Jahresarchiv 26. Dezember 2024

VonRA Moegelin

Widerruf der Dienstwagennutzung

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Die arbeitsvertraglich eingeräumte Möglichkeit, einen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Dienstwagen auch für Privatfahrten nutzen zu dürfen, ist eine zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung.
Wird diese Gegenleistungspflicht im Rahmen eines Formulararbeitsvertrages unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt, bedarf es einer näheren Beschreibung des Widerrufsgrundes, der auch das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der Leistung berücksichtigt.
Eine Vertragsklausel, die den Arbeitgeber u.a. berechtigt, die Dienstwagengestellung „aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens“ zu widerrufen, ist ohne nähere Konkretisierung des aus dieser Richtung kommenden Widerrufsgrundes zu weit gefasst. Nicht jeder Grund, der wirtschaftliche Aspekte betrifft, ist ein anzuerkennender Sachgrund für den Entzug der Dienstwagennutzung und der damit verbundenen privaten Nutzungsmöglichkeit. Für den Arbeitnehmer ist es typisierend betrachtet unzumutbar, die Entziehung hinzunehmen, wenn der Dienstwagen für die auszuübende Tätigkeit gebraucht wird und kostengünstigere Alternativen nicht vorhanden sind (vgl. BAG 13. April 2010 _ 9 AZR 113/09 _, Rn. 40, juris). (Leitsatz)

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28.03.2018 – 13 Sa 305/17:

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 07.02.2017 (1 Ca 266/16) teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.373,33 € brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 173,33 € brutto seit dem 01.08.2016 und auf jeweils weitere 400,00 € brutto ab dem 01. des jeweiligen Folgemonats zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Dienstwagen ihrer Wahl zur Verfügung zu stellen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 01.02.2018 für die Dauer der Vorenthaltung eines Dienstwagens einen Schadensersatz von monatlich 400,00 € brutto zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 10% und die Beklagte zu 90% zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über den Widerruf eines auch zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagens.

Der Kläger trat 2011 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Im schriftlichen Arbeitsvertrag heißt es unter Ziffer 4., dass das „aufgeschlüsselte Gehalt“ in einer Anlage 1 zum Arbeitsvertrag „besonders bekanntgegeben“ wird. Ziffer 4. dieser Anlage lautet:

„SID stellt Herrn A. (…) einen Dienstwagen nach Wahl von SID zur Verfügung, der auch privat genutzt werden darf. (…). SID ist berechtigt, die Dienstwagengestellung jederzeit für die Zukunft aus sachlichen Gründen, insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens, der Leistung oder des Verhaltens des Arbeitnehmers, zu widerrufen und die Herausgabe des Dienstwagens zu verlangen, sofern dies dem Arbeitnehmer zumutbar ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere in folgenden Fällen vor:

– Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung

– Wegfall der tatsächlichen Arbeitsleistung nach Ablauf etwaiger Entgeltfortzahlungszeiträume

– Ruhen des Arbeitsverhältnisses

– Verlust der Fahrerlaubnis oder Fahrverbot

– Durchführung von Wartungs- und Reparaturarbeiten bzw. Ersatzbeschaffung

– Änderung der Arbeitsaufgabe

Ein Anspruch auf Entschädigung für die entfallende private Nutzungsmöglichkeit des Dienstwagens und ein Zurückbehaltungsrecht für den Fall des Widerrufs bestehen nicht.“

Seit Oktober 2015 besteht das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, die Dienstleistungen auf Gas- und Ölbohrstellen erbringt und den Kläger als Fishing Tool Supervisor I einsetzt. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört die Überwachung der Einsatzgeräte sowie die Betreuung und Beratung der Kunden direkt am Bohrturm.

Die Beklagte zahlte dem Kläger zuletzt monatlich ein Grundgehalt von 3.722,62 € brutto sowie eine Turmpauschale in Höhe von 1.250,00 € brutto. Außerdem zahlt ihm die Beklagte ein 13. Monatsgehalt sowie ein Urlaubsgeld in Höhe von 70 % eines Bruttomonatsgehalts. Als Dienstwagen stellte die Beklagte dem Kläger zuletzt einen Audi Q5 zur Verfügung, der neu etwa 40.000,00 € kostet.

Die wirtschaftliche Bilanz der Beklagten wies für das Geschäftsjahr 2014 einen Verlust in Hö-he von ca. 19,5 Mio. € und für das Jahr 2015 in Höhe von ca. 16,7 Mio. € aus. Die Beklagte traf daraufhin die unternehmerische Entscheidung, künftig Poolfahrzeuge einzusetzen, die nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden können. Lediglich vorübergehend nutzte die Beklagte zur Überbrückung Mietwagen.

Mit Schreiben vom 06.06.2016 widerrief die Beklagte gegenüber dem Kläger „wegen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens“ die Ãœberlassung des Dienstwagens und damit die Gewährung der Privatnutzung mit Wirkung zum 30.06.2016.

Der Kläger gab den Dienstwagen spätestens am 19.07.2016 an die Beklagte zurück.

Mit der am 02.08.2016 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Überlassung eines Dienstwagens und Nutzungsausfallentschädigung begehrt.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Regelung über den Widerruf des Dienstwagens sei wegen Intransparenz unwirksam.

Ausreichende wirtschaftliche Gründe im Sinne der Widerrufsklausel lägen nicht vor. Die Beklagte könne sich hierzu nicht auf geschäftliche Ereignisse aus der Zeit vor der Verschmelzung mit seinem früheren Arbeitgeber berufen. Ungeachtet dessen belegten öffentlich zugängliche Zahlen, dass bei der Beklagten im Vergleich zu 2011 keine wirtschaftliche Verschlechterung eingetreten sei.

Die Ausübung des Widerrufs entspreche auch nicht billigem Ermessen. Mit ihm zusammen habe die Beklagte nur bei 3 Mitarbeitern die PKW-Privatnutzungsmöglichkeit widerrufen. Obwohl die Kollegen Sch. und F. insoweit dieselbe Vertragsklausel hätten, sei bei ihnen ein Widerruf unterblieben.

Der Schaden sei mit 1 % des Listenpreises des überlassenen Fahrzeugs berechnet worden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Dienstfahrzeug des Typs Audi Q5 zur Verfügung zu stellen sowie ihm für den Zeitraum des Zurückbehaltens des Dienstfahrzeugs seit dem 16.07.2016 Schadensersatz von monatlich 400,00 € brutto zu zahlen.

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Fahrzeug nach Wahl der Beklagten zur Verfügung zu stellen sowie ihm für den Zeitraum des Zurückbehaltens des Dienstfahrzeugs seit dem 16.07.2016 Schadensersatz von monatlich 400,00 € brutto zu zahlen.

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Juli 2016 monatlich 400,00 € brutto als Schadensersatz zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie habe mit dem Jahresbericht sowie der Gewinn- und Verlustrechnung 2015 hinreichend aussagekräftige Dokumente für einen Widerruf aus wirtschaftlichen Gründe zur Verfügung gestellt. Ihre Buchhaltung und Finanzen seien mit denen der früheren Arbeitgeberin des Klägers bereits zum 01.01.2015 zusammengelegt worden. Bereits seit 2011 habe zwischen den beiden Gesellschaften ein Gewinn- und Verlustabführungsvertrag bestanden, auf dessen Grundlage sie Verluste ihrer Rechtsvorgängerin ausgeglichen habe.

Die Ausübung des Widerrufs entspreche billigem Ermessen. Zum Zeitpunkt des Widerrufs sei eine weitere Verschlechterung von ca. 10 % im Vergleich zum Vorjahr zu erwarten gewesen. Durch den Einsatz von Poolfahrzeugen würden künftig weniger Fahrzeuge benötigt und Leasingraten sowie Verwaltungstätigkeiten insbesondere in den Bereichen Beschaffung, Sicherheitsmanagement, lokaler Fuhrparkverwaltung und Kreditoren in einem Umfang von ca. 20 – 30 % der bisherigen Kosten bei der Dienstwagengestellung gespart.

Es liege keine Ungleichbehandlung vor. Herr Sch. sei Verkaufsrepräsentant und Herr F. Ingenieur. Sie müssten deshalb fast täglich Kunden im Außendienst besuchen, wofür sie ein Fahrzeug benötigten. Ihnen gegenüber seien der Widerruf der Dienstwagengestellung und die Zahlung einer KFZ-Pauschale für die Nutzung ihres Privatwagens beabsichtigt. Der Kläger könne für den täglichen Einsatz am Bohrturm gemeinsam mit anderen Mitarbeitern ein Poolfahrzeug nutzen.

Das Arbeitsgericht hat mit einem dem Kläger am 02.03.2017 zugestellten Urteil vom 07.02.2017 (Bl. 124 – 128 d.A.), auf das wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 03.04.2017 eingelegte und am 28.04.2017 innerhalb verlängerter Frist begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger macht geltend, aus der allgemein gehaltenen Widerrufsklausel sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass für den Widerruf nur die handelsrechtlichen Geschäftszahlen von Bedeutung sein sollten. Auch fehle in der Klausel eine Übergangsfrist.

Das Arbeitsgericht habe mit seinen Ausführungen zu Ermessensüberlegungen die Darlegungs- und Beweislast verkannt, die die Beklagte treffe. Jedenfalls habe die Beklagte seine Interessen, insbesondere die bei ihm eintretende Erschwerung seiner Arbeitstätigkeit nicht berücksichtigt.

Die Mitarbeiter Sch. und F. würden mit ihm vergleichbare Tätigkeiten ausüben. Sie würden lediglich in einer anderen Abteilung arbeiten, bräuchten aber wegen ihrer Außendiensttätigkeiten keinen Dienstwagen, da sie – im Gegensatz zu seiner, des Klägers, Abruftätigkeit – nur feste Termine hätten. Den Herren Sch. und F. sei zudem eine höhere Kompensation als ihm angeboten worden.

Herr D. von der Personalabteilung habe ihm bei dem Einstellungsgespräch mitgeteilt, der Dienstwagen bleibe trotz Vorbehalt Vertragsbestandteil. Er, der Kläger würde ihn so lange fahren können, wie er auch.

Der Kläger beantragt zuletzt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 07.02.2017 (1 Ca 266/16) abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 7.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. dem Kläger ein Dienstfahrzeug nach Wahl der Beklagten zur Verfügung zu stellen.

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit ab 01.02.2018 für die Dauer des Zurückbehaltens eines Dienstfahrzeuges Schadensersatz in Höhe von monatlich 400,00 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringens unter Verteidigung des angefochtenen Urteils als zutreffend und trägt vor, sie habe gegenüber allen Arbeitnehmern im Tätigkeitsbereich des Klägers, deren Arbeitsverträge einen Widerrufsvorbehalt enthalte, die Dienstwagengestellung widerrufen.

Der Kläger arbeite ausschließlich auf verschiedenen Bohrungen, zu denen er jeweils von zu Hause aus, je nach Projektumfang mehrere Tage oder Wochen am Stück, hinfahre. Jeweils nach Projektende schließe sich eine längere Freiphase an. Die Herren Sch. und F. übten als Vertriebsmitarbeiter ohne solche längeren Freiphasen höherwertige und höher vergütete Tätigkeiten sowohl in der Betriebsstätte in B-Stadt, als auch auswärtig bei Kunden aus.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, Protokolle und anderen Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig und begründet.

1.

Der Kläger hat nach § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 283 Satz 1 BGB Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 7.373,33 € brutto weil die Beklagte im Zeitraum vom 19.07.2016 bis zum 31.01.2018 ihre Pflicht aus Ziffer 4. der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag verletzt hat, dem Kläger ein Dienstfahrzeug zur Verfügung zu stellen, das auch privat genutzt werden darf.

a)

Die Ausübung des Widerrufsrechts mit Schreiben vom 06.06.2016 war unwirksam, denn der Widerrufsvorbehalt in Ziffer 4. der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag hält einer AGB-Kontrolle nicht stand.

aa)

Bei Ziff. 4 der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag handelt es sich unzweifelhaft um AGB im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB, denn die Beklagte hat diese vorformulierten Bedingungen mehreren Arbeitnehmern bei Überlassung eines Dienstwagens gestellt.

bb)

Die Klausel unterliegt der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB. Die Vereinbarung des Widerrufsvorbehalts weicht von Rechtsvorschriften ab. Die Ãœberlassung eines Firmenwagens auch zur privaten Nutzung stellt einen geldwerten Vorteil und Sachbezug dar. Sie ist steuer- und abgabenpflichtiger Teil des geschuldeten Arbeitsentgelts und damit Teil der Arbeitsvergütung. Die Gebrauchsüberlassung ist regelmäßig zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung. Sie ist so lange geschuldet, wie der Arbeitgeber Arbeitsentgelt leisten muss. Diese Rechtslage wird durch das vertraglich vereinbarte Widerrufsrecht geändert, denn ohne den Widerrufsvorbehalt ist der Arbeitgeber nach § 611 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses die vereinbarte Privatnutzung eines Dienstwagens zu ermöglichen. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen einer Inhaltskontrolle (BAG 21. März 2012 – 5 AZR 651/10 -, Rn. 15, juris).

cc)

Die Wirksamkeit des Widerrufsrechts richtet sich nach § 308 Nr. 4 BGB als der gegenüber § 307 BGB spezielleren Norm. Da § 308 Nr. 4 BGB den § 307 BGB konkretisiert, sind auch die Wertungen des § 307 BGB heranzuziehen. Außerdem sind nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen.

dd)

Der Widerrufsvorbehalt genügt nicht den formellen Anforderungen des § 308 Nr. 4 BGB.

(1)

§ 308 Nr. 4 BGB stellt für die mögliche Rechtfertigung eines Leistungsänderungsrechts darauf ab, ob dieses unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. Damit wird eine Abwägung zwischen den Interessen des Klauselverwenders an der Möglichkeit einer Änderung seiner Leistung und denen des anderen Vertragsteils an der Unveränderlichkeit der vereinbarten Leistung verlangt. Die Zumutbarkeit eines Leistungsänderungsvorbehalts ist zu bejahen, wenn die Interessen des Verwenders die für das jeweilige Geschäft typischen Interessen des anderen Vertragsteils überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind. Das setzt eine Fassung der Klausel voraus, die nicht zur Rechtfertigung unzumutbarer Änderungen dienen kann. Erforderlich ist im Allgemeinen auch, dass die Klausel in ihren Voraussetzungen und Folgen für den anderen Vertragsteil zumindest ein gewisses Maß an Kalkulierbarkeit der möglichen Leistungsänderungen gewährleistet (etwa BGH 15. November 2007 – III ZR 247/06 -, Rn. 21, juris). Der Sachgrund muss deshalb in der Klausel in einer Weise konkretisiert werden, die für den Arbeitnehmer deutlich macht, was gegebenenfalls auf ihn zukommt (vgl. BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 -, juris, Rn. 28). Der Arbeitnehmer muss erkennen können, unter welchen Voraussetzungen er mit einem Widerruf rechnen muss (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 29, juris). Bei den Widerrufsgründen muss somit zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, zB wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers. Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf berechtigen soll. Der Grad der Störung (wirtschaftliche Notlage des Unternehmens, negatives wirtschaftliches Ergebnis der Betriebsabteilung, nicht ausreichender Gewinn, Rückgang der bzw. Nichterreichen der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung, unterdurchschnittliche Leistungen des Arbeitnehmers, schwerwiegende Pflichtverletzungen) muss – je nach Lage der Dinge – konkretisiert werden (vgl. BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 -, Rn. 28, juris).

(2)

Diesem Transparenzgebot wird die Widerrufsklausel nicht gerecht. Die Angabe, dass der Arbeitnehmer „aus sachlichen Gründen, insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens“ mit dem Entzug der Dienstwagengestellung rechnen muss, „sofern dies dem Arbeitnehmer zumutbar ist“, ist nach dem Gegenstand und Umfang des hier vereinbarten Änderungsvorbehalts nicht ausreichend. Die Anforderungen an die Angabe des Widerrufsgrundes stehen vielmehr in Abhängigkeit zur flexibilisierten Leistung.

(a)

Im Grundsatz hat der Arbeitgeber wegen der Ungewissheit der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses ein anerkennenswertes Interesse daran, bestimmte Leistungen, insbesondere „Zusatzleistungen“ flexibel auszugestalten (vgl. BAG 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 -, juris, Rn. 23). Dazu gehört auch die dem Arbeitnehmer eingeräumte Möglichkeit, ein überlassenes Dienstfahrzeug privat nutzen zu dürfen, wenn dadurch das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers nicht auf den Arbeitnehmer verlagert wird. Eingriffe in den Kernbereich des Arbeitsvertrags sind nach der Wertung des § 307 Abs. 2 BGB nicht zulässig.

(b)

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die arbeitsvertragliche Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger einen Dienstwagen mit privater Nutzungsberechtigung zur Verfügung zu stellen, eine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag darstellt. Die Möglichkeit, einen Dienstwagen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses auch für Privatfahrten nutzen zu können, ist eine zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung. Die Beklagte hat dies durch die Aufnahme der Regelung in der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag verdeutlicht. Die Anlage 1 beinhaltet das „aufgeschlüsselte Gehalt“. Wenn solche Leistungspflichten des Arbeitgebers unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt werden, bedarf es einer näheren Beschreibung des Widerrufsgrundes, der auch das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der Leistung berücksichtigt. Dessen Erhaltungsinteresse wiegt bei dem Wegfall synallagmatischer Pflichten ungleich schwerer, als bei nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Pflichten, wie etwa Jubiläumszuwendungen, Beihilfen zu bestimmten Familienereignissen, oder solchen Pflichten, die die Umstände der Leistungserbringung betreffen. Die Privatnutzungsmöglichkeit des Firmenfahrzeugs wirkt sich zudem für den Arbeitnehmer täglich aus. Er ist ggf. gehalten, kurzfristig erhebliche Kosten für die Anschaffung eines eigenen Fahrzeugs aufzubringen und dieses zukünftig zu unterhalten.

(c)

Unter Berücksichtigung dieser Interessenlage ist der vereinbarte Widerrufsvorbehalt inhaltlich zu weit gefasst. Selbst wenn man mit dem Arbeitsgericht im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders eine „negative“ wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens als Widerrufsgrund annehmen wollte bliebe damit unklar, ob damit etwa eine wirtschaftliche Notlage des Unternehmens, Verluste oder aber bereits ein Gewinnrückgang, rückläufige Umsätze oder ein Nichterreichen der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens gemeint sind. Nicht jeder Grund, der die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens betrifft, ist ein anzuerkennender Sachgrund für den Entzug der Dienstwagennutzung und der damit verbundenen privaten Nutzungsmöglichkeit. Für den Arbeitnehmer ist es typisierend betrachtet unzumutbar, die Entziehung aus wirtschaftlichen Gründen hinzunehmen, wenn der Dienstwagen für die auszuübende Tätigkeit gebraucht wird und kostengünstigere Alternativen (Mietwagen, Fahrzeugpool etc.) nicht vorhanden sind (vgl. BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 40, juris). Dies in der Widerrufsklausel zu konkretisieren war der Beklagten zumutbar. Die hier zu beurteilende Klausel würde der Beklagten jedoch weitergehend die grundsätzliche Möglichkeit der Dienstwagenentziehung, etwa bei Verlusten oder bereits bei rückläufigen Gewinnen einräumen, ohne dass die Tätigkeit, für deren Ausübung der Dienstwagen benötigt wird, entfallen ist und ohne dass die Beklagte von einer vorhandenen kostengünstigeren Alternative zu der bisherigen Dienstwagengestellung Gebrauch macht. Eine hinreichende Konkretisierung ist nicht dadurch erfolgt, dass die Klausel den Entzug des Dienstwagens nur erlaubt „sofern dies dem Arbeitnehmer zumutbar ist“. Mit dem Erfordernis der Zumutbarkeit ist lediglich der Wortlaut des § 308 Nr. 4 BGB wiederholt. Auch enthält die beispielhafte Aufzählung sachlicher Gründe in Bezug auf die hier allein fragliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens keine Konkretisierung.

(d)

Die Besonderheiten des Arbeitsrechts (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) rechtfertigen entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keine Abweichung. Der nötigen Flexibilisierung wird bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Vertragsparteien auch in vorformulierten Vereinbarungen die Möglichkeit haben, die Ãœberlassung eines Dienstfahrzeugs zur privaten Nutzung unter einen Widerrufsvorbehalt zu stellen, wenn die typisierten Sachgründe für den Widerruf bereits in der Vertragsklausel benannt werden (vgl. BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 29, juris).

(e)

Der Widerruf des auch zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagens ist für den Kläger nicht deswegen zumutbar, weil der Sachwert der privaten Nutzungsmöglichkeit weniger als 25 % seiner Gesamtvergütung – hier konkret unter Berücksichtigung des zuletzt zur Verfügung stehenden Fahrzeugs und der sogenannten 1%-Regelung ca. 6,8% – beträgt und damit noch nicht in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingreift. Gibt es keinen sachlichen Grund für den Entzug des Dienstwagens, ist es für den Kläger nicht hinnehmbar, auf Entgeltbestandteile zu verzichten, die unter 25 % des Gesamtverdienstes liegen (vgl. BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 33, juris).

(3)

Es ist für die nach §§ 307 ff. BGB vorzunehmende Inhaltskontrolle unerheblich, ob im vorliegenden Fall objektiv betrachtet am 06.06.2016 Widerrufsgründe vorlagen, die für den Kläger nicht unzumutbar sind. Entscheidend ist, was der Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingung im Text der Vorbehaltsbestimmung zum Ausdruck gebracht hat. Bei der Angemessenheitskontrolle ist deshalb nicht auf die Gründe abzustellen, aus denen der Widerruf im konkreten Fall erfolgt, sondern auf die Möglichkeiten, die das vorformulierte Widerrufsrecht dem Arbeitgeber einräumt (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 30, juris).

ee)

Eine geltungserhaltende Reduktion der zu weit gefassten Widerrufsklausel scheidet aus. § 306 BGB sieht grundsätzlich nicht vor, unwirksame Klauseln auf einen Regelungsgehalt zurückzuführen, der im Einklang mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht. Eine Aufrechterhaltung mit eingeschränktem Inhalt widerspräche dem Zweck der §§ 305 ff. BGB, auf einen angemessenen Inhalt der in der Praxis verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinzuwirken. Dem Vertragspartner des Verwenders soll die Möglichkeit sachgerechter Information über die Rechte und Pflichten verschafft werden, die durch den vorformulierten Vertrag begründet werden. Dieses Ziel ließe sich nicht erreichen, wenn jeder Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen zunächst die Grenze des Zulässigen überschreiten dürfte. Könnten überzogene Klauseln geltungserhaltend zurückgeführt werden, liefe das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB weitgehend leer (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 42, juris).

ff)

Da die Beklagte den Widerruf allein auf die nicht hinreichend konkretisierte wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens stützt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die Widerrufsklausel hinsichtlich der weiteren angegebenen Widerrufsgründe als zulässig aufrechterhalten werden kann.

gg)

Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nicht in Betracht. Eine zu vervollständigende Regelungslücke ist nur anzunehmen, wenn die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine angemessene Lösung bietet, die den typischen Interessen des Verwenders und seines Vertragspartners Rechnung trägt. Nicht jede Verschiebung der Gewichte zulasten des Verwenders rechtfertigt jedoch die Annahme einer ergänzungsbedürftigen Lücke. Grundsätzlich sind die Gerichte nicht befugt, die unzulässige Klausel mithilfe ergänzender Vertragsauslegung durch eine zulässige Klauselfassung zu ersetzen, die der Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen voraussichtlich gewählt hätte, wäre ihm die Unzulässigkeit der Klausel bekannt gewesen (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, Rn. 47, juris). Dies gilt umso mehr, als die Anlage 1 zum Arbeitsvertrag erst nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26. November 2001 geschlossen worden ist. Auch eine unzumutbare Härte für die Beklagte iSv. § 306 Abs. 3 BGB ist nicht ersichtlich, wenn an der Verpflichtung zur Ãœberlassung des Dienstwagens festgehalten wird.

b)

Der Schaden beläuft sich auf 7.373,33 € brutto für den Zeitraum vom 19.07.2016 bis zum 31.01.2018.

aa)

Nach § 249 Abs. 1 BGB hat die Beklagte den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger gemäß § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung richtet sich auf das positive Interesse. Demgemäß ist der Kläger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die Beklagte den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Zur Berechnung ist eine Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit mit monatlich 1 % des Listenpreises des Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung anerkannt (BAG 21. März 2012 – 5 AZR 651/10 -, Rn. 26, juris).

bb)

Bei dem unstreitigen Listenpreis von 40.000,00 € für das zuletzt überlassene Fahrzeug beträgt der zu zahlende Betrag für jeden vollen Monat 400,00 € brutto. Dieser ist nicht geringer, weil die Beklagte ggf. das Recht gehabt hätte, dem Kläger auch ein geringerwertiges Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Es ist nichts dafür erkennbar, dass die Beklagte im streitbefangenen Zeitraum von einem solchen Recht tatsächlich Gebrauch gemacht hätte. Für 18 volle Monate von August 2016 bis incl. Januar 2018 errechnen sich somit 7.200,00 € brutto.

Für Juli 2016 sind anteilig 173,33 € brutto anzusetzen. Die von der Beklagten in der Klagerwiderung behauptete Rückgabe am 19.07.2016 hat der Kläger nachfolgend nicht mehr bestritten. Seinen Vortrag in der Klageschrift, die Rückgabe sei bereits am 18.07.2016 erfolgt, hat er nicht unter Beweis gestellt. Mithin sind für Juli 2016 insgesamt 13 Tage Nutzungsmöglichkeit vorenthalten worden. Bei jahresdurchschnittlich 30 Kalendertagen im Monat sind für Juli 2016 anteilig 13/30 von 400,00 € anzusetzen. In Höhe der Mehrforderung ist die Berufung unbegründet.

c)

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

2.

Der Kläger hat aus den vorstehenden Gründen einen Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Dienstwagens nach Wahl der Beklagten aus Ziff. 4 des Arbeitsvertrages i.V.m. Ziff. 4 der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag.

3.

Auch der Klageantrag zu 3) hat Erfolg.

a)

Der Antrag ist zulässig.

aa)

Der Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage für die Zeit ab 01.02.2018 ohne Änderung des Klagegrundes ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen.

bb)

Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung ist gegeben. Es liegt bei Schadensersatzfeststellungsklagen schon dann vor, wenn künftige Schadensfolgen – sei es auch nur entfernt – möglich, ihre Art, ihr Umfang und sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Beklagte hat ihre Pflicht aus Ziffer 4 der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag verletzt, dem Kläger ein Dienstfahrzeug zur Verfügung zu stellen, das auch privat genutzt werden darf. Infolge dessen ist dem Kläger ein Nutzungsausfallschaden entstanden. Die Schadensentwicklung ist noch nicht abgeschlossen und hängt davon ab, wann die Beklagte dem Kläger tatsächlich wieder ein vertragsgerechtes Fahrzeug zur Verfügung stellt.

b)

Der Antrag ist aus den unter 1. genannten Gründen begründet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

III.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des 5. Senates zum Umfang des Konkretisierungserfordernisses bei Widerrufsklauseln (vgl. BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 -, Rn. 28, juris) hat der 9. Senat bei dem Widerruf eines auch zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagens aus wirtschaftlichen Gründen strengere Anforderungen gestellt (BAG 13. April 2010 – 9 AZR 113/09 -, juris), während der 5. Senat hierzu offenbar einen großzügigeren Standpunkt vertritt (vgl. BAG 21. März 2012 – 5 AZR 651/10 -, Rn. 16, juris). Dies hat in der Praxis zu klärungsbedürftigen Unsicherheiten geführt (vgl. etwa Stoffels in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Auflage, ArbR Rn. 136; Bonin in Däubler, AGB im Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 308 BGB, Rn. 32).

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VonRA Moegelin

Anwendungsbereich des ZVK-TV für Donuts wegen Altersruhegeld

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Die Zusatzversorgungskasse der Brot- und Backwarenindustrie kann von einem Betrieb der Brot- und Backwarenindustrie keine Beitragszahlung für Arbeitnehmer verlangen, die Beihilfen zum Altersruhegeld nach dem Zusatzversorgungstarifvertrags (ZVK-TV)erhalten. Im besagten Fall werden am Produktionsstandort hauptsächlich Donuts hergestellt. Das LAG hat zu entscheiden, ob Donuts feine Backwaren sind, welche sodann dem Konditoreihandwerk zuzuordnen sind und für die der Anwendungsbereich des ZVK-TV eröffnet ist.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 19/2024 des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf – 6 SLa 311/24 vom 09.12.2024:

Die Zusatzversorgungskasse der Brot- und Backwarenindustrie verlangt von der Beklagten die Zahlung des Beitrags für das Jahr 2023 in Höhe von 136.997,60 Euro. Die Beklagte stellt an ihrem Produktionsstandort in E. hauptsächlich Donuts her. Von dem Standort in C. erfolgt der Vertrieb an gewerbliche Kunden. Die Anwendung des Zusatzversorgungstarifvertrags (ZVK-TV), auf dessen Grundlage die Beschäftigten u.a. Beihilfen zum Altersruhegeld erhalten, setzt voraus, dass es sich um einen Betrieb der Brot- und Backwarenindustrie handelt.

Die Zusatzversorgungskasse meint, dass es sich bei Donuts um Backwaren handele. Dem widerspricht die Beklagte. Sie produziere Siedegebäck. Es handele sich um Feinbackwaren, welche zum Sortiment eines Konditors gehörten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dies wie folgt begründet. Donuts seien Backwaren i.S.d. ZVK-TV. Zwar produziere die Beklagte überwiegend Siedegebäck und keine herkömmlichen Backwaren, die in einem Ofen gebacken werden. Entscheidend sei aber der Prozess des Backens, d.h. die Erhitzung eines vorher fertig gestellten Teigs. Es genüge, dass die Teigrohlinge in heißem Fett ausgebacken würden.

Es handele sich bei Donuts – so das Arbeitsgericht – nicht um feine Backwaren, welche dem Konditoreihandwerk zuzuordnen seien und für die der Anwendungsbereich des ZVK-TV nicht eröffnet sei. Charakteristisch für die Herstellung von Konditoreiwaren sei, dass sich an den Backprozess ein Veredelungsprozess anschließe, der je nach Produkt in unterschiedlicher Weise, Form, Aufwand und Dauer erfolge. Zunächst führe die Beklagte in ihrem Sortiment auch Donuts, die keine Glasur oder Füllung enthielten, mithin nicht weiter veredelt würden. Aber auch glasierte oder gefüllte Donuts seien keine Konditorwaren. Im Gegensatz zur Herstellung einer Torte oder eines Baumkuchens, die sich durch eine aufwendige Schichtung von Teigschichten und Füllungen, sowie eine kunstvolle Verzierung kennzeichnen, würden Donuts wie ein Berliner maschinell mit einer oder mehreren Füllungen befüllt und mit einer Glasur überzogen. Ein besonderer Anspruch an die harmonische Verbindung von Form, Farbe und Geschmack, der einer Torte vergleichbar sein könnte, bestehe nicht.

Der Betrieb in C. falle als Vertriebsstandort in den Anwendungsbereich des ZVK-TV, der aufgrund wirksamer Allgemeinverbindlicherklärung zur Anwendung komme. Soweit es bei der Beklagten eine betriebliche Altersversorgung gebe, werde diese ggfs. auf diejenige nach dem ZVK-TV angerechnet.

Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte weiterhin die Zurückweisung der Klage. Sie beruft sich u.a. auf eine Stellungnahme des Deutschen Konditorenbundes, wonach Fettgebäcke, im speziellen Donuts und Berliner, in einem Großteil der Betriebe des Konditorenhandwerks regelmäßig produziert und verkauft würden. Die Zusatzversorgungskasse verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 6 SLa 311/24
Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 03.04.2024 – 14 Ca 2975/23
Tarifvertrag über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für die Beschäftigten der Brot- und Backwarenindustrie in der Fassung vom 01.07.2021 (im Folgenden „ZVK-TV“)

– Auszug –

„§ 1 ZVK-TV Geltungsbereich

a) Räumlich:

Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West im Geltungsbereich des Grundgesetzes vor dem 3. Oktober 1990.

b) Fachlich:
Für Betriebe der Brot- und Backwarenindustrie sowie Betriebe, die Brot- und Backwaren vertreiben und verkaufen (Verkaufsstellen), insbesondere für Mitglieder der Industrie- und Handelskammern mit Ausnahme der dem Revisionsverband Deutscher Konsumgenossenschaften angeschlossenen Unternehmen mit Bäckereien.
Erfasst werden auch solche Betriebe, die im Rahmen eines mit den unter Nr. 1 erfassten Betrieben bestehenden Zusammenschlusses – unbeschadet der gewählten Rechtsform – ausschließlich oder überwiegend für die angeschlossenen Betriebe nach Nr. 1 die kaufmännische Verwaltung, den Vertrieb, Planungsarbeiten, Laborarbeiten oder Prüfarbeiten übernehmen, soweit diese Betriebe nicht von einem speziellen Tarifvertrag erfasst werden.

…“

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VonRA Moegelin

Merkantiler Minderwert eines Unfallfahrzeugs

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Der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen.

Volltext der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 159/2024 – BGH VI ZR 188/22:

Bundesgerichtshof zur Frage der Schätzung des merkantilen Minderwerts (Wertverlust trotz Instandsetzung) eines Unfallfahrzeugs

Ausgabejahr
2024
Erscheinungsdatum
07.08.2024

Nr. 159/2024

Urteil vom 16. Juli 2024 – VI ZR 188/22

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat hat entschieden, dass der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen ist. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen.

Sachverhalt:

Ein (geleastes) Fahrzeug wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers stand außer Streit. Die Klägerin ließ das Fahrzeug reparieren und machte einen merkantilen Minderwert von 1.250 € geltend. Die Beklagte bezahlte nur 700 €. Mit der Klage verlangte die Klägerin Zahlung des restlichen Betrags an die Leasinggesellschaft. Zwischen den Parteien war streitig, ob vom merkantilen Minderwert ein „Umsatzsteueranteil“ abzuziehen ist.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Amtsgerichts in Höhe von 300 € aufrechterhalten und die Klage im Ãœbrigen ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Es hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dieser Grundlage angenommen, dass ein merkantiler Minderwert von insgesamt 1.000 € anzusetzen sei, weshalb die Beklagte weitere 300 € zu zahlen habe. Ein „Umsatzsteueranteil“ sei vom Minderwert nicht abzuziehen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihr Ziel, die Klage in Höhe des ihrer Ansicht nach vom Minderwert abzuziehenden „Umsatzsteueranteils“ abzuweisen, weiterverfolgt.

Entscheidung des Senats:

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie erzielen. Der Ersatz des merkantilen Minderwerts als solcher unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, da es sich bei dem zu zahlenden Schadensersatz (§ 251 Abs. 1 BGB) nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist vom merkantilen Minderwert für den Fall, dass er ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde, ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abzuziehen. Ob das Berufungsgericht im Streitfall den Minderwert ausgehend von Brutto- oder Nettoverkaufspreisen geschätzt hat, stand nicht fest.

Zur Bemessung des Minderwerts wird geschätzt, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne den Unfall wäre. Diese Wertdifferenz ist unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur verkauft oder behält. Bei der Schätzung des Minderwerts ist aus Rechtsgründen auf die jeweiligen Nettoverkaufspreise abzustellen. Denn wenn es sich bei dem der Schätzung des merkantilen Minderwerts zugrunde zu legenden hypothetischen Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers handelt, würde der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer erhalten, müsste sie aber an das Finanzamt abführen. Sie wäre bei ihm nur ein durchlaufender Posten. Unterliegt der gedachte Verkauf hingegen nicht der Umsatzsteuer (beim Verkauf „von privat“), dürfte dem Käufer schon gar keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden.

Wurde der merkantile Minderwert ausgehend von Bruttoverkaufspreisen geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abgezogen wird. Andernfalls käme es zu einer Bereicherung des Geschädigten. Eine andere – nicht rechtliche, sondern tatsächliche – Frage ist es, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl es Nettopreise sind, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden.

Der Senat hat am 16. Juli 2024 in drei weiteren Verfahren (Aktenzeichen VI ZR 205/23, VI ZR 239/23 und VI ZR 243/23) in dieser Frage ebenso entschieden.

Vorinstanzen:

Amtsgericht Neu-Ulm – Urteil vom 24. März 2021 – 5 C 1111/20

Landgericht Memmingen – Urteil vom 25. Mai 2022 – 13 S 691/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 251 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen.

§ 1 Umsatzsteuergesetz (UStG)

(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt;

Karlsruhe, den 7. August 2024

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen Bedrohung von Gewerkschaftsmitgliedern

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Ein Arbeitnehmer, der über Facebook Kollegen bedroht, weil dies sich bei der Gewerkschaft ver.di engagieren, verursacht eine konkrete und nachhaltige Störung des Betriebsfriedens. Die Kündigung ist daher gerechtfertigt.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 21/24 des Arbeitsgerichts Berlin 59 Ca 8733/24 und 59 Ca 11420/24vom 31.10.2024:

Das Arbeitsgericht Berlin hat die ordentliche Kündigung eines Straßenbahnfahrers, der in einer privaten Facebook-Gruppe einen von ihm verfassten Beitrag mit einer Fotomontage versehen hatte, für wirksam angesehen, weil in dieser eine Bedrohung von Kollegen, die sich bei der Gewerkschaft ver.di engagieren, und zugleich eine konkrete und nachhaltige Störung des Betriebsfriedens liege. Bei der öffentlich-rechtlichen Arbeitgeberin handelt es sich um den bundesweit größten Betreiber Öffentlichen Personennahverkehrs.

Der Straßenbahnfahrer ist Administrator einer privaten Facebook-Gruppe, die sich nach ihrer Bezeichnung an Fahrpersonal der Arbeitgeberin richtet und circa 1000 Mitglieder umfasst. Im Mai 2024 verfasste er dort einen an die Mitglieder der ver.di-Tarifkommission gerichteten Kommentar zum Ergebnis einer ver.di-Mitgliederbefragung und schloss diesen mit einer Fotomontage ab. Auf dieser ist ein auf dem Boden kniender Mann abgebildet, auf dessen Kopf der Lauf einer Pistole gerichtet ist. Neben ihm befindet sich der Schriftzug von ver.di. Die Fotomontage trägt den Titel „VER.DI HÖRT DEN WARNSCHUSS NICHT!“ Sie weist auch das Logo der Arbeitgeberin aus. Über diesen Beitrag beschwerten sich sieben Beschäftigte der Arbeitgeberin, die zugleich Gewerkschaftsfunktionäre sind und sich durch den Beitrag bedroht fühlten.

Nach Anhörung des Fahrers und des Personalrats sprach die Arbeitgeberin eine fristlose und eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

Das Arbeitsgericht hat die hilfsweise fristgemäße Kündigung für wirksam erachtet. Der Straßenbahnfahrer habe mit der Fotomontage Beschäftigte konkret bedroht. Darin liege zugleich eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens. Die Chatgruppe sei zwar privat, richte sich jedoch ausdrücklich an Fahrpersonal der Arbeitgeberin und verfüge mit rund 1000 Mitgliedern nicht mehr über einen überschaubaren Adressatenkreis. Der Beitrag sei auch auf eine Außenwirkung angelegt gewesen. Die Fotomontage sei als Drohung an Beschäftigte, die sich für ver.di aktiv einsetzten, zu verstehen und, wie sich an den Beschwerden zeige, auch verstanden worden. Dies ergebe sich vor allem aus der Zielrichtung des Pistolenlaufs auf den Kopf des abgebildeten Mannes. Eine solche konkrete Bedrohung sei von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Auch liege hierin eine arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzung, von der klar erkennbar sei, dass sie von der Arbeitgeberin nicht hingenommen werde. Daher sei eine Abmahnung nicht erforderlich gewesen.

Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Arbeitsgericht angenommen, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei der Arbeitgeberin noch zuzumuten. Der gekündigte Arbeitnehmer hingegen benötige als alleinerziehender Vater dreier Kinder einen größeren zeitlichen Vorlauf, um eine neue hiermit vereinbare Stelle zu finden. Dieser Umstand wie auch die 15jährige Betriebszugehörigkeit überwögen bezogen auf die ordentliche Kündigung hingegen nicht die Interessen der Arbeitgeberin. Diese müsse für den Schutz ihrer Beschäftigten sowohl bei der Ausübung deren arbeitsvertraglich geschuldeter Tätigkeiten wie auch bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aus Artikel 9 Grundgesetz sorgen.

Gegen das Urteil können beide Parteien Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einlegen.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2024, Aktenzeichen 59 Ca 8733/24 + 59 Ca 11420/24

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VonRA Moegelin

Auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag des Handballtrainers

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Die auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag eines Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten soll, ist unbestimmt und damit unwirksam.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 14/2024 des Arbeitsgerichts Solingen vom 02.10.2024:

Das Arbeitsgericht Solingen hat heute der Klage des ehemaligen Trainers des Bergischen Handball Clubs 06 e. V. (im Folgenden: „BHC 06“ genannt) in vollem Umfang stattgegeben.

Der Kläger ist seit Juli 2022 bei der Beklagten, der BHC Marketing GmbH, als Trainer der 1. Handballmannschaft der Herren des BHC 06 beschäftigt. Der BHC06 spielte in der Spielzeit 2023/2024 in der 1. Handball-Bundesliga und stieg sodann in die 2. Handball-Bundesliga ab. Der Kläger war bereits seit April 2024 freigestellt. Im Juni 2024 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Vertrag aufgrund des Abstiegs des BHC 06 in die 2. Handball-Bundesliga zum 30.06.2024 ende. Hiergegen wendete sich der Kläger und machte das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses sowie weitere Zahlungsansprüche geltend.

Die Kammer hat entschieden, dass die auflösende Bedingung in dem Arbeitsvertrag des Handballtrainers, wonach der Vertrag ausschließlich für „den Bereich der 1. Handballbundesliga“ gelten und der Arbeitsvertrag bei Abstieg oder Lizenzverlust/-rückgabe enden soll, unwirksam ist. Die Klausel ist bereits wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam. Ihr ist nicht zu entnehmen, zu welchem Enddatum der Arbeitsvertrag „bei Abstieg“ gelten soll und der „Bereich der 1. Handballbundesliga“ verlassen wird. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vermischung der Bedingung „Abstieg“ mit der (unwirksamen) Bedingung „Lizenzverlust/-rückgabe“ der Bedingungseintritt intransparent und im Zweifelsfall nicht eindeutig bestimmbar ist.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingelegt werden.

Arbeitsgericht Solingen, 3 Ca 728/24, Termin vom 01.10.2024

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VonRA Moegelin

Vorfahrt am abgesenkten Bordstein

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Wer über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, muss eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Bei einem Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes und unfallursächliches Fehlverhalten des vom Bordstein einfahrenden Fahrers. Rechts vor links gilt in diesem Fall nicht.

Volltext des Urteils des Landgerichts Lübeck vom 26.01.2024 – 17 O 158/22:

Tenor

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.213,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.08.2022 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwaltskanzlei ….., ……..in Höhe von 627,13 € freizuhalten.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.234,30 € festgesetzt.

Tatbestand

Randnummer1

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 04. Juli 2022 in Bad Oldesloe.

Randnummer2

Der Kläger befuhr am 04. Juli 2022 mit seinem Fahrzeug mit amtlichem Kennzeichen ….. die Johannes-Ströh-Straße in Bad Oldesloe. In Fahrtrichtung links der Johannes-Ströh-Straße befinden sich Parkplätze quer zur Straße, in Fahrtrichtung rechts zur Johannes-Ströh-Straße befindet sich ein P+R-Parkplatzgelände, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Johannes-Ströh-Straße und die Parkplätze in Fahrtrichtung links ein einheitliches P+R-Parkplatzgelände mit den Parkplätzen in Fahrtrichtung rechts bilden, oder ob die vorbenannte Straße eine vom P+R-Gelände getrennte öffentliche Straße darstellt. Auf dem Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts befinden sich zwischen den Parkplatzreihen Fahrgassen, die in Richtung der Johannes-Ströh-Straße führen. Die Fahrgassen weisen am Übergang zur Johannes-Ströh-Straße einen abgesenkten Bordstein auf. Von der Johannes-Ströh-Straße auf das Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts blickend befindet sich ein Schild mit der Beschriftung „P+R“. Weiter ist die vorbenannte Straße durch ein in Fahrtrichtung links befindliches Schild als Einbahnstraße ausgewiesen (Verkehrszeichen Nr. 220). Zur Veranschaulichung der Unfallumgebung wird auf die Anlagen K1, K2 und K8 verwiesen.

Randnummer3

Die Beklagte zu Ziff. 2 fuhr mit ihrem bei der Beklagten zu Ziff. 1 haftpflichtversicherten PKW mit amtlichem Kennzeichen …..von dem Parkplatzgelände in Fahrtrichtung rechts des Klägers nach rechts abbiegend auf die Johannes-Ströh-Straße ein, woraufhin es zur Kollision zwischen dem Klägerfahrzeug und dem Beklagtenfahrzeug kam. Zur Veranschaulichung der Kollision wird auf die Anlagen K2 und K3 verwiesen.

Randnummer4

Ausweislich eines durch die Klägerseite eingeholten Gutachtens sind für die Reparatur des Klägerfahrzeuges Kosten in Höhe von 4.350,95 € netto erforderlich, wobei zwischen den Parteien Kosten in Höhe von 4.330,35 € netto unstreitig sind. Die Kosten für das Gutachten betragen 863,35 € brutto. Weiter macht die Klägerseite eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 € geltend.

Randnummer5

Die Beklagte zu Ziff. 1 verweigerte gegenüber der Klägerseite mit Ablehnungsschreiben vom 12. Juli 2022, 03. August 2022 und 18. August 2022 die Regulierung des Schadens (vgl. Anlagenkonvolut K5). Dies begründete die Beklagte zu Ziff. 1 damit, dass sich der Unfall auf einem Parkplatzgelände abgespielt habe und die Beklagte zu Ziff. 2 von rechts kommend vorfahrtsberechtigt gewesen sei. Mit Mail vom 16. November 2022 (vgl. Anlage K7) forderte die Klägerseite die Beklagte zu Ziff. 1 letztmalig zur Regulierung bis zum 23.11.2022 auf. Die Beklagte zu Ziff. 1 lehnte die Regulierung weiterhin ab.

Randnummer6

Der Kläger macht weiter die Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 € geltend. Dem legt die Klägerseite einen Gegenstandswert in Höhe von 5.234,30 €, eine 1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG sowie eine Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 € zzgl. Mehrwertsteuer zugrunde.

Randnummer7

Der Kläger meint, er sei gegenüber der Beklagten zu Ziff. 2 vorfahrtsberechtigt gewesen, da die Klägerin von einem Grundstück auf eine Straße eingefahren beziehungsweise über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn eingefahren sei.

Randnummer8

Nachdem der Kläger mit seinem Antrag zu Ziff. 1 zunächst beantragt hat, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.234,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, beantragt er nunmehr nach teilweiser Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

Randnummer9

1. an den Kläger 5.213,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 04.08.2022 zu zahlen,

Randnummer10

2. den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwaltskanzlei ….., G. 44, … Hamburg in Höhe von 627,13 € freizuhalten.

Randnummer11

Die Beklagten beantragen,

Randnummer12

die Klage abzuweisen.

Randnummer13

Sie meinen, die Beklagten zu Ziff. 2 sei von rechts kommend vorfahrtsberechtigt gewesen.

Randnummer14

Das Gericht hat im Rahmen der Güteverhandlung die Anlage K2, das erste Foto, Blatt 2 des Anlagenbandes Kläger sowie die Anlage K8, das erste Foto, Blatt 4 des Anlagenbandes Kläger in Augenschein genommen.

Entscheidungsgründe

Randnummer15

Die zulässige Klage ist begründet.

Randnummer16

I. Die teilweise Klagerücknahme in Höhe von 20,60 € im Termin vom 05.01.2024 mit Einwilligung der Beklagten ist gemäß § 269 Abs. 1 ZPO zulässig.

Randnummer17

II. Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 627,13 €.

Randnummer18

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu Ziff. 2 einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie Freihaltung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 627,13 € aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG.

Randnummer19

Gemäß § 7 Abs. 1 StVG hat der Halter eines Kraftfahrzeuges dem Verletzten denjenigen Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, dass beim Betrieb des Kraftfahrzeuges eine Sache beschädigt wurde. Das Fahrzeug des Klägers ist bei Betrieb des Kraftfahrzeuges der Beklagten zu Ziff. 2 beschädigt worden.

Randnummer20

Ein Ausschluss der Haftung der Beklagten zu Ziff. 2 beziehungsweise des Klägers gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nicht ersichtlich, da der Unfall nicht auf einem unabwendbaren Ereignis beruht. Gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Geboten ist dabei eine besonders sorgfältige Reaktion. Es muss ein schadenstiftendes Ereignis vorliegen, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 15). Im vorliegenden Fall hätte die Kollision der Fahrzeuge beiderseitig bei Beachtung der äußerst möglichen Sorgfalt abgewendet werden können.

Randnummer21

Die Beklagte zu Ziff. 2 haftet mit einer Quote von 100 %. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 StVG führt zur alleinigen Haftung der Beklagtenseite.

Randnummer22

Gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt die Haftung zwei an einer Schadensverursachung beteiligter Kraftfahrzeughalter untereinander im Verhältnis zueinander davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für die Bewertung der Verursachungsbeiträge sind zunächst die wechselseitigen Verantwortungsbeiträge festzustellen. Anschließend müssen diese unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gegeneinander abgewogen werden (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 28).

Randnummer23

Die Beklagte zu Ziff. 2 hat vorliegend einen Verstoß gegen § 10 StVO begangen. Danach hat sich wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Bei einem Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes und unfallursächliches Fehlverhalten des Einfahrenden (BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 70).

Randnummer24

Im vorliegenden Fall spricht aufgrund der in den Anlagen K2 und K8 erkennbaren Beschilderung (u.a. Verkehrszeichen 220) viel dafür, dass es sich bei der Johannes-Ströh-Straße um eine von der P+R-Anlage getrennte öffentliche Straße handelt, und die Beklagte zu Ziff. 2 somit von einem Grundstück auf die Straße einfuhr. Im Ergebnis kann es jedoch dahinstehen, ob eine abgetrennte öffentliche Straße oder aber ein einheitliches P+R-Parkplatzgeländes vorliegen. Unterstellt, dass die vom Kläger befahrene Fahrbahn Teil eines einheitlichen P+R-Gelände wäre, wäre die Beklagte zu Ziff. 2 jedenfalls über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn eingefahren. Die Regelungen der StVO sind dabei auch in letzterem Fall grundsätzlich auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz anwendbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 m.w.N.).

Randnummer25

Eine Erschütterung des ersten Anscheins ist vorliegend nicht gegeben. Dazu hätte die Beklagtenseite Umstände darlegen und beweisen müssen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt (Zöller/Greger, 35. Aufl., ZPO Vor. § 284 Rn. 29). Entsprechende Umstände sind nicht ersichtlich.

Randnummer26

Ein entsprechender Verstoß gegen § 10 StVO wiegt in der Regel so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.04.2015 – 19 U 189/14, r+s 2016, 312 Rn. 16).

Randnummer27

Dem Kläger ist durch die Kollision ein gemäß § 249 BGB zu ersetzender Schaden in Gestalt von Reparaturkosten in Höhe von jedenfalls 4.330,35 € netto sowie Gutachterkosten in Höhe von 863,35 € entstanden. Weiter kann der Kläger eine Auslagenpauschale in Höhe von 20 € geltend machen (vgl. OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 23.04.2021 – 7 U 10/21; BeckRS 2021, 36254, Rn. 10). Die Beklagte zu Ziff. 2 hat den Kläger ferner im Rahmen des zu ersetzenden Schadens von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizuhalten, deren Höhe sich aus dem RVG ergeben.

Randnummer28

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu Ziff. 1 einen Anspruch auf Zahlung von 5.213,70 € sowie auf Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 € aus § 115 Abs. 1 VVG in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, da es sich bei der Beklagten zu Ziff. 1 um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach § 1 PflVG bestehenden Versicherungspflicht der Beklagten zu Ziff. 2 handelt.

Randnummer29

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 2 Ziff. 3 BGB.

Randnummer30

Die Beklagten haften gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 VVG als Gesamtschuldner.

Randnummer31

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 2 Ziff. 1, 100 Abs. 4, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Randnummer32

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Randnummer33

V. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 39 Abs. 1, 40, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO.

 

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