Jahresarchiv 13. November 2020

VonRA Moegelin

Änderungskündigung einer Pflegedienstleiterin

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In einem Alten- und Pflegeheim als vorgesetzte Pflegedienstleiterin ein Feuer unbeaufsichtigt und andere bettlägerige Mitbewohner im Stockwerk zurückzulassen ist angesichts weiterer Umstände (u.a. Wegtragen eines Bewohners) keine schwere Pflichtverletzung, die ohne Abmahnung zu einer Kündigung berechtigen würde. Eine Abmahnung war nicht entbehrlich, weil eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten gewesen wäre, wofür u.a. spricht, dass im vorhandenen Notfallplan Unklarheiten zu finden sind. (Leitsätze)

Volltext des Urteils des LAG München vom 13.04.2016 – 5 Sa 990/15:

Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 24. September 2015 – 8 Ca 997/15 – abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Änderungskündigung des Beklagten vom 21.04.2015 rechtsunwirksam ist.
II. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
1
Die Parteien streiten zuletzt noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung.
2
Die am 0.0.1957 geborene und gegenüber einem Sohn unterhaltspflichtige Klägerin war auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 22.06.2010 (Anlage A 1, Bl. 26/27 d. A.) seit dem 01.09.2010 beim Beklagten beschäftigt. Zunächst war sie als Heimleiterin im Altenheim M. in Sc. tätig und verdiente dabei monatlich 0,- € brutto.
3
Auf das Arbeitsverhältnis finden gemäß § 2 des Dienstvertrages die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen C.-Verbandes (AVR) Anwendung. Nach § 14 Abs. 2 lit. a AVR beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigungszeit bis zu fünf Jahren sechs Wochen zum Schluss des Kalendervierteljahres.
4
Mit Schreiben des Beklagten vom 06.12.2013 wurde die Klägerin als Pflegedienstleiterin in das He. nach R. abgeordnet. In dem Klageverfahren gegen diese Abordnung vor dem Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – (3 Ca 2097/13) wurde mit Beschluss vom 13.06.2014 das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs zwischen den Parteienfestgestellt. Danach erklärte sich die Klägerin mit der Abordnung einverstanden. Weiter bestand zwischen den Parteien Einigkeit darüber, dass die Besitzstandszulage in Höhe von 207,- € brutto für den Wechsel der Tätigkeit eine unwiderrufliche, nicht anrechenbare Besitzstandszulage ist. Auf Anlage A 2 (Bl. 28/29 d. A.) wird im Übrigen Bezug genommen. Im Hinblick auf die Tätigkeit der Klägerin als verantwortliche Pflegekraft (Pflegedienstleitung) im He. mit einer wöchentlichen 39-Stunden-Woche schlössen die Parteien am 16.05.2014 einen Nachtrag zum Dienstvertrag (Anlage A 3, Bl. 30 d. A.).
5
Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.
6
Am 23.03.2015 kam es im He. zu folgendem Vorfall: Gegen 10:30 Uhr wurde Feueralarm ausgelöst. Eine im 2. Obergeschoss im Aufenthaltsbereich der Bewohner auf einer Kommode befindliche LED-Kerze war in Brand geraten. Auf diesem Stockwerk befinden sich Zimmer von Heimbewohnern, die teilweise dement und/oder häufig gebrechlich sind. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin zusammen mit der Mitarbeiterin Frau Wi. und der Auszubildenden Frau G. im Wohnbereichsbüro im 2. Obergeschoss. Die Klägerin begab sich nach dem Feueralarm mit den beiden Mitarbeiterinnen auf den Flur. Auf dem Weg Richtung Treppenhaus sah die Klägerin im Bereich einer Sitzecke auf einer Kommode, die mit einer Steindeckplatte versehen war, die brennende LED-Kerze. In unmittelbarer Nähe der Kommode saß Herr E., ein schwer demenzkranker Heimbewohner. Die Klägerin nahm Herrn E. auf den Rücken und begab sich zusammen mit den zwei anderen Mitarbeiterinnen über das große Treppenhaus in die Halle im Erdgeschoss. Nachdem die Klägerin Herrn E. in die Halle verbracht hatte, lief sie über das große Treppenhaus erneut in das 2. Obergeschoss. Zwischenzeitlich waren dort bereits über das kleine Treppenhaus der Haustechniker und die (damalige) Heimleiterin Frau Hö. angekommen.
7
Der Notfallplan für das E. mit Stand 11/2014 lautete wie folgt

Bewohner nicht auffindbar

1.

Bei Bewohner/innen mit Weglauftendenz: Foto in der Dokumentationsmappe mit Personenbeschreibung

2.

Vorgesetzte informieren

3.

Haus und Garten komplett durchsuchen

4.

Angehörige / Betreuer verständigen

5.

Polizei anrufen nach Absprache mit Vorgesetztem

6.

Erinnerungsprotokoll fertigen (Kleidung etc.)

Feuer

Ruhe bewahren

Brand melden (Feuermelder oder Tel. 112)

Vorgesetzte informieren

Personen in Sicherheit bringen

Keinen Aufzug benutzen

Löschversuch evtl. unternehmen

Anweisung der Feuerwehr beachten
8
Mit Schreiben vom 14.04.2015 (Anlage A 4, Bl. 31 d. A.) stellte der Beklagte die Klägerin mit sofortiger Wirkung von ihrer Aufgabe als Pflegedienstleiterin im He. frei und ordnete sie zur Dienstleistung als Pflegefachkraft an das F. in T. ab. Die Abordnung galt zunächst befristet bis zum 30.06.2015. Mit der Klage hat sich die Klägerin zunächst auch gegen diese Abordnung vom 14.04.2015 gewandt.
9
Die Mitarbeitervertretung bei dem Beklagten wurde mit Schreiben vom 26.03.2015 (Anlage B 2, Bl. 67 f. d. A.) über die beabsichtigte Änderungskündigung der Klägerin unterrichtet und um Zustimmung zur beabsichtigten Änderungskündigung gebeten.
10
Mit Schreiben vom 10.04.2015 (Anlage A 7, Bl. 37 d. A.) stimmte die Mitarbeitervertretung durch einstimmigen Beschluss mit 5:0 Stimmen der beabsichtigten Änderungskündigung nicht zu. Sie beantragte, die beabsichtigte Änderungskündigung in eine Abmahnung umzuwandeln.
11
Mit Schreiben vom 21.04.2015 (Anlage A 6, Bl. 35 f. d. A.), der Klägerin zugegangen am gleichen Tage, erklärte der Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Vorfalls vom 23.03.2015 fristgemäß zum 30.06.2015 und bot der Klägerin gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als Pflegefachkraft in einem anderen Heim des C. in T. ab 01.07.2015 an.
12
Mit Schreiben vom 24.04.2015 an den Beklagten (Bl. 38 d. A.) nahm die Klägerin das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt, dass die Änderungen nicht sozial ungerechtfertigt sind, an.
13
Mit Schriftsatz vom 24.04.2015, eingegangen beim Arbeitsgericht Regensburg am selben Tag, erhob die Klägerin gegen die Änderungskündigung vom 21.04.2015 Änderungsschutzklage, die dem Beklagten, ausweislich Zustellungsurkunde, am 28.04.2015 zugestellt wurde.
14
Mit Datum vom 09.04.2015 fertigte die Klägerin ein Erinnerungsprotokoll zum Brand am 23.03.2015 an (Anlage B 5, Bl. 73 d. A.). Auch wurden Gesprächsprotokolle gefertigt zu Gesprächen der damaligen Heimleiterin Frau Hö. mit der Auszubildenden Frau G. (Anlage B 3, Bl. 69 d. A.) und der Mitarbeiterin Frau P. (Anlage B 4, Bl. 71 – 72 d. A.).
15
Der Beklagte setzte die Klägerin mit Schreiben vom 23.06.2015 (Bl. 66 d. A.) ab 01.07.2015 als Pflegefachkraft im F. in T. ein. Weiter wird in dem Schreiben mitgeteilt, dass die Klägerin entsprechend der Tätigkeit als Pflegefachkraft in die Entgeltgruppe 7a Stufe 6 der Anlage 32 AVR eingruppiert ist.
16
Die Klägerin hat vorgetragen, es habe kein Brandschutzkonzept existiert, sondern lediglich ein sog. Notfallplan, der in jedem Wohnbereichsbüro ausgehangen habe. Sie habe sich am 23.03.2015 seit ca. 10:15 Uhr zusammen mit der Mitarbeiterin Frau Wi. und der Auszubildenden Frau G. im Wohnbereichsbüro im 2. Obergeschoss aufgehalten, als gegen 10:30 Uhr der Feueralarm losgegangen sei. Die langjährige Mitarbeiterin, Frau Wi., -die Klägerin war unstreitig erst ab 01.07.2014 als Pflegedienstleitung dort beschäftigt -habe ihr dann schnell erklärt, alle Mitarbeiter hätten sich im Falle eines Brandes in der Halle im Erdgeschoss einzufinden, um dort weitere Anweisungen der Feuerwehr entgegenzunehmen. Da sie erst seit wenigen Monaten in dem Alten- und Pflegeheim beschäftigt gewesen sei, ein Brandschutzkonzept nicht bestanden habe, sondern lediglich der Notfallplan, habe sie entsprechend der hausinternen Regel das Büro zusammen mit den beiden Mitarbeiterinnen verlassen und sich Richtung Treppenhaus begeben. Auf dem Flur habe sie keine weiteren Personen gesehen. Zum Zeitpunkt des Feueralarms seien die nicht bettlägerigen Bewohner von der Gymnastikgruppe betreut worden. Auf dem Weg in Richtung großes Treppenhaus habe sie im Vorbeigehen auf der mit einer Steindeckplatte abgedeckten Kommode in der Sitzecke in einer Schale eine kleine Flamme von ca. 8 cm Flammenhöhe gesehen. In unmittelbarer Nähe habe der schwer an Demenz erkrankte Heimbewohner Herr E. gesessen. In einem Bruchteil von Sekunden habe sie sich entschlossen, Herrn E. auf dem Rücken über das Treppenhaus in die Halle im Erdgeschoss zu verbringen, damit er sich nicht verletzen könne und um ihren Verpflichtungen aus dem Notfallplan nachzukommen. Sie habe sich daraufhin zusammen mit den beiden Mitarbeiterinnen und Herrn E. in die Halle begeben. Nachdem sie Herrn E. in die Halle verbracht gehabt hatte, sei sie sofort wieder über das sog. große Treppenhaus in das 2. Obergeschoss zurückgekehrt, um den Brand mit geeigneten Mitteln zu löschen. Als sie dort angekommen sei, seien bereits der Haustechniker und die Heimleiterin, die über das sog. kleine Treppenhaus gekommen seien, vor Ort gewesen.
17
Sie sei mit den beiden Mitarbeiterinnen und mit dem Heimbewohner E. in die Halle gegangen, da ein Feuerlöscher oder andere zum Brandlöschen geeignete Gegenstände sich nicht in unmittelbarer Nähe befunden hätten.
18
Der Haustechniker und die Heimleiterin seien ohne Feuerlöscher am Brandherd eingetroffen, obwohl beim Eingang im Flur jeweils ein Feuerlöscher hänge.
19
Sie sei zum seinerzeitigen Zeitpunkt von einer Brandschutzübung ausgegangen. Man könne ihr daher vorwerfen, die Situation fälschlich als Brandschutzübung eingeschätzt zu haben.
20
Zudem sei sie am 23.03.2015 nicht vollständig gesund gewesen. Im Zeitraum vom 18.03. bis zum 22.03.2015 sei sie wegen einer eitrigen Bronchitis arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Obwohl diese Erkrankung fortbestanden habe, sei sie am 23.03.2015 zum Dienst erschienen, da u. a. in der Karwoche zahlreiche Personen in Kurzzeitpflege aufgenommen werden sollten. In der Zeit vom 24.03. bis zum 29.03.2015 sei sie wiederum arbeitsunfähig erkrankt gewesen.
21
Sie habe sich entsprechend dem Notfallplan verhalten. Sie habe Ruhe bewahrt und mit dem Bewohner E. zunächst eine Person in Sicherheit gebracht. Erst weiter unten sehe der Notfallplan vor, evtl. Löschversuche zu unternehmen. Sie habe die Situation zunächst richtig erkannt, da sie davon ausgegangen sei, dass das Feuer keine Nahrung haben könne. Der Brandherd habe sich auf einer Steinplatte befunden, sämtliche Türen und Fenster seien geschlossen gewesen, sodass auch keine Zugluft ein Ausbreiten des Brandes hätte verursachen können. Entsprechend dem Notfallplan habe sie zuerst den Bewohner E. in Sicherheit gebracht und sei dann anschließend an den Brandort zurückgekehrt, um diesen eventuell zu löschen. Die Sicherheit des Heimbewohners habe für sie an wichtigster Stelle gestanden.
22
Personalgespräche mit dem Personalleiter des Beklagten, Herrn B., und dem Leiter des Referats Altenpflege, Dr. Se., hätten am 09.04.2015 und nochmals mit Herrn B. am 13.04.2015 (vgl. S. 13 des Schriftsatzes vom 18.08.2015, Bl. 104 d. A.) stattgefunden.
23
Sie sei zu keinem Zeitpunkt abgemahnt worden.
24
Die Klägerin hat nach teilweiser Klagerücknahme ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 10.09.2015 (Bl. 124/125 d. A.) zuletzt beantragt,
Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 21.04.2015 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam sind.
25
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
26
Der Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin sei bei Auslösen des Feueralarms am 23.03.2015 die einzig anwesende Leitungskraft im 2. Obergeschoss des He. gewesen. Zum Zeitpunkt des Brandes hätte sich in dem Stockwerk eine unbekannte Anzahl von Bewohnern – von einer Größenordnung von 10 bis 15 Heimbewohnern sei auszugehen -aufgehalten. Sie habe weder etwas bezüglich des Brandes, etwa einen Löschversuch, noch hinsichtlich der Bewohner in ihren Zimmern veranlasst. Zu dritt habe man den Heimbewohner E. in die Halle im Erdgeschoss verbracht, ohne dass die Klägerin Anweisungen an eine der beiden anderen Mitarbeiterinnen gegeben hätte, sich um den Brandherd oder die anderen Bewohner auf dem Stockwerk zu kümmern. Vor allem sei ihr vorzuwerfen, dass sie den Brandherd und das Stockwerk völlig unbeaufsichtigt gelassen und damit eine mögliche unkontrollierte Entwicklung heraufbeschworen habe.
27
Es bleibe unklar, wieso die Klägerin, nach deren eigenem Vortrag die Flamme unter 10 cm hoch gewesen sei, nicht sofort einen Löschversuch unternommen habe. Damit wäre auch dem Schutz des anwesenden Heimbewohners effektiv gedient gewesen. Sollte die Situation aber bedrohlicher gewesen sein, wäre es absolut unverantwortlich von der Klägerin als Leitungskraft gewesen, den Brandherd unbeaufsichtigt zu lassen.
28
Die Klägerin sei bei dem Brand am 23.03.2015 die einzig anwesende Leitungskraft gewesen und hätte daher arbeitsvertraglich die Pflicht gehabt, für eine geordnete Beherrschung der Situation zu sorgen. Von der Klägerin in ihrer Position müsse verlangt werden, sich schnell ein Bild von der Situation zu verschaffen und geeignete Sofortmaßnahmen zu treffen. Ihr sei mindestens vorzuwerfen, dass sie bei dem Brand die Prioritäten zumindest teilweise falsch gesetzt, den Überblick verloren und dadurch weitere Gefahren, etwa Löschversuche der Heimbewohner oder Panik bei den Bewohnern, heraufbeschworen habe. Das Unbeaufsichtigtlassen eines Feuers in einem Stockwerk, das von alten und teilweise dementen Personen bewohnt werde, stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung einer Pflegekraft mit Leitungsaufgaben dar. Die Klägerin habe sich mit ihrem Verhalten als ungeeignet für eine Leitungskraft gezeigt.
29
Eine Abmahnung sei vorliegend ungeeignet gewesen, da sich eine solche Situation in gleicher Weise nicht wiederholen werde, aber aufgrund des Verhaltens der Klägerin während des Brandes und der nachfolgenden Äußerungen davon ausgegangen werden müsse, dass sie auch in vergleichbaren Situationen ihren Aufgaben als Leitungskraft nicht gerecht werden würde. Im Unterschied zu täglich wiederkehrenden Aufgaben ist das, was von einer Leitungskraft als beanstandungsfreie Pflichterfüllung in Notsituationen im Einzelfall zu verlangen sei, situationsabhängig.
30
Von einer Leitungskraft müsse gerade auch in Notsituationen verlangt werden, dass sie die Situation souverän beherrsche, insbesondere die Gefahrenlage sicher einschätze und die nötigen Anordnungen zur Sicherheit aller potenziell bedrohten Personen unter Berücksichtigung des Alters und des Gesundheitszustandes treffe. Auch müsse sich der Beklagte darauf verlassen können, dass gegenüber anwesenden unterstellten Mitarbeitern die jeweils notwendigen und richtigen Anordnungen zur Beherrschung der Situation getroffen würden. Im Interesse der Heimbewohner und anderen Mitarbeiter sei es daher geboten, die Klägerin von Leitungsaufgaben dauerhaft zu entbinden. Man habe sich für eine Änderungskündigung als milderes Mittel zu einer Beendigungskündigung entschieden, da sich ihr Fehlverhalten auf den Pflichtenkreis als Leitungskraft bezogen habe und nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Weiterbeschäftigung als Pflegekraft ohne Leitungsverantwortung möglich sei. Die Eingruppierung und die Vergütung der Klägerin hätten in der Änderungskündigung nicht genannt werden müssen, da sich diese aufgrund der geänderten Arbeitsbedingungen aus den geltenden AVR „tarifautomatisch“ ergäben.
31
Soweit die Klägerin später behauptet habe, sie habe den Vorfall für eine Brandschutzübung gehalten, sei völlig unerfindlich, wie sie darauf kommen könne, dass der Beklagte Übungen mit echten Brandherden durchführe. Dessen ungeachtet wäre aber auch im Falle einer Übung von einer Leitungskraft zu verlangen gewesen, dass sie sich wie bei einem echten Brand verhalte.
32
Mit dem Schreiben vom 26.03.2015 sei die Mitarbeitervertretung unterrichtet, um Zustimmung zur beabsichtigten Änderungskündigung gebeten und deren Rechte nach § 30 MAVO (Mitarbeitervertreterordnung) somit eingehalten worden. Nach Erhebungen der Einwendungen der Mitarbeitervertretung sei eine weitere Sitzung am 10.04.2015 abgehalten worden. Danach sei der Beklagte berechtigt gewesen, die Kündigung ohne Weiteres auszusprechen (§ 30 Abs. 2 Satz 3 und 4 MAVO).
33
Der Hinweis der Klägerin auf ihre angegriffene Gesundheit zum Zeitpunkt des Vorfalls sei unerheblich. Sie sei an diesem Tag im Dienst gewesen und daher als arbeitsfähig zu betrachten. Des Weiteren sei sie offensichtlich auch in der Lage gewesen, den Heimbewohner E. auf den Rücken zu nehmen und zwei Stockwerke nach unten in die Halle zu tragen.
34
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es – zusammengefasst – ausgeführt, es sei ein verhaltensbedingter Grund für eine Änderung gegeben. Eine Abmahnung als milderes Mittel sei hier entbehrlich gewesen. Die Änderungskündigung sei auch nicht wegen fehlerhafter Beteiligung der Mitarbeitervertretung unwirksam.
35
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die Sitzungsprotokolle sowie auf das arbeitsgerichtliche Urteil Bezug genommen.
36
Das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts vom 24.09.2015 ist der Klägerin am 21.10.2015 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 13.11.2015 eingelegte und am 24.11.2015 begründete Berufung der Klägerin.
37
Die Klägerin trägt nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 192 – 201 d. A.) vor, beim Beklagten bestehe kein verbindliches Brandschutzkonzept, sondern lediglich ein sog. Notfallplan. Die einzelnen Vorgehensweisen in diesem Notfallplan entsprächen einer logischen zeitlichen Abfolge. Er enthalte daher eine abzuarbeitende Checkliste. Die Klägerin habe sich entsprechend dieser Vorgaben verhalten. Sie Klägerin den Heimbewohner E. aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich weggebracht, da die Mitarbeiterin Wi. körperlich dazu nicht imstande und die weitere anwesende Auszubildende Frau G. völlig unerfahren gewesen sei. Eine derartige Verantwortung könne ihr nicht übertragen werden. Die Klägerin habe nicht veranlasst, dass noch andere sich auf dem Stockwerk befindliche Heimbewohner ebenfalls nach unten verbracht würden, da sie zum Zeitpunkt des Feueralarms keine Personen auf dem Flur gesehen habe. Außerdem habe sie gewusst, dass sich zu diesem Zeitpunkt keine weiteren, nicht bettlägerigen Personen auf dem Flur aufhielten, da zu diesem Zeitpunkt die Betreuung in einer Gymnastikgruppe erfolgt sei. Diese habe nicht im zweiten Stockwerk stattgefunden. Ihr sei nicht erkennbar gewesen, dass sie den Brandherd nicht ohne Beobachtung und die teilweisen dementen und/oder gebrechlichen Heimbewohner nicht sich selbst hätte überlassen dürfen. Nach dem Verbringen des Heimbewohners E. habe sie sich sofort wieder in das zweite Stockwerk begeben, um sich auch um die anderen Heimbewohner zu kümmern. Sie habe die Situation in dem Bruchteil von Sekunden so eingeschätzt, dass das Feuer keine Nahrung habe. Zudem habe sie sich mehrfach, zuletzt am 16.07.2015, bei dem Personalleiter Herrn B. entschuldigt.
38
Im Hinblick auf die Interessenabwägung trägt die Klägerin vor, sie sei alleinerziehend und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtig. Die Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren sei nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem sei sie am 23.03.2015 gesundheitlich sehr beeinträchtigt gewesen, wie sich aus der Dokumentation der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergebe. Zudem sei die Änderung der Arbeitsbedingungen mit einer Gehaltseinbuße von 30% verbunden.
39
In rechtlicher Hinsicht trägt die Klägerin vor, dass weder eine Pflichtverletzung ihrerseits vorliege noch eine einschlägige Abmahnung als milderes Mittel entbehrlich gewesen sei und zudem die Interessenabwägung fehlerhaft sei.
40
Die Klägerin beantragt,

1.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg, Az. 8 Ca 997/15, verkündet am 24.09.2015 und zugestellt am 21.10.2015, wird abgeändert.
2.
Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 21.04.2015 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam sind.

41
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
42
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 16.12.2015, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 210 -216 d. A.), als rechtlich zutreffend. Es sei durchaus davon auszugehen, dass auf dem Stockwerk, auf dem die LED-Kerze in Brand geriet, noch eine Reihe von Bewohnern gelegen hätten. Auch sei zumindest von einer Flammenhöhe von 30 – 40 cm auszugehen. Wäre die Flamme relativ klein gewesen, dann wäre aufgrund der Steinplatte, auf der sich die Kerze befand, schnell erkennbar gewesen, dass praktisch keine Gefahr bestehe. Dann hätte die Klägerin in Vollziehung des Notfallplans als anwesende Vorgesetzte nicht an die vorrangige Erforderlichkeit denken dürfen, Personen in Sicherheit zu bringen. Sie hätte den Löschversuch mit dem Feuerlöscher selbst unternehmen können. Hätte sie die Flamme für bedrohlicher eingeschätzt, dann hätte sie dafür Sorge tragen müssen, alle betroffenen Personen in Sicherheit zu bringen. Sie habe eine hinsichtlich der Brandentwicklung und auch der Betroffenheit anderer Bewohner völlig unklare Situation unbeaufsichtigt gelassen und nicht einmal den Versuch unternommen, eine der beiden Mitarbeiterinnen aufzufordern, sich auf dem Stockwerk nach anderen gefährdeten Bewohnern auch nur umzusehen.
43
In rechtlicher Hinsicht verteidigt der Beklagte die Auffassung des Arbeitsgerichts, es liege eine schwerwiegende Pflichtverletzung der Klägerin vor. Eine Abmahnung sei angesichts ihrer Vorgesetztenfunktion entbehrlich gewesen. Im Übrigen sei fraglich, ob eine Abmahnung überhaupt als ein geeignetes Mittel angesehen werden könne, um für die Zukunft wenigstens mit gewisser Sicherheit ein vergleichbares Verhalten zu verhindern. Auch ihr Verhalten nach dem Vorfall lasse keine positive Prognose zu.
44
Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 13.04.2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
45
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
A.
46
Die Berufung ist zulässig.
47
Die Berufung ist statthaft gem. § 64 Abs. 1 und 2 lit. c) ArbGG. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.
B.
48
Die Berufung ist begründet.
49
Das Arbeitsgericht Regensburg hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Änderungskündigung des Beklagten vom 21.04.2015 ist rechtsunwirksam.
50
I. Die Klage ist zulässig.
51
Das Feststellungsinteresse für den punktuellen Änderungsschutzantrag ergibt sich aus der Regelung des § 4 Satz 2 KSchG (vgl. BAG 14.01.2015 – 7 AZR 2/14NZA 2016, 39, 41 Rn. 18 zur Drei-Wochen-Frist des § 17 Satz 1 TzBfG).
52
II. Die Klage ist begründet.
53
Die Änderungsschutzklage (§ 4 Satz 2 KSchG) ist begründet. Das mit der Kündigung des Beklagten vom 21.04.2015 verbundene Änderungsangebot war hinreichend bestimmt. Die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung ist jedoch sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam, § 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG.
54
1. Die Änderungskündigung ist ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zu der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Kündigungserklärung tritt als zweites Element das Angebot zu seiner Fortsetzung unter geänderten vertraglichen Bedingungen hinzu. Es muss sich um ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen handeln (BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14 – Rn. 18 zitiert nach Juris). Auch wenn die Änderungskündigung im Ergebnis lediglich auf eine Änderung der Vertragsbedingungen zielt, handelt es sich bei ihr doch – wegen der mit ihr verbundenen Kündigungserklärung – um eine „echte“ Kündigung. Diese unterliegt allen formalen Anforderungen, die an die Wirksamkeit einer Kündigung zu stellen sind. Die jeweiligen Vorgaben muss der Arbeitgeber vor Zugang der Kündigungserklärung und unabhängig von einer Ablehnung oder (Vorbehalts-)Annahme des Änderungsangebots beachten. Werden die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Kündigung missachtet, ist dies auch bei Annahme des Änderungsangebots rechtlich von Bedeutung, wenn die Annahme unter Vorbehalt erfolgt. Auch der Arbeitnehmer, der das Angebot auf Änderung seiner Arbeitsbedingungen gem. § 2 Satz 1 KSchG unter Vorbehalt angenommen hat, kann sich im Änderungsschutzprozess darauf berufen, die Änderung der Vertragsbedingungen sei schon aus einem anderen Grund als dem ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam (BAG 20.02.2014 – 2 AZR 346/12BAGE 147, 237, 246 f. Rn. 38).
55
Wenn bei Ablehnung des Änderungsangebots die Kündigung aus „anderen Gründen“ unwirksam wäre und das Arbeitsverhältnis schon deshalb unverändert fortbestünde, soll diese Rechtsfolge vielmehr auch dann eintreten, wenn der Arbeitnehmer die ihm mit Hilfe einer Kündigung „aufgezwungenen“ Änderungen der Arbeitsbedingungen vorläufig akzeptiert. In diesem Sinn muss ein Arbeitgeber, gedacht als sorgfältiger Erklärungsempfänger, den Vorbehalt in der Regel verstehen (§§ 133, 157 BGB). Ein Verzicht darauf, „andere Gründe“ i. S.v. § 4 Satz 2 Alt. 2 KSchG geltend zu machen, müsste ausdrücklich oder doch nach den Umständen eindeutig erklärt sein (vgl. BAG 28.05.1998 – 2 AZR 615/97 -BAGE 89, 48, 52 f. zu II 3 b) der Gründe). Nur wenn sich aus einer entsprechenden Beschränkung des Vorbehalts oder dem Vorbringen des Arbeitnehmers im Prozess ergibt, dass die Wirksamkeit der Kündigungserklärung als solche nicht in Frage gestellt werden soll, ist Streitgegenstand gem. § 4 Satz 2 Alt. 1 KSchG allein der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen (BAG 22.05.2015 – 2 AZR 124/14NZA 2016, 225, 228 Rn. 30).
56
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Änderungskündigung nicht unwirksam gem. § 30 Abs. 5 MAVO. Insofern folgt die Kammer den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Übrigen hat die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls auf Nachfrage des Gerichts diesen Unwirksamkeitsgrund zuletzt nicht mehr gerügt. Die Regelung des § 6 KSchG besagt, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vornherein begrenzen kann (BAG 24.05.2012 – 2 AZR 206/11NZA 2013, 137, 142 Rn. 50). Den Parteien bleibt es somit auch unbenommen, einen Unwirksamkeitsgrund nicht mehr weiterzuverfolgen und fallen zu lassen.
57
3. Die Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial nicht gerechtfertigt (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).
58
a) Das Schreiben des Beklagten vom 21.04.2015 enthält eine Änderungskündigung. Das im Zusammenhang mit der Kündigungserklärung unterbreitete Angebot i. S. d. § 145 BGB ist insbesondere hinreichend bestimmt (vgl. hierzu BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14 – Rn. 18 aaO).
59
b) Die Klägerin hat das Angebot fristgerecht unter Vorbehalt angenommen. Der Vorbehalt ist nicht erloschen.
60
aa) Gemäß § 2 Satz 2 KSchG muss der Arbeitnehmer den Vorbehalt innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären. Im Falle einer nicht fristgerechten Änderungsschutzklage erlischt dieser gem. § 7 Hs. 2 KSchG.
61
bb) Die Klägerin hat den Vorbehalt rechtzeitig erklärt; er ist nicht erloschen.
62
(1) Mit Schreiben an den Beklagten vom 24.04.2015 nahm die Klägerin das Änderungsangebot und damit innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung am 21.04.2015 fristgerecht an.
63
(2) Der erklärte Vorbehalt der Annahmeerklärung ist nicht nach § 7 Hs. 2 KSchG erloschen, da die Klägerin rechtzeitig innerhalb der drei Wochen Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG erhoben hat. Die Kündigung ist zugegangen am 21.04.2015. Der Fristlauf begann als Ereignisfrist gem. § 187 Abs. 1 BGB am 22.04.2015 und endete am 12.05.2015 (Dienstag) gem. § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Die Klage ging per Telefax am 24.04.2015 beim Arbeitsgericht ein, wurde dem Beklagten am 28.04.2015 zugestellt und ist somit rechtzeitig erhoben (§ 253 Abs. 1 ZPO).
64
c) Das Kündigungsschutzgesetz findet im vorliegenden Fall unstreitig Anwendung gem. § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG.
65
d) Die Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial ungerechtfertigt gem. § 2 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.
66
aa) Eine Änderungskündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen personenbedingte, verhaltensbedingte oder dringende betriebliche Gründe i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG entgegenstehen und die angebotenen geänderten Bedingungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen (vgl. KR-Kreft 11. Aufl. § 2 KSchG Rn. 171 m. w. N.).
67
Auch bei einer ordentlichen Änderungskündigung bedarf es regelmäßig einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die angebotenen Vertragsänderungen dürfen sich dabei nicht weiter von deren Inhalt entfernen, als es zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich ist {KR-Kreft 11. Aufl. § 2 KSchG Rn. 171; LAG Nürnberg 06.08.2012 – 2 Sa 643/11NZA-RR 2012, 631, 633). Ebenso wie bei einer Beendigungskündigung bedarf es auch bei einer verhaltensbedingten Änderungskündigung grundsätzlich einer Abmahnung (KR-Kreft § 2 KSchG Rn. 171a m. w. N.; ErfK/Oefker 16. Aufl. § 2 KSchG Rn. 46; NK-GA/Nübold § 2 KSchG Rn. 85; APSIKünzl 4. Aufl. § 2 KSchG Rn. 244; BAG 21.11.1985 – 2 AZR 21/85NZA 1986, 713; 18.11.1986 – 7 AZR 674/84NZA 1987, 418; LAG Nürnberg 06.08.2012 – 2 Sa 643/11NZA-RR 2012, 631, 633 Rn. 58; LAG Hessen 15.11.1999 – 11 Sa 2570/98 -Rn. 57zitiert nach Juris; LAG Hamm 10.05.1983- 11 Sa 1462/82-ZIP 1983, 985). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13NZA 2015, 294, 296 Rn. 22). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – aaO; 25.10.2012-2 AZR 495/11NZA 2013, 319, 320 Rn. 16).
68
Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 19.04.2012 -2 AZR 186/11NZA 2013, 27, 29 Rn. 22; grundlegend 04.06.1997 – 2 AZR 526/96 -BAGE 86, 95, 102 zu II 1 d) der Gründe unterteilweise Aufgabe der bisherigen Rspr. u. a. 04.04.1974 – 2 AZR 452/73BAGE 26, 116, 129: grundsätzliche Entbehrlichkeit der Abmahnung). Auch bei einem solchen Fehlverhalten bedarf es dann einer vorherigen erfolglosen Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG 18.11.1986-7 AZR 674/84 – NZA 1987, 418zu II 5 der Gründe).
69
bb) Ein verhaltensbedingter Grund für die Änderung der Arbeitsbedingungen (§ 2 Satz 1 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KSchG) liegt zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung (APSIKünzl § 2 KSchG Rn. 125) nicht vor. Die Änderungskündigung erweist sich im vorliegenden Fall bei der gebotenen umfassenden einzelfallbezogenen Interessenabwägung als unverhältnismäßig.
70
Das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung zwar sehr sorgfältig und richtig die Grundsätze dargestellt. Die Kammer ist jedoch bei der Subsumtion des Sachverhalts im Rahmen der konkreten einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls i. S. v. § 286 Abs. 1 ZPO zu dem Ergebnis gekommen, dass – den Vortrag des Beklagten zur behaupteten Pflichtverletzung unterstellt – eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht hätte (vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 295, 296 Rn. 30). Sie wäre als milderes Mittel nicht nur erforderlich, sondern auch geeignet gewesen (vgl. AR/Fischer-meierl. Aufl. § 626 BGB Rn. 170/171).
71
Die Klägerin ist bisher nicht abgemahnt worden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Eine negative Prognose ohne einschlägige Abmahnung lässt sich nicht bejahen. Dem Beklagten ist es daher zuzumuten, die Klägerin auf ihrer bisherigen fachlichen Position als Pflegedienstleiterin weiterzubeschäftigen.
72
(1) Eine Abmahnung war nicht deshalb verzichtbar, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach der Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten war. Die negative Prognose ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer bereits ausdrücklich erklärt oder unmissverständlich konkludent zum Ausdruck gebracht hat, sein Fehlverhalten nicht ändern zu wollen oder wenn er die Vertragsverletzung hartnäckig und uneinsichtig begangen hat (AR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 170).
73
Es handelt sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung. Die Klägerin hat nicht ex ante zum Ausdruck gebracht, zukünftig nicht willens zu sein, eine genaue Reihenfolge bei der Beachtung der Abläufe in zeitlicher Hinsicht zu beachten. Sie gab keinen Anhaltspunkt für ein hartnäckiges, unbelehrbares Verhalten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine ordnungsgemäße Abmahnung Erfolg gehabt hätte. Zwingende Anhaltspunkte für das Gegenteil sind jedenfalls nicht ersichtlich (BAG 21.11.1985 – 2 AZR 21/85 – Rn. 25 zitiert nach Juris).
74
Auch das Verhalten nach dem Vorfall und vor Ausspruch der Kündigung lässt keine andere Bewertung zu. Die Klägerin fertigte am 09.04.2015 ein Erinnerungsprotokoll an. In diesem schilderte sie nüchtern ihre, d. h. subjektive Sicht der Dinge und verstieg sich nicht in Vorwürfen gegenüber dem Beklagten. Sie versuchte ihr Verhalten zu erklären. In dem Schreiben bringt sie zudem zum Ausdruck, dass sie den Brand irrig für eine Brandschutzübung hielt. Die Klägerin trug unwidersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO) vor, sich mehrfach beim Personalleiter Herrn B. für die Fehleinschätzung entschuldigt zu haben. Dies wertet die Kammer indes nicht als entlastend. Die Klägerin trug nicht substanziiert vor, wann die Entschuldigungen außer am 16.07.2015 (Zeitpunkt nach Ausspruch der Kündigung) konkret stattgefunden haben. Zudem wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung nur schwach entlastend aus (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13NZA 2015, 294, 297 Rn. 31; 09.06.2011 – 2 AZR 323/10NZA 2011, 1342, 1345 Rn. 39).
75
Eine Abmahnung wäre auch nicht ungeeignet gewesen. Das vorhandene Notfallkonzept verdeutlicht nicht, ob darin eine strikt abzuarbeitende zeitliche Reihenfolge zu sehen ist. So ist beim Punkt 1.13 unter „Feuer“ erst in der sechsten Zeile von eventuellen Löschversuchen die Rede, in der vierten Zeile steht jedoch bereits die Vorgabe, Personen in Sicherheit zu bringen. Vor dem Hintergrund der Abmahnung hätte der Klägerin der nach Ansicht des Beklagten richtige Weg für die Zukunft aufgezeigt werden können. Ihr wäre damit auch die Möglichkeit eingeräumt worden, diese Fragen mit ihren Vorgesetzten konkret durchzusprechen, diese ggf. schriftlich abzufassen und damit für die Zukunft gewappnet zu sein. Eine Abmahnung wäre für eine Sensibilisierung und Schärfung des Gefahrbewusstseins im Zusammenhang mit diesem Thema geeignet gewesen. Optimierungspotential im Sinne einer klaren und verbindlichen Regelung unter Fixierung der zeitlichen Abläufe bestand auch auf Seiten des Beklagten. So ist bspw. beim Punkt „Bewohner nicht auffindbar“ im Notfallplan anders als beim Punkt „Feuer“ eine klare Nummerierung mit den Ziffern 1.-6. vorgegeben.
76
(2) Eine Abmahnung war auch nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass dem Beklagten nach objektiven Maßstäben selbst deren erstmalige Hinnahme unzumutbar war.
77
Die Kammer teilt bei der gebotenen Abwägung nicht die Auffassung des Erstgerichts, dass es sich angesichts des konkreten Sachverhalts bei den im Raum stehenden Vorwürfen, nämlich insbesondere das Feuer unbeaufsichtigt und andere bettlägerige Mitbewohner im Stockwerk zurückgelassen zu haben, um eine schwere, eine Abmahnung entbehrlich machende Pflichtverletzung handelte.
78
Die Klägerin nimmt unstreitig eine Vorgesetztenstellung ein. Der Beklagte muss ihr daher unbedingtes Vertrauen entgegenbringen können. Er muss sich auf sie verlassen können und kann ein souveränes und umsichtiges Verhalten in dieser Funktion berechtigterweise voraussetzen. Die Klägerin zeigte bei dem Vorfall jedoch keinerlei Schädigungsabsicht und handelte ohne Vorsatz. Sie entfernte sich nicht alleine von der Gefahrenstelle. Sie packte vielmehr sofort an, indem sie den Bewohner E. auf dem Rücken in das Erdgeschoss trug. Selbst zu Gunsten des Beklagten unterstellt, die Flammenhöhe wäre zeitweise 30 – 40 cm hoch gewesen – wie seitens des Beklagten vorgetragen -, dann wäre das Vorgehen der Klägerin noch verständlicher gewesen, um den Mitbewohner aus der Gefahrenzone zu transportieren. Dieser war aufgrund seiner Demenzkrankheit besonders auf ihre Hilfe angewiesen. Die Tatsache der Flammenhöhe (Beweisangebot Frau Hö.) ist daher nicht beweisbedürftig. Dasselbe gilt für die Frage, ob sich noch andere Bewohner zum Zeitpunkt des Brandes im 2. Obergeschoss aufgehalten hatten (Beweisangebot Frau Hö.). Die Klägerin musste rasch Entscheidungen treffen und sich für eine erste Maßnahme entscheiden. Zu Gunsten des Beklagten unterstellt, es hätten sich noch andere, auch bettlägerige Mitbewohner auf ihren Zimmern befunden, so hätte selbst eine falsche Prioritätensetzung der Klägerin nach Ansicht der Berufungskammer nicht den Schweregrad, um eine Abmahnung entbehrlich zu machen. Es war für sie nicht erkennbar ausgeschlossen, dass er es nicht zumindest gebilligt hätte, dass sie den Bewohner E. zunächst in Sicherheit bringt. Zu berücksichtigen ist bei der Abwägung der Positionen der Parteien auch, dass die Klägerin, nachdem sie Herrn E. in Sicherheit gebracht hatte, in den zweiten Stock zurückkehrte, an dem sich der Brandherd befand. Sie verhielt sich somit nicht egoistisch, sondern durchaus verantwortungsvoll, mag sie auch nach Auffassung des Beklagten die Prioritäten falsch gesetzt und die Situation falsch eingeschätzt haben.
79
Der Notfallplan des Beklagten stellt keinen verbindlichen Rahmen dar. Im Übrigen ist dort auch nur von eventuellen Löschversuchen die Rede. Nach seinem unwidersprochenen Vortrag (§ 138 Abs. 3 ZPO) gibt es bei ihm kein festes Brandkonzept. Auch wurde in letzter Zeit nach seinem unwidersprochenen Vortrag keine Brandschutzübung durchgeführt. Ein – unterstelltes – vertragswidriges Verhalten der Klägerin erscheint unter diesen Umständen in einem deutlich milderen Licht (vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 495/11NZA 2013, 319, 321 Rn. 33 betr. Handynutzung eines Arztes im Operationssaal zu privaten Zwecken).
80
Auch die Erklärungsversuche der Klägerin, wonach es sich ihrer Ansicht nach nur um eine Brandschutzübung gehandelt habe, führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Selbst wenn man darin – so die Auffassung des Beklagten – ein taktisches Verhalten sähe, handelte die Klägerin im Brandfall umgehend und übernahm Verantwortung gegenüber einem Mitbewohner. Die Kammer sieht daher im konkreten Fall keine irreparable Zerstörung des Vertrauens (vgl. BAG 19.04.2012 – 2 AZR 156/11NZA 2012, 1274, 1276 Rn. 19) in ihre geschuldete Funktion als Pflegedienstleiterin. In der Anhörung der Mitarbeitervertretung spricht der Beklagte auch nur davon, dass das Vertrauensverhältnis „nachhaltig gestört“ sei. Die behauptete Nachhaltigkeit kann die Kammer nicht nachvollziehen, da bis zum Ausspruch der Änderungskündigung aufgrund dieses Vorfalls Störungen im Vertrauensbereich (vgl. zum eingeschränkten Wert der Abgrenzung nach Störbereichen BAG 04.06.1997 – 2 AZR 526/96BAGE 86, 95) nicht aufgezeigt worden sind (vgl. auch zum Aspekt der Nachhaltigkeit im Falle einer beharrlichen Arbeitsverweigerung BAG 05.04.2001 – 2 AZR 580/99 – Rn. 23 zitiert nach Juris). Unter den gegebenen Umständen musste die Klägerin nicht davon ausgehen, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Arbeitsbedingungen gefährdet wäre, wenn sie zunächst einen demenzkranken Mitbewohner in das Erdgeschoss transportiert.
81
(3) Auch die abschließende Interessenabwägung (vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13NZA 2015, 294, 297 Rn. 32) führt zu einem überwiegenden Interesse der Klägerin am Fortbestand ihres bisherigen Arbeitsplatzes.
82
Für das Interesse des Beklagten an der Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen spricht, dass es sich bei der Funktion einer Pflegedienstleitung um eine verantwortungsvolle Aufgabe handelt. Für ihn ist ein ungestörtes Vertrauensverhältnis besonders wichtig (vgl. BAG 05.04.2001 – 2 AZR 159/00NZA 2001, 954, 957 B I 2 c) der Gründe zu einem leitenden Angestellten). Bei fehlerhaftem Handeln in einer Leitungsfunktion gerade in einem Brandfall können große Schäden für Leib und Leben der Bewohner eintreten (vgl. Schwarze/Eylert/Schrader/Scftwarze KSchG § 2 Rn. 30: insbesondere schuldhafte Fehlleistung mit Schadensfolge). Einer Arbeitnehmerin mit Vorgesetztenfunktion kommt stets eine gewisse Vorbildrolle zu. Mit fünf Jahren ist die Klägerin zudem nicht übermäßig lange beschäftigt.
83
Für die Klägerin spricht hingegen, dass sie alleinerziehend und Mutter eines nunmehr 18% Jahre alten Sohnes ist, der noch die Fachoberschule besucht. Durch die künftige Stelle würde sie eine erhebliche finanzielle Verschlechterung erfahren, die nicht allein durch die veränderte Position im Sinne einer „Vergütungsautomatik“ bedingt wäre. Nach dem Vortrag des Beklagten würde auch in die Besitzstandszulage in Höhe von 207,- € der Klägerin eingegriffen. Sie ist zudem im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 57 Jahre alt gewesen und daher auch diesbezüglich schutzwürdig im Bestand ihres bisherigen Arbeitsplatzes. Ihr Verhalten war zudem allenfalls fahrlässig, sie wollte nicht bewusst gegen ihre Pflichten – einen Pflichtverstoß unterstellt – verstoßen. Zudem ist kein Schaden eingetreten.
84
Aus den genannten Gründen ist die ausgesprochene Änderungskündigung unverhältnismäßig und lässt das Interesse der Klägerin an dem Bestand ihrer bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen gegenüber dem Änderungsinteresse des Beklagten überwiegen.
85
cc) Ein personenbedingter Änderungsgrund (§ 2 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG) scheidet ebenfalls aus.
86
(1) Im Arbeitsverhältnis stehen dem Arbeitgeber zur Reaktion auf Störungen des Austauschverhältnisses, soweit sie aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen, im Wesentlichen die Vorschriften über die personenbedingte Beendigungskündigung oder Änderungskündigung zu Gebote (vgl. Stahlhacke/Pre/’s 11. Aufl. 2015 Rn. 1218). Die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingtem Kündigungsgrund kann bisweilen schwierig sein. Sie schließen sich im Prüfprogramm nicht von vornherein aus (vgl. BAG 20.06.2013 – 2 AZR 583/12NZA 2013, 1345 ff.; 20.12.2012 – 2 AZR 32/11NZA-RR 2013, 627; BAG 24.02.2011 – 2 AZR 636/09NZA 2011, 1087 ff.; Stahlhacke/Pre/s aaO Rn. 1218: bei Vertragspflichtverletzung verhaltensbedingter Grund als spezieller Kündigungsgrund). Eine personenbedingte Kündigung wegen Minderleistungen setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer gegen die subjektiv zu bestimmende Leistungspflicht verstößt. Es kommt darauf an, ob die Arbeitsleistung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar wird. Auch im Falle einer personenbedingten Kündigung scheidet aber das Abmahnungserfordernis nicht a priori aus (vgl. zum Abmahnungserfordernis BAG 15.08.1984 – 7 AZR 228/82BAGE 46, 163, 166 zu II 1 der Gründe; 04.06.1997 – 2 AZR 526/96BAGE 86, 95, 102 zu III 1 d) der Gründe; zur Krankheit vgl. auch LAG Hessen 18.03.2014 – 13 Sa 1207/13BB 2014, 2942; aA Stahlhacke/Pre/s aaO Rn. 1219).
87
(2) Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Beklagte hat seine Änderungskündigung auf das in seinen Augen pflichtwidrige Verhalten der Klägerin gestützt. Tatsachen zum Kündigungsgrund „an sich“, der ein nicht steuerbares Verhalten beinhaltet, sind nicht vorgetragen. Er hat nicht – jedenfalls nicht substanziiert -dargestellt, dass der Klägerin aufgrund ihres nach ihrer Ansicht inakzeptablen Vorgehens anlässlich des Brandes künftig die Eignung fehlen würde, ihre Aufgabe als Pflegedienstleitung auszuüben. Im Übrigen wird bezüglich der einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die obigen Ausführungen verwiesen.
C.
88
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Satz 2, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
89
Die Kosten der Berufung hat der unterlegene Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO). Im Streit stand nur die Änderungsschutzklage. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind gegeneinander aufzuheben, §§ 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Die Klägerin hat gem. § 54 Abs. 2 Satz 1 ArbGG die Klage teilweise wirksam zurückgenommen. Der allgemeine Feststellungsantrag wurde dabei nicht streitwerterhöhend berücksichtigt (vgl. LAG Sachsen-Anhalt 04.02.2013 – 1 Ta 125/12 – Arbeitsrecht Aktuell 2013, 188; LAG Thüringen 03.06.1999 – 8 Ta 76/96 – zitiert nach Juris), die anderen drei Streitgegenstände wurden jeweils mit einem Bruttomonatsgehalt, insgesamt also mit drei Bruttomonatsgehältern angesetzt (§ 3 Hs. 1, § 5 Hs. 1 ZPO). Der Änderungsschutzantrag wurde mit drei Bruttomonatsgehältern angesetzt (§ 3 Hs. 1 ZPO, § 42 Abs. 2 Hs. 1 GKG entspr.). Somit tragen der Beklagte und die Klägerin die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens jeweils zur Hälfte (§ 92 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
D.
90
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG.
E.
91
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen, § 72a Abs. 1 ArbGG.

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VonRA Moegelin

Betriebsbedingte Kündigung wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeit

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Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung eines Stammarbeitnehmers wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeit, wenn ein ständig vorhandenes Sockelarbeitsvolumen durch Leiharbeitnehmer abgedeckt wird

Die betriebsbedingte Kündigung von Stammarbeitnehmern ist wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten unwirksam, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer beschäftigt, mit denen er ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes (Sockel-) Arbeitsvolumen abdeckt. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln mit zwei Urteilen vom 02.09.2020 entschieden.

Die Beklagte, ein Automobilzulieferer, beschäftigt neben 106 Arbeitnehmern auch Leiharbeitnehmer. Weil ihr Auftraggeber das Volumen seiner Autoproduktion reduzierte, sprach sie wegen des dadurch bei ihr entstehenden Personalüberhangs gegenüber den Klägern und vier weiteren Kollegen, allesamt Stammarbeitnehmer bei ihr, betriebsbedingte Kündigungen aus. In den knapp zwei Jahren vor Ausspruch der Kündigungen setzte die Beklagte sechs Leiharbeitnehmer fortlaufend mit nur wenigen Unterbrechungen (etwa zum Jahresende oder während der Werksferien) in ihrem Betrieb ein.

Das Arbeitsgericht Köln hatte den gegen die Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklagen stattgegeben.

Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln in den Berufungsverfahren bestätigt und die Berufungen insoweit zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger hätten auf den Arbeitsplätzen der Leiharbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können. Diese seien als freie Arbeitsplätze anzusehen.

Zwar fehle es an einem solchen nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftige. Eine solche Vertretungsreserve verneint das Landesarbeitsgericht Köln jedoch im vorliegenden Fall. Leiharbeitnehmer, die fortlaufend beschäftigt würden, seien nicht als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf im Unternehmen eingesetzt. Wenn immer wieder (unterschiedliche) Arbeitnehmer in einem absehbaren Umfang ausfielen, sei kein schwankendes, sondern ein ständig vorhandenes (Sockel-) Arbeitsvolumen vorhanden. Dementsprechend habe der für das Befristungsrecht zuständige 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass der Sachgrund der Vertretung nicht vorliege, wenn der Arbeitgeber mit der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers einen dauerhaften Bedarf abdecken wolle.

Das Landesarbeitsgericht hat in beiden Verfahren die Revision zugelassen.
Landesarbeitsgericht Köln – Aktenzeichen 5 Sa 14/20 vom 02.09.2020;
Pressemitteilung 6/2020 vom 30.10.2020

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VonRA Moegelin

Jahressonderzahlung nach TV-L

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Bestehen in einem Kalenderjahr nacheinander mehrere Arbeitsverhältnisse des Arbeitnehmers zum selben Arbeitgeber, bemisst sich die Jahressonderzahlung nach § 20 Absatz 3 TV-L auch dann ausschließlich nach dem am 1. Dezember des Jahres bestehenden Arbeitsverhältnis, wenn dieses zwar vor dem 1. September aber nach dem 1. Juli des Jahres begonnen hat.

Volltext des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 17.09.2020 – 21 Sa 2169/19:

Tenor

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 24. Oktober 2019 – 12 Ca 10716/18 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe der der Klägerin für das Jahr 2015 zustehenden tariflichen Jahressonderzahlung.

2

Die Klägerin war bei dem beklagten Land, dem Land Brandenburg seit 1. August 2008 als Lehrkraft im Rahmen eines Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit 50 % ihrer früheren Arbeitszeit im Teilzeitmodell beschäftigt. Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis endete am 31. Juli 2015.

3

Unter dem 27. August 2015 schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem 31. August 2015 einen bis zum 31. Januar 2016 befristeten Arbeitsvertrag. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses war die Klägerin bei dem beklagten Land als Lehrkraft zunächst mit 2,75 LWS (Lehrerwochenstunden) und ab dem 1. November 2015 mit 3,5 LWS von 27 LWS einer Vollzeitlehrkraft beschäftigt und in Entgeltgruppe 10 der Entgeltordnung (Anlage A) zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) eingruppiert. Arbeitsvertraglich waren die von der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder (TdL) abgeschlossenen und für das beklagte Land geltenden Tarifverträge des öffentlichen Dienstes, darunter der TV-L, in ihrer jeweiligen Fassung in Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtungen des Arbeitsvertrages vom 27. August 2015 (Blatt 20 f. (folgende) der Akten) und des Änderungsvertrages vom 2. November 2015 (Blatt 22 der Akten) verwiesen.

4

§ 20 TV-L in der für 2015 geltenden Fassung lautet auszugsweise wie folgt:

5

㤠20

6

Jahressonderzahlung

7

(1) Beschäftigte, die am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung.

8

(2) 1Die Jahressonderzahlung beträgt bei Beschäftigten in den Entgeltgruppen

9

Tarifgebiet West

Tarifgebiet
Ost
im Kalenderjahr

2015

2016

2017

2018

ab 2019

E 9 bis E 11

64 v.H.

10

der Bemessungsgrundlage nach Absatz 3. …

11

(3) 1Bemessungsgrundlage im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 ist das monatliche Entgelt, das den Beschäftigten in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlt wird; … 2Der Bemessungssatz bestimmt sich nach der Entgeltgruppe am 1. September. 3Bei Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. August begonnen hat, tritt an die Stelle des Bemessungszeitraums der erste volle Kalendermonat des Arbeitsverhältnisses; anstelle des Bemessungssatzes der Entgeltgruppe am 1. September tritt die Entgeltgruppe des Einstellungstages. …

12

Protokollerklärung zu § 20 Absatz 3:

13

1Bei der Berechnung des durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts werden die gezahlten Entgelte der drei Monate addiert und durch drei geteilt; dies gilt auch bei einer Änderung des Beschäftigungsumfangs. 2Ist im Bemessungszeitraum nicht für alle Kalendertage Entgelt gezahlt worden, werden die gezahlten Entgelte der drei Monate addiert, durch die Zahl der Kalendertage mit Entgelt geteilt und sodann mit 30,67 multipliziert. …

14

(4) 1Der Anspruch nach den Absätzen 1 bis 3 vermindert sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 haben. …

15

(5) 1Die Jahressonderzahlung wird mit dem Tabellenentgelt für November ausgezahlt. …

16

…“

17

Im Juli 2015 belief sich die Vergütung der Klägerin auf 2.627,85 Euro brutto, im August 2015 auf 12,24 Euro brutto und im September 2015 auf 379,50 Euro brutto. Als Jahressonderzahlung für das Jahr 2015 zahlte das beklagte Land der Klägerin auf der Grundlage ihrer Vergütung für die Monate August und September 2015 im November 2015 einen Betrag in Höhe von 207,28 Euro brutto und im Februar 2016 einen weiteren Betrag in Höhe von 40,83 Euro brutto und damit insgesamt 248,11 Euro brutto.

18

Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Mai 2016 machte die Klägerin gegenüber dem beklagten Land die Zahlung einer höheren Jahressonderzahlung für 2015 geltend und nahm dabei unter anderem auf ein früheres Schreiben der Klägerin vom 22. Juli 2015 Bezug. Wegen der Einzelheiten des Schreibens vom 9. Mai 2016 und des Inhalts des Schreibens vom 22. Juli 2015 wird auf deren Ablichtungen (Blatt 29 f. und 121 der Akten) verwiesen. Mit Schreiben vom 27. Mai 2015 erläuterte das beklagte Land die Berechnung der gezahlten Jahressonderzahlung und wies im Übrigen den Anspruch zurück. Wegen der Einzelheiten, insbesondere der Berechnung der gezahlten Jahressonderzahlung wird auf die Ablichtung des Schreibens vom 27. Mai 2015 (Blatt 31 f. der Akten) verwiesen.

19

Mit der am 31. Dezember 2018 beim Arbeitsgericht Cottbus eingegangenen Klage hat die Klägerin den Anspruch weiterverfolgt und das beklagte Land auf Zahlung von weiteren 707,87 Euro brutto nebst Zinsen in Anspruch genommen.

20

Die Klägerin hat gemeint, das beklagte Land hätte in die Berechnung der Jahrsonderzahlung auch ihre Vergütung für den Monat Juli 2015 miteinbeziehen müssen. Die Ansicht des beklagten Landes, dass nur die Vergütung aus dem aktuellen Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen sei, sei mit § 20 TV-L nicht zu vereinbaren.

21

Die Klägerin hat beantragt,

22

das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin eine weitere Jahressonderzahlung in Höhe von 707,87 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2015 zu zahlen.

23

Das beklagte Land hat beantragt,

24

die Klage abzuweisen.

25

Das beklagte Land hat unter Bezugnahme auf die Durchführungshinweise der TdL zu § 20 TV-L (Blatt 41 ff. der Akten) die Auffassung vertreten, die Bemessung der Jahressonderzahlung richte sich ausschließlich nach dem am 1. Dezember bestehenden Arbeitsverhältnis. Daher sei in die Berechnung der Jahressonderzahlung der Klägerin für 2015 deren Vergütung für Juli 2015 aus dem vorangegangen Altersteilzeitarbeitsverhältnis nicht miteinzubeziehen gewesen.

26

Mit Urteil vom 24. Oktober 2019, auf dessen Tatbestand (Blatt 67 – 69 der Akten) wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Dezember 2012 – 10 AZR 922/11 – zu § 20 Absatz 4 TV-L bezogen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Blatt 69 – 71 der Akten) verwiesen.

27

Gegen dieses dem beklagten Land am 25. November 2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Dezember 2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung des beklagten Landes, welche es nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Februar 2020 mit am 25. Februar 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

28

Das beklagte Land setzt sich – unter teilweiser Wiederholung und teilweiser Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – mit dem angefochtenen Urteil auseinander. Im Unterschied zu § 20 Absatz 4 TV-L enthalte § 20 Absatz 3 TV-L eine spezielle Regelung, die auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses abstelle. Dieser könne entnommen werden, dass im Rahmen der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 20 Absatz 3 TV-L immer nur das aktuelle am 1. Dezember bestehende und nach § 20 Absatz 1 TV-L anspruchsbegründende Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen sei. Außerdem stehe das neue befristete Arbeitsverhältnis in keinem Zusammenhang mit dem beendeten Altersteilzeitarbeitsverhältnis. Jedenfalls sei ein etwaiger Nachzahlungsanspruch verfallen, da die Klägerin den Anspruch im Geltendmachungsschreiben vom 9. Mai 2016 nach Grund und Höhe nicht ausreichend spezifiziert habe.

29

Das beklagte Land beantragt,

30

das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 24. Oktober 2019 – 12 Ca 10716/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

31

Die Klägerin beantragt,

32

die Berufung zurückzuweisen.

33

Die Klägerin verteidigt – unter teilweiser Wiederholung und teilweiser Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – das angefochtene Urteil. Ergänzend trägt sie vor, eine erhebliche zeitliche Zäsur liege nicht vor, da bis zur Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses nicht einmal ein Monat vergangen sei. Der Anspruch sei auch nicht verfallen. Wie sich nicht zuletzt auch aus der Rückantwort des beklagten Landes vom 27. Mai 2016 ergebe, sei dem beklagten Land aufgrund der Ausführungen im Schreiben vom 9. Mai 2015 klar gewesen, welcher konkrete Anspruch geltend gemacht wurde und wie sich dieser berechnet.

34

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien, wird auf die Schriftsätze des beklagten Landes vom 25. Februar 2020 (Blatt 105 – 108 der Akten) und 30. April 2020 (Blatt 131 der Akten) sowie den Schriftsatz der Klägerin vom 2. April 2020 (Blatt 123 – 126 der Akten) verwiesen.

Entscheidungsgründe

35

Die Berufung hat Erfolg.

36

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Absatz 1 und 2 Buchstabe b ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne von § 66 Absatz 1 Satz 1, 2 und 5 ArbGG, §§ 519, 520 Absatz 1 und 3 ZPO (Zivilprozessordnung) eingelegt und begründet worden.

37

II. Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat nach § 20 TV-L keinen Anspruch auf eine höhere Jahressonderzahlung für das Jahr 2015. Das beklagte Land hat die Jahressonderzahlung der Klägerin für 2015 zutreffend berechnet. Bemessungsgrundlage für die Höhe der Jahressonderzahlung ist nach § 20 Absatz 3 TV-L – anders als für die Kürzung der Jahressonderzahlung nach § 20 Absatz 4 TV-L – nur das am 1. Dezember bestehende, nach § 20 Absatz 1 TV-L den Anspruch auf die Jahressonderzahlung begründende Arbeitsverhältnis.

38

1. Nach § 20 Absatz 1 TV-L hat die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2015, da sie am 1. Dezember 2015 in einem Arbeitsverhältnis zu dem beklagten Land stand. Die Voraussetzungen für eine Kürzung der Jahressonderzahlung nach § 20 Absatz 4 TV-L lagen nicht vor, da die Klägerin in allen zwölf Monaten des Kalenderjahres 2015 einen Entgeltanspruch gegen das beklagte Land hatte und es insoweit nicht darauf ankommt, ob die Entgeltansprüche aus einem Arbeitsverhältnis oder mehreren nacheinander bestehenden Arbeitsverhältnissen herrühren (vergleiche dazu BAG (Bundesarbeitsgericht) 12. Dezember 2012 – 10 AZR 922/11 – Rn. (Randnummer) 9 ff.). Eine solche Kürzung hat das beklagte Land auch nicht vorgenommen.

39

2. Bestehen in einem Kalenderjahr nacheinander mehrere Arbeitsverhältnisse desselben oder derselben Arbeitnehmer*in zu demselben oder derselben Arbeitgeber*in bemisst sich die Jahressonderzahlung nach § 20 Absatz 3 TV-L nur nach dem am 1. Dezember bestehenden Arbeitsverhältnis, welches nach § 20 Absatz 1 TV-L den Grund für den Anspruch bildet (ebenso Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand: April 2020 § 20 Rn. 81b; Litschen ua (und andere)/Dahl, KomTVöD (Kommentar zum Tarifvertrag öffentlicher Dienst – Verwaltung) Stand: März 2020 § 20 Rn. 17). Das ergibt sich aus der Auslegung der Tarifnorm.

40

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (siehe zum Beispiel BAG 20. Juni 2018 – 4 AZR 339/17 – Rn. 19 mwN (mit weiteren Nachweisen)).

41

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist § 20 Absatz 3 TV-L dahin auszulegen, dass sich die Höhe der zu zahlenden Jahressonderzahlung nach dem am 1. Dezember bestehenden Arbeitsverhältnis richtet.

42

aa) Der Wortlaut der Tarifnorm, von dem vorrangig auszugehen ist, führt zu keinem eindeutigen Ergebnis.

43

(1) § 20 Absatz 3 Satz 1 TVöD stellt als Bemessungsgrundlage für die Höhe der Jahressonderzahlung nach § 20 Absatz 2 TV-L grundsätzlich auf das in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlte monatliche Entgelt ab, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Entgelt in den jeweiligen Monaten tatsächlich gezahlt worden ist, sondern darauf, welches Entgelt dem oder der Arbeitnehmer*in für die jeweiligen Monate zusteht (vergleiche BAG 16. November 2011
10 AZR 549/10 -; BeckOK (Beck´scher Online-Kommentar) TV-L/Schwill Stand: 1. September 2019 § 20 TV-L Jahressonderzahlung Rn. 21b). Dem Wortlaut des § 20 Absatz 3 Satz 1 TV-L ist dabei nicht zu entnehmen, ob auf das Entgelt aus dem am 1. Dezember bestehenden und nach § 20 Absatz 1 TV-L anspruchsbegründenden Arbeitsverhältnis abzustellen ist oder ob auch das Entgelt aus einem früheren beendeten Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen ist. Zwar könnte der Umstand, dass § 20 Absatz 3 Satz 1 TV-L keine ausdrückliche Beschränkung auf das am 1. Dezember bestehende Arbeitsverhältnis beispielsweise durch den Zusatz „aus dem Arbeitsverhältnis nach Absatz 1“ enthält, darauf hindeuten, dass es bei mehreren nacheinander bestehenden Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Kalenderjahres nicht darauf ankommt, aus welchem der Arbeitsverhältnisse der Entgeltanspruch stammt (vergleiche BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 922/11 – Rn. 11). Das ist jedoch nicht zwingend. Denn eine eindeutige Regelung, dass das in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlte Entgelt lediglich aus „einem“ Arbeitsverhältnis stammen muss, fehlt ebenfalls.

44

(2) § 20 Absatz 3 Satz 3 TV-L bestimmt, dass in den Fällen, in denen das am 1. Dezember bestehende Arbeitsverhältnis nach dem 31. August begonnen hat, an die Stelle des Bemessungszeitraums von Juli bis September nach § 20 Absatz 3 Satz 1 TV-L der erste volle Kalendermonat des Arbeitsverhältnisses und an Stelle des Bemessungssatzes der Entgeltgruppe am 1. September nach § 20 Absatz 3 Satz 2 TV-L die Entgeltgruppe des ersten Tages des nach dem 31. August begründeten Arbeitsverhältnis tritt. Das gilt auch dann, wenn dem am 1. Dezember bestehenden Arbeitsverhältnis in dem Kalenderjahr ein weiteres beendetes Arbeitsverhältnis vorausgegangen ist (vergleiche dazu BAG 22. März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 14 ff.) Die Regelung betrifft jedoch nicht den Fall, dass das am 1. Dezember bestehende Arbeitsverhältnis – wie hier – vor dem 1. September, also nicht nach dem 31. August begonnen hat.

45

(3) Auch die Protokollerklärung zu § 20 Absatz 3 TV-L enthält keinen eindeutigen Hinweis, auf welches Arbeitsverhältnis oder welche Arbeitsverhältnisse abzustellen ist. Nach Satz 1 der Protokollerklärung sind bei der Berechnung des durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts die gezahlten Entgelte der drei Monate zu addieren und durch drei zu teilen; dies gilt auch bei einer Änderung des Beschäftigungsumfangs. Auf den ersten Blick könnte Letzteres darauf hindeuten, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien bei der Bemessung der Jahressonderzahlung jedes in den Zeitraum von Juli bis September fallende Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen ist. Jedoch kann es zu einer Änderung des Beschäftigungsumfangs nicht nur bei der Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses kommen, sondern auch im bestehenden Arbeitsverhältnis. Ob auf die Monate Juli bis September auch dann abzustellen ist, wenn sich nicht nur der Beschäftigungsumfang, sondern auch die Beschäftigungsgrundlage geändert hat, dazu verhält sich die Protokollerklärung nicht.

46

bb) Gesamtzusammenhang und Systematik sprechen hingegen dafür, dass es nur auf das am 1. Dezember bestehende Arbeitsverhältnis ankommt.

47

(1) Nach § 20 Absatz 1 TV-L haben Beschäftigte Anspruch auf eine Jahressonderzahlung, wenn sie am 1. Dezember in einem Arbeitsverhältnis stehen (vergleiche zu der Stichtagsregelung BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 11 ff.). Dabei ist es für die Erfüllung dieser (einzigen) Tatbestandsvoraussetzung unerheblich, ob bereits vorher ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, ob das am 1. Dezember bestehende Arbeitsverhältnis befristet oder unbefristet ist, ob es gegebenenfalls noch im Dezember des Jahres endet oder bereits gekündigt ist. Besteht das Arbeitsverhältnis zum Stichtag, entsteht grundsätzlich ein Anspruch auf eine volle Jahressonderzahlung. Eine Kürzung des Anspruchs ist in § 20 Absatz 4
TV-L nur in den Fällen vorgesehen, in denen ein oder eine Beschäftigte*r in einem Kalendermonat des Jahres keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 TV-L hatte (vergleiche zum Ganzen BAG 22. März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 17 mwN).

48

Das bedeutet, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien kein Anspruch auf eine Jahressonderzahlung bestehen soll, wenn ein Arbeitsverhältnis, unabhängig davon, wann es begründet worden ist, vor dem Stichtag 1. Dezember geendet hat. Dass die Tarifvertragsparteien einen nicht bestehenden Anspruch aus einem beendeten Arbeitsverhältnis neu entstehen lassen wollten, wenn im Laufe des Kalenderjahres ein weiteres Arbeitsverhältnis begründet wird, ist fernliegend. Ebenso ist es fernliegend, dass ein beendetes Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf Jahressonderzahlung aus dem am 1. Dezember bestehenden Arbeitsverhältnis beinträchtigen können soll. Dazu könnte es aber, je nachdem, in welchem der Arbeitsverhältnisse der oder die Beschäftigte mehr verdient hat, kommen, wenn bei der Bemessung der Jahressonderzahlung nicht nur das Entgelt aus dem anspruchsbegründenden Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen wäre, sondern gegebenenfalls auch das aus einem vorangegangenen beendeten Arbeitsverhältnis.

49

(2) Die Höhe der Jahressonderzahlung ist nach § 20 Absatz 2 TV-L – anders als früher nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (TV Zuwendung) – nicht nur von der Höhe der Vergütung des oder der jeweiligen Beschäftigten (Bemessungsgrundlage) abhängig, sondern hinsichtlich des Bemessungssatzes zusätzlich nach Entgeltgruppen gestaffelt. Es bedarf deshalb nicht nur der Bestimmung des Referenzzeitraums zur Ermittlung der zugrunde zu legenden Vergütungshöhe, sondern auch des Zeitpunkts für die Ermittlung der für den Bemessungssatz maßgeblichen Entgeltgruppe. Beides ist in § 20 Absatz 3 TV-L festgelegt. Dabei stellt die Norm für den Regelfall nicht auf den Stichtag 1. Dezember ab, sondern nach § 20 Absatz 3 Satz 1 und 2 TV-L auf die durchschnittliche Vergütung in den Monaten Juli bis September und die Eingruppierung am 1. September. Aus diesen beiden Faktoren berechnet sich die konkrete Höhe der Sonderzahlung. § 20 Absatz 3 Satz 3 TV-L regelt eine Ausnahme hiervon für Beschäftigte, „deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. August begonnen hat“. Für diese wird der erste volle Kalendermonat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses als Bemessungsgrundlage herangezogen und für den Bemessungssatz ist die Entgeltgruppe des Einstellungstags maßgeblich (BAG 22. März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 18 f.). Mangels anderer Anhaltspunkte liegt es dabei nahe, dass § 20 Absatz 3 Satz 3 TV-L mit dem Begriff des Arbeitsverhältnisses das Arbeitsverhältnis meint, das nach § 20 Absatz 1 TV-L den Anspruch auf die Jahressonderzahlung begründet (BAG 22. März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 19; ähnlich bereits BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 922/11 – Rn. 17).

50

Wenn aber die Tarifvertragsparteien in § 20 Absatz 3 Satz 3 TV-L für die Bemessung der Jahressonderzahlung auf das anspruchsbegründende Arbeitsverhältnis abstellen, spricht dies dafür, dass dies auch für den in § 20 Absatz 3 Satz 1 und 2 TV-L geregelten Normalfall, dass das anspruchsbegründende Arbeitsverhältnis vor dem 1. September begründet wurde, gelten soll. Denn in der Regelung kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass für die Jahressonderzahlung maßgeblich sein soll, was zwischen den Arbeitsvertragsparteien aktuell vereinbart ist.

51

(3) Außerdem haben die Tarifvertragsparteien, indem sie in § 20 Absatz 3 Satz 1 und 2 TV-L für die Bemessung der Jahressonderzahlung einen Referenzzeitraum in der zweiten Jahreshälfte festgelegt haben, zum Ausdruck gebracht, dass sich die Höhe der Jahressonderzahlung nicht am zufälligen Bestand am für den Anspruch maßgeblichen Stichtag 1. Dezember orientieren, sondern das anspruchsbegründende Arbeitsverhältnis abbilden soll. Zugleich haben sie aber auch darauf verzichtet, das gesamte Kalenderjahr exakt nach Umfang der Arbeitsleistung und Eingruppierung heranzuziehen. (vergleiche BAG 22. März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 22).

52

(4) § 20 Absatz 4 TV-L, der in bestimmten Fällen die Möglichkeit der Kürzung des Anspruchs (Zwölftelung) vorsieht, steht dem nicht entgegen. Denn im Unterschied zu den Absätzen 2 und 3 stellt die Vorschrift nicht auf „das Arbeitsverhältnis“ ab, sondern auf einen Anspruch des oder der Beschäftigten auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung in den einzelnen Kalendermonaten (vergleiche BAG 22. März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 20).

53

cc) Nach § 20 Absatz 3 TV-L kommt es auch nicht darauf an, ob sich das anspruchsbegründende Arbeitsverhältnis unmittelbar an das vorausgegangene, im laufenden Kalenderjahr beendete Arbeitsverhältnis anschloss oder zwischen beiden Arbeitsverhältnissen zumindest ein enger sachlicher Zusammenhang bestand oder nicht (vergleiche BAG 22 März 2017 – 10 AZR 623/15 – Rn. 24 ff.).

54

3. Die der Klägerin nach § 20 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit dem Absatz 3 Satz 1 und 2 TV-L unter Berücksichtigung ihrer Vergütung für August und September 2015 zustehende Jahressonderzahlung hat das beklagte Land nach den hier maßgeblichen Regelungen für das Tarifgebiet Ost zutreffend nach der Berechnungsregel im Satz 2 der Protokollerklärung zu § 20 Absatz 3 TV-L berechnet und der Klägerin ausgezahlt. Hiergegen hat die Klägerin auch keine Einwendungen erhoben.

55

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Absatz 1 ZPO. Danach hat die Klägerin als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

56

IV. Die Revision ist nach § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

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VonRA Moegelin

Einseitige Kündigungsmöglichkeit unwirksam

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Die Vereinbarung einer einseitigen Kündigungsmöglichkeit für die Arbeitgeberseite etwa zur Mitte der Vertragsbindungsdauer in einem auf die Dauer von 5 Jahren geschlossenen Arbeitsvertrag verstößt gegen § 622 Abs. 6 BGB analog. Die Unwirksamkeit dieser Klausel und die dadurch bedingte Regelungslücke in dem vom Arbeitnehmer (Jurist) erstellten Arbeitsvertrag kann ggf. im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahingehend geschlossen werden, dass für beide Seiten eine Kündigungsmöglichkeit als bestehend angenommen wird.
Erklärt sich der Arbeitnehmer bei Ankündigung der Ausübung des Kündigungsrechts sofort auch schriftlich bereit, den Kündigungstermin (hier: 31.12.2015) um 2 Monate zu verlegen, so kann er sich nicht darauf berufen, nur er habe den Text, betreffend die Verlegung des Kündigungstermines unterzeichnet, während im Arbeitsvertrag eine doppelte Schriftformklausel enthalten sei. Der Arbeitnehmer handelt treuwidrig, wenn er die Arbeitgeberin nicht auf die auch von ihr erforderliche Unterzeichnung der Erklärung (doppelte Schriftformklausel), die der Arbeitnehmer angesichts der durch ihn erfolgten Abfassung des Vertrages kennt oder zumindest kennen muss, hinweist.
Eine schriftliche Kündigungserklärung, die in den Hausbriefkasten des Empfängers eingeworfen wird, geht diesem am selben Tage zu, wenn er diese abends aus dem Hausbriefkasten entnimmt. Auf die Frage der üblichen Postlaufzeiten kommt es dann nicht an.

Urteil des LAG München vom 17.12.2019, Aktenzeichen: 6 Sa 543/18 (Leitsätze)

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VonRA Moegelin

Vereinbarung von Weiterbeschäftigung für den Arbeitnehmer

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Über einen im Bestandsstreit hilfsweise gestellten Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung treffen die Parteien nur dann eine bei der Streitwertfestsetzung nach § 45 Abs. 4 iVm Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigende Regelung, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist. (Leitsatz)

Volltext des Beschlusses des LAG Nürnberg vom 04.08.2020 – 2 Ta 84/20:

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Klägervertreter wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 18.03.2020, Az. 10 Ca 767/20, abgeändert.
2. Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 5.988,06 € und für den Vergleich auf 7474,46 € festgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

A.
1
Die Parteien stritten im Wege der Kündigungsschutzklage um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen, Kündigung vom 27.01.2020, um Weiterbeschäftigung und um Zustimmung zur Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 34 Stunden.
2
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 16.01.2017 als Produktionshelferin beschäftigt. Das monatliche Bruttoeinkommen betrug 1.486,40 €. Arbeitsvertraglich war eine Arbeitszeit von monatlich 140 Stunden in Monaten mit 20 Arbeitstagen, 147 Stunden in Monaten mit 21 Arbeitstagen, 154 Stunden in Monaten mit 22 Arbeitstagen und 161 Stunden in Monaten mit 23 Arbeitstagen vereinbart. Die Klägerin begehrte die Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 34 Stunden.
3
Das Verfahren endete durch Abschluss eines Vergleichs mit Ablauf der Widerrufsfrist am 02.04.2020. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund der ordentlichen Kündigung zum 29.02.2020 und die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses mit bestimmten Beurteilungen.
4
Mit Beschluss vom 18.03.2020 setzte das Arbeitsgericht den Gegenstandswert für das Verfahren auf 5.945,60 € (= vier Monatsgehälter) und für den Vergleich auf 7.432,- € (= fünf Monatsgehälter) fest. Den Kündigungsschutzantrag bewertete das Arbeitsgericht dabei mit drei Monatsgehältern, den Teilzeitantrag mit einem Monatsgehalt und die Einigung über das Zeugnis im Vergleich ebenfalls mit einem Monatsgehalt. Den Weiterbeschäftigungsantrag bewertete das Arbeitsgericht nicht.
5
Mit Schriftsatz vom 06.04.2020 legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hiergegen Beschwerde ein. Der Teilzeitanspruch sei mit drei Monatsgehältern zu bewerten, der Weiterbeschäftigungsanspruch mit einem Monatsgehalt.
6
Mit Beschluss vom 26.05.2020 half das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. Wegen der Einzelheiten wird auf den ausführlich begründeten Beschluss Bezug genommen (Blatt 52 der Akten).
7
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis letztendlich zum 03.08.2020. Die Klägervertreten hielten mit Schriftsatz vom 03.08.2020 an ihrer Auffassung fest (Blatt 64 – 66 der Akten). Die übrigen Beteiligten gaben keine inhaltliche Stellungnahme ab.
B.
I.
8
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 – 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 – 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
II.
9
Die Beschwerde ist zum Teil begründet. Im vorliegenden Fall haben die Parteien auch eine Einigung über den Weiterbeschäftigungsantrag getroffen, so dass er mit einem Monatsgehalt zu bewerten war. Der Teilzeitantrag ist mit dem Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags (= 1.528,86 €) zu bewerten, da dieser Wert zwischen einem und drei Monatsgehältern liegt. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Gegenstandswerte für das Verfahren und den Vergleich zutreffend festgesetzt.
10
Bei der Wertfestsetzung folgt die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar. Im Einzelnen gilt folgendes:
11
1. Den Wert für die Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht zutreffend mit drei Monatsgehältern festgesetzt. Nach Ziff. I Nr. 21.1 Streitwertkatalog 2018 für die Arbeitsgerichtsbarkeit ist eine außerordentliche Kündigung, die hilfsweise als ordentliche erklärt wird (einschließlich Umdeutung nach § 140 BGB), höchstens mit der Vergütung für ein Vierteljahr zu bewerten, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Schreiben erklärt werden (vgl. z.B. LAG Düsseldorf 07.05.2018 – 4 Ta 124/18 mwN; GMP/Künzl ArbGG, 9.Aufl. § 12 ArbGG Rn 109). Einwendungen hat die Beschwerdeführerin insoweit auch nicht erhoben.
12
2. Der Weiterbeschäftigungsantrag war im vorliegenden Fall nicht zu bewerten.
13
a. Nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg (z.B. 19.03.2020 – 2 Ta 15/20; 08.07.2016 – 4 Ta 78/16) und anderer Landesarbeitsgerichte ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm. Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG 13.08.2014 – 2 AZR 871/14 Rn 4, juris; 30.08.2011 – 2 AZR 668/11, juris; LAG Niedersachsen 24.01.2020 – 8 Ta 13/20 Rn 7 mit zahlreichen Nachweisen, juris). Dies deckt sich auch mit Ziff. I Nr. 18 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Zweifel ist der Weiterbeschäftigungsantrag im wohlverstandenen Kosteninteresse der Partei, dem der Rechtsanwalt verpflichtet ist, als Hilfsantrag auszulegen (LAG Nürnberg 19.03.2020 – 2 Ta 15/20; LAG Niedersachsen 24.01.2020 – 8 Ta 13/20).
14
b. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist nicht ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden. Da das Verfahren durch Vergleich endete, erging über ihn auch keine Entscheidung.
15
c. Der Weiterbeschäftigungsantrag fiel wertmäßig auch nicht wegen der Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich gem. § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG an. Denn ihn betreffend haben die Parteien im Vergleich keine Vereinbarung getroffen, die mit einer gerichtlichen Entscheidung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG vergleichbar ist (vgl. BAG 13.08.2014 – 2 AZR 871/12). Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde (vgl. LAG Nürnberg 19.03.2020 – 2 Ta 15/20) und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist. Denn eine tatsächliche Beschäftigung ist nur für die Zukunft regelbar (LAG Baden-Württemberg 30.12.2015 – 5 Ta 71/15; LAG Köln 23.06.2016 – 4 Ta 118/16).
16
Nach Ziffer 1 des Vergleichs wurde das Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die angegriffene außerordentliche Kündigung zum 27.01.2020, sondern erst durch die ordentliche Kündigung zum 29.02.2020 beendet, also zu einem um mehr als einen Monat späteren Termin als dem beabsichtigten Entlassungstermin. Der Vergleich wurde jedoch erst nach dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt abgeschlossen bzw. rechtswirksam.
17
3. Der Teilzeitantrag ist mit 1.528,86 € zu bewerten. Der Werte des Verfahrens und des Vergleichs erhöhen sich deshalb um jeweils 42,46 €.
18
a. Für die Bemessung des Gegenstandswertes bei einem Teilzeitbegehren eines Arbeitnehmers sind wegen der Vergleichbarkeit mit einer Änderungsschutzklage die Regeln über die Bemessung des Streitwertes bei einer Änderungskündigung heranzuziehen. Denn ebenso wie es bei der Änderungsschutzklage um den Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses geht, will der Arbeitnehmer mit seinem Wunsch auf Reduzierung der Arbeitszeit in den Inhalt des Arbeitsverhältnisses eingreifen. Für die Streitwertfestsetzung ist die Klage des Arbeitnehmers auf Herabsetzung der Arbeitszeit daher lediglich das Gegenteil einer Klage, mit der er sich gegen eine Herabsetzung seiner Arbeitszeit durch eine Änderungskündigung des Arbeitgebers wehrt (LAG Nürnberg 04.02.2013 – 2 Ta 5/13 n.v.; LAG Nürnberg 08.12.2008 – 4 Ta 148/08 juris; LAG Hamburg 16.03.2011 – 7 Ta 4/11 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
19
Änderungsschutzklagen sind als Streitigkeiten um wiederkehrende Leistungen gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG regelmäßig mit dem dreifachen Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistung zu bemessen. Bezieht sich das Teilzeitbegehren auf eine kürzere Laufzeit als drei Jahre (im vorliegenden Fall elf Monate), so ist dieser Zeitraum maßgeblich (§ 42 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz GKG). Gleichzeitig ist dabei allerdings zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die in § 42 Abs. 2 GKG geregelte Streitwertobergrenze für Bestandsschutzstreitigkeiten zu beachten. Denn es wäre nicht zu rechtfertigen, dass der Streitwert einer bloßen Änderungsschutzklage den Wert einer Bestandsschutzklage, für die die Kappungsgrenze des § 42 Abs. 2 GKG gilt, übersteigen könnte. Der Wert könnte sonst in den Fällen, in denen es um den Verlust des gesamten Arbeitsverhältnisses geht, niedriger sein, als bei einem Streit lediglich um die Modalitäten des Arbeitsvertrages (LAG Nürnberg 04.02.2013 – 2 Ta 5/13 n.v.; LAG Hamburg 16.03.2011 – 7 Ta 4/11 m.w.N.).
20
Dem entsprechen auch die Empfehlungen des aktuellen Streitwertkatalogs. Nach Ziff. I Nr. 8 Streitwertkatalog 2018 richtet sich die Bewertung eines Antrags auf Arbeitszeitveränderung nach Ziff. I Nr. 4, also der Bewertung für Änderungskündigung und dem sonstigen Streit über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Nach Ziff. I Nr. 4.2. beträgt der Wert der Änderungskündigung mit Vergütungsdifferenz oder sonstigen messbaren wirtschaftlichen Nachteilen die 3-fache Jahresdifferenz, mindestens eine Monatsvergütung, höchstens die Vergütung für ein Vierteljahr.
21
b. Mit ihrem Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit auf 34 Stunden in der Woche begehrt die Klägerin eine Reduzierung ihrer vertraglichen wöchentlichen Arbeitszeit um eine Stunde. Denn die Umrechnung der arbeitsvertraglich vereinbarten monatlichen Arbeitszeit ergibt eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden. Ausgehend vom angegebenen Monatseinkommen (1.486,40 €) betrug der Stundenlohn 9,80 € brutto. Der Wert der 3-fachen Jahresdifferenz liegt bei 1.528,80 € (9,80 € × 52 Wochen × 3 Jahre). Dies ist die wirtschaftlich messbare Differenz. Da dieser Wert zwischen einem Monatsentgelt und dem Vierteljahresentgelt liegt, ist er für die Wertfestsetzung maßgebend.
22
4. Bei der Festsetzung des Vergleichswertes hat das Arbeitsgericht die Einigung über die Erteilung eines „guten“ qualifizierten Zeugnisses mit der Leistungsbewertung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ und der Verhaltensbeurteilung „stets einwandfrei“ zutreffend mit einem Monatsgehalt bewertet (Ziff. I Nr. 25.1.3 iVm Nr. 29.3 Streitwertkatalog).
C.
23
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
24
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 18.03.2020 – 10 Ca 767/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19886

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VonRA Moegelin

Vereinbarung einer Gewinnbeteiligung -EBIT

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Vereinbaren Arbeitsvertragsparteien eine Gewinnbeteiligung des Mitarbeiters, die sich nach dem Jahresgewinn richten soll und wird dieser mit der Kennzahl EBIT vertraglich definiert, ist hierunter zunächst dem Wortlaut gemäß nichts anderes zu verstehen als eben „Earnings before interest and taxes“ bzw. „Gewinn vor Zinsen und vor Steuern“. 2. Da es sich bei dem Begriff des EBIT um eine sog. NON-GAAP-Steuerungskennzahl handelt, also um eine nicht standardisierte und normativ vorgegebene Kennzahl, lässt sie je nach unternehmensindividueller Festlegung Bereinigungen, insbesondere um sog. außergewöhnliche Ereignisse und Einmaleffekte zu. Ob solche Bereinigungen vorzunehmen sind, um beispielsweise den operativen Gewinn (besser) abbilden zu können, hängt von der jeweiligen unternehmensindividuellen Entscheidung und dem mit der Kennzahl EBIT verfolgten Zweck ab. 3. Ob einer vertraglichen Gewinnbeteiligung, die an die Kennzahl EBIT anknüpft, ein wie auch immer bereinigtes EBIT oder die Ausgangskennzahl zugrunde zu legen ist, ist im Wege der Auslegung der Vereinbarung zu bestimmen. Ausgangspunkt der Auslegung ist dabei, wenn der Vertrag Einschränkungen oder Korrekturen nicht erwähnt, dem Wortlaut gemäß das unbereinigte EBIT. (Leitsätze)

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf -3 Sa 197/19 vom 03.03.2020:

Tenor

I.Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.01.2019 – Az.: 1 Ca 2004/2. – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere GBP 66.666,00 brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2018 zu zahlen.

II.Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV.Die Revision wird nicht zugelassen.

1

T A T B E S T A N D:
2

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Gewinnbeteiligung für das Jahr 2017 in Höhe von GBP 66.666,00 brutto nebst Zinsen sowie über einen im Wege der Hilfsaufrechnung und weiter hilfsweise im Wege einer Anschlussberufung von der Beklagten geltend gemachten Gegenanspruch auf Zahlung von GBP 33.333,33 nebst Zinsen.
3

Die Beklagte ist Hersteller und Anbieter von Transportkältemaschinen und seit dem Jahr 2015 Teil des amerikanischen Konzerns J. S..
4

Der am 21.12.1954 geborene Kläger war vom 01.09.1985 bis zum 31.03.1993 und vom 01.10.1994 bis zum 30.06.2018 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 01.10.1994 war er für die G. UK Ltd. in Großbritannien als „Director of Company“ auf der Grundlage des Anstellungsvertrags vom 09.06.1998 (Blatt 35 ff. der Akte) sowie des „Amendment to the Employment Agreement“ vom 14.04.1999 (Blatt 44 ff. der Akte, im folgenden „Änderungsvertrag“) tätig.
5

Unter § 9 Ziffer 6 des Anstellungsvertrages haben die Parteien vereinbart:
6

„Die Gesellschaft ist berechtigt, den Mitarbeiter nach erfolgter Kündigung unter Fortzahlung der zu erwartenden Bezüge ganz oder auch zeitweise zu beurlauben. Alle Urlaubsansprüche sind hiermit abgegolten. Ab diesem Zeitpunkt entfallen mit sofortiger Wirkung die Nutzung des Dienstwagens und die Gebührenübernahme für das Telefon, ohne dass ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung besteht. Nimmt der Mitarbeiter nach vorheriger Zustimmung durch die Geschäftsleitung G. während der bezahlten Freistellung eine andere Tätigkeit auf, entfällt mit sofortiger Wirkung die Zahlung der Bezüge.“
7

Unter § 1 des in englischer Sprache verfassten Änderungsvertrages haben die Parteien unter „Salary“ ein Fixgehalt (§ 1.1) sowie einen „Profit Share“ (§ 1.2) vereinbart. Wörtlich heißt es unter § 1.2 des Änderungsvertrages wie folgt:
8

„In addition and as of July 1, 1999, the Managing Director shall receive a compensation in the form of a percentage of the annual profits of the company (EBIT), payable after the adoption of the respective annual accounts of G. UK Ltd. (the „Profit Share”). Such profits shall be calculated taking the Profit Share itself into account. The following scale shall be applied for the determination of the Managing Director´s profit share:
9
EBIT TGBP Profit Share
0-150 15 %
151-250 12 %
251-350 10 %
351-500 8 %
in excess of 500 6 %
10

Each respective percentage rate shall be applied only to the earnings exceeding those of the respective lower profit range.
11

The maximum profit share to be earned by the Managing Director throughout the duration of this Agreement shall amount to GBP 100,000.00 p.a.”
12

In deutscher Übersetzung bedeutet dies:
13

„Zusätzlich und mit Wirkung vom 1. Juli 1999 erhält der Geschäftsführer eine Vergütung in Form eines Prozentsatzes des Jahresgewinns der Gesellschaft (EBIT), zahlbar nach der Feststellung des jeweiligen Jahresabschlusses der G. UK Ltd. (die „Gewinnbeteiligung“). Der Jahresgewinn wird unter Berücksichtigung der Gewinnbeteiligung selbst berechnet. Der folgende Maßstab findet für die Berechnung der Gewinnbeteiligung des Geschäftsführers Anwendung:
14
EBIT TGBP Gewinnbeteiligung
0-150 15 %
151-250 12 %
251-350 10 %
351-500 8 %
in excess of 500 6 %
15

Der jeweilige Prozentsatz wird nur auf die die jeweils niedrigere Gewinnspanne übersteigenden Gewinne angewandt.
16

Die maximale Gewinnbeteiligung, die der Geschäftsführer während der Laufzeit dieser Vereinbarung verdienen kann, beträgt GBP 100.000,00 pro Jahr.“
17

Der maximale „Profit Share“ in Höhe von GBP 100.000,- kommt demnach bei einem EBIT in Höhe von GBP 1.225.000,- zum Tragen.
18

Für das Geschäftsjahr 2017 ist an den Kläger die Zahlung eines „Profit Share“ in Höhe von GBP 33.333,- erfolgt. Diese war zuvor von ihm durch Auszahlungsanweisungen an den Payroll-Dienstleister N. Ltd. namens der G. UK Ltd. selbst veranlasst worden, und zwar im Januar und Februar 2017 bereits mit Teilbeträgen von jeweils GBP 1.800,-, im März 2017 in Höhe von GBP 1.850,- sowie mit Anweisung vom 12.04.2017 (Anlage B6, Blatt 371 ff. der Akte) in Höhe weiterer GBP 27.833,-. Die Zahlung wurde von N. weisungsgemäß ausgeführt und der letztgenannte Betrag am 28.04.2017 an den Kläger gezahlt. Die Abrechnung hierzu (Anlage BK18, Blatt 703 der Akte) weist oben links die G. UK Ltd. aus, an keiner Stelle jedoch findet sich ein Hinweis auf die Beklagte.
19

Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis mit E-Mail vom 27.12.2016 und nachfolgend mit Schreiben vom 13.04.2017 zum 30.06.2018. Mit E-Mail vom 12.04.2017 (Anlage K6, Blatt 73 ff. der Akte) wurde er mit Wirkung ab 17.04.2017 bis zum 31.12.2017 unwiderruflich freigestellt; unter dem 29.05.2017 wurde die Freistellung bis zum 30.06.2018 verlängert. Mit Gesellschafterbeschluss vom 12.10.2017 wurde der Kläger als „Director of company“ abberufen.
20

Die G. UK Ltd. wurde infolge des Kaufs durch J. S. liquidiert, ihr Geschäftsbetrieb wurde veräußert und auf die J. S. European Sales Ltd. (IRESA) übertragen. Der am 26.09.2018 festgestellte Jahresabschluss der G. UK Ltd., wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage B4 (Blatt 355 ff. der Akte) Bezug genommen wird, weist einen Gewinn („Profit“) vor Steuern und Zinsen von GBP 5.093.155,- aus. Enthalten sind darin GBP 5.150.143,- als Erlös aus der Veräußerung des Geschäftsbetriebes („Profit on sale of operation“), so dass sich ohne Berücksichtigung dieser Position rechnerisch ein Verlust vor Steuern und Zinsen in Höhe von GBP 56.988,- ergäbe. Ob der Erlös auf der Veräußerung des Geschäftsbetriebes der G. UK Ltd. bei der Berechnung des EBIT im Sinne des Änderungsvertrages der Parteien vom 14.04.1999 zu berücksichtigen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
21

Mit seiner am 14.08.2018 vor dem Arbeitsgericht Essen erhobenen und der Beklagten am 23.08.2018 zugestellten Klage hat der Kläger erstinstanzlich die Auszahlung der an die Beklagte gezahlten Kapitallebensversicherungen, die bis zum Geschäftsjahr 2009/2011 zu seinen Gunsten abgeschlossen worden waren, die Übertragung der Rückdeckungsversicherungen und für das Geschäftsjahr 2017 einen „Profit Share“ in Höhe von GBP 66.666,- € brutto sowie verschiedene Auskunftsansprüche geltend gemacht. Soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse hat er erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass ihm schon nach dem festgestellten Jahresabschluss der G. UK Ltd. für das Jahr 2017 der maximale Profit Share von GBP 100.000,- brutto zustehe. Denn aus diesem ergebe sich der maßgebliche EBIT mit GBP 5.093.155,-. Seiner Ansicht nach berechne sich der EBIT aus dem Jahresüberschuss zzgl. Steueraufwand abzüglich der Steuererträge zzgl. des Zinsaufwands und sonstigen Finanzaufwands und abzüglich der Zins- und sonstigen Finanzerträge. Der EBIT sei nicht gleichzusetzen mit einem operativen Gewinn, denn wenn sie das gewollt hätten, hätten die Parteien keinen „profit“, sondern einen „operating profit“ vereinbart. Außergewöhnliche Erträge seien deshalb bei dem EBIT zu berücksichtigen; diese würden nur bei einem „bereinigten EBIT“ nicht berücksichtigt. Jedenfalls sei dem Kläger durch die Freistellung ab 17.04.2017 die Möglichkeit genommen worden, einen höheren EBIT zu erzielen. Dabei weist der Kläger darauf hin, dass die Beklagte mit der G. UK Ltd. eine veränderte Provisionsabrechnung vereinbart habe. Während der aktiven Tätigkeit des Klägers sei eine Rohertragsmarge erwirtschaftet worden, die nie unter 49,2% gelegen habe (Umsatzerlös – Herstellungs-/Bezugskosten). Nach seiner Freistellung sei die G. UK Ltd. nur noch auf eine Ertragsmarge von 13,2% gekommen. Diese Änderung der Ertragsgrundlage sei ohne Beschluss des Director Board Meetings erfolgt. Im Übrigen sei für das Geschäftsjahr 2017 aufgrund der Gewinne, die während der Tätigkeit des Klägers erzielt worden seien, davon auszugehen, dass der EBIT mehr als GBP 1.225.000 betragen hätte. In den 10 Jahren vor 2017 seien durchschnittlich 400 Maschineneinheiten in UK und Irland durch die G. UK Ltd. für die Beklagte verkauft und hierfür Verkaufsprovisionen erzielt worden. Zu Ende März 2017 seien bereits 294 Maschineneinheiten verkauft worden, am 12.04.2017 175 Maschinen geliefert und weitere 135 verkauft worden, d.h. insgesamt 310 Maschineneinheiten. Es habe weitere mündliche Aufträge über 70 Maschineneinheiten gegeben. Der Gewinn vor der Freistellung sei mit demjenigen der Vorjahre daher vergleichbar gewesen. Der bereits ausgezahlte „Profit Share“ in Höhe von GBP 33.333,- stehe ihm in jedem Falle zu. Dieser Betrag sei als Vorauszahlung von ihm berechtigterweise gegenüber der N. Ltd. angewiesen und daraufhin an ihn gezahlt worden. Dass auf den „Profit Share“ Vorauszahlungen geleistet würden, sei jahrelang gelebte Praxis gewesen. Bis Mai 2017 sei der Kläger der einzig Zeichnungsberechtigte gegenüber der N. Ltd. gewesen. Dass er sich mit den Mitarbeitern Candice Bosteels und Poulain habe abstimmen sollen, sei der ausdrückliche Wunsch des Geschäftsführers der Beklagten gewesen, wie sich aus der E-Mail vom 28.02.2017 ergebe (Anlage K28, Blatt 370 der Akte).
22

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
23

1.die Beklagte zu verurteilen, an ihn GBP 59.848,01 und Euro 199.945,22 zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01. Juli 2018 zu zahlen;
24

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn zum 21. Dezember 2019 (der Vollendung seines 65. Lebensjahres) GBP 59.848,01 und EUR 199.945,22 zu zahlen;
25

2.die Beklagte zu verurteilen,
26

a)ihm Auskunft zu erteilen über die von ihr erzielten Zinsen für die in Ziffer 1 genannten Beträge (von der HDI über die Kapitallebensversicherungen des Klägers gezahlte Ablaufleistungen) und diese Auskunft durch Vorlage der Kontoauszüge und Bankauskunft zu belegen;
27

b)gegebenenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte gemäß Ziffer 2a) eidesstattlich zu versichern;
28

c)die sich aus der Auskunft ergebenden Zinsen zuzüglich Verzugszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01. Juli 2018 an den Kläger auszuzahlen;
29

3.die Beklagte zu verurteilen, an ihn GBP 66.666,- brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. April 2018 zu zahlen;
30

4.die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Gehaltsabrechnung für den Monat April 2018, das Formular Expense and Benefits P11 D für das (britische) Steuerjahr 06. April 2017 bis 05. April 2018 sowie das Formular P45 (Details of employee leaving work) zu erteilen;
31

5.die Beklagte zu verurteilen, ihm hinsichtlich der bei der HDI von der Beklagten zugunsten des Klägers abgeschlossenen Rückdeckungsversicherungen 40-013105307 und 40-013183101 jeweils
32

a)Auskunft über Zeitpunkt und Höhe der von der Beklagten geleisteten Beitragszahlungen zu erteilen und diese Auskunft durch entsprechende Unterlagen (Kontoauszüge der Beklagten der Aufstellung der HDI) zu belegen;
33

b)Auskunft über die Wertstellung zum Stichtag 30. Juni 2018 zu geben, diese Auskunft durch entsprechende Unterlagen der HDI zu belegen und zusammen mit dieser entsprechend belegten Auskunft ein Angebot auf Übertragung der Versicherung auf den Kläger mittels HDI-Formular zur Änderung der Versicherungsnehmerstellung unter ausdrücklicher Nennung des Übertragungsdatums 30. Juni 2018 zu unterbreiten;
34

c)dem Kläger den Versicherungsschein zu übergeben, hilfsweise schriftlich zu versichern, dass die Beklagte nicht im Besitz des Versicherungsscheins ist.
35

Die Beklagte hat beantragt,
36

1.die Klage abzuweisen;
37

2.hilfsweise für den Fall der Klageabweisung des Klageantrages zu 3. den Kläger im Wege der Widerklage zu verurteilen, an sie GBP 33.333,33 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pro Jahr seit dem 29. April 2017 zu zahlen.
38

Der Kläger hat wiederum beantragt,
39

die Widerklage abzuweisen.
40

Die Beklagte hat, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe der geltend gemachte „Profit Share“ für 2017 nicht zu. Sie hat behauptet, die Parteien seien sich darüber einig gewesen, dass der Kläger während der Freistellung keinen „Profit Share“ erhalten solle. Insbesondere habe der Kläger aber auch nicht darlegen können, dass die G. UK Ltd. im Jahr 2017 einen EBIT erwirtschaftet habe, der zu einem maximalen Bonus in Höhe von GBP 100.000,- geführt hätte. Im Gegenteil habe die G. UK Ltd. gar keinen positiven EBIT im Jahr 2017 erwirtschaftet. Hierzu hat die Beklagte auf den als Anlage B4 eingereichten Jahresabschluss verwiesen. Der dort ausgewiesene Gewinn in Höhe von GBP 5.226.574 komme nur zustande, weil Steuererträge in Höhe von GBP 135.834, Zinsforderungen in Höhe von GBP 1.600 sowie außerordentliche Erträge aus der Veräußerung des Geschäftsbetriebs in Höhe von 5.150.143 hinzugerechnet und Zinsverpflichtungen in Höhe von GBP 4.015 abgezogen würden. Außergewöhnliche Gewinne, wie die Veräußerung des Geschäftsbetriebes seien beim EBIT jedoch nicht zu berücksichtigen. Dieser sei auf ein operatives Ergebnis gerichtet und gleichzusetzen mit dem operativen Gewinn. Der Jahresüberschuss sei deshalb nicht nur um Steuern und Zinsen zu bereinigen, sondern auch um das so genannte außerordentliche Ergebnis. Damit aber habe der EBIT GBP -56.988 betragen, so dass dem Kläger keinerlei Profit Share für 2017 zustehe. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, dass der Betrieb der G. UK Ltd. im Jahr 2017 nahezu eingestellt worden sei. Neben dem bereits im April 2017 freigestellten Kläger seien nur seine Ehefrau, bis zum 04.08.2017 Herr C., bis zum 05.06.2017 Herr C. und bis 2018 Herr D. beschäftigt gewesen. Die Beklagte hat behauptet, dass Anhaltspunkte bestünden, dass Anlass der Eigenkündigung des Klägers begonnene interne Ermittlungen gewesen seien. Das nehme sie deshalb an, weil der Kläger sich geweigert habe, eine Erklärung – eingereicht als Blatt 185 f. der Akte – zu unterschreiben. Durch seine Eigenkündigung habe der Kläger eine berechtigte verhaltensbedingte Kündigung der Beklagten vereitelt, die ausweislich der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zum Wegfall des „Profit Shares“ geführt hätte. Die Beklagte hat ferner behauptet, dass der Kläger am Tag der Benachrichtigung über die Freistellung eigenmächtig initiiert hätte, an ihn einen „Profit Share“ im Umfang von GBP 33.333,33 auszuschütten. Er habe am 12.04.2017 durch Unterzeichnung und Auszahlungsanweisung an die N. Ltd. eine Zahlung von GBP 37.383 brutto an sich selbst veranlasst, die sich zusammensetze aus der commission 2017, dem salary sowie der CarAllowance. Zum Zeitpunkt der Freistellung, welche dem Kläger per E-Mail vom 12.04.2017 mitgeteilt worden sei, sei er nicht mehr berechtigt gewesen, eine Anweisung an die externe Lohnbuchhaltung N. zu erteilen. Dies habe der Kläger auch gewusst. Er habe auch bewusst keine Einwilligung zu dieser Anweisung durch den Geschäftsführer erbeten. Eine Fälligkeit des „Profit Share“ habe zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, insoweit stehe ihr selbst für den Fall der Begründetheit der Klageforderung zum Antrag Ziffer 3. ein Rückzahlungsanspruch zu und hat diesen im Wege der Hilfsaufrechnung gegen die Klageforderung gestellt. Für den Fall der Klageabweisung hinsichtlich des Antrages Ziffer 3. hat sie den Widerklageantrag gestellt. Da der Kläger sich zu Unrecht den Profit Share für 2017 teilweise bereits habe auszahlen lassen, ein Anspruch auf einen „Profit Share“ unter Berücksichtigung des erwirtschafteten EBIT aber gar nicht bestehe, sei er dem Widerklageantrag gemäß zur Rückzahlung der GBP 33.333,33 zu verurteilen.
41

Mit Urteil vom 24.01.2019 hat das Arbeitsgericht Essen der Klage in weiten Teilen stattgegeben, jedoch den Klageantrag Ziffer 3. ebenso wie die Widerklage abgewiesen und diesbezüglich zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines Profit Share für 2017 in Höhe von GBP 66.666,- nicht zu. Der Anspruch sei zwar noch nicht infolge der Freistellung des Klägers weggefallen, denn diese werde erkennbar auf § 9 Ziffer 6 des Arbeitsvertrages gestützt. Hier sei aber eindeutig geregelt, dass die Freistellung unter Fortzahlung der zu erwartenden Bezüge erfolge. Entfallen solle nur die Erlaubnis zur Nutzung des Dienstwagens sowie die Übernahme der Telefongebühren, ein Wegfall des Profit Share sei hingegen nicht vorgesehen. Dem entspreche auch die Mitteilung im Freistellungsschreiben, dass nicht nur das monatliche Grundgehalt, sondern auch alle weiteren vertraglichen „benefits“ wie üblich gezahlt würden. Der Anspruch sei ferner nicht durch die Freistellung unmöglich geworden, denn der Profit Share sei nicht von persönlichen Zielen oder Leistungen abhängig, sondern allein vom Unternehmensgewinn der G. UK Ltd. Daher sei die Frage, ob der Kläger gearbeitet habe, für die Entstehung seines Anspruchs gemäß § 1.2 des Änderungsvertrages irrelevant. Dies ergebe sich insbesondere auch aus § 1.3 des Änderungsvertrages, nach welchem nur im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung der Profit Share entfallen solle, im Übrigen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Laufe eines Geschäftsjahrs aber ein anteiliger Anspruch entstehe. Soweit die Beklagte darüber hinaus pauschal behaupte, die Parteien hätten vereinbart, dass dem Kläger während der Freistellung kein Profit Share gezahlt würde, sei dieser Vortrag nicht nur unsubstantiiert, sondern widerspreche auch der Korrespondenz und den vertraglichen Vereinbarungen. Gleichwohl bestehe allerdings kein Anspruch des Kläger auf die geltend gemachte Gewinnbeteiligung für 2017, da die G. UK Ltd. in diesem Jahr keinen EBIT in Höhe von mehr als 1.225.000 GBP erzielt habe.
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Im Gegenteil sei nach dem Jahresabschluss ein „Operating Loss“ in Höhe von minus 56.988 GBP zu verzeichnen. Nur aufgrund der – unstreitig – außergewöhnlichen Einnahme wegen der Veräußerung des Geschäftsbetriebs habe sich nach Abzug bzw. Hinzurechnung von Zinsen und Erträgen ein positiver „Profit before Taxation“ in Höhe von GBP 5.090.740,- ergeben. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts entspreche der dem Profit Share zugrunde liegende Wert des EBIT aber dem „Operation Profit“ ohne außergewöhnliche Einnahmen bzw. Verluste, so dass mangels positivem Ergebnis kein weiterer Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Profit Share bestehe. Der EBIT (earnings before interests and taxes) entspreche dem Betriebsergebnis, das der Messung der operativen Kernleistung diene. Der EBIT spiegele die Rentabilität der Geschäftstätigkeit wieder und ermögliche so auch einen Vergleich zu anderen Unternehmen. Insofern ergebe er sich auf der Grundlage des Umsatzes (vorliegend der Verkaufserlöse), von denen die Kosten der verkauften Waren sowie die Betriebskosten (Löhne, Nebenkosten, Grundsteuern, Abschreibungen) abgezogen würden. Die Rentabilität des Unternehmens werde nicht durch außergewöhnliche Gewinne oder Verluste – wie vorliegend den Verkauf des Betriebes – dargestellt. Der Wert des Betriebes sei vielmehr Folge der Rentabilität. Der EBIT entspreche damit vorliegend dem „Operation Profit“. Dieser Auslegung entspreche auch der Sinn und Zweck der Gewinnbeteiligung gemäß § 1.2 des Änderungsvertrages. Der Kläger als Geschäftsführer der G. UK Ltd. solle von dem mittels seiner Leitung erzielten operativen Gewinn und damit der Rentabilität des Unternehmens pro Geschäftsjahr profitieren. Die Beteiligung an dem operativen Gewinn führe zu der Belohnung seiner Tätigkeit und schaffe dementsprechend auch einen Leistungsanreiz. Die Berücksichtigung außergewöhnlicher Verluste sowie Gewinne würde dem Anreiz- und Belohnungsgedanken nicht entsprechen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Einwand des Klägers, der Wert des Betriebes ergebe sich aufgrund seiner Tätigkeit und spiegele die durch seine Arbeit geschaffene Rentabilität wider. Denn hierdurch würde letztendlich die Beteiligung am Unternehmensergebnis doppelt entlohnt, zum einen durch Beteiligung am operativen Gewinn, zum anderen durch Beteiligung am Verkauf des durch die Rentabilität sich ergebenden Verkaufswertes. Auch im Wege des Schadenersatzes stehe dem Kläger der Zahlungsanspruch nicht zu. Selbst wenn durch die Einstellung des operativen Geschäfts der G. UK Ltd. ein Gewinn nicht mehr erzielt worden und dadurch eine Gewinnbeteiligung des Klägers vereitelt worden sei, habe der Kläger nicht darlegen können, dass ihm hierdurch ein Schaden in Höhe der geltend gemachten GBP 66.666,- entstanden sei und im Falle der Fortführung des Betriebs ein EBIT in Höhe von zumindest GBP 1.225.000,- erzielt worden wäre, so dass ihm eine Beteiligung in Höhe von GBP 100.000,- zugestanden hätte. Die hilfsweise erhobene Widerklage der Beklagten sei ebenfalls unbegründet. Sie habe keinen Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung des bereits gezahlten Profit Share in Höhe von GBP 33.333,33 brutto, denn dass dem Kläger in dieser Höhe eine ihm nicht zustehende Vergütung gezahlt worden sei, welche die Beklagte gem. § 812 BGB heraus verlangen könne, habe sie nicht darlegen können. Es bestehe zwar kein Anspruch des Klägers gemäß § 1.2 des Änderungsvertrages auf Zahlung eines Profit Share. Allerdings bestehe ein Schadenersatzanspruch gemäß §§ 275, 283, 252 BGB, weil die Beklagte ab April 2017 durch Abzug der Mitarbeiter den operativen Geschäftsbetrieb eingestellt habe. Damit habe sie einen operativen Gewinn und eine sich hieraus errechnende Gewinnbeteiligung des Klägers unmöglich gemacht. Zwar könne der Kläger nicht darlegen, dass ihm hierdurch unter Berücksichtigung eines hypothetischen Geschehensablaufs eine Gewinnbeteiligung in Höhe von weiteren GBP 66.666,- entgangen sei. Allerdings ergebe sich aus den unstreitig erzielten Gewinnen der Vorjahre, die zumindest eine Höhe von GBP 500.000,- erreicht hätten, dass bei normalem Verlauf eines Geschäftsjahrs mit einer Gewinnbeteiligung in Höhe von zumindest GBP 33.333,33 hätte gerechnet werden können. Insofern könne das Gericht nicht erkennen, dass die bisherige Zahlung auf die Gewinnbeteiligung an den Kläger ohne Rechtsgrund erfolgt wäre. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, es liege ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor, so dass ein Anspruch des Klägers auf einen Profit Share bereits gemäß § 1.3 des Änderungsvertrages nicht bestehe. Denn die Beklagte trage nicht ansatzweise vor, welche Pflichtverletzungen dem Kläger vorgeworfen würden, die zu einer berechtigten Kündigung geführt hätten.
43

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist den Prozessbevollmächtigten beider Parteien am 20.02.2019 zugestellt worden. Der Kläger hat mit am 19.03.2019 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die er – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.05.2019 – mit am 23.05.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründet hat. Die Berufungsbegründung ist wiederum der Beklagten über ihre Prozessbevollmächtigten am 30.05.2019 zugestellt worden, die – nach Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist bis zum 31.07.2019 – mit am 31.07.2019 bei Gericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz Hilfsanschlussberufung eingelegt hat.
44

Der Kläger verfolgt sein Klageziel hinsichtlich des Klageantrages Ziffer 3. unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Er rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Auslegung des Änderungsvertrages und des dort verwendeten Begriffs „EBIT“. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ergebe sich der geltend gemachte Gewinnbeteiligungsanspruch für 2017 sehr wohl aus § 1.2 des Änderungsvertrages. Unter Berücksichtigung des Veräußerungserlöses für den Verkauf des Geschäftsbetriebes der G. UK Ltd. ergebe sich unstreitig ein positives EBIT von weit mehr als den für die maximale Gewinnbeteiligung erforderlichen mindestens GBP 1.225.000,-. Bereits die Auslegung nach dem objekitven Empfängerhorizont ergebe aber, dass außergewöhnliche Gewinne und Verluste beim EBIT Berücksichtigung zu finden hätten. Die Auslegung des Arbeitsgerichts blende den Wortlaut der vertraglichen Regelung aus. Der verwendete Begriff des EBIT bedeute nichts anderes als „earnings before interests and taxes“, also „Betriebsergebnis ohne Berücksichtigung des Finanzergebnisses und der Ertragssteuern“. Im Betriebsergebnis seien schon dem Wortlaut nach alle, auch die außergewöhnlichen Erträge enthalten. Hätten die Parteien tatsächlich allein den operativen Gewinn berücksichtigen wollen, hätte es einer entsprechenden Regelung und Ergänzung im Sinne von „operating profit“ bedurft, die im Vertrag aber gerade an keiner Stelle vorgenommen worden sei. Auch der Sinn und Zweck der vertraglichen Regelung spreche deutlich für die Lesart des Klägers. Dieser bestehe unter anderem auch darin, eine klare und einfach anwendbare Regelung zu schaffen. Würde man außergewöhnliche Gewinne und damit auf der Kehrseite auch außergewöhnliche Verluste aus der Berechnung des „profits“ entgegen des Wortlauts herausnehmen wollen, stellte sich bereits im jeweiligen Einzelfall die Frage, welcher Betrag noch der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zuzurechnen sei und bei welchem es sich um einen außergewöhnlichen Ertrag oder Verlust handele. Der Sinn und Zweck der Gewinnbeteiligung liege entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts im Unterschied zu einer Umsatzbeteiligung auch nicht primär in einer Anreiz- und Belohnungsfunktion. Denn bei z.B. außergewöhnlichen Verlusten, die einen operativen Gewinn zunichte machten, gebe es immer noch Umsatzprovisionen. Die Gefahr einer doppelten Belohnung des Klägers bei der Berücksichtigung des Veräußerungserlöses bestehe wiederum angesichts der Kappungsgrenze im Änderungsvertrag nicht in der vom Arbeitsgericht beschriebenen Weise. Darüber hinaus, so behauptet der Kläger, entspreche die von ihm vertretene Auslegung dem ausdrücklichen Parteiwillen, denn bei Vertragsschluss seien er und der damalige Geschäftsführer der Beklagten, Herr Q. H., sich einig gewesen, dass unter „annual profits of the company (EBIT)“ jedweder Gewinn der G. UK Ltd. habe fallen sollen. Zumindest sei diese Auslegung aber, da es sich bei den Regelungen des Änderungsvertrages um allgemeine Geschäftsbedingungen handele, nach § 305c Abs. 2 BGB zugrunde zu legen. Sähe man all dies anders, dann stehe der Anspruch dem Kläger jedenfalls aufgrund des Annahmeverzugs der Beklagten infolge der Freistellung zu. Die Hilfsaufrechnung der Beklagten sei ebenso unbegründet wie ihre mit der Anschlussberufung weiterverfolgte Hilfswiderklage. Insoweit wiederholt der Kläger seinen bereits erstinstanzlichen Vortrag dazu, dass er durchaus berechtigt gewesen sei, die Auszahlungsanordnungen gegenüber der N. Ltd. als Geschäftsführer der G. UK Ltd. und einziger gegenüber N. seinerzeit Zeichnungsberechtigter vorzunehmen. Im Übrigen bestreitet der Kläger jedenfalls aber die Aktivlegitimation der Beklagten. Die Zahlungen, die er erhalten habe, seien als Zahlungen der G. UK Ltd. ausgewiesen gewesen. Ferner erhebt er gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Beklagten die dolo-agit-Einrede, da selbst unterstellt, sie könne wegen einer vor Fälligkeit erfolgten Zahlung an den Kläger die Summe zurückfordern, sie jedoch gleichwohl dann nunmehr seit Feststellung des Jahresabschlusses der G. UK Ltd. zur vollständigen Zahlung der Gewinnbeteiligung in Höhe von GBP 100.000,- verpflichtet sei und mithin den Betrag von GBP 33.333,33 gleich wieder an den Kläger auskehren müsste. Hilfsweise hat er mit Schriftsatz vom 21.02.2020 die Klage auf Zahlung vom GBP 33.333,- brutto erweitert und hält die Klageerweiterung auch ohne Zustimmung der Beklagten für zulässig.
45

Der Kläger beantragt,
46

1.das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.01.2019 – 1 Ca 2004/2. – teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn GBP 66.666,- brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2018 zu zahlen;
47

2.die Hilfsanschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen;
48

3.hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Teil-Restbetrag des Profit Share für 2017 in Höhe von GBP 33.333,- brutto zu zahlen.
49

Die Beklagte beantragt,
50

1.die Berufung zurückzuweisen;
51

2.hilfsweise für den Fall der Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung im Wege der Anschlussberufung, das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.01.2019 – 1 Ca 2004/2. – teilweise abzuändern und den Kläger widerklagend zu verurteilen, an sie GBP 33.333,33 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2017 zu zahlen.
52

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens hinsichtlich der Abweisung des Klageantrages Ziffer 3. Unverändert ist sie der Ansicht, dem Kläger stehe eine Gewinnbeteiligung für 2017 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Ausführungen des Klägers zur Auslegung des Änderungsvertrags beruhten auf einem fehlerhaften Verständnis des Begriffs EBIT. Hierzu verweist die Beklagte auf die von ihr bereits erstinstanzlich vorgelegten Erläuterungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. („IDW“, Anlage B1, Blatt 325 ff. der Akte). Danach sei Sinn und Zweck alternativer Steuerungskennzahlen wie des EBIT, den Unternehmenserfolg frei von einmaligen, nicht wiederkehrenden oder sonstigen verzerrenden Effekten zu betrachten. Sie zeigten demgemäß ausschließlich das operative Ergebnis an. Dem widerspreche es, außerordentliche Erträge wie den Verkaufserlös im vorliegenden Fall einzubeziehen. Vielmehr sei der Jahresüberschuss um solche außerordentlichen Ergebnisse zu bereinigen. Das gelte erst recht im vorliegenden Fall, da die Veräußerung des Geschäftsbetriebs der G. UK Ltd. ein rein konzerninterner Vorgang gewesen sei. Es habe weder einen externen Käufer noch einen Verkaufserlös gegeben, vielmehr sei es infolge der internen Liquidation der G. UK Ltd. innerhalb des J. S. Konzerns nur zu einer konzerninternen Vermögensverschiebung gekommen. Diese könne keine Grundlage für einen Profit Share des Klägers sein. Hierbei sei zu beachten, dass die Auslegung des Änderungsvertrages nach dem objektiven Empfängerhorizont und bezogen auf das erkennbare Verständnis und die Interessenlage der Parteien bei Vertragsschluss im Jahr 1999 zu erfolgen habe. Damals sei ein solcher außerordentlicher Vorgang wie hier die konzerninterne Vermögensverschiebung jedoch in keiner Weise absehbar gewesen. Folge man mithin der von der Beklagten vertretenen Auslegung des Begriffs EBIT, sei bei der G. UK Ltd. für das Jahr 2017 ein operativer Verlust zu verzeichnen, weshalb dem Kläger eben auch keinerlei Profit Share zustehe. Entgegen der Ansicht des Klägers bestehe über diese auch durch Sinn und Zweck sowie Gesamtzusammenhang der Regelung unterstützte Auslegung kein Zweifel. Denn der Kläger sei nach § 1 des Anstellungsvertrages und der dortigen Aufgabenbeschreibung auf rein operativer Ebene tätig gewesen, weshalb es fernliegend sei anzunehmen, im Rahmen der im Änderungsvertrag geregelten Gewinnbeteiligung hätten nunmehr auch andere als die sich aus der operativen Tätigkeit des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes ergebenden Erträge honoriert werden sollen. Mit dem Änderungsvertrag sei zudem unter anderem § 2 Ziffer 3 des Anstellungsvertrages ersetzt worden, der bislang eine Provisionsregelung enthalten habe, die gleichfalls vom wirtschaftlichen Erfolg und also dem operativen Ergebnis der G. UK Ltd. abhängig gewesen sei. Es sei damit fernliegend anzunehmen, dass mit dem Begriff EBIT nicht mehr allein der operative Gewinn gemeint gewesen sei. Die Regelung des § 305c Abs. 2 BGB finde im Übrigen auch deshalb keine Anwendung, da der Änderungsvertrag seinerzeit einzig auf Initiative des Klägers zustande gekommen sei und mithin keine AGB enthalte. Annahmeverzugs- oder Schadensersatzansprüche des Klägers bestreitet die Beklagte ebenfalls weiterhin zu Grund und Höhe. Demgegenüber stehe ihr allerdings weiterhin ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von GBP 33.333,33 nebst Zinsen seit 29.04.2017 wegen der eigenmächtigen Auszahlungsanordnung des Klägers zu. Durch Unterzeichnung und Versendung der Auszahlungsanordnung gemäß Anlage B6 an N. habe sich der Kläger am 12.04.2017 selbst eine Bonuszahlung für das Jahr 2017 in Höhe von angeblich GBP 27.883,- gewähren lassen. Die Auszahlung sei durch N. auftragsgemäß ausgeführt worden. Der Kläger habe aber infolge der unstreitigen Freistellung weder zum Zeitpunkt der Anweisung eine Berechtigung zu derselben gehabt noch habe ihm der Betrag überhaupt und erst recht – selbst unterstellt, er hätte einen Bonusanspruch gehabt – mangels Fälligkeit zu diesem Zeitpunkt zugestanden. Zudem hätte der Kläger vertragliche Ansprüche ausschließlich gegenüber seiner Vertragspartnerin, der Beklagten, geltend machen können. Ein etwaiger Anspruch auf Zahlung des Profit Share hätte also seitens der Beklagten und nicht wie geschehen durch die G. UK Ltd. veranlasst werden dürfen. Hilfsweise für den Fall der Zulässigkeit und Begründetheit der Berufung erklärt die Beklagte daher erneut die Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von GBP 33.333,33 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.04.2017 und beruft sich hilfsweise für den Fall der Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung auf ihre Anschlussberufung, der dann stattzugeben sei. Sie sei insoweit aktivlegitimiert, denn nicht nur die N. Ltd. , sondern auch die G. UK Ltd. sei lediglich Zahlstelle für die Beklagte gewesen. Die von dem Kläger in Auftrag gegebene Vergütungszahlung sei somit eine solche, die unmittelbar zu Lasten der Beklagten in Auftrag gegeben worden sei. Der dolo-agit-Einrede des Klägers, die die Beklagte für nicht gerechtfertigt hält, hält sie hilfsweise ihrerseits den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens des Klägers entgegen. Schließlich ist sie der Ansicht, die hilfsweise Klageerweiterung vom 21.02.2020, zu der sie ihre Zustimmung ausdrücklich verweigert, sei unzulässig. Sie sei verspätet und auch nicht sachdienlich. Dazu, dass sie auch nicht begründet wäre, nimmt die Beklagte Bezug auf ihre Ausführungen zur Berufung im Übrigen.
53

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen in erster und zweiter Instanz sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
54

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
55

I.
56

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG. Ferner ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
57

II.
58

Die Berufung ist bis auf einen Teil des Zinsanspruchs vollständig begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von GBP 66.666,- brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zwar nicht seit dem 01.04.2018, aber seit dem 26.09.2018 zu.
59

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des mit der Klage verfolgten Teils des Profit Share für das Jahr 2017 in Höhe von GBP 66.666,- brutto aus § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages vom 14.04.1999. Das ergibt die Auslegung der zitierten vertraglichen Regelung der Parteien in Verbindung mit den insoweit unstreitigen Feststellungen im Jahresabschluss der G. UK Ltd. für das Jahr 2017.
60

a. Die Auslegung von Verträgen hat, soweit es sich nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, nach §§ 133, 157 BGB zu erfolgen. Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (BAG vom 03.07.2019 – 4 AZR 312/2., juris, Rz. 21; BAG vom 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, juris, Rz. 23; BAG vom 23.06.2016 – 8 AZR 757/14, juris, Rz. 19; BAG vom 10.12.2014 – 10 AZR 63/14, juris, Rz. 21). Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen und widerspruchsfreien Ergebnis führt, das den Interessen beider Vertragspartner gerecht wird (BAG vom 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, juris, Rz. 23; BAG vom 17.05.2017 – 7 AZR 301/15, juris, Rz. 16; BAG vom 14.12.2016 – 7 AZR 797/14, juris, Rz. 31; BAG vom 21.01.2014 – 3 AZR 362/11, juris, Rz. 57; BAG vom 25.04.2013 – 8 AZR 453/12, juris, Rz. 22; BAG vom 09.12.2008 – 3 AZR 431/07, juris, Rz. 15).
61

Demgegenüber sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (BAG vom 19.11.2019 – 3 AZR 332/2., juris, Rz. 19). Verbleiben nach Ausschöpfung der anerkannten Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel, gehen diese nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Klauselverwenders.
62

b. Es kann hier mit den Ausführungen der Beklagten angenommen werden, dass auf die Regelungen des Änderungsvertrages die Auslegungsregeln nach §§ 133, 157 BGB für einzelvertragliche Abreden außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 305 ff. BGB anzuwenden sind und keine allgemeinen Geschäftsbedingungen in Rede stehen. Denn gerade auch in Anwendung dieser Auslegungsregeln ergibt sich, dass die Gewinnbeteiligung in § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages nicht allein auf einen operativen Gewinn abstellt.
63

Schon der Wortlaut spricht für eine Auslegung im Sinne des von dem Kläger vorgetragenen Verständnisses, dass nämlich unter „Jahresgewinn“ bzw. „annual profits“ der G. UK Ltd., aus dem sich prozentual die Gewinnbeteiligung berechnet, der sich aus dem festgestellten Jahresabschluss der G. UK Ltd. ergebende Gewinn vor Steuern und Zinsen zu verstehen ist. Dass ein um außerordentliche Erträge und Verluste bereinigter Gewinn mit den „annual profits“ gemeint sein sollte, ergibt sich an keiner Stelle aus dem Wortlaut und im Übrigen auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung des § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages. Die Parteien haben den Begriff des Jahresgewinns mit dem Klammerzusatz „EBIT“ konkretisiert. Der Begriff „EBIT“ bedeutet zunächst einmal nichts anderes als eben wörtlich „Earnings before interest and taxes“, auf deutsch also „Gewinn vor Zinsen und vor Steuern“ (Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag, 6. Auflage, „EBIT / EBITDA“; Schäfer, BC 2010, 111; vgl. auch Kapitza in Salamon, Entgeltgestaltung, K63).
64

Zutreffend ist, und dies ergibt sich sowohl aus dem von der Beklagten mit der Anlage B1 (Blatt 325 ff. der Akte) vorgelegten Positionspapier des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. (dort auf Seite 15, Blatt 328 der Akte) als auch aus der von dem Kläger mit der Anlage BK13 (Blatt 670 ff. der Akte) vorgelegten fachlichen Stellungnahme der RLT Ruhrmann Tieben & Partner Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mbB vom 22.10.2019 (dort auf Seite 2 ff., Blatt 671 ff. der Akte) und auch aus der Literatur im Übrigen (vgl. Schäfer, BC 2010, 111, 112), dass die Kennzahl EBIT zwar zunächst eine klar definierbare Größe darstellt, es allerdings darüber hinaus keine allgemein akzeptierte, abschließende Inhaltsdefinition gibt, sondern abhängig von dem Aussagezweck, den ein Unternehmen mit der Kennzahl verfolgt, Korrekturen bzw. „Bereinigungen“ – insbesondere auch um außerordentliche Ereignisse – vorgenommen werden können (Schäfer, BC 2010, 111, 112). Es handelt sich insoweit um eine sogenannte NON-GAAP-Steuerungskennzahl, also eine nicht standardisierte und normativ vorgegebene Kennzahl, sondern eine solche, die ausgehend von einer Jahresabschlusskennzahl unternehmensindividuell festgelegte Bereinigungen zulässt. Diese Bereinigungen können dann unter anderem insbesondere dazu dienen, das operative Ergebnis anzuzeigen. Nichts anderes ergibt sich aus Seite 15 des von der Beklagten zum Begriffsverständnis vorgelegten und als Referenz angegebenen IDW-Positionspapiers der Anlage B1. Lediglich soweit die Beklagte selbst daraus das Verständnis ableiten möchte, der Begriff EBIT sei ausschließlich im Sinne eines operativen Gewinns zu verstehen, ergibt sich das weder aus dem Wortlaut des Begriffs EBIT noch aus dem IDW-Positionspapier. Gleiches gilt für ein Wortverständnis im Sinne eines bereinigten Gewinns. Ob solche Bereinigungen bzw. Korrekturen vorgenommen werden, ist vielmehr Sache der jeweiligen Unternehmen und abhängig vom mit der Kennzahl jeweils verfolgten Zweck.
65

Damit bleibt aber festzuhalten, dass der Wortlaut des annual profits ebenso wie der diesen „profit“ konkretisierende Begriff EBIT selbst zunächst einmal klar ist, nämlich nichts anderes als Gewinn vor Zinsen und Steuern bedeutet. Unklarheiten können dann allenfalls aufkommen, soweit diese Kennzahl nun Korrekturen bzw. Bereinigungen unterworfen werden soll, weil dann geklärt werden müsste, welcher Art diese sein sollen. Dabei kann eine Bereinigung des EBIT dann dahingehend erfolgen, dass außerordentliche Ereignisse herausgerechnet werden, um so den operativen Gewinn zu kennzeichnen. Das ergibt sich dann aber schon nicht mehr aus dem Begriffsverständnis des EBIT selbst, sondern ist abhängig von dessen unternehmensindividueller Ausgestaltung. Um einen Begriff zu „bereinigen“, muss man ihn eben in bestimmter Weise bearbeiten, so dass sich sein Inhalt im Ergebnis von dem Inhalt des Ursprungsbegriffs unterscheidet (LAG Köln vom 20.05.2010 – 7 Sa 1530/09, juris, Rz. 26).
66

Wird der Ursprungsbegriff im Kontext eines größeren Zusammenhangs ohne jeden erläuternden Zusatz verwendet, wird für den objektiven Leser nicht erkennbar, dass der Begriff nicht in seinem ursprünglichen Inhalt, sondern in einer bearbeiteten bzw. „bereinigten“ Form verstanden werden soll (LAG Köln vom 20.05.2010 – 7 Sa 1530/09, juris, Rz. 26). So ist es auch im vorliegenden Fall. Denn ein erläuternder Zusatz dahin, dass der annual profit, also der Jahresgewinn sich nicht allein aus dem EBIT ergeben sollte, sondern zusätzliche Bereinigungen um Einmaleffekte oder generell außerordentliche Ereignisse wie hier im Konkreten 2017 den Verkaufserlös aus der Veräußerung des Geschäftsbetriebs der G. UK Ltd. vorzunehmen wären, findet sich im Vertragstext des Änderungsvertrages nicht. Dafür hätte es lediglich eines ergänzenden Satzes oder auch nur eines einzigen ergänzenden Wortes wie „operating profit“ bedurft, welches aber keine Verwendung im Vertragstext gefunden hat. Dabei ist dem Vertrag durchaus zu entnehmen, dass die Parteien Korrekturnotwendigkeiten gesehen und dann auch geregelt haben. Denn in § 1 Ziffer 2 Satz 2 des Änderungsvertrages haben sie geregelt, dass der Jahresgewinn unter Berücksichtigung der Gewinnbeteiligung selbst zu berechnen ist, insoweit also eine Bereinigung stattzufinden hat. Wenn andere Bereinigungen nicht geregelt werden, ist davon auszugehen, dass diese auch nicht dem Parteiwillen entsprachen.
67

Dieses Auslegungsergebnis entspricht der wohlverstandenen Interessenlage der Parteien bei Vertragsschluss, denn es führt zu einer einfachen, praktikablen und ebenso klaren wie damit rechtssicheren Berechnung des Jahresgewinns als Bemessungsgrundlage für die Gewinnbeteiligung des Klägers. Ohne über die ausdrücklich im Vertrag geregelte Bereinigung um die Gewinnbeteiligung selbst hinausgehende weitere Bereinigungen lässt sich unmittelbar aus dem festgestellten Jahresabschluss der G. UK Ltd. ablesen, wie hoch der Gewinn vor Zinsen und Steuern ist. Bei einer zusätzlich „bereinigten“ Begriffsverwendung hingegen wäre zunächst zu hinterfragen, in welcher Weise und woraufhin eine Bereinigung vorgenommen werden müsste (vgl. auch insoweit LAG Köln vom 20.05.2010 – 7 Sa 1530/09, juris, Rz. 27).
68

Entgegen der Ansicht sowohl des Arbeitsgerichts als auch der Beklagten entspricht dieses Auslegungsergebnis zudem durchaus dem Sinn und Zweck einer Gewinnbeteiligung. Mit dieser soll der Kläger als Geschäftsführer der G. UK Ltd. unabhängig vom operativen Ergebnis mit Wohl und Wehe der Gesellschaft verbunden werden. Hierfür und für die Messung der Leistungsfähigkeit der Unternehmensleitung leistet die Messgröße EBIT durchaus einen bedeutsamen Beitrag, während sie ohne weitere Bereinigungen für die operative Steuerung und Überwachung des Unternehmenserfolges nur begrenzt geeignet ist (vgl. Schäfer, BC 2010, 111). Es macht durchaus Sinn, den Geschäftsführer einer Gesellschaft über die Schmälerung oder sogar den kompletten Verlust seiner Gewinnbeteiligung beispielsweise an außerordentlichen Verlusten durch hohe Rechtsverteidigungskosten und/oder Schadensersatzzahlungen zu beteiligen, wenn die Gesellschaft sich außergewöhnlich risikobehafteten Haftungsansprüchen Dritter ausgesetzt sehen sollte; insoweit muss nur das Beispiel der Monsanto-Haftungsprozesse genannt werden. In solchen Fällen kann der Jahresgewinn im Sinne des Änderungsvertrages selbst bei erheblichem operativem Gewinn so sehr reduziert werden, dass eine Gewinnbeteiligung darunter leidet. Es dürfte im wohlverstandenen Interesse der Beklagten liegen, insoweit eben keine Bereinigung um außergewöhnliche Ereignisse, hier Verluste vorzunehmen, sondern dem Kläger keine oder nur eine geringere Gewinnbeteiligung zahlen zu müssen, wenn das Unternehmen zwar im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb operativ profitabel war, aufgrund außergewöhnlicher Verluste aber keinen oder einen deutlich niedrigeren Gewinn erwirtschaftet hat. Ebenso liegt dann aber auch im wohlverstandenen Interesse beider Parteien, den Kläger an außerordentlichen Erträgen wie dem Verkaufserlös aus der Veräußerung des Geschäftsbetriebes zu beteiligen. Er ist als Geschäftsführer der G. UK Ltd. eben mit beidem verbunden, mit Wohl und Wehe der Gewinnentwicklung des Unternehmens. Seine Verantwortung geht über das operative Geschäft hinaus, das zeigt auch die von der Beklagten insoweit erwähnte Regelung des § 1 des Anstellungsvertrages. Denn die Sicherstellung des wirtschaftlichen Erfolgs der G. UK Ltd. und das Erstellen von Planungen können, müssen aber nicht allein einen Bezug zum operativen Geschäftsbetrieb haben; sie gehen darüber hinaus. Das entspricht der ganzheitlichen Verantwortung der Geschäftsführung. Dann macht es aber auch absolut Sinn, deren Gewinnbeteiligung nicht allein am operativen Geschäftsergebnis festzumachen, sondern am Jahresgewinn im Sinne des insoweit unbereinigten EBIT.
69

Zu einer doppelten Begünstigung des Klägers führt dies entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht. Zum einen ist ohnehin schon nicht ersichtlich, geschweige denn von einer der Parteien konkret dargelegt, sondern wohl eher Spekulation, woraus diese hier resultieren sollte. Zum anderen wurde für den Fall einer aus ihrer Sicht möglicherweise übermäßigen Beteiligung des Klägers am Unternehmensgewinn von den Vertragsparteien durch die Kappungsgrenze von GBP 100.000,- in § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages bereits Vorsorge getroffen. Auch das spricht gegen die Annahme, es hätten noch weitere Beschränkungen gewollt sein können, die nicht ausdrücklich in dem ganz offensichtlich gut durchdachten Vertragstext niedergelegt worden sind.
70

Der Hinweis der Beklagten, die Gewinnbeteiligung des Klägers in § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages sei an die Stelle der vorherigen Provisionsregelung unter § 2 Ziffer 3 des Anstellungsvertrages getreten, ist zutreffend. Ihr Einwand, daraus sei zu folgern, dass die Regelung im Änderungsvertrag auf den operativen Gewinn der G. UK Ltd. gerichtet sein müsse, hingegen ist unschlüssig. Die Parteien haben mit dem Änderungsvertrag eine Provisionsregelung durch eine gänzlich anders ausgestaltete und in sich abschließend geregelte Gewinnbeteiligung ersetzt. Damit können Aspekte der früheren Provisionsregelung keinen Erkenntnisgewinn für die Auslegung der Neuregelung zur Gewinnbeteiligung beisteuern.
71

Der Hinweis der Beklagten auf die konzerninterne Liquidation der G. UK Ltd. und darauf, dass ein Veräußerungserlös innerhalb des Konzerns jedenfalls nicht berücksichtigungsfähig sei und auch von den Vertragsparteien 1999 sicherlich nicht bedacht worden sei, überzeugt nicht. Die Vertragsparteien haben mit der Regelung zur Gewinnbeteiligung wie bereits aufgezeigt eine Verknüpfung der Verdienstmöglichkeiten des Klägers als Geschäftsführer der G. UK Ltd. mit dem gesamten Wohl und Wehe der Gesellschaft vorgenommen, wie es sich in der aus dem – mit Ausnahme der Regelung zu § 1 Ziffer 2 Satz 2 des Änderungsvertrages – unbereinigten EBIT ergebenden Kennzahl widerspiegelt. Damit haben sie erkennbar eine Regelung für alle künftig eintretenden Fallkonstellationen getroffen, gleichgültig, ob und zu welchem Anteil diese die operative Geschäftstätigkeit oder außergewöhnliche Gewinn- oder Verlustszenarien prägen. Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass und warum bestimmte außergewöhnliche Gewinn- oder Verlustszenarien dabei hätten ausgeschlossen werden sollen und das gilt auch für eine konzerninterne Veräußerung des Geschäftsbetriebs der G. UK Ltd.
72

Nähme man entgegen der Ansicht der Beklagten und mit der Ansicht des Klägers an, dass es sich bei den Regelungen des Änderungsvertrages um allgemeine Geschäftsbedingungen handelte, wäre das Auslegungsergebnis im Übrigen kein anderes. Hinzu käme aber, dass dann selbst für den Fall, dass man entgegen der vorstehenden Ausführungen nicht bereits im Wege der Auslegung mittels anerkannter Auslegungsmethoden zu diesem Ergebnis käme, jedenfalls die Auslegung des Begriffs EBIT in Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB in dem von dem Kläger beschriebenen Sinne vorzunehmen wäre.
73

Dass schließlich die erstinstanzlichen Einwendungen der Beklagten im Hinblick auf die Freistellung des Klägers, eine angebliche Vereinbarung zum Wegfall des Profit Share für 2017 und dessen angebliche Verfehlungen sowie einen Wegfall des Anspruchs nach § 1 Ziffer 3 des Änderungsvertrages unerheblich sind, hat bereits das Arbeitsgericht in jeder Hinsicht zutreffend herausgearbeitet und festgestellt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen, denen die Beklagte im Berufungsverfahren auch nicht mehr entgegengetreten ist, nimmt die Berufungskammer zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.
74

Weitere, erhebliche Einwendungen hat die Beklagte nicht vorgebracht. Insbesondere hat sie hinsichtlich der Auslegung des § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages nicht etwa konkrete Behauptungen zum tatsächlichen und etwa von dem hier dargelegten Auslegungsergebnis abweichenden Parteiwillen aufgestellt. Demgegenüber hat der Kläger konkret behauptet, so wie hier ausgelegt sei die Regelung unter § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages von ihm und dem damaligen Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten bei Unterzeichnung des Änderungsvertrages auch gewollt gewesen. Dem insoweit vorgebrachten Beweisangebot des Klägers braucht nicht mehr nachgegangen zu werden, denn die Berufung hat bereits mit den übrigen, auf die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont ausgerichteten Argumenten Erfolg.
75

c. Nach dem am 26.09.2018 festgestellten Jahresabschluss der G. UK Ltd. beträgt deren Gewinn vor Zinsen und Steuern bei der hier vorgenommenen Auslegung des Begriffs EBIT unstreitig GBP 5.093.155. Unter Bereinigung gemäß § 1 Ziffer 2 Satz 2 des Änderungsvertrages um die Gewinnbeteiligung von GBP 100.000,- beträgt der Jahresgewinn immer noch deutlich mehr als die nach § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages erforderliche Summe von GBP 1.225.000,- , weshalb dem Kläger der Höchstbetrag der Gewinnbeteiligung für 2017 zusteht. Hiervon hat er unter Berücksichtigung der bereits erhaltenen Zahlungen in Höhe von GBP 33.333,- brutto verbleibende GBP 66.666,- brutto mit der Klage zu Recht geltend gemacht.
76

2. Die hilfsweise erklärte, zulässige Aufrechnung der Beklagten ist nicht begründet. Das folgt bereits daraus, dass sie ihre Aktivlegitimation hinsichtlich des hier geltend gemachten und zur Aufrechnung gestellten Zahlungsanspruchs in Höhe von GBP 33.333,33 nebst Zinsen weder schlüssig dargelegt noch nachgewiesen hat.
77

Wie vom Kläger zu Recht gerügt und der Beklagten auch von der Berufungskammer vorgehalten, ergibt sich aus ihrem eigenen Vorbringen und der von ihr vorgelegten Anlage B6, dass der Kläger als Geschäftsführer der G. UK Ltd. eine Zahlungsanweisung in deren Namen an die N. Ltd. als Zahlstelle erteilt hat. Diese ist unstreitig weisungsgemäß ausgeführt worden. Auf der entsprechenden Abrechnung vom 28.04.2017 (Anlage BK18, Blatt 703 der Akte) erscheint oben links allein die G. UK Ltd. Diese ist, wie es der weisungsgemäßen Ausführung der Anweisung durch die N. Ltd. entspricht, mithin Leistender der in der Abrechnung aufgeführten Zahlungen, darunter GBP 27.883,- „Commission“. Für die früheren Teilzahlungen aus Januar bis März 2017 gilt nichts anderes.
78

Damit steht dann unstreitig aber allein fest, dass die N. Ltd. die hier streitigen Zahlungen weisungsgemäß auf Anweisung des Klägers als Geschäftsführer der G. UK Ltd. in deren Namen erbracht hat und damit zunächst auch allein erkennbar auf deren Kosten. Dass die G. UK Ltd. wiederum, wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Berufungsverhandlung am 03.03.2020 behauptet hat, allein Zahlstelle der Beklagten gewesen wäre, wird weder irgendwie näher erläutert noch hierfür trotz streitiger Aktivlegitimation der Beklagten Beweis angetreten.
79

Damit ist jedoch selbst bei unterstellt ansonsten gegebenen Anspruchsvoraussetzungen weder ein Bereicherungsanspruch der Beklagten begründbar, da nicht erkennbar ist, inwiefern die hier streitigen Zahlungen durch deren Leistung und/oder auf deren Kosten erfolgt wären, noch ein Schadensersatzanspruch, da ein Schaden der Beklagten gleichfalls nicht begründet worden ist. Ob und in welchem Umfang aufgrund welcher Umstände nämlich durch die Zahlungen der G. UK Ltd. das Vermögen der Beklagten gemindert worden wäre, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar dargelegt und unter Beweis gestellt worden.
80

3. Da der Zahlungsanspruch des Klägers auch nicht infolge der Aufrechnung der Beklagten erloschen ist, verbleibt es bei der erfolgreich mit der Berufung geltend gemachten Hauptforderung auf Zahlung von GBP 66.666,- brutto aus § 1 Ziffer 2 des Änderungsvertrages. Diese ist lediglich – und insoweit unterliegt die Berufung teilweise der Zurückweisung – nicht bereits seit 01.04.2018 zu verzinsen, sondern erst ab 26.09.2018. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach stehen dem Kläger Zinsen auf die Hauptforderung auch ohne Verzug der Beklagten ab Rechtshängigkeit zu, nicht jedoch vor Fälligkeit (§ 291 Satz 1 Halbsatz 2 BGB). Rechtshängigkeit der Klage bestand hier zwar bereits ab 23.08.2018, zu jenem Zeitpunkt war die Forderung aber noch nicht fällig. Denn Fälligkeit des Anspruchs auf die Gewinnbeteiligung trat nach § 1 Ziffer 2 Satz 1 des Änderungsvertrages erst nach der Feststellung des Jahresabschlusses der G. UK Ltd. ein. Diese erfolgte am 26.09.2018. Erst ab diesem Zeitpunkt können daher Zinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt werden.
81

III.
82

Die nur hilfsweise erhobene Anschlussberufung der Beklagten ist nicht zur Entscheidung angefallen, da die Bedingung der Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung nicht eingetreten ist. Mit der Bedingung hat die Beklagte erkennbar die Verwerfung oder Zurückweisung der Berufung mit dem verfolgten Hauptanspruch gemeint, denn nur dann und insoweit würde ihre Widerklage relevant. Die teilweise Zurückweisung der Berufung im Zinsausspruch löst den Bedingungseintritt mithin nicht aus.
83

Sähe man dies anders, wäre die mit der Anschlussberufung verfolgte Hilfswiderklage aus den zuvor zur hilfsweise erklärten Aufrechnung genannten Gründen aber ebenso unbegründet wie diese, denn es wird damit jeweils derselbe Anspruch verfolgt und wie aufgezeigt fehlt der Beklagten hierfür schon die Aktivlegitimation.
84

IV.
85

Ebenfalls mangels Bedingungseintritts nicht zur Entscheidung angefallen ist die hilfsweise Klageerweiterung des Klägers, so dass weder Ausführungen zu deren Zulässigkeit noch zu deren Begründetheit veranlasst sind.
86

V.
87

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach hat die Beklagte die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen, denn in der Berufung ist sie bis auf einen Teil der Nebenforderung vollständig unterlegen und hinsichtlich der von dem Kläger in erster Instanz verfolgten Ansprüche liegt nunmehr lediglich noch eine im Verhältnis zu den übrigen und erfolgreich verfolgten Ansprüchen geringfügige Zuvielforderung vor, die keine höheren Kosten verursacht hat, da mit ihr insbesondere kein Gebührensprung ausgelöst worden ist.
88

VI.
89

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 ArbGG. Ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegt nicht vor, insbesondere betrifft die Entscheidung weder entscheidungsrelevante Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG noch liegt eine Divergenz im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor.
90

RECHTSMITTELBELEHRUNG
91

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
92

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
93

Klein Winter Weilbier
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Essen, 1 Ca 2004/18

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