, die von der Klägerin verbreitet wurde, handelt es sich um eine äußert gravierende Beschuldigung. Es wurde verbreitet, der Mitarbeiter R. S., der Vater des Geschäftsführers der Beklagten, sei wegen der Tat einer Vergewaltigung (§ 177 StGB) verurteilt worden. Eine Vergewaltigung ist ein Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafandrohung von 2 Jahren (§ 177 Abs. 6 StGB). Soweit – wie im vorliegenden Fall – die Behauptung unwahr ist, ist die mit der Verbreitung einhergehende Rufschädigung des Betroffenen erheblich. Dies betrifft nicht nur den Kreis der Mitarbeiter des Betriebes, sondern auch die Außenwirkung des Arbeitgebers. Würde das – objektiv falsche – Gerücht nach außen gelangen, könnten auch Kundenbeziehungen auf dem Spiel stehen.
58

Zu Ungunsten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Vorfalles noch nicht einmal drei Tage bestanden hat. Ein durch längere Betriebszugehörigkeit verdienter Bestandsschutz war für die Klägerin hiermit noch nicht verbunden.
59

Zu Ungunsten der Klägerin ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen Einzelfall gehandelt hat. Die Klägerin hat im gleichen Chat mit Frau D. auch noch behauptet, Herr S. habe auch noch einen Versicherungsbetrug begangen.
60

Der Verschuldensvorwurf an die Klägerin ist nicht unerheblich. Sie hat das Gerücht nicht einer Überprüfung, z.B. durch eigene Nachfragen an ihren Bekannten zu den näheren Umständen (z.B. wann sich der Vorfall bzw. die Verurteilung sich ereignet haben soll…) unterzogen, sondern die Behauptung in dem Chat mit ihrer Kollegin als feststehende Tatsache behandelt. Dies, obwohl die Klägerin das Gerücht aus einer Quelle erhielt, die nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht unbedingt für eine hohe Authentizität bekannt ist, nämlich aus einem Gespräch an einer Bar.
61

Die Behauptung war zudem geeignet, die Position des Geschäftsführers zu untergraben, da sich die unzutreffende diffamierende Behauptung auf dessen Vater bezog. Die Untergrabung der Position eines Vorgesetzten muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG, 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08).
62

4. Vor Ausspruch der Kündigung war auch keine Abmahnung erforderlich. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist, und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, 23. Oktober 2008 – 2 AZR 483/07).
63

In Anbetracht der Strafbarkeit (§ 186 StGB) ihres Verhaltens, war für die Klägerin erkennbar eine Hinnahme des Verhaltens durch die Beklagten offensichtlich ausgeschlossen. Die ehrenrührige und wahrheitswidrige Behauptung bezog sich zum einen auf den Vater des Geschäftsführers, der auch für die Beklagte arbeitet. Zum anderen ist mit der Behauptung, Herr S. sei wegen Vergewaltigung verurteilt, wegen des hohen Unrechtsgehalt einer solchen Tat ein äußerst schwerwiegender Vorwurf verbunden.
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5. Auf den Inhalt des Schriftsatzes der Bevollmächtigten der Beklagten vom 12. März 2019 kam es für die Entscheidungsfindung nicht an. Insoweit war die Gewährung des vom Bevollmächtigten der Klägerin beantragten Schriftsatzrechts nicht notwendig.

65

C) Nebenentscheidungen
66

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor. Alle entscheidungserheblichen Fragen sind höchstrichterlich geklärt. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls.

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VonRA Moegelin

Kündigung eines Lehrers wegen Nähe zu Schülern

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Das unangemessene Nähe-Verhältnisses zu Schülern rechtfertigt auch ohne vorherige Abmahnung die außerordentliche Kündigung eines Lehrers

Volletxt der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.02.2023

Der Kläger ist seit 2007 als Lehrkraft bei der Beklagten beschäftigt. Ende 2020 hatte ein Schüler der Schulleitung geschildert, dass der Kläger ihn mehrfach über WhatsApp kontaktiert und ihm Treffen im privaten Bereich und außerhalb der Schule vorgeschlagen habe. Dadurch habe sich der Schüler unwohl gefühlt. Der Kläger räumte in der daraufhin durchgeführten Anhörung ein, dass sein Verhalten unangemessen war. Im Nachgang zu diesem Vorfall erteilte die Beklagte dem Kläger eine Dienstanweisung vom 09.12.2020, die ihm ein solches Verhalten untersagte.

Die Beklagte behauptet, sie habe im März 2022 von einem anderen Schüler erfahren, dass der Kläger ihn ebenfalls mehrfach zu sich nach Hause eingeladen und ihm u.a. angeboten habe, ihm die Füße massieren. Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 06.04.2022 außerordentlich fristlos gekündigt hatte, hat sie – nach ihrer Darstellung – von weiteren ähnlichen Vorfällen zwischen dem Kläger und Schülern in früheren Jahren erfahren. Der Kläger bestreitet, sich seinen Schülern gegenüber in der geschilderten Weise unangemessen verhalten zu haben. Er habe lediglich versucht, sie zu fördern und zu unterstützen.

Die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass das Verhalten des Klägers gegenüber Schülern, wenn es sich so darstellen sollte, wie von der Beklagten behauptet, auch ohne vorherige Abmahnung die außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Um dies aufzuklären, müssten die von der Beklagten benannten Schüler als Zeugen vernommen werden. Das Gericht hat mit den Parteien zudem erörtert, welche rechtlichen Folgen es hat, dass die Beklagte den Kläger nach der erstinstanzlichen Entscheidung an der Schule vorläufig weiterbeschäftigt hat, obwohl sie hierzu weder verurteilt wurde, noch mit dem Kläger über die Konditionen dieser Weiterbeschäftigung eine schriftliche Vereinbarung getroffen hat. Ggf. wäre – falls sich die Kündigung als wirksam herausstellen sollte – in einem weiteren Prozess zu klären, ob durch die Beschäftigung ein neues Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Auch vor dem Hintergrund dieser prozessualen Situation hat das Gericht den Parteien dringend angeraten, Möglichkeiten einer einvernehmlichen Beilegung des Konflikts zu suchen. Dem Wunsch der Parteien entsprechend sollen nun zunächst außergerichtlich Vergleichsverhandlungen geführt werden. Nur wenn diese scheitern, wird das Gericht einen neuen Termin bestimmen und Zeugen laden.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 13 Sa 623/22

Arbeitsgericht Essen, Urteil vom 16.08.2022 – 2 Ca 650/22

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen gefälschtem Corona-Test

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Die Vorlage eines gefälschten negativen Corona-Tests berechtigt den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung, auch nach neunzehnjähriger Betriebszugehörigkeit und trotz schwerbehinderung. Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises zeugt nach Ansicht des Gerichts von einem hohen Maß krimineller Energie, so dass das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachhaltig gestört war.

Volltext der Pressemitteilung des LAG Düsseldorf vom 02.02.2023:

Der Kläger war seit dem 01.09.2002 als Messwärter bei der Beklagten tätig. Er war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Mit In-Kraft-Treten des § 28b Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in der Fassung ab dem 24.11.2021 forderte die Beklagte alle ihre Beschäftigten auf, im Rahmen der „3G-Regelung“ vor Dienstantritt einen vollständigen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis vorzulegen.

Am 24.11.2021 und 25.11.2021 zeigte der Kläger der Personalabteilung jeweils einen negativen Corona-Test vor. Am 26.11.2021 legte er einen Impfausweis vor. Ausweislich dessen war er am 05.07.2021 mit der Impfcharge COMIRNATY Ch.-B.: EX9661 und am 16.08.2021 mit der Impfcharge COMIRNATY Ch.-B.: EX9117 geimpft worden. Beide Impftermine waren mit folgendem Stempel versehen: „Impfzentrum Duisburg Im auftrag des Landes NRW“ und trugen dieselbe Unterschrift. Am 29.12.2021 kündigte die Beklagte nach Beteiligung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung sowie nach eingeholter Zustimmung des Inklusionsamts das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos und hilfsweise fristgerecht. Sie hat behauptet, der Impfausweis sei gefälscht. Dem hat der Kläger widersprochen.

Die Kündigungsschutzklage blieb vor dem Arbeitsgericht ohne Erfolg. Die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat hierzu heute in einer umfangreichen Beweisaufnahme u.a. eine Kriminalhauptkommissarin, den damaligen ärztlichen Leiter des Test- und Impfzentrums Duisburg, die Amtsapothekerin der Stadt Duisburg sowie einen vom Kläger benannten Zeugen vernommen. Im Rahmen der streitigen Verhandlung zum Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Kammer dem Kläger das vorläufige Beweisergebnis mitgeteilt. Danach sei die Beweislage zu seinen Lasten erdrückend. So sei dreifach abgesichert, dass es die auf seinem Impfpass verzeichneten Chargennummern nicht gegeben habe. Dies hat zunächst die Kriminalhauptkommissarin aufgrund einer Abfrage über den sog. „Chargenchecker“ bei dem Paul-Ehrlich-Institut bekundet. Der Leiter des Impf- und Testzentrums Duisburg konnte eine Liste des zentralen Apothekenkühlschranks der Stadt Duisburg vorlegen, auf der mit Datum versehen sämtliche verimpften Chargen verzeichnet waren. Am 05.07.2021 und am 16.08.2021 waren die im Impfpass des Klägers verzeichneten Chargen nicht verimpft worden. Die Amtsapothekerin der Stadt Duisburg konnte bekunden, dass eine Herstellerabfrage bei Biontech ergeben habe, dass diese Chargen nicht existierten. Die Zeuginnen und der Zeuge haben außerdem bekundet, dass aufgrund des Rechtschreibfehlers („Im auftrag“) im verwandten Stempel sowie aufgrund von dessen Qualität, Design und Größe von einer nicht im Impfzentrum Duisburg verwandten Fälschung auszugehen sei. Der Leiter des Impf- und Testzentrums Duisburg hat außerdem ausgesagt, dass im hier relevanten Zeitraum – anders als vom Kläger behauptet – grundsätzlich keine Impfungen ohne Termin erfolgten. Soweit der vom Kläger benannte Zeuge bekundet hatte, dass er mit diesem am 16.08.2021 zum Impfzentrum gefahren sei, konnte er nur bekunden, dass er auf dem Parkplatz gewartet und nicht einmal gesehen hatte, ob der Kläger in das Impfzentrum gegangen war. Selbst wenn man insoweit nicht abschließend von einer Falschaussage ausgehe, ändere dies an der erdrückenden Beweislage nichts.

Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in der Absicht die Nachweispflicht des § 28b Abs. 1 IfSG zu umgehen, stellt eine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar. Die Verletzung wiegt so schwer, dass sie geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises zeugte von einem hohen Maß krimineller Energie, so dass das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachhaltig gestört war. Der Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses ist zudem eine Straftat (§ 279 StGB). Wegen der Schwere des Verstoßes kam es weder auf eine Wiederholungsgefahr noch auf den langjährigen störungsfreien Bestand des Arbeitsverhältnisses an.

Der Kläger hat im Anschluss an das Rechtsgespräch und die Hinweise der Kammer seine Berufung zurückgenommen.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 11 Sa 433/22
Arbeitsgericht Duisburg, Urteil vom 23.05.2022 – 1 Ca 48/22

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VonRA Moegelin

Wucher bei einem kombinierten Kauf- und Mietvertrag

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Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob ein nach § 34 Abs. 4 GewO i.V.m. § 134 BGB verbotenes Rückkaufsgeschäft beziehungsweise ein wucherähnliches Geschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) vorliegt, wenn ein staatlich zugelassener Pfandleiher gewerblich Kraftfahrzeuge ankauft, diese an den Verkäufer zurückvermietet und nach dem Ende der vertraglich festgelegten Mietzeit durch öffentliche Versteigerung, an der der Verkäufer teilnehmen kann, verwertet.

Sachverhalt

Die Beklage betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit kauft sie Kraftfahrzeuge an und vermietet diese unmittelbar an die Verkäufer zurück („sale and rent back“). Am Ende des Mietverhältnisses gibt sie die Kraftfahrzeuge zur öffentlichen Versteigerung.

In allen vier Verfahren veräußerten die Kläger (Kunden) der Beklagten ihr Kraftfahrzeug. Nach den vertraglichen Vereinbarungen soll das betroffene Kraftfahrzeug nach dem Ende der jeweils für 6 Monate vereinbarten Mietzeit im Wege der öffentlichen Versteigerung, an der die jeweiligen Kläger und auch die Beklagte teilnehmen dürfen, durch die Beklagte verwertet werden. Der vertraglich vereinbarte Aufrufpreis setzt sich jeweils aus dem Ankaufspreis zuzüglich verschiedener weiterer Positionen, wie ausstehender Mieten, nicht ersetzter Schäden und den Kosten der Versteigerung zusammen. Ein in der Versteigerung erzielter Mehrerlös soll den Klägern nach dem Mietvertrag dann nicht zufließen, wenn sie das Kraftfahrzeug selbst erfolgreich im Wege der Versteigerung erwerben.

Bisheriger Prozessverlauf

In allen vier Verfahren haben die Berufungsgerichte angenommen, dass nach einer Gesamtbetrachtung von Kauf- und Mietvertrag ein gemäß § 34 Abs. 4 GewO verbotenes Rückkaufsgeschäft gegeben sei. Der Verstoß gegen § 34 Abs. 4 GewO führe gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge. In drei der Verfahren (VIII ZR 221/21, VIII ZR 290/21, VIII ZR 436/21) sind die Berufungsgerichte ferner davon ausgegangen, dass sich die Nichtigkeit auch auf die jeweilige Übertragung des Eigentums an dem Kraftfahrzeug erstrecke. In einem Verfahren (VIII ZR 436/21) hat das Berufungsgericht zusätzlich eine Nichtigkeit des Kauf- und Mietvertrags sowie der Übereignung des Kraftfahrzeugs wegen Vorliegens eines wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) angenommen.

Im Verfahren VIII ZR 221/21 verkaufte die Klägerin ihr Kraftfahrzeug vom Typ Smart Fortwo MHD am 13. August 2018 für 1.500 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Marktwert von 4.500 €. Nach Unterzeichnung der Verträge erhielt die Beklagte von der Klägerin den Zweitschlüssel und die Zulassungsbescheinigung Teil II. Der Klägerin wurde von der Beklagten ein Barscheck über 1.500 € ausgehändigt. Diesen löste sie jedoch nicht ein und zahlte an die Beklagte auch keine Miete.

Das Landgericht hat festgestellt, dass die Klägerin Eigentümerin des Kraftfahrzeugs geblieben sei, und hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Zulassungsbescheinigung Teil II und den Zweitschlüssel herauszugeben. Ferner hat es festgestellt, dass der Beklagten aus dem Mietvertrag keine Ansprüche gegen die Klägerin zustünden. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 116/20) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

Im Verfahren VIII ZR 288/21 verkaufte der Kläger sein Kraftfahrzeug vom Typ Land Rover Defender am 9. Mai 2019 zum Preis von 15.000 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Händlereinkaufswert von wenigstens 19.500 €. Während der bis zum 9. November 2019 vereinbarten Mietzeit verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 1.275 €. Er zahlte an die Beklagte für die gesamte Vertragslaufzeit Miete in Höhe von 7.650 € sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €, insgesamt also 7.749 €.

Die zuletzt auf Verurteilung der Beklagten zur Rückübereignung des Kraftfahrzeugs an den Kläger, Zug um Zug gegen Zahlung von 15.000 €, sowie zur Rückzahlung von 7.749 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in beiden Instanzen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 125/20) zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Im Verfahren VIII ZR 290/21 verkaufte die Klägerin ihr Kraftfahrzeug vom Typ Ford Focus am 7. Januar 2020 zum Preis von 3.000 € an die Beklagte. Das Kraftfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Verkehrswert von wenigstens 4.500 €. Während der bis zum 7. Juli 2020 vereinbarten Mietzeit verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 297 €. Nach Unterzeichnung der Verträge überwies die Beklagte an die Klägerin 2.758,77 € und zahlte 241,23 € an deren Haftpflichtversicherer auf einen bereits fälligen Beitrag. Die Beklagte erhielt von der Klägerin den Zweitschlüssel und die Zulassungsbescheinigung Teil II. Die Klägerin zahlte an die Beklagte außerdem für zwei Monate Miete sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €, insgesamt also 693 €. Mit Schreiben vom
19. April 2020 kündigte die Beklagte den Mietvertrag aufgrund ausstehender Zahlungen.

Das Landgericht hat – unter Abweisung der Klage im Ãœbrigen – festgestellt, dass die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge unwirksam seien und die Beklagte zur Zahlung von 693 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Kraftfahrzeug nicht an die Beklagte verloren habe. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, 2 U 115/20) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil im Wesentlichen zurückgewiesen und die Klägerin auf eine erst in der Berufungsinstanz erhobene und auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichtete Hilfswiderklage der Beklagten verurteilt, an diese den Kaufpreis in Höhe von 3.000 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe der Zweitschlüssel und der Zulassungsbescheinigung Teil II, zu zahlen.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Anschlussrevision gegen die Verurteilung zur Rückzahlung des Kaufpreises.

Im Verfahren VIII ZR 436/21 verkaufte der Kläger sein Kraftfahrzeug vom Typ BMW M5 am 2. Januar 2018 für 5.000 € an die Beklagte. Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Händlereinkaufswert von 13.700 €. Während der zunächst bis zum 2. Juli 2018 vereinbarten und anschließend bis zum 1. April 2019 verlängerten Mietzeit verpflichtete er sich zur Zahlung einer monatlichen Miete in Höhe von 495 €. Bis September 2018 zahlte er an die Beklagte insgesamt 4.455 € Miete zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 €. Nachdem er die Miete für Oktober 2018 nicht gezahlt hatte, kündigte die Beklagte den Mietvertrag und ließ das Kraftfahrzeug öffentlich versteigern. An der Versteigerung nahm sie selbst teil, erwarb das Kraftfahrzeug, das zu diesem Zeitpunkt einen Wiederbeschaffungswert von 16.000 € hatte, und veräußerte es anschließend weiter.

Das Berufungsgericht (OLG Hamm, I-18 U 105/20) hat der zuletzt noch auf Zahlung von insgesamt 16.445 € Schadensersatz nebst Zinsen gerichteten Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils in Höhe von 15.545 € nebst Zinsen stattgegeben. Es hat angenommen, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger die geleisteten Zahlungen zu erstatten und Schadensersatz für das veräußerte Kraftfahrzeug zu leisten. Der Kläger müsse sich allerdings den von der Beklagten erhaltenen Kaufpreis auf seine Forderungen anrechnen lassen.

Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen der Kläger sein Zahlungsbegehren, soweit dieses erfolglos geblieben ist, und die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass zwar kein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 4 GewO normierte Verbot des Rückkaufshandels vorliegt und die geschlossenen (Kauf- und Miet-)Verträge daher nicht gemäß § 134 BGB nichtig sind. Jedoch kann ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) – mit der Folge der Nichtigkeit der Verträge – vorliegen. Hierauf wurde die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz sowie zur Rückzahlung vom Kläger geleisteter Miete in einem Fall (auch) gestützt (VIII ZR 436/21); diese Verurteilung der Beklagten hat Bestand.

In den weiteren Fällen wurde das allein auf das Vorliegen eines verbotenen Rückkaufshandels nach § 34 Abs. 4 GewO gestützte Urteil des Berufungsgerichts jeweils aufgehoben, damit dieses die – auch dort – seitens der Kläger aufgeworfene Frage des Vorliegens eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts sowie einer wirksamen Anfechtung der Verträge wegen arglistiger Täuschung der Kunden im weiteren Prozessverlauf klären kann.

1. Das von der Beklagten vorgegebene Vertragsmodell des (gewerblichen) Ankaufs von Kraftfahrzeugen unter anschließender Vermietung an die Kläger (Verkäufer) und späterer Verwertung durch öffentliche Versteigerung unterfällt nicht dem in § 34 Abs. 4 GewO normierten Verbot des Rückkaufshandels. Denn den Klägern wird, anders als es die Vorschrift verlangt, ein Rückkaufsrecht nicht eingeräumt. Um ein solches anzunehmen, genügt nicht allein die Wahl einer Vertragsgestaltung, mit der Pfandleihvorschriften umgangen werden. Es bedarf vielmehr der Vereinbarung eines Rechts des Verkäufers (Kunden) zum Rückerwerb der Sache. Dies kann auch in Form eines Rücktrittsrechts des Kunden geschehen, da dieser es dann, vergleichbar einem Rückkaufsrecht, in der Hand hat, durch eine eigene Willenserklärung den Rückerwerb der Sache zumindest mittelbar zu vorab festgelegten Voraussetzungen – insbesondere zur Höhe des (zurück) zu zahlenden Kaufpreises – herbeizuführen.

Ein solches Recht wurde den Klägern vorliegend nicht eingeräumt. Sie haben lediglich faktisch die Möglichkeit, das zuvor an die Beklagte veräußerte Fahrzeug im Wege der Teilnahme an der öffentlichen Versteigerung durch Zuschlag wieder zurück zu erwerben. Bei einer am Wortsinn der Vorschrift orientierten Auslegung, welche auch die sich aus der historischen Entwicklung der Norm ergebende Zielsetzung des Gesetzgebers zu berücksichtigen hat, liegt in einem solchen Fall ein verbotener Rückkaufshandel nicht vor.

Einer über diesen Wortsinn hinausgehenden Auslegung der Vorschrift des § 34 Abs. 4 GewO oder (gar) deren analoger Anwendung steht vorliegend das sich aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG folgende Bestimmtheits- und Analogieverbot entgegen. Denn ein Verstoß gegen die Verbotsnorm des § 34 Abs. 4 GewO ist nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 GewO bußgeldbewehrt. Solche Normen dürfen, in gleicher Weise wie Straftatbestände, nicht über ihren Wortsinn hinausgehend ausgelegt und auch nicht analog angewandt werden. Dem Verbot einer analogen Anwendung steht vorliegend nicht entgegen, dass es nicht um die Verhängung eines Bußgelds, sondern um die Beurteilung der Nichtigkeit (§ 134 BGB) zivilrechtlicher Verträge geht. Denn der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet es, dass ein objektiv gleiches Verhalten nicht einerseits zivilrechtliche Folgen nach sich zieht, andererseits aber eine – grundsätzlich vorgesehene – Verhängung eines Bußgelds aufgrund des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) ausscheiden muss.

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts im Fall VIII ZR 436/21, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) vorliegt, so dass der Kauf- und Mietvertrag sowie die sich anschließende Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte nichtig sind, hatte dagegen Bestand. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz – in Höhe des Wiederbeschaffungswerts des von ihr versteigerten Fahrzeugs (16.000 €) – und zur Rückzahlung der erhaltenen Mieten sowie der Bearbeitungsgebühr (insgesamt 4.554 €), gekürzt um den vom Kläger selbst in Abzug gebrachten Kaufpreis (5.000 €).

Aufgrund des besonders groben Missverhältnisses zwischen dem an den Kläger gezahlten Kaufpreis (5.000 €) und dem zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags bestehenden Händlereinkaufswerts (13.700 €) wird eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vermutet.

Die angesichts dieser Umstände gegen die Beklagte sprechende tatsächliche Vermutung, dass sie bewusst oder grob fahrlässig einen den Kläger in dessen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstand zu ihren Gunsten ausgenutzt hat, ist nicht widerlegt. Im Gegenteil sprechen weitere vertragliche Vereinbarung für eine Ãœbervorteilung des Klägers. Denn dieser zahlte für die Nutzung seines ehemaligen Fahrzeugs eine monatliche Miete in Höhe von 495 € und musste zusätzlich sämtliche Unterhaltungskosten (Versicherung, Steuern, Wartung, Reparatur) tragen. Die Miete stellt nicht allein die Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs, sondern der Sache nach auch eine „Vergütung“ für die Ãœberlassung des dem Kläger durch die Kaufpreiszahlung zur Verfügung gestellten Kapitals dar. Denn in der vereinbarten Mietzeit von sechs Monaten hatte der Kläger bereits etwa 59 % des von ihm zuvor erhaltenen Kaufpreises als Miete aufzuwenden.

Einen Mehrerlös nach der – nach Ablauf der Mietzeit erfolgten – Versteigerung erhält der Kläger nur, wenn das Fahrzeug durch einen Dritten ersteigert wird. Demgegenüber stellt die Beklagte durch die Festlegung der Höhe des Aufrufpreises sicher, dass ihr sowohl der an den Kläger gezahlte Kaufpreis als auch sämtliche Unkosten wieder erstattet werden. Da der Kläger, wenn er das Fahrzeug nach Ablauf der Mietzeit wieder (zurück-)erwerben möchte, zumindest den erhaltenen Kaufpreis an die Beklagte (zurück-)zahlen müsste, trägt er auch den während der Mietzeit eingetretenen Wertverlust des Fahrzeugs.

(vgl. Pressemitteilung Nr. 166/2022 des Bundesgerichtshofs 16.11.2022; Urteile vom 16. November 2022 – VIII ZR 221/21, VIII ZR 288/21, VIII ZR 290/21 und VIII ZR 436/21)

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

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Meldet sich eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber für 2 Tage krank und nimmt an einer „Wild Night Ibiza Party“ teil, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Eine fristlose Kündigung kann dann gerechtfertigt sein.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2017 als Pflegeassistentin beschäftigt. Sie war für Samstag, den 02.07.2022, und Sonntag, den 03.07.2022, zum Spätdienst eingeteilt. Für die Dienste meldete sie sich bei der Beklagten krank. In dieser Nacht fand im sog. Schaukelkeller in Hennef die White Night Ibiza Party statt, auf der Fotos von der feiernden Klägerin entstanden. Diese fanden sich beim WhatsApp-Status der Klägerin und auf der Homepage des Partyveranstalters. Die Beklagte kündigte ihr daraufhin fristlos. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage.
Mit Urteil vom 16.12.2022 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund liege darin, dass die Klägerin über ihre Erkrankung getäuscht und damit das Vertrauen in ihre Redlichkeit zerstört habe. Für die Kammer stand aufgrund der Fotos fest, dass sie am Tage ihrer angeblich bestehenden Arbeitsunfähigkeit bester Laune und ersichtlich bei bester Gesundheit an der White Night Ibiza Party teilgenommen habe, während sie sich für die Dienste am 02.07. und 03.07.2022 gegenüber der Beklagten arbeitsunfähig meldete. Der Beweiswert der AU-Bescheinigung sei damit erschüttert. Die Erklärung der Klägerin sie habe an einer 2-tägigen psychischen Erkrankung gelitten, die vom Arzt nachträglich festgestellt worden sei, glaubte das Gericht der Klägerin nicht. Die Kammer ging davon aus, dass die Klägerin die Neigung habe, die Unwahrheit zu sagen. Dies ergebe sich bereits aus ihren Einlassungen im Verfahren. So habe sie eingeräumt, dass sie dem Arbeitgeber gegenüber am 05.07.2022 mitgeteilt hat, sich wegen Grippesymptomen unwohl und fiebrig gefühlt zu haben. Im Verfahren habe sie dann eine 2-tägige psychische Erkrankung vorgetragen, die nach genau einem Wochenende ohne weitere therapeutische Maßnahmen ausgeheilt gewesen sei. Dies sei schlicht unglaubhaft.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Arbeitsgericht Siegburg – Aktenzeichen 5 Ca 1200/22 vom 16.12.2022; Pressemitteilung vom 10.01.2023
Die Entscheidung kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE www.nrwe.de unter Eingabe des Aktenzeichens (5 Ca 1200/22) aufgerufen werden.
Dr. Dorothea Roebers
Pressedezernentin des Arbeitsgerichts Siegburg

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VonRA Moegelin

Rechtsweg bei Kündigung des Geschäftsführers

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Bei einem Haupt- und einem Hilfsantrag bestimmt sich die Zulässigkeit des Rechtsweg zunächst nur nach dem Hauptantrag. Fällt der Hilfsantrag zur Entscheidung an, hat das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, – sofern dafür Anlass besteht – vorab über die Zulässigkeit des Rechtwegs für den Hilfsantrag zu entscheiden. Bei einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung ist der gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klageantrag regelmäßig als auflösend bedingter uneigentlicher Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem gegen die außerordentliche fristlose Kündigung gerichteten Klageantrag zu verstehen. Entsprechendes gilt bei mehreren zu unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten ausgesprochenen Kündigungen für die gegen die späteren Kündigungen gerichteten Klageanträge und/oder einen sogenannten Schleppnetzantrag sowie einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.
Für die Frage, ob es sich bei einem Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses um einen Hauptantrag oder einen Hilfsantrag handelt, kommt es darauf an, ob die klagende Partei das Zwischenzeugnis entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 4. November 2015 – 7 AZR 933/13 – Rn. 39) unabhängig von ihrem Obsiegen oder Unterliegen mit den Bestandsschutzanträgen vor den Instanzgerichten begehrt. Wendet sich ein von seinem Amt abberufener Geschäftsführer gegen eine außerordentliche fristlose Kündigung, ist ein sogenannter sic-non-Fall nur dann gegeben, wenn Streitgegenstand des Klageantrages zugleich die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist. Darauf, ob die klagende Partei das Vertragsverhältnis lediglich als Arbeitsverhältnis rechtlich bewertet wissen will, kommt es nicht an. Der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses bei Vorliegen eines triftigen Grundes wie der Kündigung eines Anstellungsverhältnisses beruht auf § 241 Absatz 2 BGB. Da diese Vorschrift auch auf freie Dienstverhältnisse Anwendung findet, hängt der Erfolg einer Klage auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses nicht davon ab, ob die klagende Partei Arbeitnehmer*in ist. (Leitsatz)

Volltext des Beschlusses des LAG Berlin-Brandenburg vom 28.12.2022 – 21 Ta 917/22:

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. Juli 2022 – 7 Ca 3389/22 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Randnummer1

I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen und in der Hauptsache über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigungen, die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers als Geschäftsführer sowie die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, hilfsweise Endzeugnisses.

Randnummer2

Der Kläger verfügt über ein abgeschlossenes Studium als Diplom Betriebswirt und wurde von der A GmbH, einer Schwestergesellschaft der Beklagten, auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 21. Mai 2015 (Blatt 7 ff. (fortfolgende) der Akten) mit Wirkung ab 15. Juni 2015 als Assistent der Geschäftsführung eingestellt. Unter dem 1. April 2019 schloss er mit der alleinigen Gesellschafterin der Beklagten, der A Holding GmbH, vertreten durch deren geschäftsführenden Gesellschafter Herrn B, der zugleich Geschäftsführer der Beklagten ist, einen Geschäftsführervertrag und wurde neben Herrn B zum weiteren Geschäftsführer der Beklagten berufen. Als solcher war der Kläger vornehmlich am Produktionsstandort der Beklagten in C/Spreewald tätig.

Randnummer3

Im Geschäftsführervertrag ist eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende sowie ein Jahresurlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen vereinbart. Ferner enthält § 5 Absatz 2 des Vertrages zum Urlaub folgende Regelungen:

Randnummer4

„(2) Wann der Urlaub in Anspruch genommen wird, bleibt dem Geschäftsführer überlassen. Er hat jedoch die Belange der Gesellschaft zu berücksichtigen.“

Randnummer5

Wegen des weiteren Inhalts des Geschäftsführervertrages nebst mehrerer Nachträge wird auf deren Ablichtungen (Blatt 14 ff. der Akte) verwiesen.

Randnummer6

Die Beklagte produziert in C Reinigungsmittel und weitere Chemieprodukte nach Kundenbestellung. In der Regel werden die bestellten Waren spätestens innerhalb von sieben Tagen an die Kunden ausgeliefert. In der Zeit von 2018 bis Anfang 2021 waren bei der Beklagten vier verschiedene Produktionsleiter zwischen zwei und fünf Monaten beschäftigt. Einen Betriebsrat gibt es nicht.

Randnummer7

Als Geschäftsführer der Beklagten oblagen dem Kläger im Wesentlichen folgende Aufgaben:

Randnummer8

– Verhandlungen mit den wichtigsten Kunden und Lieferanten,

Randnummer9

– Absprachen und Wahrnehmung von Terminen mit der Stadt C,

Randnummer10

– Vertretung des Unternehmens nach außen bei Terminen und Veranstaltungen,

Randnummer11

– Vertretung des Unternehmens vor Gericht,

Randnummer12

– strategische Ausrichtung und Rolle des Unternehmens in der Coronakrise und Entwicklung des Unternehmens hin zum Desinfektionsmittelhersteller nach WHO-Vorgaben,

Randnummer13

– strategische Planung des Geländes in C sowie Planung, Aufbau und Leitung des abgeschlossenen Bauvorhabens des AdBlue Werkes mit einem Investitionsvolumen von 25 Millionen Euro,

Randnummer14

– Termine mit Lieferanten, Zulieferern, Maschinenherstellern und Kunden,

Randnummer15

– Vorgaben für den Vertrieb und Umsetzung von Projekten des Vertriebs.

Randnummer16

Am 15. März 2022 wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen. Mit Schreiben von 21. März 2022 sowie erneut mit Schreiben vom 14. April 2022 kündigte die A Holding GmbH für die Beklagte das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Zeitgleich kündigte die A GmbH das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger als Assistent der Geschäftsführung mit Schreiben vom 21. März 2022 und erneut mit Schreiben vom 14. April 2022 ebenfalls fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Randnummer17

Mit der am 8. April 2022 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen und am 5. Mai 2022 erweiterten Klage macht der Kläger geltend, die Kündigungen seines Anstellungsverhältnisses mit der Beklagten seien unwirksam. Sie seien nicht sozial gerechtfertigt. Es seien weder betriebsbedingte noch personen- oder verhaltensbedingte Gründe gegeben. Zudem werde die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats bestritten. Der Kläger hat zusammengefasst folgende Anträge angekündigt:

Randnummer18

1. festzustellen, dass die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 unwirksam ist und das zwischen den Parteien bestehende Anstellungsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom gleichen Tag beendet wird;

Randnummer19

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Anstellungsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 21. März 2022 hinaus fortbesteht;

Randnummer20

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Leistung und Verhalten im Anstellungsverhältnis erstreckt;

Randnummer21

4. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Geschäftsführer zu beschäftigten;

Randnummer22

5. für den Fall, dass den Anträgen zu 1. und 2. nicht stattgegeben wird, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt;

Randnummer23

6. festzustellen, dass auch die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. April 2022 unwirksam ist und das zwischen den Parteien bestehende Anstellungsverhältnis nicht beendet hat.

Randnummer24

Die Kündigungen des Arbeitsverhältnisses mit der A GmbH sind Gegenstand eines weiteren beim Arbeitsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen 20 Ca 3350/22 anhängigen Rechtsstreits.

Randnummer25

Der Kläger hat die Ausfassung vertreten, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei im vorliegenden Verfahren eröffnet. Die Fiktionswirkung des § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG greife infolge seiner Abberufung als Geschäftsführer nicht mehr ein. Im Übrigen handele es sich um einen sogenannten sic-non-Fall, weshalb für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte die bloße Rechtsbehauptung, Arbeitnehmer zu sein, ausreichend sei. Er habe Kündigungsschutzklage erhoben, mache mit den Feststellungsanträgen den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses geltend und begehre seine vorläufige Weiterbeschäftigung in diesem Arbeitsverhältnis. Daher könne die Klage nur Erfolg haben, wenn er sich in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten befinde. Gleiches gelte für das beanspruchte qualifizierte Zwischen- bzw. (beziehungsweise) Endzeugnis. Außerdem sei er neben seiner Geschäftsführertätigkeit auch noch als Produktionsleiter für die Beklagte tätig gewesen, wobei fraglich sei, ob eine solche Verpflichtung aufgrund eines Dienstverhältnisses bestehen könne.

Randnummer26

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei nicht gegeben und die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Berlin beantragt. Auch wenn nach der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer die Fiktionswirkung des § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr greife, gelte ein Geschäftsführer grundsätzlich nicht als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person. Es sei auch kein sic-non-Fall gegeben. Als Produktionsleiter sei der Kläger zu keiner Zeit tätig gewesen. Dafür fehle es ihm schon an der erforderlichen Qualifikation. Lediglich, wenn die Stelle des Produktionsleiters nicht besetzt gewesen sei, sei er neben anderen Mitarbeitern vorrübergehend mit der Produktionsplanung betraut gewesen.

Randnummer27

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Randnummer28

Mit Beschluss vom 20. Juli 2022 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, unabhängig davon, dass seit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer die Fiktion des § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr eingreife, fehle dem Kläger als ehemaligem Geschäftsführer die Arbeitnehmereigenschaft. Das der Geschäftsführertätigkeit zugrundliegende Rechtsverhältnis bleibe auch nach der Abberufung ein Dienstverhältnis und werde nicht zum Arbeitsverhältnis. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der unsubstantiierten und vom Beklagte bestrittenen Behauptung, der Kläger sei neben seiner Geschäftsführertätigkeit als Produktionsleiter tätig gewesen. Der Kläger habe schon nicht erläutert, auf welcher Grundlage er als Produktionsleiter tätig gewesen sei wolle. Ein sic-non-Fall sei ebenfalls nicht gegeben. Zwar verbinde der Kläger mit den Klageanträgen die Rechtsbehauptung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses. Dies allein genüge jedoch nicht, da vorliegend nicht nur die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers zwischen den Parteien streitig sei. Es sei ein hinreichend substantiierter und für die Gegenpartei erwiderungsfähiger Sachvortrag erforderlich, weshalb das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen sei. Daran fehle es vorliegend. Der Kläger sei auch nicht als arbeitnehmerähnliche Person, sondern als arbeitgebergleiche Person anzusehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses des Arbeitsgerichts (Blatt 76 ff. der Akte) verwiesen.

Randnummer29

Gegen diesen dem Kläger am 15. August 2022 zugestellten Beschluss hat er mit am 25. August 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Er bleibt dabei, dass er neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer als Produktionsleiter tätig gewesen sei. Er sei für die Beklagte bereits seit Juni 2015 als Produktionsleiter tätig. Aufgrund seines Studiums und der weiteren Kenntnisse und Fähigkeiten, die er sich mit Hilfe der Schichtleiter bei der Beklagten erarbeitet habe, verfüge er auch über die für die Position erforderliche Qualifikation. Im Juni 2016 sei er dann zusätzlich mit der Betriebsleitung betraut und im April 2019 schließlich in die Geschäftsführung berufen worden. Bei der Tätigkeit als Produktionsleiter habe es sich nach dem Inhalt, dem Umfang und der Art der Tätigkeit um ein Arbeitsverhältnis gehandelt. Hilfsweise beruft sich der Kläger weiterhin darauf, dass es sich um einen sic-non-Fall handele und daher weitergehender (schlüssiger) Vortrag zur Arbeitnehmereigenschaft nicht erforderlich sei.

Randnummer30

Als Produktionsleiter habe er mit einer ganzen Reihe von Mitarbeitern aus verschiedenen Bereichen und besonders eng mit den jeweiligen Labor- und Schichtleitern zusammengearbeitet. Seine Hauptaufgabe habe in der tagesaktuellen Produktionsplanung bestanden. Außerdem habe er sich um Probleme bei der Produktion gekümmert und bei Unregelmäßigkeit die erforderlichen Qualitätskontrollen durchgeführt. Ferner habe er sämtliche Kunden und Lieferanten in C empfangen, den Schichtplan für die Produktion erstellt und die Organisation der Leiharbeitnehmer übernommen, mehrfach täglich Rundgänge auf dem Gelände durchgeführt und die Abstimmung mit den Bereichen Vertrieb und Auftragserfassung vorgenommen.

Randnummer31

Die Tätigkeit habe mehr als 50 % seines Tagesgeschäfts und während der Hochsaison im Winter nicht selten 70 % ausgemacht. Dabei sei es nicht unüblich gewesen, dass er morgens ab 5.30 Uhr vor Ort gewesen sei und das Gelände abends erst gegen 19.00 Uhr verlassen habe. Regelmäßig sei er mindestens elf Stunden pro Arbeitstag vor Ort anwesend gewesen. Anders als in seiner Rolle als Geschäftsführer sei er als Produktionsleiter weisungsgebunden gewesen. Die Weisungen seien direkt von Herrn B gekommen. Oberste Maxime sei die pünktliche Auslieferung gewesen. Auch die Weisung, morgens ab etwa 6.00 Uhr vor Ort anwesend zu sein und die Vorgabe, die Produktionsplanung tagesaktuell und flexibel zu gestalten, seien direkt von Herrn B gekommen. Dieser sei während der gesamten Zeit sein direkter Vorgesetzter gewesen. Aussagen wie „die Arbeit muss getan werden, wenn sie getan werden muss“ oder „Sie müssen als Vorbild vorangehen und sollten der erste und letzte auf dem Gelände sein“ seien vollkommen normal gewesen. Arbeitszeiten und Urlaub habe es für Herrn B nicht gegeben. Er habe Herrn B täglich über Probleme, abgeschlossene Aufträge, Maschinenstillstände und insbesondere die Produktivität der Anlagen informiert und alles mit ihm abgesprochen. Erst, wenn Herr B mit dem Ablauf zufrieden gewesen sei, habe er ihn machen lassen. Selbst Absprachen am Sonntag im Büro in Berlin und Telefonkonferenzen an den Weihnachtsfeiertagen seien vollkommen normal gewesen.

Randnummer32

Die Beklagte bleibt ihrerseits dabei, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt, weder vor noch während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer gezielt als Produktionsleiter eingesetzt worden sei. Er habe lediglich und auch nur dann, wenn die Stelle des Produktionsleiters vakant gewesen sei, die Produktionsplanung in Zusammenarbeit mit der Personaleinsatzplanung übernommen. Die Suche nach einem geeigneten Produktionsleiter habe ich als äußerst kompliziert und langwierig herausgestellt. Das habe im Wesentlichen am Kläger gelegen. Er habe viele Bewerber bereits im Bewerbungsgespräch abgewiesen oder sie nach dem Beginn der Tätigkeit als unfähig hingestellt bzw. auf andere Weise vertrieben. Der Anteil des Klägers an den Planungen habe etwa 40 % betragen. Der tägliche Zeitaufwand für die Produktions- und Produktionseinsatzplanung belaufe sich abhängig von der Saison auf ein bis drei Stunden arbeitstäglich, so dass der Kläger neben der Produktionsplanung auch noch seine Aufgaben als Geschäftsführer habe erfüllen können. Zudem mache die Übernahme der Produktionsplanung den Kläger noch nicht zum Produktionsleiter, da die Tätigkeit eines Produktionsleiters weit umfangreichere Aufgaben umfasse, für die Kläger nicht qualifiziert sei. Die weiteren vom Kläger angeführten Tätigkeiten gehörten zu dessen Aufgaben als Geschäftsführer wie der Empfang von Kunden und die Personalausstattung der Produktion oder seien so nicht zutreffend.

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Richtig sei, dass der Kläger eine erhebliche Arbeitsbelastung auf sich genommen habe. Dies habe jedoch auf seinem eigenen Wunsch beruht und sei nicht von ihm verlangt worden. Vielmehr habe sie, die Beklagte, dies durchaus kritisch gesehen. Es habe auch keine Weisung gegeben, bereits um 6.00 Uhr morgens vor Ort zu sein. Im Gegenteil habe Herr B den Kläger mehrfach darauf angesprochen, dass es völlig ausreichend sei, wenn er gegen 7.30 Uhr zur normalen Bürozeit anwesend sei. Die vom Kläger zitierten Aussagen seien aus dem Kontext gerissen und sinnentstellt. Sie hätten sich auch nicht an den Kläger als Produktionsleiter sondern als Geschäftsführer gerichtet und auf Zeiten außerordentlicher Probleme bezogen. Ebenso wenig habe Herr B verlangt, dass der Kläger keinen Urlaub nehme. Er habe lediglich während der Hochsaison im Herbst und Winter keinen Urlaub einplanen sollen. Der Kläger habe auch mehrfach Urlaub genommen. Bei dem täglichen Austausch mit Herrn B habe es sich um den üblichen Informationsaustausch und die üblichen Abstimmungen zwischen zwei Geschäftsführern gehandelt. Gleiches gelte für die Gespräche sonntags in Berlin oder die Telefonate an Weihnachten. Zudem hätten diese häufig auf Wunsch des Klägers verbunden mit einem gemeinsamen Mittagessen stattgefunden, um ein persönlichen Verhältnis aufzubauen. Als Geschäftsführer habe der Kläger über eine uneingeschränkte Bankvollmacht verfügt und Zahlungen über ein jährliches Gesamtvolumen zwischen 50 und 70 Millionen Euro freigegeben.

Randnummer34

Mit Beschluss vom 22. November 2022 hat das Arbeitsgericht, nachdem ihm das Landesarbeitsgericht die sofortige Beschwerde zugeleitet hatte, der Beschwerde nicht abgeholfen, da der Kläger weder behauptet habe, dass es sich bei dem Rechtsverhältnis als Geschäftsführer um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe, noch behauptet habe, es gebe eine weitere neben dem Geschäftsführervertrag bestehende Vertragsbeziehung zu der Beklagten. Sollte der Kläger tatsächlich die Funktion eines Produktionsleiters ausgeübt haben, habe er dies im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer getan. Als Geschäftsführer könne er kraft seiner Organisationgewalt jede Tätigkeit an sich ziehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses (Blatt 108 f. (folgende) der Akte) verwiesen.

Randnummer35

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts gegeben. Ergänzend trägt der Kläger vor, er habe auch alle anderen von der Beklagten aufgelisteten Aufgaben eines Produktionsleiters wie zum Beispiel die Optimierung der Produktivität wahrgenommen. Die jeweils nur für kurze Zeit beschäftigten Produktionsleiter seien alle von ihm eingearbeitet worden, aber mangels ausreichender Arbeitserfahrung nicht in der Lage gewesen, die Funktion der Produktionsleitung allein auszuüben. Die Entscheidung, die Arbeitsverhältnisse noch vor Ablauf der Probezeit wieder zu beenden, habe Herr B getroffen. Was den Urlaub betreffe, habe Herr B immer wieder betont, er selbst habe seinen ersten Urlaub erst mit über Jahren 50 genommen, daran solle sich der Kläger orientieren. Er habe deshalb seit 2015 auch keinen einzigen Urlaubsantrag eingereicht. Zwischen ihm und Herrn B habe ein klares Über- und Unterordnungsverhältnis bestanden. Er habe ohne dessen schriftliche oder telefonische Zustimmung auch keine Zahlungen freigeben dürfen. Nach der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses als Geschäftsführer handele es sich um ein Arbeitsverhältnis.

Randnummer36

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 25. August 2022 (Blatt 85 – 94 der Akte) und 18. November 2022 (Blatt 113 – 123 der Akte) sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 4. Oktober 2022 (Blatt 99 – 104 der Akte) und 19. Dezember 2022 (Blatt 127 – 131 der Akte verwiesen.

Randnummer37

II. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Randnummer38

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 17a Absatz 4 Satz 3 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz in Verbindung mit § 48 Absatz 1, § 78 Satz 1 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz), § 567 Absatz 1 Nr. 1 ZPO (Zivilprozessordnung) statthaft sowie frist- und formgerecht im Sinne von § 78 Satz 1 ArbGG, § 569 Absatz 1 und 2 ZPO eingelegt worden.

Randnummer39

2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Ergebnis zu Recht an das Landgericht verwiesen und der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht eröffnet.

Randnummer40

a) Zu entscheiden ist zunächst nur darüber, ob der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für den gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 gerichtete Hauptantrag (1. und 2. Teil des Klageantrages zu 1.) sowie für den Hauptantrag auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses (Klageantrag zu 3.) gegeben ist. Über die Rechtswegzuständigkeit für die übrigen Klageanträge ist, da es sich, auch soweit der Kläger diese nicht ausdrücklich als solche bezeichnet hat, um Hilfsanträge handelt, erst und nur dann zu befinden, wenn sie zur Entscheidung anfallen.

Randnummer41

aa) Solange der Hauptantrag rechtshängig ist, bestimmt sich die Zulässigkeit des Rechtswegs, da ein Hilfsantrag nicht abtrennbar ist, allein nach dem Hauptantrag. Kommt es zur Entscheidung über den Hilfsantrag, hat das für den Hauptantrag zuständige Gericht, sofern dafür nach § 17a Absatz 3 GVG Anlass besteht, vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweg für den Hilfsantrag zu entscheiden. Ein vorhergehender Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs für den Hauptantrag entfaltet insoweit keine Bindungswirkung (vergleiche BAG (Bundesarbeitsgericht) 1. März 2022 – 9 AZB 25/21 – Rn. (Randnummer) 23).

Randnummer42

bb) Soweit sich die Klageanträge gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 (3. Teil des Klageantrages zu 1.) und die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. April 2022 (Klageantrag zu 6.) richtet, der Kläger den Fortbestand des Anstellungsverhältnisses über den 21. März 2022 hinaus geltend macht (Klageantrag zu 2.) und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Geschäftsführer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits (Klageantrag zu 4.) sowie für den Fall des Unterliegendes mit dem Klageanträgen zu 1. und 2. die Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses (Klageantrag zu 5.) begehrt, handelt es sich um Hilfsanträge, auch wenn dies überwiegend der Formulierung der Anträge nicht unmittelbar zu entnehmen ist. Das ergibt sich aus der Auslegung der Anträge.

Randnummer43

(1) Nach der ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten für die Auslegung von Klageanträgen die für Willenserklärungen maßgeblichen Auslegungsregeln (§§ 113, 157 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)). Für das Verständnis eines Klageantrages ist deshalb nicht am buchstäblichen Wortlaut zu haften, sondern der im Antrag verkörperte Wille zu ermitteln, wie er sich aus der Klagebegründung, dem Prozessziel, und der Interessenlage ergibt. Im Zweifel ist das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage der klagenden Partei entspricht (vergleiche beispielsweise BAG 17. Dezember 2015 – 2 AZR 304/15 – Rn. 14 mwN (mit weiteren Nachweisen)).

Randnummer44

(2) Danach sind sämtliche oben unter bb) aufgeführte Anträgen als von der Entscheidung über die Hauptanträge abhängige unechte bzw. echte Hilfsanträge (zu der Unterscheidung BeckOK (Beck´scher Online-Kommentar) ZPO/Bacher, Stand: 1. September 2022 § 260 Rn. 5) zu verstehen.

Randnummer45

(a) Der gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 gerichtete dritte Teil des Klageantrages zu 1., der gegen die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. April 2022 gerichtete Klageantrag zu 6. und der allgemein auf den Fortbestand des Anstellungsverhältnisses gerichtete Klageantrag zu 2. sind als unechte Hilfsanträge zu dem gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 gerichteten ersten und zweiten Teil des Klageantrages zu 1. zu verstehen. Sie sind nur für den Fall des Obsiegens mit dem ersten und zweiten Teil des Klageantrages zu 1. angekündigt und stehen unter der auflösenden Bedingung, dass sie nicht zur Entscheidung anfallen, wenn das Vertragsverhältnis der Parteien nach Auffassung des Gerichts bereits durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 beendet worden sein sollte (vergleiche dazu BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12 – Rn. 17). Es handelt sich um eine nach § 260 ZPO zulässige unter einer innerprozessualen Bedingung stehende Eventualklagehäufung (vergleiche BAG 17. Dezember 2015 – 2 AZR 304/15 – Rn. 22 mwN).

Randnummer46

Das entspricht dem Prozessziel des Klägers und seiner richtig verstandenen Interessenlage. Der Kläger will sich gegen die weiteren Kündigungen und etwaige noch unbekannte Beendigungstatbestände nur zur Wehr setzen, wenn das Vertragsverhältnis der Parteien, das der Kläger als Arbeitsverhältnis verstanden wissen will, nicht schon durch die fristlose Kündigung vom 21. März 2022 beendet worden ist.

Randnummer47

(aa) Bei mehreren zu unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten erklärten Kündigungen eines Arbeitsverhältnisses entspricht eine solche auflösend bedingte Antragstellung regelmäßig dem Kosteninteresse der sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Wehr setzenden klagenden Partei (vergleiche BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12 – Rn. 19). Einerseits will sie an dem Arbeitsverhältnis festhalten – wie vorliegend auch der Kläger an dem Vertragsverhältnis mit der Beklagten – und muss deshalb sämtliche Kündigungen innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich angreifen, um nicht zu riskieren, dass die Fiktion des § 7 KSchG eingreift. Andererseits bedarf es der weiteren Anträge nicht, wenn die weiteren Kündigungen nicht zum Tragen kommen, weil das Arbeitsverhältnis bereits durch die frühere Kündigung aufgelöst worden ist (vergleiche BAG 17. Dezember 2015 – 2 AZR 304/15 – Rn. 19). Außerdem trägt eine solche Antragstellung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Rechnung, nach der einem gegen eine bestimmte Kündigung gerichteten Kündigungsschutzantrag nur stattgegeben werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis nicht vor oder zeitgleich mit dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung ausgesprochen worden, aus anderen Gründen geendet hat (vergleiche zum sogenannten erweiterten punktuellen Streitgegenstand eines Kündigungsschutzantrags BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 67/18 – Rn. 20 mwN).

Randnummer48

(bb) Weiter ist zu berücksichtigen, dass auch die Beklagte die ordentliche fristgemäße Kündigung vom 21. März 2021 nur hilfsweise und damit vorsorglich für den Fall erklärt hat, dass das Vertragsverhältnis der Parteien nicht bereits durch die fristlose Kündigung vom selben Tag beendet worden ist. Die Kündigungserklärung steht damit unter der zulässigen auflösenden Rechtsbedingung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 21. März 2021 (zur Zulässigkeit einer unter einer auslösenden Rechtsbedingung stehenden Kündigung BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – Rn. 12 mwN). Tritt die Bedingung ein, liegt schon keine Kündigungserklärung mehr vor. Ein gleichwohl aufrechterhaltener Kündigungsschutzantrag ginge in Leere und wäre unbegründet (vergleiche BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12 – Rn. 20). Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich der Kläger auch nur vorsorglich gegen die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zur Wehr setzen will. Entsprechendes gilt für die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14. April 2022. Zwar hat die Beklagte die fristlose Kündigung vom 14. April 2022 nicht ausdrücklich als vorsorgliche Kündigung bezeichnet. Ausgehend von ihrer, für den Kläger erkennbaren Interessenlage kann das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 14. April 2022 jedoch nur so verstanden werden, dass auch die nicht ausdrücklich unter eine auflösende Bedingung gestellte fristlose Kündigung vom 14. April 2022 nur für den Fall erklärt ist, dass das Vertragsverhältnis nicht bereits aufgrund der fristlosen Kündigung vom 21. März 2022 geendet hat.

Randnummer49

(cc) Bei dem allgemein auf den Fortbestand des Anstellungsverhältnisses gerichteten Klageantrag zu 2. handelt es sich – ausgehend von seiner Formulierung – um einen sogenannten Schleppnetzantrag, dessen Zweck darin besteht, etwaigen weiteren denkbaren und künftigen Beendigungstatbeständen vorzubeugen und diese gewissermaßen auf Vorrat „im Vorhinein prozessual mit aufzugreifen“, auch wenn die Prozessvoraussetzungen für eine zulässige Klage erst im Prozessverlauf „im engeren Sinne vorliegen mögen“ (BAG 16. Dezember 2021 – 6 AZR 154/21 – Rn. 14 mwN). Daher ist grundsätzlich davon auszugehen, dass von dem Antrag nur Beendigungstatbestände erfasst werden, die nicht schon Gegenstand der übrigen Anträge sind, und der Antrag ebenfalls unter der auflösenden Bedingung steht, dass das Vertragsverhältnis der Parteien nicht bereits durch einen ausdrücklich angegriffenen und früher eingetretenen Beendigungstatbestand beendet worden ist.

Randnummer50

(b) Entsprechendes gilt für den auf vorläufige die Weiterbeschäftigung als Geschäftsführer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits gerichteten Klageantrag zu 4., mit dem sich der Kläger auf die Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 -, NZA (Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht) 1985, 702) bezieht. Ein Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsschutzverfahrens ist regelmäßig als unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag anzusehen (BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 6/21 – Rn. 45 mwN). Für ein abweichendes Verständnis besteht vorliegend kein Anlass.

Randnummer51

(c) Bei dem Antrag auf Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses (Klageantrag zu 5.) handelt es sich um einen echten Hilfsantrag zu den Bestandsschutzanträgen. Der Antrag ist erkennbar – auch wenn als vorrangig ausdrücklich nur die Klageanträge zu 1. und 2. benannt sind – für den Fall des Unterliegens mit den Klageanträgen zu 1., 2. und 6. angekündigt. Ausweislich der Klagebegründung begehrt der Kläger im Fall der Abweisung der Bestandsschutzantrags zusätzlich zu einem Zwischenzeugnis (zum Anspruch auf ein Zwischenzeugnis während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens BAG 4. November 2015 – 7 AZR 933/13 – Rn. 39) ein Endzeugnis, um sicherzustellen, dass er für den Fall der rechtskräftigen Abweisung der Klage einen Anspruch auf ein rückdatiertes Endzeugnis hat (vergleiche BAG 7. Mai 2020 – 2 AZR 692/19 – Rn. 63 zu einem Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses als unechten Hilfsantrag.)

Randnummer52

b) Für die Hauptanträge, den gegen die fristlose Kündigung vom 21. März 2022 gerichteten ersten und zweiten Teil des Klageantrages zu 1. und den Antrag auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses (Klageantrag zu 3.) ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet. Es handelt sich nicht um eine Streitigkeit zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 3 Buchstabe a und b ArbGG.

Randnummer53

aa) Nach § 2 Absatz 1 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ArbGG die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses.

Randnummer54

(1) Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.

Randnummer55

(a) Nach § 5 Absatz 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer*innen Arbeiter*innen und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Ferner gelten nach § 5 Absatz 1 Satz 2 ArbGG als Arbeitnehmer*innen die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten sowie sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Nicht als Arbeitnehmer*innen gelten nach § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG Personen, die in Betrieben einer juristischen Person kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrag allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person berufen sind.

Randnummer56

(b) Auszugehen ist dabei vom allgemeinen nationalen und nicht etwa vom unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff. Denn die Frage des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen und der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der nationalen Gerichte fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts (dazu BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 16 mwN).

Randnummer57

(2) Die Darlegungslast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen liegt bei der klagenden Partei. Sie hat diese schlüssig vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG 3. November 2020 9 AZB 47/20 Rn. 15 ff.; BGH 21. Oktober 2015 – VII ZB 8/15 – Rn. 25). Etwas anderes gilt nur in den sogenannten sic-non-Fällen, in denen die Arbeitnehmereigenschaft der klagenden Partei nicht nur Bedeutung für die Zulässigkeit des Rechtwegs, sondern auch für die Sachentscheidung hat (doppelrelevante Tatsache). Es handelt sich um Fälle, in denen die Klage nur Erfolg haben kann, wenn die klagende Partei Arbeitnehmer*in ist. In diesem Fall genügt bei streitiger Tatsachengrundlage für die Begründung des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen die bloße Rechtsansicht der klagenden Partei, sie sei Arbeitnehmer*in, es sei denn, die Fiktion des § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG greift ein (vergleiche BAG 3. November 2020 – 9 AZB 47/20 – Rn. 13 mwN).

Randnummer58

bb) Danach ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet. Der Kläger ist nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes anzusehen.

Randnummer59

(1) Mit den Parteien und dem Arbeitsgericht ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht schon nach § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG ausgeschlossen. Der Kläger wurde von der Beklagten am 15. März 2022 als Geschäftsführer abberufen. Damit entfaltet die Fiktion des § 5 Absatz 1 Satz 3 ArbGG keine Wirkung mehr. Es gelten für die Zulässigkeit des Rechtswegs stattdessen die allgemeinen Regeln (vergleiche zum Ganzen Schwab/Weth/Kliemt, ArbGG 6. Auflage § 5 Rn. 285a; ErfK (Erfurter Kommentar)/Koch, 23. Auflage, ArbGG § 5 Rn. 7).

Randnummer60

(2) Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei den Hauptanträgen nicht um einen sogenannten sic-non-Fall. Der Kläger kann mit der gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2021 gerichteten Klage (erster und zweiter Teil des Klageantrages zu 1.) sowie mit der Klage auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses (Klageantrag zu 3.) nicht nur Erfolg haben, wenn er Arbeitnehmer ist.

Randnummer61

(a) Die gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 gerichteten Teile des Klageantrages zu 1. betreffen keinen sic-non-Fall.

Randnummer62

(aa) Nach dem Wortlaut des Antrags greift der Kläger die fristlose Kündigung unabhängig davon an, ob das mit der Beklagten bestehende Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis oder freies Dienstverhältnis einzuordnen ist. Denn mit der Formulierung „festzustellen, dass die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. März 2022 unwirksam ist und das zwischen den Parteien bestehende Anstellungsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht beendet wird“ begehrt er nicht zugleich die Feststellung, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt. Vielmehr geht es allein darum, ob das mit der Beklagten bestehende Anstellungsverhältnis unabhängig von seiner Rechtsnatur durch die fristlose Kündigung beendet worden ist (vergleiche BAG 19. Dezember 2000 – 5 AZB 16/00 – unter II 3 a der Gründe, NZA 2001, 285 sowie BAG 17. Januar 2001 – 5 AZB 18/00 – unter II 2 c der Gründe, NZA 2001, 341 zum umgekehrten Fall, dass Streitgegenstand zugleich die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses ist).

Randnummer63

(bb) Etwas anderes ergibt auch nicht aus der Klagebegründung. In der Klagebegründung beruft sich der Kläger zwar auf das Kündigungsschutzgesetz und macht geltend, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt. Damit verhält sich die Begründung jedoch nur zu der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Denn die Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen der Kündigung richtet sich – abgesehen von der Wirksamkeitsfiktion des § 7 KSchG – nicht nach dem Kündigungsschutzgesetz, sondern nach § 626 BGB. Diese Norm ist jedoch – anders als das Kündigungsschutzgesetz – nicht nur auf Arbeitsverhältnisse im Sinne des § 611a BGB beschränkt, sondern gilt gerade auch für freie Dienstverhältnisses im Sinne des § 611 BGB. Damit hängt die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung nicht von der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers ab.

Randnummer64

(cc) Soweit der Kläger darüber hinaus die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten hat, geht dieser Angriff schon deshalb ins Leere, weil nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten kein Betriebsrat existiert. Abgesehen davon kann die gegen fristlose Kündigung vom 21. März 2022 gerichteten Klage nach § 626 BGB unabhängig davon Erfolg haben, ob der Kläger unter das Betriebsverfassungsgesetz fällt oder nicht. Für die Frage, ob ein sic-non-Fall gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob ein einzelner Unwirksamkeitsgrund neben weiteren Unwirksamkeitsgründen nur durchgreifen kann, wenn das streitgegenständliche Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist (vergleiche BAG 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 21).

Randnummer65

(dd) Unerheblich ist, dass Kläger der Auffassung ist, bei dem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis handele es sich um ein Arbeitsverhältnis, und vorgebracht hat, er mache mit den Feststellungsanträgen den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses geltend. Denn nach dem geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bestimmt sich der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens nach dem Klageantrag und dem ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt, dem Klagegrund (vergleiche BAG 1. März 2022 – 9 AZR 353/21 – Rn. 11). Darauf, wie die klagende Partei den Lebenssachverhalt rechtlich bewertet wissen will, kommt es dabei nicht an (vergleiche BAG 3. Juli 2019 – 10 AZR 498/17 – Rn. 26).

Randnummer66

(b) Der Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses betrifft ebenfalls keinen sic-non-Fall.

Randnummer67

(aa) Beim Ausscheiden aus einem Beschäftigungsverhältnis haben nicht nur Arbeitnehmer*innen, sondern auch Dienstnehmer*innen einen Anspruch auf ein einfaches Zeugnis und auf Verlangen auch auf ein qualifiziertes Zeugnis. Für Arbeitnehmer*innen folgt der Anspruch auf § 109 GewO und für Dienstnehmer*innen aus § 630 BGB. Der Anspruch steht auch Geschäftsführer*innen einer GmbH (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) zu. Dies gilt jedenfalls für Fremdgeschäftsführer wie dem Kläger (ErfK/Müller-Glöge, BGB § 630 BGB Rn. 2 mwN).

Randnummer68

(bb) Allerdings regelt weder § 109 GewO, noch § 630 BGB einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis. Dieser folgt vielmehr nach § 241 Absatz 2 BGB aus vertraglicher Nebenpflicht und ist bei Arbeitnehmer*innen bei Vorliegen eines triftigen Grundes wie der Kündigung des Vertragsverhältnisses allgemein anerkennt (BAG 4. November 2015 – 7 AZR 933/13 – Rn. 39). Die in § 241 Absatz 2 BGB geregelte Rücksichtnahmepflicht ist jedoch ebenfalls nicht auf Arbeitsverhältnisse beschränkt, sondern gilt in gleicher Weise auch für freie Dienstverhältnisse. Deshalb ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auch als Dienstnehmer einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis erfolgreich durchsetzen kann (siehe dazu zum Beispiel OLG (Oberlandesgericht) München 18. April 2012 – 7 U 3882/11 – unter II 1 der Gründe, GmbHR (Zeitschrift für Gesellschafts-, Unternehmens- und Steuerrecht) 2012, 852).

Randnummer69

(3) Dass es sich bei dem Anstellungsverhältnis als Geschäftsführer tatsächlich um ein Arbeitsverhältnis handelt, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt.

Randnummer70

(a) Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von einem freien Dienstverhältnis durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich die zur Dienstleistung verpflichtete Person befindet. Nach § 611a Absatz 1 BGB ist Arbeitnehmer*in, wer durch den Arbeitsvertrag im Dienste einer anderen Person zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (vergleiche BAG 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 23).

Randnummer71

(b) Geschäftsführer*innen einer GmbH werden für die Gesellschaft in aller Regel auf der Grundlage eines freien Dienstvertrags, nicht eines Arbeitsvertrags tätig. Ihr Dienstvertrag ist auf eine Geschäftsbesorgung durch Ausübung des Geschäftsführeramts gerichtet. Dies gilt unabhängig davon, ob (Fremd-) Geschäftsführer*innen starke Anteilseigner*innen oder weitere Geschäftsführer*innen neben sich haben, die die konkrete Geschäftstätigkeit bestimmend mitgestalten. Es kommt insoweit nicht entscheidend darauf an, welchen Gebrauch GmbH-Geschäftsführer*innen im Innenverhältnis nach § 37 Absatz 1 GmbHG (Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) von ihrer im Außenverhältnis wegen §§ 35, 37 Absatz 2 GmbHG unbeschränkten Vertretungsbefugnis machen dürfen. § 37 Absatz 1 GmbHG ist eine Norm zur Abgrenzung der Kompetenzen der Gesellschaftsorgane untereinander. Auch gegenüber Geschäftsführer*innen als freie Dienstnehmer*innen steht der Gesellschaft ein unternehmerisches Weisungsrecht zu. Berücksichtigt man dies, kann eine Weisungsgebundenheit von GmbH-Geschäftsführer*innen, die so stark ist, dass sie darüber hinaus auf einen Status der betroffenen GmbH-Geschäftsführer*innen als Arbeitnehmer*innen schließen lässt, allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ein Arbeitsverhältnis setzt voraus, dass die Gesellschaft eine – über ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht hinausgehende – Weisungsbefugnis auch bezüglich der Umstände hat, unter denen der oder die Geschäftsführer*in die Leistung zu erbringen hat, und die konkreten Modalitäten der Leistungserbringung durch arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen bestimmen kann (vergleiche BAG 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 24 sowie BAG 27. April 2021 – 2 AZR 540/20 – Rn. 20).

Randnummer72

(c) Vorliegend ist ein solcher Ausnahmefall nicht gegeben. Weder der zwischen den Parteien geschlossene Geschäftsführervertrag vom 1. April 2019 nebst der diversen Nachträge, noch die tatsächliche Vertragsdurchführung lassen den Schluss zu, der Kläger sei intern Weisungen der Beklagten unterlegen, die es rechtfertigten, das Anstellungsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren.

Randnummer73

(aa) Der Geschäftsführervertrag vom 1. April 2019 enthält keine Regelungen, die dafür sprechen, dass der Kläger einem über das gesellschaftsrechtliche Weisungsrecht nach § 37 Absatz 1 GmbHG hinausgehenden Weisungsrecht der Beklagten unterlegen war. Gegenteiliges wird auch vom Kläger nicht behauptet. Es handelt sich um einen typischen Geschäftsführer-Dienstvertrag, der in § 1 Absatz 2 und 3 die allgemeinen Aufgaben und Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers deklaratorisch wiederholt und im Absatz 4 regelt, für welche Geschäfte ab welcher Größenordnung der Kläger die Zustimmung des Gesellschafterversammlung im Sinne des § 37 Absatz 1 GmbHG bedarf. Darüber hinaus enthält der Vertrag keinerlei nähere Vorgaben hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit als Geschäftsführer. Dies gilt insbesondere auch für die Urlaubsregelungen in § 5 Absatz 2 des Vertrages. Denn anders als ein Arbeitnehmer musste der Kläger seien Urlaub nicht beantragen, sondern konnte diesen unter Berücksichtigung der Belange der Gesellschaft selbst festlegen.

Randnummer74

(bb) Dass der Vertrag tatsächlich anders gelebt worden war und der Kläger bei einem Teil der von ihm wahrgenommen Aufgaben einem umfassenden Weisungsrecht des weiteren Geschäftsführers der Beklagten Herrn B im Sinne eines arbeitsrechtlichen Unter- und Überordnungsverhältnisses unterlag, hat er nicht substantiiert dargelegt.

Randnummer75

(aaa) Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger bei der Beklagten je die Position eines Produktionsleiters inne hatte und ob der diese neben seine Tätigkeit als Geschäftsführer weiter ausgeübt hat, wie er behauptet, oder ob er lediglich vorrübergehend, während der Suche nach einem oder einer geeigneten Produktionsleiter*in zusammen mit anderen Mitarbeiter*innen die tagesaktuelle Produktionsplanung übernommen hat, wie die Beklagte behauptet. Denn selbst dann, wenn der Kläger neben seinen nicht im Streit stehenden Geschäftsführeraufgaben weiterhin die Funktion des Produktionsleiters wahrgenommen haben sollte, folgt daraus noch nicht, dass es sich bei dem Anstellungsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt. Denn es ist – abhängig von der Größe des Unternehmens und der Anzahl der bestellten Geschäftsführer*innen – keineswegs ungewöhnlich, wenn GmbH-Geschäftsführer*innen nicht nur kaufmännische Aufgaben wahrnehmen, sondern auch operativ tätig sind.

Randnummer76

(bbb) Soweit der Kläger behauptet hat, er habe als Produktionsleiter den Weisungen von Herrn Walter B als seinem direktem Vorgesetzen unterlegen, ist sein Vorbringen viel zu pauschal, als dass daraus irgendwelche Schlüsse im Hinblick auf ein Arbeitsverhältnis gezogen werden könnten. Gleiches gilt für die Behauptung, Herr B habe ihn angewiesen, morgens ab 6.00 Uhr vor Ort zu sein sowie die Produktion tagesaktuell und flexibel zu gestalten. So fehlt jeglicher Vortrag, wann, wie und in welchem Zusammenhang und mit welcher Regelmäßigkeit Herr B derartige Weisungen erteilt haben soll. Darüber hinaus geht aus dem Vortrag des Klägers auch nicht hervor, inwieweit es sich bei den Vorgaben für die Produktionsplanung um arbeitsrechtliche und nicht lediglich strategische und damit gesellschaftsrechtlichen Weisungen handelte.

Randnummer77

(ccc) Was die tägliche Information von Herrn B über aufgetretene Probleme, abgeschlossene Aufträge, Maschinenstillstände und insbesondere die Produktivität der Anlagen sowie die Absprachen mit ihm betrifft, wird schon nicht deutlich, von wem die Initiative hierfür ausging. Außerdem lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen, inwieweit sich darin typische arbeitsrechtliche Weisungen verwirklicht haben und dies nicht nur das Verhältnis von zwei unterschiedlich mächtigen Geschäftsführen widerspiegelt, von denen der eine zugleich Namensgeber und damit vermutlich auch maßgeblicher Anteilseigner ist. Gleiches gilt für Aussagen von Herrn B wie, der Kläger müsse als Vorbild vorangehen und sollte der erste und der letzte auf dem Gelände sein. An Urlaub sollte er erst denken, wenn er 50 Jahre alt sei. Ein arbeitsrechtlicher Weisungscharakter lässt sich diesen Aussagen nicht entnehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es Herrn B, wenn, dann lediglich darum ging, dem Kläger seine Vorstellungen von einem erfolgreichen Geschäftsführer bzw. Unternehmer zu vermitteln.

Randnummer78

(ddd) Soweit der Kläger behauptet hat, er habe keine Zahlungen ohne schriftliche oder telefonische Zustimmung von Herrn B freigeben dürfen, betrifft dies die Reichweite seiner Vertretungsbefugnis als Geschäftsführer und entspricht dem Leitbild des § 35 Absatz 2 GmbHG, sagt aber nichts über den Charakter des Vertragsverhältnisses aus.

Randnummer79

(d) Weiter ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht, dass sich das Anstellungsverhältnis nach der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt hätte. Ebenso wenig hat der Kläger behauptet, neben dem Anstellungsverhältnis habe außerdem noch ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten bestanden. Er hat lediglich argumentiert, da er neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer weiterhin als Produktionsleiter für die Beklagte tätig gewesen sei, sei das Anstellungsverhältnis als Geschäftsführer tatsächlich als Arbeitsverhältnis durchgeführt worden, und hat auch nur dieses Anstellungsverhältnis zum Gegenstand seiner Klage gemacht.

Randnummer80

(e) Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist der Kläger auch nicht als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen, sondern im Gegenteil aufgrund in seiner bisherigen Rechtsstellung als Geschäftsführer der Beklagten als arbeitgeberähnliche Person (vergleiche BAG 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 39).

Randnummer81

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Satz 1 ArbGG, § 97 Absatz 1 ZPO.

Randnummer82

IV. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand nach § 17a Absatz 4 Satz 5 GVG kein Anlass.

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