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VonRA Moegelin

Vergleichsmehrwert für Einigung über Entfernung von Abmahnungen

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Wird zugleich über ein Zwischen- und – ggf. auch nur hilfsweise – über ein Endzeugnis gestritten und wird zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende oder überhaupt nur eine Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse insgesamt nur einmal (vgl. LAG München 6. Juni 2023 – 3 Ta 59/23, Rn. 112, mwN zur Rspr. und Nr. I 29.3 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit; LAG Hamm 27. Januar 2023 – 8 Ta 232/22, Rn. 13 f.; LAG Nürnberg 30. Juni 2022 – 2 Ta 12/22, Rn. 25; 24. Februar 2020 – 5 Ta 12/20, Rn. 10 ff.). Der Gegenstand „Entfernung von unmittelbar vor einer verhaltensbedingten Kündigung ausgesprochenen Abmahnungen aus der Personalakte“ in einem Vergleich ist mit dem Wert für den die verhaltensbedingte Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag abgegolten. (Leitsatz)

Volltext des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.01.2024 –
26 Ta (Kost) 6005/24:

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 27. Dezember 2023, 20 Ca 13097/23, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Klägervertreter gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Dezember 2023 – 20 Ca 13097/23 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Parteien haben über eine verhaltensbedingte Kündigung vom 14. November 2023 gestritten, der vier Abmahnungen vom 2., 4., 6. und 9. Oktober 2023 vorausgegangen waren.

Die Klägerin hat in der Klageschrift ua einen Kündigungsschutzantrag und einen Antrag auf Verurteilung zur Abgabe eines Zwischenzeugnisses angekündigt, hilfsweise im Falle des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Verurteilung zur Erteilung eines Endzeugnisses. In einem Vergleich vom 8. Januar 2024 haben sich die Parteien ua auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt, die Entfernung von vier Abmahnungen aus der Personalakte sowie die Zahlung einer Abfindung und die Erstellung eines Zwischenzeugnisses sowie eines Endzeugnisses.

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert für das Verfahren auf 33.009 Euro festgesetzt. Dabei hat es für den Kündigungsschutzantrag drei Bruttoeinkommen und für die Zeugnisanträge ein Bruttoeinkommen angesetzt.

Mit ihrer Beschwerde machen die Klägervertreter geltend, für die Einigung über die Entfernung der vier Abmahnungen müsse ein Vergleichsmehrwert in Höhe von vier Bruttoeinkommen und für die Regelung über die Erteilung der beiden Zeugnisse jeweils ein Bruttoeinkommen festgesetzt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 17. Januar 2024 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Es ist kein Vergleichsmehrwert angefallen.

1) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).

2) Danach ist ein Vergleichsmehrwert nicht angefallen.

a) Soweit der Vergleich eine Regelung bezüglich der Zeugnisse beinhaltet, ist das bereits darauf zurückzuführen, dass der Gegenstand durch den für das Verfahren festgesetzten Betrag abgegolten ist. Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend ein Bruttoeinkommen in Ansatz gebracht.

aa) Wird zugleich über ein Zwischen- und – ggf. auch nur hilfsweise – ein Endzeugnis gestritten und wird zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende oder letztlich überhaupt nur eine Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse insgesamt nur einmal. Denn dann geht es im Kern um die Darstellung einer Tätigkeit und eine Beurteilung von Leistung und Führung in einem engen zeitlichen Zusammenhang. In diesem Fall ist für eine unterschiedliche bzw. abweichende Darstellung oder Beurteilung in beiden Varianten des Arbeitszeugnisses regelmäßig kein Raum, jedenfalls, wenn Anlass oder Notwendigkeit einer zwischenzeitlichen und gegebenenfalls abweichenden Neubeurteilung nicht erkennbar sind. Bei der gebotenen Betrachtung nach dem Interesse der klagenden Partei sind Zwischen- und Endzeugnis dann regelmäßig wertidentisch. Etwaige Begleitangaben begründen insoweit keinen in einem zusätzlichen Ansatz auszudrückenden Mehrwert (vgl. LAG München 6. Juni 2023 – 3 Ta 59/23, Rn. 112, mwN zur Rspr. und Nr. I 29.3 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit).

bb) So liegt der Sachverhalt hier. Es bestand von Anfang an ein unmittelbarer zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang. Das Endzeugnis war gerade für den Fall der Erfolglosigkeit der Klage geltend gemacht worden. Im Vergleich sind dann ein Zwischen- und ein Endzeugnis vereinbart worden. Hinsichtlich des Endzeugnisses waren damit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 GKG erfüllt. Der Umstand, dass es auch in dem Vergleich sowohl um ein Zwischen- als auch um ein Beendigungszeugnis gegangen ist, führt nicht dazu, dass zwei Bruttoeinkommen anzusetzen wären. Der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang wird hier gerade auch durch den Vergleichsinhalt deutlich. Bei beiden Zeugnissen sollte die Klägerin berechtigt sein, „auf das erteilte Zeugnis Änderungswünsche vorzubringen, die die Beklagte übernehmen wird“. Beide Zeugnisse sollten die Note „sehr gut“ in allen Elementen beinhalten. Zwischen dem Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs und dem der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses lag kein wesentlicher Zeitraum. Zudem ist die Klägerin ab dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses von der Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt worden.

b) Die Reglung unter Nr. 1 des Vergleichs über die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung der vier Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin hat einen Vergleichsmehrwert ebenfalls nicht ausgelöst. Der Gegenstand „Entfernung von unmittelbar vor einer verhaltensbedingten Kündigung ausgesprochenen Abmahnungen aus der Personalakte“ in einem Vergleich ist mit dem Wert für den die verhaltensbedingte Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag abgegolten. Die vier in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang kurz vor Ausspruch der verhaltensbedingten Kündigung in einem Abstand von jeweils zwei bis drei Tagen ausgesprochenen Abmahnungen sind von dem Streitgegenstand „verhaltensbedingte Kündigung“ umfasst. Das schließt eine gesonderte Bewertung aus. Auf die Frage, welche Bedeutung die Entfernung der Abmahnung für die Klägerin vor dem Hintergrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch hatte, kommt es daher im Ergebnis nicht an.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angefallen.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

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VonRA Moegelin

Einladung der Kirche zum Vorstellungsgespräch – BAG 8 AZR 318/22

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Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet nur den öffentlichen Arbeitgeber zur Einladung eines Schwerbehinderten. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist jedoch kein öffentlicher Arbeitgeber.

Volltext der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts 2/24 vom 25.01.2024 – 8 AZR 318/22:

Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. § 165 Satz 3 SGB IX sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber.

Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos. Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er gemäß § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt. Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht nach § 165 Satz 3 SGB IX besteht zwar gemäß § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX ua. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2024 – 8 AZR 318/22 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Juli 2022 – 5 Sa 10/22 –

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VonRA Moegelin

Kündigung wegen Laden des eigenen Elektro-Autos

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Das Laden des eigenen Elektro-Autos am Arbeitsplatz kann eine verhaltensbedingte Kündigung zur Folge haben. Vor dem Ausspruch der Kündigung ist eine Abmahnung erforderlich. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626I BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, Urt. v. 21.06.2012, 2 AZR 153/11).
In zweiter Instanz beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 8 Sa 244/23 – ist das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben worden.

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Duisburg vom 10.03.2023 – 5 Ca 138/22:

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung des Beklagten vom 13.01.2022, dem Kläger zugegangen am 14.01.2022, nicht aufgelöst worden ist. 2. Die Widerklage wird abgewiesen. 3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 4. Streitwert: 6.302,28 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die fristlose Beendigung des zwischen Ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger ist bei dem Beklagten seit dem 01.07.2018 als Rezeptionist zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.100,76 Euro beschäftigt. Er wurde regelmäßig in der Spätschicht in der O. des Beklagten eingesetzt.

Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Bei dem Beklagten besteht kein Betriebsrat.

Der Kläger ist Eigentümer eines Hybridautos der Marke VW Golf.

Er lud am 12.01.2022 sein Hybridauto an der 220 Volt Steckdose, welche sich im Flur des Seminartraktes der O. befindet. Die Dauer des Aufladens ist zwischen den Parteien streitig. Ferner ist streitig, ob der Kläger das Auto weitere Male aufgeladen hat.

Bei dem Beklagten existiert eine „Hausordnung für die O. K. R.“. Dort heißt es unter anderem: „Das Aufladen von Akkus für Elektromotoren ist in den Räumen der O. aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt“.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.01.2022, dem Kläger zugegangen am 14.01.2022, fristlos.

Der Kläger wendet sich mit Klageschrift vom 02.02.2022 gegen die ausgesprochene Kündigung.

Er behauptet,

am 12.01.2022 habe er für wenige Minuten sein Hybridkraftfahrzeug an einer Steckdose der Beklagten geladen, um nach dem Ende des Spätdienstes nach 24:00 Uhr mit dem Wagen noch bis nach Hause fahren zu können, da es an diesem Tag zu einem unerwarteten und nicht nachvollziehbaren technischen Leistungsabfall des Akkus seines Fahrzeugs auf der Hinfahrt zur Spätschicht gekommen sei. Diesbezüglich habe er davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte ihm -auch aus der arbeitgeberseitigen Fürsorgeverpflichtung heraus-Hilfestellung geben würde, um nach dem Ende des Spätdienstes nach Mitternacht noch mit dem genutzten Hybridkraftfahrzeug nach Hause fahren zu können.

Er habe auch grundsätzlich davon ausgehen dürfen, dass das kurzfristige Laden des Akkus seines genutzten Hybridkraftfahrzeuges nicht gegen den Willen des Beklagten verstoßen würde, sondern vielmehr von diesem gedeckt sei, da es mit der betrieblichen Übung konform sei, die darin bestünde, dass sämtliche Mitarbeiter des Beklagten mit dessen Billigung/Duldung die Akkus privater Sachen, insbesondere die Akkus von Mobiltelefonen, Tablets, E-Bikes und E-Rollern, Bluetooth- Lautsprechern, E- Zigaretten, private Kaffeemaschinen, Heizlüfter und Ventilatoren bei dem Beklagten laden durften; diese Vorgänge seien dem Beklagten, insbesondere den Stellvertretern des Leiters E. und zwar Frau X. und Herrn Y. und mithin auch Herrn E. bekannt gewesen.

Er habe nur am 12.01.2022 sein Auto bei der Beklagten geladen.

Selbst wenn ein Verstoß gegen den Arbeitsvertrag vorliegen würde, hätte der Beklagte ihn zunächst abmahnen müssen.

Die 2-Wochen Frist des § 626 II BGB sei mit Ausnahme des Vorfalls am 12.01.2022 nicht gewahrt.

Der Kläger müsse nach den von dem Zeugen E. über ihn aufgestellten streitigen Behauptungen leider zu dem Ergebnis kommen, dass Herr E., ihn -egal wiewillkürlich schlicht „aussortieren“ wollte, um einen wegen seiner Kenntnis von diversen Vorgängen in der gegenständlichen O. zwischenzeitlich ihm persönlich unliebsam gewordenen Mitarbeiter loszuwerden. Mehr müsse hierzu derzeit nicht gesagt werden.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 13.01.2022, dem Kläger zugegangen am 14.01.2022, nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hilfsweise für den Fall, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam sein sollte wird ferner beantragt,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

den Auflösungsantrag abzuweisen.

Der Beklagte behauptet,

am 11.01.2022 habe der Leiter, Herrn E., von Mitarbeitern erfahren, dass der Kläger regelmäßig während der Spätschicht sein Hybridauto über die Steckdosen der O. lade. Sie hätten ihm mehrfach gesagt: „Lass die Scheiße sein, wenn der Chef dich erwischt, hast du ein Problem“. Der Mitarbeiter Herr W. habe den Herrn E. entsprechend informiert.

Herr W. habe des Öfteren das Auto des Klägers auf dem Mitarbeiterparkplatz und hinten im Fahrradschuppen gesehen, wobei dieses am Strom der O. angeschlossen gewesen sei. Es sei ca. 10 Mal gewesen. Zudem habe die Mitarbeiterin J. den Kläger dabei gesehen. Beide hätten ihn darauf angesprochen, dass dies verboten sei. Sollte er erwischt werden, bekäme er Ärger und wäre seinen Job los.

Am 12.01.2022 habe der Kläger das Auto mindestens 20 Minuten geladen. Die 20 Minuten Ladezeit am 12.01.2022 hätten einen Stromdiebstahl von 0,76 kw und 0.4076 Euro bewirkt. Auch wenn der finanzielle Schaden für den Beklagten nur minimal sei, liege ein erheblicher Vertrauensmissbrauch vor. Denn die anderen Mitarbeiter in der O. hätten den Kläger mehrfach aufgefordert, dass er den Stromdiebstahl unterlassen solle, da er ansonsten mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müsse. Dies sei ihm egal gewesen.

Herr E. habe am 12.01.2022 um 18:59 Uhr die Mitarbeiterin Frau X. angerufen. Sie habe verneint, dem Kläger eine Erlaubnis zum Laden des Hybridautos gegeben zu haben. Sie habe ohnehin nie jemanden eine Erlaubnis erteilt, was das Aufladen anderer elektronischer Geräte betreffe.

Es sei nicht erlaubt, dass Akkus von privaten Dingen aufgeladen würden. Es sei auch nicht mit der betrieblichen Übung konform. Allein schon deswegen nicht, da sämtliche stromführenden Geräte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben der DGUV alle zwei Jahre bei dem Beklagten geprüft werden müssten. Der Kläger habe zudem in seiner Tätigkeit als Rezeptionist den Gästen nahezu täglich die Hausordnung übergeben.

Eine Abmahnung sei entbehrlich, da sie kein geeignetes Mittel sei. Der Kläger habe unter keinen Umständen damit rechnen können, der Beklagte werde die Pflichtverletzung hinnehmen. Es handele sich um ein strafbares Verhalten. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Kläger gegenüber dem Zeugen W. bereits ernsthaft und endgültig erklärt habe, er werde sein Verhalten nicht ändern und trotz des Hinweises des Zeugen W., dass das Laden des Stroms verboten sei und er Ärger bekommen werde, weiterhin sein Hybrid-Auto geladen habe.

Berücksichtige man darüber hinaus die kurze Beschäftigungszeit von nicht einmal vier Jahren sowie die Tatsache, dass der Kläger ledig sei, keinem Kind zum Unterhalt verpflichtet sei und in seinem Alter von 25 Jahren gute Aussichten auf den Arbeitsmarkt bezüglich eins neuen Beschäftigungsverhältnisses habe, so gehe die durchzuführende Interessenabwägung zu seinen Lasten aus.

Das Arbeitsverhältnis sei zumindest gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Der Kläger werfe dem Leiter Willkür vor und unterstelle diesem zwischen den Zeilen unlauteres Verhalten.

Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 10.03.2023 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Herrn W. und Frau X.. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung der Beklagten vom 13.01.2022 nicht aufgelöst.

I.

Die fristlose Kündigung ist nicht wirksam. Nach § 626 I BGB kann das Arbeitsverhältnis von jeder Vertragspartei aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aufgelöst werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Dies ist hier nicht der Fall.

Zwar liegt ein „wichtiger Grund an sich“ vor. Dieser berechtigt jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung.

1.

Es liegt zunächst ein „wichtiger Grund“ an sich vor.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass der Kläger sein Hybridfahrzeug mehrere Male an der Steckdose der Beklagten geladen hat. Der Zeuge Herr W. führte aus, der Kläger habe das Fahrzeug c. a. 5-6 Mal oder öfter geladen.

Die Kammer hat keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Auch ist die Aussage glaubhaft, sie ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Dem steht wegen des Zeitablaufs nicht entgegen, dass der Zeuge die Vorgänge nicht mehr exakt zeitlich einordnen kann. Auch ist unerheblich, dass der Zeuge die genaue Anzahl der Vorfälle nicht benennen kann. Dies kann nach Auffassung der Kammer bei sich wiederholenden Vorgängen, die denselben Geschehensablauf haben, nicht zwingend erwartet werden.

Der Kläger führte zwar aus, er habe das Fahrzeug nur am 12.01.2022 für wenige Minuten geladen.

Die Kammer ist jedoch aufgrund der Aussage des Zeugen Herrn W. davon überzeugt, dass der Kläger das Fahrzeug mehrmals geladen hat.

Dies stellt einen „wichtigen Grund an sich“ dar.

Der Kläger hat sich durch das Tanken eigenmächtig Strom, welcher im Eigentum des Beklagten stand, angeeignet.

Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – gegebenenfalls strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 II BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626I BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, Urt. v. 21.06.2012, 2 AZR 153/11, beckonline).

Auch wenn dem Beklagten damit möglicherweise kein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, handelt es sich bei dem Eigentumsdelikt um eine durchaus schwerwiegende Verletzung des arbeitgeberseitigen Vertrauens. Ein „wichtiger Grund an sich“ im Sinne des § 626 I BGB liegt vor.

2.

Die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien rechtfertigen jedoch nach Auffassung der Kammer nicht die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr wäre der vorherige Ausspruch einer ausdrücklichen Abmahnung erforderlich gewesen.

Die Kammer geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass zumindest das Laden von Handys bei dem Beklagten üblich war bzw. geduldet worden ist.

Der Zeuge W. führte aus, dass er einige Male sein Handy bei dem Beklagten geladen habe.

Die Zeugin X., welche in der Vergangenheit als stellvertretende Leitung bei dem Beklagten tätig war und damit Vorgesetztenfunktion hatte, führte aus, dass sie einige Male gesehen habe, dass Mitarbeiter Handys geladen habe, sie diese aber nicht darauf angesprochen habe bzw. sie nicht eingeschritten sei.

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt für Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin. Auch ist die Aussage glaubhaft. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zeugin einerseits ausführt, dass das Laden von elektronischen Geräten bei der Beklagten verboten gewesen sei und andererseits einräumt, dass Sie hiergegen nicht eingeschritten sei. Berücksichtigt man die Vorgesetztenfunktion der Zeugin räumt sie hiermit ein eigenes Fehlverhalten ein, was in besondere Weise für eine glaubhafte Aussage spricht.

Die Erkenntnisse der Beweisaufnahme sprechen nach Auffassung der Kammer dafür, dass zumindest das Laden kleinerer Geräte bei dem Beklagten teilweise praktiziert und geduldet worden ist.

Zwar handelt es sich bei dem Hybridauto um ein größeres elektronisches „Gerät“ und das Laden eines Handys ist was die Schwere des Verstoßes angeht nicht mit dem Laden eines Elektroautos vergleichbar.

Nichtsdestotrotz ist bei der Bewertung des Pflichtverstoßes des Klägers zu berücksichtigen, dass das Laden kleinerer elektronischer Geräte bei dem Beklagten zumindest teilweise geduldet worden ist. Vor diesem Hintergrund kann trotz des strafbewehrten Verhaltens des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass ihm ohne weiteres klar sein musste, dass der Beklagte das Verhalten nicht dulden werde und er damit den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gefährde.

Legt man dies zugrunde ist vor dem Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich.

Nach dem ultimaratio Prinzip ist nämlich stets zu prüfen, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine Kündigung etwa eine Abmahnung zumutbar war. Einer Abmahnung bedarf es im verhaltensbedingten Bereich nur dann nicht, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich -auch für den Arbeitnehmer erkennbar- ausgeschlossen ist (BAG, Urt. v. 20.05.2021, 2 AZR 596/20, beckonline).

Dies ist aus den oben genannten Gründen hier nicht der Fall.

Eine Abmahnung liegt nicht vor.

Der Zeuge Herr W. hat in der Beweisaufnahme zwar bestätigt, dass er den Kläger einmal darauf angesprochen habe, dass er das sein lassen solle, da er sonst Ärger bekomme. Dies führt nicht zu der Entbehrlichkeit einer Abmahnung. Die recht pauschal gehaltene Äußerung stammt nicht von einem Vorgesetzten des Klägers mit Personalverantwortung.

Auch die Hausordnung der Beklagten führt nicht zu einer anderen Bewertung. Zwar findet sich in der Hausordnung der Passus: „Das Aufladen von Akkus für Elektromotoren ist in den Räumen der O. aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt“. Dem Wortlaut der Hausordnung nach richtet sich diese jedoch in erster Linie an die Gäste. Diese werden in der Hausordnung mehrfach konkret angesprochen und erwähnt. Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Hausordnung sich durchaus auch an die Mitarbeiter richtet, hat diese nicht diese Wertigkeit wie ein ausdrücklich gegenüber den Mitarbeitern erklärtes Verbot und erst recht keine Abmahnung im Einzelfall.

Die Kündigung des Beklagten ist somit unwirksam. Die Voraussetzungen des § 626 I BGB liegen nicht vor.

II.

Die möglicherweise durch Umdeutung nach § 140 I BGB in der fristlosen Kündigung enthaltene ordentliche Kündigung scheitert ebenfalls an dem Erfordernis einer vorherigen Abmahnung aus den oben dargestellten Gründen.

III.

Der Auflösungsantrag des Beklagten ist unbegründet. Die Widerklage war daher abzuweisen.

Nach § 9 I KSchG hat das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers gegen die Zahlung einer Abfindung aufzulösen, wenn festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

Dies ist hier nicht der Fall.

Der Kläger trug im Rahmen eines Schriftsatzes vor, er müsse nach den von dem Zeugen E. über ihn aufgestellten streitigen Behauptungen leider zu dem Ergebnis kommen, dass E., Vertreter des Beklagten in der gegenständlichen O., ihn -egal wiewillkürlich schlicht „aussortieren“ wollte und will, um einen wegen seiner Kenntnis von diversen Vorgängen in der gegenständlichen O. zwischenzeitlich ihm persönlich unliebsam gewordenen Mitarbeiter loszuwerden. Mehr müsse hierzu derzeit vom Kläger nicht gesagt werden.

Diese schriftsätzliche Äußerung führt nicht dazu, dass eine weitere dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht möglich ist. Es handelt sich um eine geäußerte Vermutung im Sinne einer subjektiven Sichtweise des Klägers. Dies wird durch die Formulierung „zu dem Ergebnis kommen“ deutlich. Konkrete widerlegte Vorwürfe werden nicht geäußert. Auch wenn durchaus Unmut über die Person des Herrn E. geäußert wird, hält sich die Äußerung im Rahmen des zur Verteidigung gegen die Kündigung zulässigen Parteivortrags.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I S. 1 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß § 61 I ArbGG festgesetzt.

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VonRA Moegelin

Schadensersatz wegen Beschädigung KfZ durch Rolltor

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Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten bei der Beschädigung eines KfZ durch ein Rolltor in der Tiefgarage ist nicht gegebeben, wenn die Ampel nicht nachweislich „grün“ angezeigt hat.

Volltext der Pressemitteilung 37 vom 06.11.2023 des Amtsgerichts München:

Im Streit um Schadensersatz aufgrund eines Vorfalls in einer Tiefgarage einer Wohnanlage
wies das Amtsgericht München die Klage einer Münchnerin auf Zahlung von
8.639,21 EUR ab.

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Wohnung der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft
(WEG) samt Tiefgaragenstellplatz im Münchener Westen. Mit der Klage
machte sie geltend, ihr Porsche Coupé 911 sei bei der ordnungsgemäßen Ausfahrt
aus der Tiefgarage beschädigt worden. Die Klägerin behauptete, sie habe zunächst
von innen das Tor mit ihrem Sensorschlüssel geöffnet. Als die zum Tor gehörende
Ampel auf „Grün“ gewechselt sei, sei sie die Ausfahrtsrampe hinaufgefahren. Als sich
die Klägerin im Bereich des Rolltors befand, sei dieses völlig unerwartet auf dem Dach
ihres Fahrzeugs aufgeschlagen. Sie sei nach dem Aufprall mit ihrem Fahrzeug schockiert
stehengeblieben und ausgestiegen. Das Rolltor habe das Dach des Porsches
mittig getroffen und deutlich beschädigt.

Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten nicht
erfüllt. Dass das Tor unvermittelt hinuntergekracht sei, zeige, dass eine Fehlfunktion
vorgelegen und die nötige Sicherung gefehlt habe. Hier müsse nicht die Klägerin die
Ursachen erklären und nachweisen, sondern die Beklagte sei beweispflichtig und
müsse sich entlasten.

Die Beklagte bestritt den streitgegenständlichen Vorfall einschließlich der daraus geltend
gemachten Schäden mit Nichtwissen. Weiter trug die Beklagte vor, das Tor habe
zum Zeitpunkt des behaupteten Unfallgeschehens den allgemein anerkannten Regeln
der Technik entsprochen und fehlerfrei funktioniert.
Das Gericht wies die Klage ab und begründete dies wie folgt:
„Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht vorliegend kein Beweis des ersten Anscheins
für eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten seitens der Beklagten.
Denn es liegt keineswegs auf der Hand, dass das schädigende Ereignis nur auf einem
Versagen von Haltevorrichtung und/oder Sicherheitssystemen des Ausfahrtstores beruhen
kann. (…)

Rein hypothetisch könnte der Vorfall durch ein irgendwie geartetes Versagen der
Halte- und/oder Sicherungssysteme des Tores ausgelöst worden sein. Ebenso wahrscheinlich
und nach der Darstellung seitens der Klägerin bei ihrer informatorischen
Einvernahme am 31.03.2023 sogar zur Ãœberzeugung des Gerichts naheliegend, kam
es zu dem schädigenden Ereignis, weil die Klägerin die Auffahrtsrampe erst bei sich
schließendem Tor befahren hat.

Der Klägerin obliegt die Beweislast dafür, dass sie bei auf „Grün“ stehender Lichtzeichenanlage
ihre Fahrt die Auffahrtsrampe hinauf angetreten hat und das Rolltor ohne
Verzögerung passiert hat bzw. passieren wollte.
Diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht. (…)

Abschließend klären muss das Gericht die Frage, ob die Klägerin bei „Grün“ oder bei
„Rot“ die Ausfahrt hinauffuhr, nicht, da eine Klageabweisung bereits dann im Raum
steht, wenn die Klägerin für den Nachweis des Umstandes, dass sie ordnungsgemäß
bei „Grün“ gefahren ist, beweisfällig bleibt. Dies ist der Fall.
Für den Fall, dass die Klägerin die Rampe bei „Rot“ angefahren hat und das Tor passieren
wollte, muss die Beklagte nach Auffassung des Gerichts im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflichten
keine Sicherungssysteme bereithalten.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 28.04.2023
Aktenzeichen des AG München: 1290 C 17690/22 WEG
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
München, 06.11.2023
Pressestelle Amtsgericht München

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VonRA Moegelin

Anwendbarkeit Tarifvertrag von GDL oder EVG

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Um die Gewerkschaftsmitgliedschaft von Arbeitnehmern geheim halten zu können, gibt es das Beweismittel der notariellen Bescheinigung. Die Kosten hierfür sind von der Gewerkschaft zu tragen.
Die Offenlegung der genauen Mitgliederzahlen der Gewerkschaften ist zu vermeiden.
Es ist ein Abgleich zwischen Arbeitnehmer- und Mitgliederlisten sowie die Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft in einem Verfahren vorzunehmen, bei dem die Inhalte der Listen – und damit sowohl Namen als auch konkrete Zahlen – nur dem Gericht, aber nicht den weiteren Beteiligten oder anderen Personen zugänglich gemacht werden.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 34/2023 des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf – 12 TaBV 45/23 vom 20.12.2023:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zu den Stichtagen 31.05.2022 und 09.10.2023 sogenannte Mehrheitsgewerkschaft i.S.v. § 4a TVG in dem Wahlbetrieb 9.3. Rhein-Ruhr der DB Regio AG war, mit der Folge, dass für deren Mitglieder dort ausschließlich die von ihr mit dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (AGV MOVE) geschlossenen Tarifverträge Anwendung fänden. Bis zum 31.03.2021 wurden in den Betrieben der DB Regio AG parallel sowohl die Tarifverträge der GDL als auch die Tarifverträge angewendet, die der AGV MOVE mit der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) abgeschlossen hatte. Seit dem 18.03.2021 begann die DB Regio AG, in ihren Betrieben schrittweise das Tarifeinheitsgesetz einzuführen und in den Betrieben nur noch die Tarifverträge der von ihr jeweils ermittelten Mehrheitsgewerkschaft anzuwenden. Während die EVG sich auf Bitten der DB Regio AG an einem Notarverfahren (vgl. § 58 Abs. 3 ArbGG) zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft beteiligte, lehnte die GDL dies ab. Eine später versuchte tarifliche Einigung auf ein Notarverfahren scheiterte, weil keine Einigkeit über die einzubeziehenden Personengruppen erzielt werden konnte. Die DB Regio AG geht davon aus, dass im Wahlbetrieb 9.3. die EVG Mehrheitsgewerkschaft ist und wendet dort deren Tarifverträge an. Dem widerspricht die GDL.

In der heutigen Anhörung wurde u.a. die höchstrichterlich ungeklärte Frage erörtert, wie der „Mehrheitsbeweis“ zu führen ist. Um die Gewerkschaftsmitgliedschaft der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geheim halten zu können, hat der Gesetzgeber ein spezielles Beweismittel vorgesehen: eine notarielle Bescheinigung. Diese ist nach Auffassung der Kammer jeweils von der Gewerkschaft auf ihre Kosten beizubringen. Da nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch die Offenlegung der genauen Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zu vermeiden ist, beabsichtigt das Gericht, den Abgleich zwischen Arbeitnehmer- und Mitgliederlisten sowie die Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft in einem so genannten In-Camera-Verfahren vorzunehmen. Dabei werden die Inhalte der Listen – und damit sowohl Namen als auch konkrete Zahlen – nur dem Gericht, aber nicht den weiteren Beteiligten oder anderen Personen zugänglich gemacht.

Das Verfahren wird fortgesetzt.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 12 TaBV 45/23
Arbeitsgericht Essen, Beschluss vom 09.02.2023 – 1 BV 27/22

§ 4a Tarifvertragsgesetz (TVG) Tarifkollision
(1) Zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags werden Tarifkollisionen im Betrieb vermieden.
(2) Der Arbeitgeber kann nach § 3 an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar. Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich. Als Betriebe gelten auch ein Betrieb nach § 1 Absatz 1 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Betriebsverfassungsgesetzes errichteter Betrieb, es sei denn, dies steht den Zielen des Absatzes 1 offensichtlich entgegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Betriebe von Tarifvertragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind. …“

§ 58 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) Beweisaufnahme
…
(3) Insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden.“

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VonRA Moegelin

Erstattungsanspruch gemäß Opferentschädigungsgesetz

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Das Land Hessen hat aus übergegangenem Recht von dem rechtkräftig wegen Mordes verurteilten Beklagten Anspruch auf die Erstattung gemäß Opferentschädigungsgesetzes geleisteten Heilbehandlungskosten, Waisenrente und Bestattungsgeld.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 69/2023 des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 06.12.2023:

Erstattungsanspruch des Landes Hessen bestätigt

Der rechtkräftig wegen zweifachen Mordes sowie wegen versuchten Mordes verurteilte Beklagte muss dem Land Hessen Gelder erstatten, die das Land für das durch den versuchten Mord schwer verletzte Opfer aufgebracht hat. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat heute die Berufung des Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen.

Das Land Hessen nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von knapp 70.000 € in Anspruch. Der Beklagte war im Juli 2011 – inzwischen rechtskräftig – wegen Mordes in zwei Fällen sowie wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Dem Urteil der Schwurgerichtskammer nach hatte er im April 2009 ein Ehepaar erschossen und ihre erwachsene, an einer Form des Autismus leidende Tochter durch Schüsse schwer verletzt. Das Ehepaar wohnte im Nachbarhaus des Beklagten. Das Land Hessen hatte festgestellt, dass die Tochter durch das Geschehen gesundheitliche Schäden im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes erlitten hatte. Es begehrt nun – aus übergegangenem Recht – von dem Beklagten die Erstattung von Heilbehandlungskosten, Waisenrente und Bestattungsgeld.

Das Landgericht hatte die Strafakte beigezogen und der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Der Beklagte sei der geschädigten Tochter zum Schadensersatz verpflichtet gewesen. Ihre Ansprüche könne das Land nun aus übergegangenem Recht geltend machen. Das Land Hessen habe die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch durch die Bezugnahme auf das Strafurteil schlüssig dargelegt. Zwar sei die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung einer Partei im Zivilprozess nicht bindend. Der Zivilrichter müsse sich vielmehr im Rahmen der freien Beweiswürdigung selbst seine Überzeugung bilden. „Allerdings darf er bei engem rechtlichen und sachlichem Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren ein rechtskräftiges Strafurteil nicht unberücksichtigt lassen, sondern muss sich mit dessen Feststellungen auseinandersetzen, soweit sie für seine eigene Beweiswürdigung von Bedeutung sind“, erläutert der Senat. Die Vorlage eines ausführlich begründeten Strafurteils erhöhe die Anforderungen an das Bestreiten des Beklagten.

Auf dieser Grundlage sei der Senat aufgrund des Strafurteils mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass der Beklagte durch die auf die Tochter abgegebenen Schüsse schwere Verletzungen und deren Dauerfolgen verursacht und die Eheleute getötet habe. Die landgerichtliche Beweiswürdigung sei umfassend, in sich nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Unter Verwertung des Strafurteils sowie der darin enthaltenen Gutachten ergebe sich, dass die Tat unter Verwendung einer Waffe mit einer aufgesetzten, mit Bauschaum gefüllten PET-Flasche als Schalldämpfer erfolgt sei. Die vom Beklagten eingeführten Video-Clips seien nicht geeignet, diese Feststellungen zu erschüttern. Die von ihm vorgelegten Privatgutachten führten auch nicht dazu, die Gerichtsgutachten als ungenügend einzustufen. Aus den Privatgutachten ergebe sich insbesondere nicht, dass die Gerichtsgutachter von falschen Voraussetzungen ausgegangen seien. Der Beklagte habe durch seine Bezugnahme auf ein Privatgutachten vielmehr selbst unstreitig gestellt, dass Bauschaum am Tatort vorhanden gewesen und als Material für den Schalldämpfer verwendet worden sei.

Das Strafurteil biete angesichts seiner detaillierten Feststellungen auch eine hinreichende Grundlage für den Senat, sich von der Täterschaft des Beklagten zu überzeugen. Dafür spreche u.a. das sog. Vortatverhalten des Beklagten. Er habe im Internet mit den Suchbegriffen „Schalldämpfer für Waffen, Wasserflasche“ recherchiert. Der Senat sei auch überzeugt, dass der Beklagte für die Tat ein Motiv hatte, „nämlich sich durch die Tötung der Familie (…) der von ihr verursachten erheblichen – gerade auch nächtlichen – Lärmbelästigung zu entledigen“. Dies bestreite der Beklagte auch nicht. Zudem seien an unterschiedlichen Orten im Haus des Beklagten Schmauchspuren sichergestellt worden, die sich auch am Tatort befunden hätten.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Beklagte die Zulassung der Revision beim BGH begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.12.2023 – Az. 12 U 78/22
(vorausgehend Landgericht Darmstadt, Urteil vom 30.3.2022 – Az. 29 O 199/20)

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