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VonRA Moegelin

Verfassungsbeschwerde gegen Dritten Weg im kirchlichen Arbeitsrecht

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1392761431Mit Beschluss vom 15.07.15 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen arbeitsgerichtliche Entscheidungen zum so, genannten „Dritten Weg“ im kirchlichen Arbeitsrecht wegen Unzulässigkeit verworfen. Die Verfassungsbeschwerde war von einer Gewerkschaft eingelegt worden, die vor dem Bundesarbeitsgericht zwar obsiegt hatte, sich aber durch die Urteilsgründe beschwert sah. Der Gewerkschaft fehlt die erforderliche Beschwerdebefugnis. Sie ist weder durch den Urteilstenor beschwert noch folgt ausnahmsweise aus den Urteilsgründen, dass sie gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen ist.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Nach dem „Dritten Weg“ werden die Arbeitsvertragsbedingungen weder einseitig durch die kirchlichen Dienstgeber („Erster Weg“) noch durch Tarifverträge („Zweiter Weg“) festgelegt, sondern durch eine Arbeitsrechtliche Kommission. Sie ist ein durch Kirchengesetz geschaffenes Gremium, das paritätisch mit Vertretern von Dienstgebern und Dienstnehmern besetzt ist. Ihre Aufgabe liegt darin, Normen zu schaffen, die Abschluss, Inhalt und Beendigung des Einzelarbeitsverhältnisses regeln. Kommt in der Arbeitsrechtlichen Kommission kein Beschluss zustande, so wird ein ebenfalls paritätisch zusammengesetzter Schlichtungsausschuss mit der Angelegenheit befasst. Dieser entscheidet abschließend. Streiks und Aussperrung sind ausgeschlossen.

Die Beschwerdeführerin ist eine Gewerkschaft. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind zwei evangelische Landeskirchen sowie sieben Einrichtungen der Diakonie. Im Ausgangsverfahren begehrten sie die Verpflichtung der Beschwerdeführerin, zukünftig Streiks und Streikaufrufe in Einrichtungen der Klägerinnen zu unterlassen. Ein im Wesentlichen stattgebendes Urteil des Arbeitsgerichts hob das Landesarbeitsgericht auf und wies die Klage insgesamt ab. Die Revision der Klägerinnen blieb ohne Erfolg. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen, insbesondere gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Sie sei zwar nicht durch den Tenor, jedoch durch die Entscheidungsgründe beschwert. Aus diesen ergebe sich für den vorliegenden Fall insbesondere, dass gewerkschaftliche Streiks mit Tarifbezug das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in rechtswidriger Weise beeinträchtigten und solche ohne tarifliches Regelungsziel generell rechtswidrig seien.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

1. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt die Behauptung des Beschwerdeführers voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (sogenannte Beschwerdebefugnis, vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG sowie § 90 Abs. 1 BVerfGG).

a) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, kann sich die Beschwer in aller Regel nur aus dem Tenor der Entscheidung ergeben; er allein bestimmt verbindlich, welche Rechtsfolgen aufgrund des festgestellten Sachverhalts eintreten. Erforderlich ist eine Beschwer im Rechtssinne; eine faktische Beschwer allein genügt nicht. Rechtsausführungen sowie nachteilige oder als nachteilig empfundene Ausführungen in den Gründen einer Entscheidung allein begründen keine Beschwer.

b) Verfassungsbeschwerden gegen die Gründe einer gerichtlichen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht bislang nur in eng begrenzten Ausnahmefällen für möglich gehalten. Diese sind hier nicht einschlägig.

c) Um beschwerdebefugt zu sein, muss ein Beschwerdeführer behaupten können, selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem Grundrecht oder gleichgestellten Recht verletzt zu sein. Bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen ist dies regelmäßig der Fall und wird daher in der Regel nicht näher geprüft. Eine Prüfung der eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit ist jedoch in Sonderfällen angezeigt, etwa wenn sich die Beschwer – wie vorliegend – aus anderen Umständen als dem für den Beschwerdeführer eigentlich günstigen Tenor ergeben soll.

Gegenwärtige Betroffenheit ist das Abgrenzungskriterium gegenüber zukünftigen Beeinträchtigungen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Verfassungsbeschwerde erhoben wird. Gegenwärtigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn eine angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers aktuell und nicht nur potentiell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressaten mit Blick auf seine künftig eintretende Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird.

Unmittelbarkeit setzt voraus, dass die Einwirkung auf die Rechtsstellung des Betroffenen nicht erst durch einen weiteren Akt bewirkt wird. Die Voraussetzung der Unmittelbarkeit dient zudem dazu, dem Bundesverfassungsgericht die Fallanschauung der Fachgerichte zu vermitteln. Sie ist damit auch eine Frage der Zumutbarkeit der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Verfahrens, innerhalb dessen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm inzident geprüft werden kann.

Soweit das Bundesverfassungsgericht Grundsätze zur Gegenwärtigkeit und Unmittelbarkeit anhand von Verfassungsbeschwerden gegen Rechtsnormen entwickelt hat, gelten diese auch für Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen.

2. Die Beschwerdeführerin ist nach diesen Maßstäben nicht beschwerdebefugt.

a) Nach dem Grundsatz, dass sich bei Verfassungsbeschwerden gegen eine gerichtliche Entscheidung die Beschwer in aller Regel nur aus dem Tenor der Entscheidung ergeben kann, fehlt es an einer Beschwer der Beschwerdeführerin. Die gegen sie gerichtete Klage ist in vollem Umfang abgewiesen worden.

b) Die Beschwerdeführerin ist nicht ausnahmsweise durch die Gründe der angegriffenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gegenwärtig und unmittelbar beschwert.

aa) Eine gegenwärtige Beschwer folgt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht daraus, dass das Bundesarbeitsgericht nicht nur geschriebenes Recht angewandt, sondern das im Wesentlichen durch die Rechtsprechung geprägte Arbeitskampfrecht richterrechtlich weiterentwickelt hat. Damit hat das Bundesarbeitsgericht nicht Recht gesetzt, das für die Beschwerdeführerin zukünftig verbindlich wäre. Die Fachgerichte sind an durch die Rechtsprechung entwickeltes Recht nicht in gleicher Weise gebunden wie an Gesetze. Nach deutschem Recht gibt es grundsätzlich keine Präjudizienbindung.

Eine gegenwärtige Beschwer ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die Beschwerdeführerin mit Blick auf künftige Streiks und Streikaufrufe dem Risiko ausgesetzt sieht, von kirchlichen Einrichtungen auf Unterlassung oder Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, ihr sei eine verlässliche Planung gewerkschaftlicher Politik nicht möglich, bleibt offen, zu welchen irreversiblen Dispositionen sie genötigt sein soll. Jedes Gesetz und jeder von einem Gericht entwickelte Rechtssatz, der einem Beteiligten Handlungsoptionen eröffnet, kann für andere Beteiligte mit Ungewissheiten und Unsicherheiten verbunden sein. Dies führt jedoch nicht dazu, dagegen Verfassungsbeschwerde erheben zu können, noch bevor fachgerichtlich entschieden ist, ob ordnungsgemäß von den Rechten Gebrauch gemacht wurde.

Die vom Bundesarbeitsgericht formulierten Anforderungen an den „Dritten Weg“ führen schließlich nicht dazu, dass klar abzusehen wäre, dass und wie die Beschwerdeführerin zukünftig betroffen ist. Wie die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts in der konkreten praktischen Gestaltung des „Dritten Weges“ umzusetzen sind oder umgesetzt werden, ist nicht im Detail vorhersehbar. Insbesondere hinsichtlich der organisatorischen Einbindung der Gewerkschaften werden den Kirchen keine detaillierten Vorgaben gemacht.

bb) Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen und die vom Bundesarbeitsgericht formulierten Anforderungen auch nicht unmittelbar betroffen. Der potentielle Ausschluss des Streikrechts könnte sich vielmehr erst aus kirchenrechtlichen und satzungsmäßigen Regelungen ergeben, setzt also zwingend weitere Maßnahmen der Kirchen und kirchlichen Einrichtungen voraus. Die vorherige Befassung der Fachgerichte ist der Beschwerdeführerin zumutbar und ermöglicht es, dem Bundesverfassungsgericht die Fallanschauung der Fachgerichte hinsichtlich der – inzwischen modifizierten – kirchenrechtlichen Vorschriften zu vermitteln.

(Beschluss des Bundesverssungsgerichts vom 15. Juli 2015 – 2 BvR 2292/13; vgl. Pressemitteilung Nr. 64/2015 vom 2. September 2015)

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VonRA Moegelin

Bayern droht Bundesregierung mit Verfassungsbeschwerde

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1437962816-300pxAm 26.01.15 erhielt die Bundesregierung ein Schreiben, in dem das Land Bayern Maßnahmen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen einfordert. Sollte dem nicht nachgekommen werden, wird der Gang nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht angedroht. Nach Ansicht des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, besteht hierfür Aussicht auf Erfolg.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Forderungen des Landes Bayern:

1. Kontrolle der deutschen Grenzübergänge

2. Sicherung der EU-Außengrenze

3. Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr für Deutschland

4. Abweisen von Flüchtlingen, die aus einem sicheren Drittland kommen

Näheres zum Brief an Merkel findet sich auf der Seite der CSU: http://www.csu.de/aktuell/meldungen/januar-2016/brief-an-die-bundeskanzlerin/

Grundlage der Forderung aus Bayern ist das Gutachten von Udo di Fabio. Im Rahmen eines Bund-Länder-Streits hätte Bayern nach seiner überzeugenden Ansicht in dem Verfahren Aussicht auf Erfolg.

Demnach bestehe eine Rechtspflicht der Bundesregierung, darauf hinzuwirken, eine funktionsfähige, vertragsgemäße europäische Grenzsicherung (wieder)herzustellen und ein System kontrollierter Einwanderung mit gerechter Lastenverteilung zu erreichen. Zu Recht stellt Di Fabio in Frage ob eine gesetzliche Regelung, die für eine erhebliche Fallzahl eine praktisch unkontrollierte Einreise in das Bundesgebiet erlaubte, überhaupt mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist. Demokratie könne nur funktionieren, wenn ein Staatsvolk mit einem entsprechenden klar definierten Bürgerrecht identifizierbar und in Wahlen und Abstimmungen praktisch handlungsfähig ist. Insofern müsse das Staatsvolk einerseits über die Bevölkerungszusammensetzung und über die Regeln zum Erwerb oder Verlust der Staatsangehörigkeit mit dem Gesetz im formellen Sinne entscheiden, andererseits dürfe es dabei nicht die praktische Möglichkeit parlamentarischen Regierens und demokratischen Entscheidens bei elementaren Fragen der politischen Gemeinschaft aufgeben. Das Grundgesetz setze die Beherrschbarkeit der Staatsgrenzen und die Kontrolle über die auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen voraus. Der Bund dürfe zur Sicherung der Staatsgrenzen Hoheitsrechte auf die EU übertragen, bleibe aber im Falle des nachweisbaren Leistungsverlusts europäischer Systeme in der Verantwortung für die wirksame Kontrolle von Einreisen in das Bundesgebiet. Der Bund sei demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist. Selbst wenn man Merkels Maßnahme der Grenzöffnung von August 2015 unter dem Gesichtspunkt des Notstands gerechtfertigt gewesen sollte, wäre nur eine punktuelle, auf wenige Tage beschränkte einstweilige Maßnahme zu rechtfertigen gewesen, aber keine längere oder gar dauerhafte Außerachtlassung des geltenden Rechts (vgl: FAZ zum Gutachten von Di Fabio).

Dem Di-Fabio-Gutachten hat die Bundesregierung inhaltlich bislang nichts entgegenzusetzen. Lediglich ein Jurist und zwar Professor Bast, versucht in seinem Blog „Dem Freistaat zum Gefallen“ gegenzuhalten. Seine Argumente können jedoch nicht überzeugen.

Er stellt unter Nr. 1 Abs. 1 in Abrede, dass das Grundgesetz die Staatlichkeit der Bundesrepublik und damit auch die Integrität ihrer Staatsgrenzen voraussetzt. Anscheinend sei damit die Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht zu deren Schutz verpflichtet. Diese entnehrt jeder Sachgrundlage. Der Schutz der Staatlichkeit ist dem Grundgesetz immanent. Das folgt auch aus Art. 20 Abs. 4 GG, wonach gegen jeden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, alle Deutsche das Recht zum Widerstand haben. Ohne Integrität der Staatsgrenzen ist die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht denkbar.

Weiter heißt es wörtlich unter Nr. 1 Abs. 2: „Entweder kann der Bund die Grenzen nicht kontrollieren, dann bringt eine solche Rechtspflicht nichts, weil sie sich nicht erfüllen ließe, oder aber der Bund öffnet die Grenzen freiwillig, dann erscheint es eigenartig, von einem Verlust der Staatlichkeit zu sprechen.“ Zutreffend stellt die FAZ hierzu in den Raum, ob keine staatlichen Handlungen vorstellbar seien, die eine staatliche Ordnung in Gefahr bringen können. Prof. Bast disqualifiziert sich mit dieser Aussage selbst. Mit dieser juristischen Spitzfindigkeit ließe sich nämlich jedwedes rechtsgrundlose staatliche Handeln legitimieren nach dem Motto „Jedes staatliche Handlen ist automatisch legitim“. Das ist exakt die Vorgehensweise eines totalitären Regimes.

Ob das Land Bayern seine Drohnung die Bundesregierung zu verklagen wahrmacht, bliebt abzuwarten. Eine politische Lösung erscheint denkbar, da das hemmungslose Offenhalten unserer Grenze immer weniger Unterstützer findet.

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