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VonRA Moegelin

Kündigung wegen Herstellung privater Raubkopien

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ninja-deskDas BAG hatte über die außerordentliche Kündigung eines „IT-Verantwortlichen“ zu entscheiden, bei dessen Arbeitgeber es sich um das Land Sachsen-Anhalt handelt. Wie der Spiegel berichtet, war er beim Oberlandesgericht Naumburg beschäftigt. Kündigungsgrund war das unbefugte Kopieren auf dienstliche DVD- bzw. CD-Rohlinge von privat beschafften Bild- und Tonträgern während der Arbeitszeit unter Verwendung des dienstlichen Computers zum eigenen und kollegialen Gebrauch.

Zu den Aufgaben des IT-Verantwortlichen (dem späteren Kläger) gehörte unter anderem die Verwaltung des „ADV-Depots“. Mit ihr war die Bestellung des für die Datenverarbeitung benötigten Zubehörs – etwa von Datensicherungsbändern, CDs und DVDs – verbunden. Anfang März 2013 räumte der Leiter der Wachtmeisterei in einem Personalgespräch ein, den dienstlichen Farbdrucker seit längerer Zeit zur Herstellung sog. „CD-Cover“ genutzt zu haben. Bei einer Mitte März 2013 erfolgten Geschäftsprüfung wurden auf den Festplatten eines vom IT-Verantwortlichen (dem späteren Kläger) genutzten Rechners mehr als 6.400 E-Book-, Bild-, Audio- und Videodateien vorgefunden. Zudem war ein Programm installiert, das geeignet war, den Kopierschutz der Hersteller zu umgehen. Es stellte sich heraus, dass in der Zeit von Oktober 2010 bis März 2013 über 1.100 DVDs bearbeitet worden waren. Im gleichen Zeitraum waren etwa gleich viele DVD-Rohlinge von Seiten des Gerichts bestellt und geliefert worden. Bei näherer Untersuchung und Auswertung der vom Kläger benutzten Festplatten wurden Anfang April 2013 weitere (Audio-)Dateien aufgefunden. Der Kläger ließ sich im Verlauf der Ermittlungen dahin ein, alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs sei, habe er „gemacht“. Er habe für andere Mitarbeiter „natürlich auch kopiert“. Die Äußerungen nahm er einige Tage später „ausdrücklich zurück“. Mit Schreiben vom 18. April 2013 erklärte das beklagte Land die außerordentliche fristlose, mit Schreiben vom 13. Mai 2013 hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigungen seien schon deshalb unwirksam, weil unklar sei, welchen Tatbeitrag gerade der Kläger zu den in Rede stehenden Kopier- und Brennvorgängen geleistet habe. Zudem habe das beklagte Land durch lediglich eigene Ermittlungen – ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden – weder eine umfassende, den Kläger möglicherweise entlastende Aufklärung leisten, noch den Beginn der zweiwöchigen Frist für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung hemmen können. Im Ãœbrigen habe es gegenüber den anderen Beteiligten keine vergleichbaren Maßnahmen ergriffen und den Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet.

Die Revision des beklagten Landes hatte vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg. Unter Aufhebung des Urteils wurde die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Eine (fristlose) Kündigung kommt auch dann in Betracht, wenn der Kläger nicht alle fraglichen Handlungen selbst vorgenommen, sondern dabei mit anderen Bediensteten zusammengewirkt oder das Herstellen von „Raubkopien“ durch diese bewusst ermöglicht hat. Aus dem Umstand, dass es ihm erlaubt gewesen sein mag, seinen dienstlichen Rechner für bestimmte andere private Zwecke zu nutzen, konnte er nicht schließen, ihm seien die behaupteten Kopier- und Brennvorgänge gestattet.

Die Anhörung des Personalrats war nach Ansicht des BAG ordnungsgemäß.

Die fristlose Kündigung ist ebenso wenig deshalb unwirksam, weil das beklagte Land Ermittlungen zunächst selbst angestellt und nicht sofort die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet hat. Ein solches Vorgehen ist dem Arbeitgeber grundsätzlich unbenommen. Solange er die Ermittlungen zügig durchführt, wird auch dadurch der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt.

Nicht entscheidend ist, welche Maßnahmen das beklagte Land gegenüber den anderen Bediensteten ergriffen hat. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Rahmen verhaltensbedingter Kündigungen grundsätzlich keine Anwendung. Im Übrigen ist nicht festgestellt, inwieweit sich die Sachverhalte unter Berücksichtigung der Einzelheiten und der Stellung der anderen Beschäftigten wirklich gleichen.

(Bundesarbeitsgericht Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 / Pressemitteilung Nr. 36/15).

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VonRA Moegelin

Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Nutzung einer elektronischen Signaturkarte

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red-palmprintDas BAG hatte zu entscheiden, ob ein Angestellter des Bundes unter dem Aspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, seine im Personalausweis enthaltenen Daten zur Identitätsfeststellung für die Verwendung einer elektronischen Signaturkarte mitzuteilen hat.

Die Klägerin ist als Verwaltungsangestellte in einem Wasser- und Schifffahrtsamt beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehört die Veröffentlichung von Ausschreibungen bei Vergabeverfahren. Seitdem diese Veröffentlichungen nur noch in elektronischer Form auf der Vergabeplattform des Bundes erfolgen,  wird zur Nutzung eine qualifizierte elektronische Signatur benötigt, die nach den Bestimmungen des Signaturgesetzes (SigG) nur natürlichen Personen erteilt wird. Die Beklagte wies daraufhin die Klägerin an, eine solche qualifizierte Signatur bei einer vom SigG vorgesehenen Zertifizierungsstelle, einem Tochterunternehmen der Deutschen Telekom AG, zu beantragen. Dazu müssen die im Personalausweis enthaltenen Daten zur Identitätsfeststellung an die Zertifizierungsstelle übermittelt werden. Die Kosten für die Beantragung trägt die Arbeitgeberin.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber könne sie nicht verpflichten, ihre persönlichen Daten an Dritte zu übermitteln; dies verstoße gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch sei nicht sichergestellt, dass mit ihren Daten kein Missbrauch getrieben werde.

Alle Instanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb daher vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos.

Ein Arbeitgeber kann von seinem Arbeitnehmer die Beantragung einer qualifizierten elektronischen Signatur und die Nutzung einer elektronischen Signaturkarte verlangen, wenn dies für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlich und dem Arbeitnehmer zumutbar ist (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September 2013 – 10 AZR 270/12).

Die Beklagte hat von ihrem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht gemäß § 106 GewO angemessen Gebrauch gemacht. Der mit der Verpflichtung zur Nutzung einer elektronischen Signaturkarte verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist der Klägerin nach Ansicht des BAG zumutbar. Die Übermittlung der Personalausweisdaten betrifft demgemäß nur den äußeren Bereich der Privatsphäre; besonders sensible Daten sind nicht betroffen. Der Schutz dieser Daten wird durch die Vorschriften des SigG sichergestellt; sie werden nur durch die Zertifizierungsstelle genutzt. Auch durch den Einsatz der Signaturkarte entstehen für die Klägerin keine besonderen Risiken. So enthält die mit dem Personalrat abgeschlossene Dienstvereinbarung ausdrücklich eine Haftungsfreistellung; die gewonnenen Daten dürfen nicht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle durch den Arbeitgeber verwendet werden.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 25. September 2013 -10 AZR 270/12

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VonRA Moegelin

Kündigung ohne Abmahnung wegen Whistleblowing

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1420567635Die Mitteilung von Missständen an einen Richter kann in der Regel ohne vorherige Abmahnung keine fristlose Kündigung eines Angestellten im öffentlichen Dienst rechtfertigen, auch wenn dieser die Staatsanwaltschaft einschaltet und aufgrund dessen gegen die Vorgesetzte strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. November 2013 – 10 Sa 1230/13).

Die Entscheidung des LAG verdient Zustimmung. Zwar liegt ein Fehlverhalten des Klägers vor. Er hätte nicht einfach den Missstand mit dem Messgerät nach Außen tragen dürfen. Es wäre ihm möglich gewesen, zunächst innerhalb seiner Dienststelle den Versuch einer Klärung zu unternehmen. Für ihn spricht, dass ein Richter eine vertrauenswürdige Person ist, die ihrerseits die Sache vertraulich behandelt und nicht grundlos weitergeben wird. Eine Abmahung war hier das mildere Mittel zu einer Kündigung. Einem Arbeitnehmer ist dennoch anzuraten, ggf. unter Einschaltung eines Anwalts für Arbeitsrecht, bei Misständen im Betrieb nach Möglichkeit eine interne Klärung zu erreichen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ist bei einer Bußgeldstelle im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Seine Aufgabe ist Durchführung von geschwindigkeitskontrollen mit Radarmessgeräten.

Am 13. Juni 2012 war der Kläger tätigkeitsbedingt Zeuge in einer Bußgeldsache vor dem Amtsgericht. Im Anschluss an die Vernehmung berichtete der Kläger dem dortigen Richter von Problemen mit der Messanlage. Der Richter erstellte über das Gespräch einen Vermerk mit wesentlichem Inhalt wie folgt:

„Das von der Stadt Potsdam eingesetzte Messgerät sei auf Weisung der Leiterin der Bußgeldstelle von Di., 05.06. bis so., 10.06.2012 eingesetzt worden, obwohl diese wusste, dass durch einen Austausch des Handkontrollgerätes keine gültige Eichung vorlag. Zuvor hätte Messbedienstete die Eichmarke vom alten Handkontrollgerät entfernt und auf das neue aufgeklebt. Dies sei anlässlich der am Mo. 11.06.2012 durchgeführten Eichung auch aufgefallen. Es sei auch die Anweisung erteilt worden, Stillschweigen zu bewahren, da andernfalls mit dienstrechtlichen Konsequenzen (Abmahnungen) zu rechnen sei.“

Hiervon erhielt die Bereichsleiterin Kenntnis. Nach erfolgter Anhörung des Klägers und des Personalrats erhielt der Kläger die außerordentliche Kündigung, da er gegen die Pflicht verstoßen habe, über die Angelegenheit Stillschweigen zu bewahren.

Nach der Allgemeinen Dienstordnung haben MitarbeiterInnen über dienstliche Angelegenheiten gegenüber Unbeteiligten zu schweigen, die nach dem Gesetz, einer Anordnung oder ihrer Natur nach geheim oder vertraulich behandelt werden müssen.

Der Klage gegen die Kündigung wurde in 1. Instanz stattgegeben. Auf die Berufung bestätigte das LAG die Rechtswidrigkeit der Kündigung mit folgender Begründung.

Aus der existentiellen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer folgt unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass die Beendigungskündigung stets nur das letzte in Betracht kommende Mittel, das heißt die ultima ratio, sein kann. In Konkretisierung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit gilt im Kündigungsrecht der allgemeine Grundsatz, dass eine Beendigungskündigung, gleichgültig, ob sie ordentlich oder außerordentlich ausgesprochen wird, als äußerstes Mittel (ultima ratio) erst in Betracht kommt, wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung, unter Umständen auch mit schlechteren Arbeitsbedingungen, besteht. (vgl. bereits BAG, Urteil vom 30.Mai 1978 – 2 AZR 630/78). Eine Beendigungskündigung kann als letztes Mittel also nur dann eingesetzt werden, wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, andere geeignete Mittel einzusetzen. Hierzu gehören insbesondere die Abmahnung (vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11, aber auch bereits BAG, Urteil vom 26. Januar 1995 – 2 AZR 649/94, Änderungskündigung (BAG, Urteil vom 28. April 1982 – 7 AZR 1139/79) und Versetzung bzw. Umsetzung.

Wenn danach aufgrund eines Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geboten ist, entspricht es wiederum dem ultima-ratio-Prinzip, dass die fristgemäße Kündigung der fristlosen vorzuziehen ist, da ihr Eingriff verhältnismäßig weniger schwer wiegt (vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10).

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 258/11). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt etwa BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11; BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11). Die ordentliche und die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in  § 314 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11). Grundsätzlich dient eine Abmahnung der Objektivierung der (negativen) Prognose (BAG, Urteil vom 12. Januar 2006 – 2 AZR 21/05). Denn der Zweck auch einer fristlosen Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (BAG, Urteil vom 19. April 2007 – 2 AZR 180/06).

Der Kläger hat, wie er in der Berufungsverhandlung ausgeführt hat, nach Rückkehr aus dem Urlaub am frühen Morgen des 11. Juni 2012 aufgrund seiner langjährigen Fachkunde festgestellt, dass es an dem Geschwindigkeitsmessgerät Veränderungen gegeben hatte, die seines Erachtens nicht in Ordnung waren. Diese Erkenntnisse hatte er dann am 13. Juni 2012 an den Richter am Amtsgericht L. weitergegeben. Damit hat er einen von ihm angenommenen Missstand an eine Stelle außerhalb der Dienststelle der Beklagten weitergegeben. Objektiv bestand auch ein Problem mit dem Messgerät, wie die E-Mail der Bereichsleiterin vom 7. Juni 2012 belegt. Der Kläger hat sich auch nicht an die Öffentlichkeit gewandt, sondern an einen Richter am Amtsgericht, den er zumindest nach seinem eigenen Vorbringen als vertrauenswürdige Stelle ansah.

Ob dieses ein Fall des Whistleblowings im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 – Rechtssache 28274/08) oder trotz der Tatsachenbehauptungen des Klägers ein Fall der Meinungsfreiheit ist (vgl. grundlegend zum Recht auf freie Meinungsäußerung im Arbeitsverhältnis BAG, Urteil vom 24. Juni 2004 2 AZR 63/03, sowie  BAG, Urteil vom 24. November 2005 – 2 AZR 584/04 jeweils mit weiteren Nachweisen) kann dahinstehen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich an den Richter am Amtsgericht gewandt hatte, um seine Vorgesetzte anzuschwärzen. Es handelte sich weder um einen Angriff auf die Menschenwürde noch eine Formalbeleidigung oder eine Schmähung der Vorgesetzten, selbst wenn zumindest aus Sicht der Beklagten die Behauptungen des Klägers teilweise nicht den Tatsachen entsprachen. Der Kläger konnte bei der Mitteilung nicht davon ausgehen, dass seitens des Amtsrichters sofort der Oberstaatsanwalt eingeschaltet werde. Jedenfalls sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass dieses vom Kläger bezweckt oder auch nur für möglich erachtet worden war.

Wie die Beklagte erstinstanzlich im Schriftsatz vom 14. August 2012 ausgeführt hat, ging sie davon aus, dass der Kläger den angenommenen Missständen durchaus hätte nachgehen dürfen. Allerdings hätte die Beklagte es für erforderlich gehalten, dass der Kläger zunächst die Richtigkeit und Zuverlässigkeit seiner Informationen überprüft hätte und zum anderen – ohne jeglichen Grund – gegen das Gebot der ultima ratio verstoßen habe, indem er es unterlassen habe, die Beklagte zuvor intern über die angeblichen Missstände zu informieren. Die Beklagte geht deshalb offenbar selbst davon aus, dass der Kläger nicht grundsätzlich falsch, sondern nur verfrüht an der falschen Stelle die aus seiner Sicht bestehenden Missstände angegeben habe. Ob diese Sicht der Dinge richtig ist, kann in diesem Rechtsstreit dahinstehen. Aber auch bei Annahme dieser Sicht ergibt sich bei Beachtung des ultima ratio-Grundsatzes im Kündigungsrecht, dass dem Kläger das der Kündigung zugrunde gelegte Fehlverhalten mit einer Abmahnung hätte aufgezeigt und ihm zugleich der richtige Weg für eine innerbetriebliche Mitteilung der angenommenen Missstände hätte beschreiben können.

Dass gegen die Vorgesetzte des Klägers strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden waren, ist für sie bedauerlich, aber es ändert nichts daran, dass ein zukünftiges Fehlverhalten des Klägers mit der entsprechenden Abmahnung hätte vermieden werden können. Einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung vermochte die Kammer in der Mitteilung von angenommenen Missständen in der Dienststelle der Beklagten an den Richter am Amtsgericht nicht erkennen.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. November 2013 – 10 Sa 1230/13

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