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VonRA Moegelin

Zum Tod von „Emmely“ : BAG 2 AZR 541/09

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paragrafSupermarkt-Kassiererin Emmely ist tot. Ihr Fall der Unterschlagung von Pfandbons im Wert 1,30 € hat die Rechtsprechung umgewälzt. Denn dank „Emmely“ hat seitdem einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung regelmäßig eine Abmahnung vorauszugehen.

Nach den richerlichen Feststellungen ist ein Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter der Kündigung vorausgegangen. Das Gericht geht davon aus, dass „Emmely“, also die Klägerin, die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat das Gericht ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat

An dieser Rechtsprechung hält das BAG fest.

Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

Obwohl damit ein Pflichtenverstoß vorliegt, der eine außerordentliche Kündigung im Grundsatz rechtfertigt, ergibt nach Ansicht des BAG die Interessenabwägung die Unrechtmäßigkeit der Kündigung, sogar der hilfsweisen ordentlichen Kündigung. Ausreichend sei demnach eine Abmahnung gewesen.

Das BAG begründet es wie folgt:

Für die Klägerin spricht die Einmaligkeit der Pflichtverletzung bei einer beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit von gut drei Jahrzehnten. Eine zwischenzeitlich erteilte Abmahnung wegen eines anderen Vorfalls ist aus der Personalakte entfernt worden.

Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

Anders als der beklagte Arbeitgeber meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen. Es ist nur auf den konkrten Sachverhalt abzustellen, der zur Kündigung geführt hat.

Die Wertung des BAG ist sicherlich vertretbar. Andererseits sind auch die Argumente der Vorinstanz nachvollziehbar. Immerhin hat die Klägerin eine Straftat und zwar eine veruntreuende Unterschlagung begangen. Es lässt sich sehr gut argumentieren, dass das Vertrauensverhältnis zerstört ist, wenn dieses Fehlverhalten, sei es auch nur wegen eines geringen Geldbetrages, so wie hier den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betrifft und zwar wie hier die Kassierertätigkeit.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09

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VonRA Moegelin

Außerordentliche Änderungskündigung zur Herabgruppierung eines Croupiers

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chipsDer Betreiber eines Spielcasinos erteilten einem seiner Croupiers die außerordentliche Änderungskündigung, der zu diesem Zeitpunkt ausgeschiedenes Ersatzmitglied des Betriebsrats war. Auslöser der Kündigung war die ärztlich attestierte Befreiung vom Einsatz im Poker-Spiel. Aufgrund eines Haustarifvertrages war der Croupier in der Tarifstufe I eingruppiert, in der ein Croupier alle Spiele wahrnimmt. Daraufhin kündigte das Casino außerordentlich mit Auslauffrist, verbunden mit dem Angebot, den Kläger mit dem Aufgabengebiet und der Vergütung eines Croupiers der niedrigerenTarifstufe III weiter zu beschäftigen. Der Coupier nahm das Angebot unter Vorbehalt an und erhob gleichzeitig Klage.

Die Croupierstufen sind wie folgt ausgestaltet:

„Croupier I + II: arbeitet am Spieltisch bei allen angebotenen Spielen und kann zur Aufsicht am Spieltisch und bei entsprechender Eignung vorübergehend in der Kasse eingesetzt werden.          Croupier III – X: arbeitet am Spieltisch und kann bei entsprechender Eignung vorübergehend in der Kasse eingesetzt werden.“

Die Vorinstanzen haben die Klage des Croupiers abgewiesen. Auf seine Revision hat aber das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Ist das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund kündbar, ist es dem Arbeitgeber regelmäßig zuzumuten, eine krankheitsbedingte Leistungsminderung des Arbeitnehmers durch entsprechende Maßnahmen, etwa eine dies berücksichtigende Aufgabenverteilung, auszugleichen (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 825/12).

Die (Änderungs-)Kündigung des Klägers in seiner Eigenschaft als ausgeschiedenes Ersatz-Betriebsratsmitglieds nach Beendigung seiner Vertretungstätigkeit konnte gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur außerordentlich erfolgen. Innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden ist die Kündigung nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Voraussetzung ist damit das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Erforderlich ist, dass die krankheitsbedingte Einschränkung der Einsetzbarkeit des Klägers seine Umgruppierung und Rückstufung in die Croupierstufe III rechtfertigt.

Die beim Croupier festgestellte krankheitsbedingte Leistungsminderung kann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, z.B. -wie hier- bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung. Schon an eine ordentliche Kündigung wegen krankheitsbedingter Einschränkungen des Arbeitnehmers ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Anforderungen an die Wirksamkeit einer auf Krankheit gestützten außerordentlichen Kündigung gehen darüber noch hinaus. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Schon eine ordentliche Kündigung wegen einer Leistungsminderung setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die verbliebene Arbeitsleistung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar ist. Für die außerordentliche Kündigung gilt dies in noch höherem Maße.

Der Kläger war zwar nicht mehr am Pokertisch einsetzbar. An den übrigen Tischen und Spielen gab es jedoch genügend Aufgaben, um ihn vollschichtig zu beschäftigen. Der Umstand, dass die Planungs- und Organisationshoheit insofern eingeschränkt ist und infolge der Befreiung des Klägers andere Mitarbeiter vermehrt beim Poker-Spiel eingesetzt werden müssen, stellt für sich betrachtet nicht einmal im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Belange dar.

Ein wichtiger Grund folgt auch nicht aus der angestrebten tarifgerechten Eingruppierung.

Anfangs erfüllte der Kläger die Anforderung an die Tarifgruppe I. Ein Fall irrtümlich zu hoher Eingruppierung lag daher nicht vor. Der Umstand, dass ein Einsatz des Klägers beim Poker-Spiel nachträglich aus gesundheitlichen Gründen entfiel, machte es der Beklagten nicht unzumutbar, ihn weiter als Croupier der Tarifstufe I zu beschäftigen und zu vergüten. Für eine Rückstufung ist selbst dann kein wichtiger Grund gegeben, wenn der Kläger wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen die tarifvertraglichen Anforderungen für die erstmalige Übertragung einer Stelle der Tarifstufe I / II nicht mehr erfüllen sollte. Es ist nicht ersichtlich, dass die tatsächliche Arbeitsleistung des Klägers die von einem Croupier I zu erwartende Leistung in einem Maße unterschritte, das der Beklagten ein Festhalten an dem bestehenden Arbeitsvertrag unzumutbar machen würde.

Dem beklagten Arbeitgeber war es nach den zuvor dargestellten Wertungen des BAG zuzumuten, die krankheitsbedingte Leistungsminderung seines Croupiers durch entsprechende Maßnahmen auszugleichen, z.B. durch Einsetzen an einem anderen Spieltisch.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 825/12

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VonRA Moegelin

Außerordentliche Kündigung eines Datenschutzbeauftragten

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Stainless-steel-arch-20120219Kann einem Angestellten nicht ordentlich betriebsbedingt gekündigt werden da er Sonderkündigungsschutz genießt, gibt es nur die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung. Die Anforderungen an so eine Kündigung sind allerdings sehr hoch.

Ein Unternehmen der Stahlindustrie kündigte erklärte gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer der als Datenschutzbeauftragter nicht ordentlich kündbar ist, daher die außerordentliche Kündigung. Infolge eines Betriebsübergangs sei sein Arbeitsplatz entfallen. Zuvor hatte das Integrationsamt mit Bescheid (nur) die beantragte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilt. Der Arbeitgeber hatte den späteren Kläger im Zeitpunkt der Kündigung als Datenschutzbeauftragten bereits abberufen.

Die Vorinstanzen haben der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision des beklagten Arbeitgebers wurde vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Es kann dem Arbeitgeber unzumutbar sein, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über solche Zeiträume hinweg allein durch Gehaltszahlungen fortzusetzen, ohne eine adäquate Gegenleistung zu erhalten. Allerdings ist der Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung in einem besonderen Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn alle denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 – 2 AZR 372/13).

Zugunsten der Beklagten hat das BAG angenommen, dass das Arbeitsverhältnis nach § 4f Abs. 3 Satz 6 BDSG ordentlich nicht kündbar und der Arbeitsplatz des Klägers bei ihr infolge des Betriebsübergangs entfallen war. Grundsätzlich besteht trotz dieses Sonderkündigungsschutzes keine über Jahre laufende Verpflichtung zur Vergütungszahlung ohne eine entsprechende Gegenleistung, so dass eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt.

Nach Ansicht des BAG fehlt es aber am wichtigen Grund einer außerordentlichen Kündigung, da der Sonderkündigungsschutz in Kürze ausgelaufen wäre und es dem Arbeitgeber zumutbar ist so lange abzuwarten und – bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes – wieder ordentlich zu kündigen. Es fehlt auch an der erforderlichen Darlegung, dass es an jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit fehlte. Bei einer außerordentlichen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen wird vom Arbeitgeber erwartet, dass er alle Anstrengungen unternommen hat, um einen weiteren Einsatz des Arbeitnehmers zu ermöglichen.

Eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung kommt nach Ansicht des BAG schon deswegen nicht in Betracht, da es an der nach § 85 SGB IX erforderlichen Zustimmung des Integrationsamts fehlte.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts: BAG, Urteil vom 23. Januar 2013 – 2 AZR 372/13

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VonRA Moegelin

Krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen

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cgbug-Halloween-Tombstone-Angry-FaceEine Hilfsgärtnerin wehrte sich gegen die außerordentliche Kündigung ihrer Arbeitgeberin die Friedhöfe betreibt. In den letzten rund 11 Jahren war die Klägerin wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Sie stellte sich mehrfach beim Personalärztlichen Dienst vor, der ihr stets eine positive Prognose attestierte. Zuletzt war die Klägerin in der Zeit vom 16.11.11 bis zum 19.12.11 arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Schreiben vom 9.12.11 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nunmehr abschließend entschieden habe, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Gleichzeitig unterbreitete sie ihr ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Dieses halte sie bis zum 06.01.12 aufrecht. Die Klägerin nahm das Angebot nicht an. Am 16.01.12 beantragte die Beklagte beim Personalrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist. Der Personalrat teilte mit Schreiben vom 19.01.12 mit, dass er seine Zustimmung verweigert habe. Mit Schreiben vom 02.02.12 rief die Beklagte die Einigungsstelle an. Diese ersetzte die Zustimmung am 27.03.12.

Noch am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Die Vorinstanzen haben der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Häufige Kurzerkrankungen können ein Dauertatbestand sein, der den Lauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ständig neu in Gang setzt, sobald und solange wie sie den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit zulassen und damit eine negative Gesundheitsprognose begründen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13).

Nach der Rechtsprechung gilt bei Dauertatbeständen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Kündigungssachverhalt und seine betrieblichen Auswirkungen fortwährend neu verwirklichen, dass sich der Fristbeginn nach § 626 Abs. 2 BGB nicht eindeutig fixieren lässt. Liegt ein solcher Tatbestand vor, reicht es zur Fristwahrung aus, dass die Umstände, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt, auch noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren. Maßgebend ist vielmehr allein, ob der Kündigungsgrund, dh. die auf der fortbestehenden Krankheitsanfälligkeit beruhende negative Prognose sowie die sich daraus ergebende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen, noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung fortbestanden hat. Eine Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit steht dem nicht zwangsläufig entgegen. Der Dauertatbestand endet erst, wenn der Kündigungsgrund als solcher entfällt.

Die Mitteilung der Beklagten, sie „habe nunmehr abschließend entschieden“, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, ändere nichts daran, dass sich auch dann der Kündigungsgrund, sollte er bestehen, fortlaufend neu verwirklicht. Daraus ließe sich nicht entnehmen, die Beklagte werde nach Ablauf weiterer zwei Wochen aus den krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr ziehen. Aus dem gleichzeitig unterbreiteten und bis zum 6. Januar 2012 aufrecht erhaltenen Auflösungsangebot konnte die Klägerin ersehen, dass die Beklagte vor diesem Zeitpunkt eine Kündigung nicht erklären würde. Da die Beklagte den Personalrat bereits am 16. Januar 2012 um Zustimmung zur nunmehr beabsichtigten Kündigung ersucht hat, durfte die Klägerin auch nach dem Ablauf der Frist zur Annahme des Angebots am 6. Januar nicht darauf vertrauen, die Beklagte werde von einer Kündigung Abstand nehmen. Nach alldem ist der Kündigungsgrund nicht entfallen, so dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.

Es fehlt nach Ansicht des BAG aber an einer negativen Gesundheitsprognose. Der Verlauf der krankheitsbedingten Fehlzeiten rechtfertige nicht die Prognose, die Klägerin werde künftig im gleichen Maße fehlen wie in den vergangenen mehr als zehn Jahren. Ebenso erscheint die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar. Die künftig zu erwartenden Fehlzeiten der Klägerin führen auch dann nicht zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Beklagten, wenn diese für sämtliche Krankheitszeiten das Entgelt fortzahlen müsste. Der Jahreslohnsumme auf Seiten der Beklagten stehe nach wie vor eine nennenswerte Arbeitsleistung auf Seiten der Klägerin gegenüber.

Volltext des Urteils des Bundesarbeitsgerichts:  BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13

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VonRA Moegelin

Außerordentliche Verdachtskündigung wegen Bestechlichkeit im öffentlichen Dienst

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molumen-red-square-error-warning-iconEin Sachbearbeiter war bei der Beklagten, einer Anstalt des Öffentlichen Rechts, die öffentliche Badeeinrichtungen betreibt, seit 12 Jahren im Bereich Einkauf tätig. Ihm oblagen die Prüfung der Rechnungen auf sachliche und rechnerische Richtigkeit sowie die Auftragsvergabe und -abwicklung unter Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen, wozu auch die Forderung von sog. Eigenerklärungen der Wettbewerber, die Dokumentation des Vergabeverfahrens und unter bestimmten Bedingungen auch die Einschaltung der Vergabekommission gehörten. Er hatte schriftlich bestätigt, dass er keine Beziehungen zu Personen oder Unternehmen unterhalte, mit denen die Beklagte Geschäfte machte.

In der Zwischenzeit war bei der Beklagten der Verdacht aufgekommen, dass eine Reinigungsfirma erbrachte Leistungen falsch abgerechnet hatte. Es waren ebenfalls Beschwerden über die Qualität der Dienstkleidung eingegangen. Der Sachbearbeiter erhielt unstreitig von der Geschäftsführerin einer Firma, mit der die Beklagte Geschäfte machte, eine Zahlung in Höhe von 2.500 €, die über die Western Union als Bargeldtransfer abgewickelt wurde. Deswegen forderte ihn die Beklagte unter dem Vorhalt zahlreicher Pflichtverstöße bei vier Vergabeverfahren und der Geldannahme von 2.500 € zur Stellungnahme auf. Er leugnete eine Vorteilsannahme und räumte lediglich die Zahlung als privates Darlehen der Frau M. ein, zusammen mit der Einlassung, es zurückgezahlt zu haben. Die Nichteinschaltung der Vergabekommission habe sein Vorgesetzter als Leiter Einkauf zu verantworten.

Er erhielt deswegen die fristlose, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung, gegen die er Kündigungsschutzklage erhob.

Der Kläger hat in beiden Instanzen verloren. Das LAG hat seine Berufung zurückgewiesen.

Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, der Vorteile auch nur schlicht entgegen nimmt, verletzt seine Pflichten in einem erheblichen Ausmaß, was regelmäßig eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Unerheblich ist, ob es zu schädigenden Handlungen gekommen ist. Ausreichend ist, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität von Trägern staatlicher Funktionen und in die Redlichkeit des Arbeitnehmers persönlich erschüttert wird. Der wichtige Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses liegt in erster Linie in der zu Tage getretenen Einstellung des Betroffenen, bei der Erfüllung von Aufgaben unbedenklich eigene Vorteile wahrzunehmen. Dadurch zerstört ein Arbeitnehmer regelmäßig das notwendige Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit. (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom  24.01.2014 – 9 Sa 1335/13)

Die Pflichtwidrigkeit des Klägers sah das LAG schon im Erwerb des Geldes. Denn die konspirative Zahlung musste jedenfalls den Eindruck bei Konkurrenzfirmen erwecken, dass sie direkt mit der Auftragsvergabe zusammenhing. Im Übrigen stellt bereits die zinslose und verdeckte Darlehensvergabe, sollte es denn eine gewesen sein, einen Vorteil dar, der in den Augen von Konkurrenten zu einem „entsprechenden“ Eindruck führen muss.

Eine besondere Schutzwürdigkeit des Klägers bestand nach Ansicht des Gerichts nicht, auch nicht wegen seiner zwölfjährigen Betriebszugehörigkeit. Das Ausmaß der Pflichtverletzung, der Verschuldensgrad und der damit einhergehende Vertrauensverlust sei derart schwerwiegend, dass das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Denn der Kläger kannte das Verbot der Vorteilsannahme, habe diese zu verschleiern versucht und um den Vorteil zu erlangen, auch noch gegen Pflichten im Vergabeverfahren verstoßen. Der Kläger habe auch schuldhaft gehandelt, denn seine Einlassung, er habe nicht gewusst, dass er eine „private“ Zahlung von Frau M. nicht habe annehmen dürfen und sei deshalb schuldlos, widerspreche jeder Lebenserfahrung. Dass er die Verantwortung hinsichtlich der Pflichtverstöße bei den Vergabeverfahren auf seinen damaligen Vorgesetzten abschiebt, erheblichen Zeitdruck einwendet und eine Wiederholungsgefahr leugnet, wertete das LAG als „hilflosen und unbeachtlichen“ Entlastungsversuch.

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg: LAG Berlin-Brb, Urteil vom 24. Januar 2014 – 9 Sa 1335/13

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VonRA Moegelin

Kündigung ohne Abmahnung wegen Whistleblowing

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1420567635Die Mitteilung von Missständen an einen Richter kann in der Regel ohne vorherige Abmahnung keine fristlose Kündigung eines Angestellten im öffentlichen Dienst rechtfertigen, auch wenn dieser die Staatsanwaltschaft einschaltet und aufgrund dessen gegen die Vorgesetzte strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. November 2013 – 10 Sa 1230/13).

Die Entscheidung des LAG verdient Zustimmung. Zwar liegt ein Fehlverhalten des Klägers vor. Er hätte nicht einfach den Missstand mit dem Messgerät nach Außen tragen dürfen. Es wäre ihm möglich gewesen, zunächst innerhalb seiner Dienststelle den Versuch einer Klärung zu unternehmen. Für ihn spricht, dass ein Richter eine vertrauenswürdige Person ist, die ihrerseits die Sache vertraulich behandelt und nicht grundlos weitergeben wird. Eine Abmahung war hier das mildere Mittel zu einer Kündigung. Einem Arbeitnehmer ist dennoch anzuraten, ggf. unter Einschaltung eines Anwalts für Arbeitsrecht, bei Misständen im Betrieb nach Möglichkeit eine interne Klärung zu erreichen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ist bei einer Bußgeldstelle im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Seine Aufgabe ist Durchführung von geschwindigkeitskontrollen mit Radarmessgeräten.

Am 13. Juni 2012 war der Kläger tätigkeitsbedingt Zeuge in einer Bußgeldsache vor dem Amtsgericht. Im Anschluss an die Vernehmung berichtete der Kläger dem dortigen Richter von Problemen mit der Messanlage. Der Richter erstellte über das Gespräch einen Vermerk mit wesentlichem Inhalt wie folgt:

„Das von der Stadt Potsdam eingesetzte Messgerät sei auf Weisung der Leiterin der Bußgeldstelle von Di., 05.06. bis so., 10.06.2012 eingesetzt worden, obwohl diese wusste, dass durch einen Austausch des Handkontrollgerätes keine gültige Eichung vorlag. Zuvor hätte Messbedienstete die Eichmarke vom alten Handkontrollgerät entfernt und auf das neue aufgeklebt. Dies sei anlässlich der am Mo. 11.06.2012 durchgeführten Eichung auch aufgefallen. Es sei auch die Anweisung erteilt worden, Stillschweigen zu bewahren, da andernfalls mit dienstrechtlichen Konsequenzen (Abmahnungen) zu rechnen sei.“

Hiervon erhielt die Bereichsleiterin Kenntnis. Nach erfolgter Anhörung des Klägers und des Personalrats erhielt der Kläger die außerordentliche Kündigung, da er gegen die Pflicht verstoßen habe, über die Angelegenheit Stillschweigen zu bewahren.

Nach der Allgemeinen Dienstordnung haben MitarbeiterInnen über dienstliche Angelegenheiten gegenüber Unbeteiligten zu schweigen, die nach dem Gesetz, einer Anordnung oder ihrer Natur nach geheim oder vertraulich behandelt werden müssen.

Der Klage gegen die Kündigung wurde in 1. Instanz stattgegeben. Auf die Berufung bestätigte das LAG die Rechtswidrigkeit der Kündigung mit folgender Begründung.

Aus der existentiellen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer folgt unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass die Beendigungskündigung stets nur das letzte in Betracht kommende Mittel, das heißt die ultima ratio, sein kann. In Konkretisierung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit gilt im Kündigungsrecht der allgemeine Grundsatz, dass eine Beendigungskündigung, gleichgültig, ob sie ordentlich oder außerordentlich ausgesprochen wird, als äußerstes Mittel (ultima ratio) erst in Betracht kommt, wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung, unter Umständen auch mit schlechteren Arbeitsbedingungen, besteht. (vgl. bereits BAG, Urteil vom 30.Mai 1978 – 2 AZR 630/78). Eine Beendigungskündigung kann als letztes Mittel also nur dann eingesetzt werden, wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, andere geeignete Mittel einzusetzen. Hierzu gehören insbesondere die Abmahnung (vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11, aber auch bereits BAG, Urteil vom 26. Januar 1995 – 2 AZR 649/94, Änderungskündigung (BAG, Urteil vom 28. April 1982 – 7 AZR 1139/79) und Versetzung bzw. Umsetzung.

Wenn danach aufgrund eines Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geboten ist, entspricht es wiederum dem ultima-ratio-Prinzip, dass die fristgemäße Kündigung der fristlosen vorzuziehen ist, da ihr Eingriff verhältnismäßig weniger schwer wiegt (vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10).

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 258/11). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt etwa BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11; BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11). Die ordentliche und die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in  § 314 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11). Grundsätzlich dient eine Abmahnung der Objektivierung der (negativen) Prognose (BAG, Urteil vom 12. Januar 2006 – 2 AZR 21/05). Denn der Zweck auch einer fristlosen Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (BAG, Urteil vom 19. April 2007 – 2 AZR 180/06).

Der Kläger hat, wie er in der Berufungsverhandlung ausgeführt hat, nach Rückkehr aus dem Urlaub am frühen Morgen des 11. Juni 2012 aufgrund seiner langjährigen Fachkunde festgestellt, dass es an dem Geschwindigkeitsmessgerät Veränderungen gegeben hatte, die seines Erachtens nicht in Ordnung waren. Diese Erkenntnisse hatte er dann am 13. Juni 2012 an den Richter am Amtsgericht L. weitergegeben. Damit hat er einen von ihm angenommenen Missstand an eine Stelle außerhalb der Dienststelle der Beklagten weitergegeben. Objektiv bestand auch ein Problem mit dem Messgerät, wie die E-Mail der Bereichsleiterin vom 7. Juni 2012 belegt. Der Kläger hat sich auch nicht an die Öffentlichkeit gewandt, sondern an einen Richter am Amtsgericht, den er zumindest nach seinem eigenen Vorbringen als vertrauenswürdige Stelle ansah.

Ob dieses ein Fall des Whistleblowings im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 – Rechtssache 28274/08) oder trotz der Tatsachenbehauptungen des Klägers ein Fall der Meinungsfreiheit ist (vgl. grundlegend zum Recht auf freie Meinungsäußerung im Arbeitsverhältnis BAG, Urteil vom 24. Juni 2004 2 AZR 63/03, sowie  BAG, Urteil vom 24. November 2005 – 2 AZR 584/04 jeweils mit weiteren Nachweisen) kann dahinstehen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich an den Richter am Amtsgericht gewandt hatte, um seine Vorgesetzte anzuschwärzen. Es handelte sich weder um einen Angriff auf die Menschenwürde noch eine Formalbeleidigung oder eine Schmähung der Vorgesetzten, selbst wenn zumindest aus Sicht der Beklagten die Behauptungen des Klägers teilweise nicht den Tatsachen entsprachen. Der Kläger konnte bei der Mitteilung nicht davon ausgehen, dass seitens des Amtsrichters sofort der Oberstaatsanwalt eingeschaltet werde. Jedenfalls sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass dieses vom Kläger bezweckt oder auch nur für möglich erachtet worden war.

Wie die Beklagte erstinstanzlich im Schriftsatz vom 14. August 2012 ausgeführt hat, ging sie davon aus, dass der Kläger den angenommenen Missständen durchaus hätte nachgehen dürfen. Allerdings hätte die Beklagte es für erforderlich gehalten, dass der Kläger zunächst die Richtigkeit und Zuverlässigkeit seiner Informationen überprüft hätte und zum anderen – ohne jeglichen Grund – gegen das Gebot der ultima ratio verstoßen habe, indem er es unterlassen habe, die Beklagte zuvor intern über die angeblichen Missstände zu informieren. Die Beklagte geht deshalb offenbar selbst davon aus, dass der Kläger nicht grundsätzlich falsch, sondern nur verfrüht an der falschen Stelle die aus seiner Sicht bestehenden Missstände angegeben habe. Ob diese Sicht der Dinge richtig ist, kann in diesem Rechtsstreit dahinstehen. Aber auch bei Annahme dieser Sicht ergibt sich bei Beachtung des ultima ratio-Grundsatzes im Kündigungsrecht, dass dem Kläger das der Kündigung zugrunde gelegte Fehlverhalten mit einer Abmahnung hätte aufgezeigt und ihm zugleich der richtige Weg für eine innerbetriebliche Mitteilung der angenommenen Missstände hätte beschreiben können.

Dass gegen die Vorgesetzte des Klägers strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden waren, ist für sie bedauerlich, aber es ändert nichts daran, dass ein zukünftiges Fehlverhalten des Klägers mit der entsprechenden Abmahnung hätte vermieden werden können. Einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung vermochte die Kammer in der Mitteilung von angenommenen Missständen in der Dienststelle der Beklagten an den Richter am Amtsgericht nicht erkennen.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Volltext des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. November 2013 – 10 Sa 1230/13

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