Arbeitsvertrag mit Arzt aus nichteuropäischem Ausland

VonRA Moegelin

Arbeitsvertrag mit Arzt aus nichteuropäischem Ausland

Share

Stellt ein Arbeitgeber eine Ärztin aus dem nichteuropäischen Ausland als Ärztin ein und beschäftigt diese zunächst bis zum Vorliegen der behördlichen Erlaubnisse mit nicht-ärztlichen Aufgaben, gerät er mit dem Vorliegen der erforderlichen Erlaubnisse unmittelbar in Annahmeverzug. (Leitsätze)

Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 29.09.2022 – 8 Ca 94/22:

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Dezember 2021 661,29 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. März 2022 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Januar 2022 4.500,00 EUR brutto abzüglich bereits bezahlter Steuern iHv 124,65 EUR und abzüglich bezahlter Sozialversicherungsbeiträge iHv 145,70 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. März 2022 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Februar 2022 noch 544,54 EUR netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. März 2022 zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat März 2022 2.032,26 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. April 2022 zu bezahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Urlaubsabgeltung iHv 685,38 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. März 2022 zu bezahlen.

6. Im Ãœbrigen wird die Klage abgewiesen.

7. Die Kosten trägt die Klägerin zu 45%, die Beklagte zu 55%.

8. Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR 14.371,86.

9. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand
1

Die Parteien streiten über Vergütung sowie Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 23. Dezember 2021 bis zum 14. März 2022 sowie um Urlaubsabgeltung.
2

Die Klägerin ist eine Ärztin … Nationalität. Sie schloss mit der Beklagten, einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis im Bereich der Augenheilkunde, am 29. Juli 2021 den als Anlage K1 beigefügten Arbeitsvertrag als Ausbildungsassistentin zur Fachärztin für Augenheilkunde.
3

Der Arbeitsvertrag, der eine Vergütung i.H.v. 4.500,00 EUR brutto im Monat vorsieht, lautet in § 1 wie folgt:

4

1. Frau S. wird zum 01.09.2021 vom Arbeitgeber als Ausbildungsassistentin zur Fachärztin für Augenheilkunde mit Erlaubnis nach § 10 Bundesärzteordnung an den Standorten H. und S. angestellt.

5

2. Der Vertrag wird wirksam, wenn die Kassenärztliche Vereinigung die Genehmigung zur Weiterbildung von Frau S. erteilt hat. Voraussetzung für diese Genehmigung ist das Vorliegen der Erlaubnis nach § 10 Bundesärzteordnung durch das Regierungspräsidium.
6

Die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufes gemäß § 10 Abs. 1 BÄO wurde der Klägerin mit Schreiben des Regierungspräsidiums S. vom 29. September 2021 für die Zeit vom 4. Oktober 2021 bis zum 3. April 2022 erteilt, Anlage K2. Die vertraglich vorgesehene Genehmigung der kassenärztlichen Vereinigung zur Weiterbildung der Klägerin wurde seitens der Beklagten nicht beantragt und lag zu keinem Zeitpunkt vor. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2021, Anl. K5, erteilte die Stadt H., Ausländerbehörde, eine Bestätigung dahin, dass der Klägerin ab sofort bis zum 3. April 2022 die Beschäftigung als Augenärztin mit Berufserlaubnis im Betrieb der Beklagten gestattet sei. Die Beklagte erhielt insoweit am Nachmittag des 23. Dezember 2021 die als Anl. B3 vorgelegte E-Mail der Stadt H..
7

Die Parteien schlossen zur Ermöglichung der Einreise in die europäische Union am 30. August 2021 den als Anl. B1 vorgelegten „Hospitantenvertrag“. Hiernach sollte die Klägerin unentgeltlich vom Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bis zur „Erteilung der Berufserlaubnis“ (§ 2 Abs. 1 des Vertrages) unentgeltlich bei der Beklagten „zur Aneignung neuen Fachwissens bzw. zur Vertiefung von vorhandenem Wissen und Fähigkeiten, sowie zum Kennenlernen anderer Organisationsformen und Arbeitsweisen hospitieren. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vertrags wird auf Anl. B1 Bezug genommen.
8

Die Klägerin wurde vom 4. Oktober 2022 bis einschließlich 26. Januar 2022 nur mit Tätigkeiten befasst, wie sie Gegenstand des Hospitantenvertrages waren. Ab dem 27. Januar 2022 wurde die Klägerin arbeitsvertragsgemäß beschäftigt. Sie erkrankte ab dem 11. Februar 2022 und kündigte das Arbeitsverhältnis schließlich am 10. März 2022 außerordentlich wegen Vergütungsrückständen zum 14. März 2022, ohne erneut gearbeitet zu haben.
9

Im November 2021 erteilte die Beklagte der Klägerin die als Anl. B2 vorgelegte Abrechnung über 2.000,00 EUR „Gehalt“ sowie 500,00 EUR „Gehaltsvorschuss“ und zahlte den sich hieraus ergebenden Betrag aus. Die Hintergründe dieser Abrechnung sind zwischen den Parteien streitig.
10

Die Beklagte rechnete für den Monat Januar 2021 725,81 EUR brutto ab, zahlte jedoch nur die steuerrechtlichen Abzüge i.H.v. 124,65 EUR sowie die Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. 145,70 EUR. Den Nettoverdienst verrechnete sie mit der Zahlung eines „Vorschusses“ i.H.v. 500,00 EUR. Die Beklagte rechnete für den Monat Februar 2022 4.500,00 EUR brutto ab. Der hieraus resultierende Nettoverdienst i.H.v. 2.806,21 EUR wurde nur i.H.v. 2.261,67 EUR ausbezahlt. Auch hier erfolgte unter anderem der Abzug eines „Vorschusses“ i.H.v. 500,00 EUR. Weitere Zahlungen erfolgten nicht.
11

Die Klägerin trägt vor, seit dem 23. Dezember 2021 habe die fehlende Arbeitserlaubnis vorgelegen. Die Bestätigung der Ausländerbehörde sei der Beklagten zusammen mit der E-Mail vom 23. Dezember 2022 zugegangen. Die Klägerin habe daher von diesem Zeitpunkt an arbeitsvertragsgemäß beschäftigt werden müssen und sei daher von diesem Zeitpunkt an vertraglich mit 4.500,00 EUR brutto im Monat zu vergüten. Zum Abzug von Vorschüssen sei die Beklagte nicht berechtigt, da die Klägerin für die bezahlten 2.500,00 EUR im November 2021 brutto ja auch Arbeitsleistungen erbracht habe; es sei hier nur eine geringere Vergütung vereinbart worden, da die Klägerin noch nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfügt habe. Es sei so gewesen, dass der Klägerin in den ersten zwei Wochen zunächst sämtliche Vorgänge im Betrieb der Beklagten erklärt und gezeigt worden seien. Nach zwei Wochen sei die Klägerin jedoch schon für das Aufbereiten von Spritzen und die Erhebung von Patientenanamnesen zuständig gewesen. In diesem Zusammenhang habe sie auch bestimmte Untersuchungen größtenteils selbstständig durchgeführt. In einer E-Mail an die Freundin der Klägerin, die zwischen den Parteien vermittelt habe, datierend vom 9. November 2021 (Anlage K10), sei seitens der Beklagten bestätigt worden, dass man sich insoweit auf ein Gehalt geeinigt habe. Des Weiteren seien 6,875 Tage Urlaub abzugelten für den Zeitraum des Arbeitsverhältnisses vom 23. Dezember 2021 bis zum 14. März 2022.

12

Der Kläger beantragt:

13

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 14.371,86 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.371,86 EUR seit dem 11.03.2022 zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt:

15

Klagabweisung.
16

Die Beklagte trägt vor, die Klägerin habe am 14. Oktober 2021 mit der Hospitation begonnen. Der Fokus habe auf dem Erlernen der deutschen Sprache und Fachsprache gelegen. Eigenverantwortliche ärztliche Tätigkeiten seien der Klägerin nicht übertragen worden. Im November 2021 habe die Klägerin mitgeteilt, dass sich ihre finanziellen Mittel dem Ende neigen würden. Sie habe die Beklagte um einen Vorschuss gebeten. Zu den Angaben auf der Lohnabrechnung im November 2021 sei es gekommen, weil man sich mit der Klägerin zunächst dahin verständigt habe, dass die Klägerin vorübergehend als medizinische Fachangestellte beschäftigt werden solle. Dieser Vertrag sei jedoch nicht umgesetzt worden, da er mit vielen Formalitäten verbunden gewesen wäre. Der schon erstellte Vertrag sei jedoch bereits an die Lohnbuchhaltung der Beklagten übermittelt worden, weshalb es zu der Bezeichnung von „Gehalt“ in der Lohnabrechnung für den Monat November 2021 gekommen sei. Bei den ausbezahlten 2.500,00 EUR brutto habe es sich daher insgesamt um einen Vorschuss gehandelt. Die E-Mail der Ausländerbehörde der Stadt H. vom 23. Dezember 2021 sei durch die zuständige Mitarbeiterin Frau U. erst am 10. Januar 2022 zur Kenntnis genommen worden. Der Beklagten sei unklar gewesen, ob die Beschäftigung der Klägerin ab sofort zulässig gewesen sei, obwohl der entsprechende Aufenthaltstitel erst am 28. Februar 2022 ausgestellt werden würde. Aus diesem Grunde habe sich die Beklagte bei der Ausländerbehörde Mitte Januar 2022 rückversichert. In der Folgezeit habe die Beklagte zunächst ihre Büroorganisation entsprechend umstellen müssen, um den Einsatz der Klägerin als Ausbildungsassistentin vorzubereiten. Die Klägerin sei daher erst ab 27. Januar 2022 vertragsgemäß zu vergüten. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin ab dem 11. Februar 2022 arbeitsunfähig gewesen sei. Der Aussagewert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert, da sie von Ärzten aus der Region W. erstellt worden seien und nicht von Ärzten am Wohnort der Klägerin in H.. Die Klägerin sei im Übrigen zwischenzeitlich zu ihrer Freundin Frau E. nach W. umgezogen und habe ihre Wohnung in H. aufgegeben. Zudem sei die vierwöchige Wartefrist nach § 3 Abs. 3 Entgeltfortzahlungsgesetz im Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit noch nicht abgelaufen gewesen. Vertraglich seien nur 1,66 Urlaubstage abzugelten, da die Klägerin bei der Beklagten lediglich einen vollen Monat beschäftigt gewesen sei. Letztlich rechne die Beklagte mit ihrem Anspruch auf Rückzahlung des Vorschusses sowie weiterer Überzahlung wegen irrtümlich geleisteter Entgeltfortzahlung gegen den Klageanspruch der Klägerin auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung auf.
17

Die Klägerin erwidert, dass der Beweiswert der von ihr vom 11. Februar bis zum 12. März 2022 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus ihrer Sicht nicht erschüttert sei. Die Klägerin habe ihre einzige Bekannte in Deutschland, Frau E., gebeten, sie wegen ihrer Krankheit abzuholen. Zunächst habe die Klägerin an hohem Fieber und in der Folgezeit an starken Rückenschmerzen gelitten. Die Wohnung der Klägerin sei bereits im Januar auf Ende Februar 2022 gekündigt worden; die Klägerin habe jedoch nach einer neuen Wohnung in H. gesucht.
18

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
19

Die Klage ist zulässig, jedoch nur zum Teil begründet.
I.
20

Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar hat die Klägerin sämtliche aus ihrer Sicht bestehenden Forderungen in einem Antrag zusammengefasst. Aus der Begründung der Klagschrift ergibt sich jedoch präzise, für welche Zeiträume die Klägerin Vergütung bzw. Urlaubsabgeltung begehrt. Es handelt sich insoweit um eine zulässige, abschließende Gesamtklage.
II.
21

Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.

22

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte für den Monat Dezember (24. bis 31. Dezember 2021) einen Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn nach § 615 S. 1 BGB in Höhe von 1.161,29 EUR brutto. Abzüglich des im November 2021 geleisteten Vorschusses in Höhe von Euro 500,00 EUR brutto ergibt sich ein restlicher Anspruch i.H.v. 661,29 EUR brutto.

23

a) Zwischen den Parteien ist ein Arbeitsverhältnis als Ausbildungsassistentin wirksam zustande gekommen mit Erlangung der Berufserlaubnis nach § 10 BÄO am 29. September 2021. Auf das Nichtvorliegen der Genehmigung der KV kann sich die Beklagte nach dem Rechtsgedanken von § 162 BGB hingegen nicht berufen. Die Vorschrift besagt, dass dann, wenn der Eintritt einer Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird, die Bedingung als eingetreten gilt. Die Beantragung der Genehmigung wäre insoweit Aufgabe der Beklagten gewesen. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat diese Genehmigung indes nicht beantragt. Im vorliegenden Rechtsstreit bezüglich der Vergütung aus dem Arbeitsvertrag kann sich die Beklagte daher nicht auf eine Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages aus diesem Grunde berufen.

24

b) Die Klägerin wurde unstreitig erst ab dem 27. Januar 2022 nach dem abgeschlossenen Arbeitsvertrag als Ausbildungsassistentin beschäftigt. Sie kann jedoch Vergütung für die infolge der Nichtzuweisung vertragsgemäßer Tätigkeiten nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung nach § 615 S. 1 BGB verlangen. Die Beklagte befand sich ab dem 24. Dezember 2021 in Verzug mit der Annahme der Leistung der Klägerin.

25

aa) Der Arbeitgeber kommt gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis (zum rückwirkend begründeten vgl. BAG 19. August 2015 – 5 AZR 975/13 – Rn. 22 f.) die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung tatsächlich anbieten, § 294 BGB (BAG 25. Februar 2015 – 1 AZR 642/13 – Rn. 41; 25. Februar 2015 – 5 AZR 886/12 – Rn. 41).

26

bb) Vorliegend war die Klägerin nach Angaben beider Parteien durchgängig in der Praxis der Beklagten anwesend. Ab dem Zeitpunkt des Vorliegens der Arbeitserlaubnis wäre es daher Aufgabe der Beklagten gewesen, der Klägerin vertragsgemäße Tätigkeiten als Ärztin zuzuweisen.

27

cc) Der Annahmeverzug der Beklagten war seit dem 24. Dezember 2021 nicht gemäß § 297 BGB ausgeschlossen.

28

(1) Nach dieser Vorschrift kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist – neben dem Leistungswillen – eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss (BAG 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11 – Rn. 16; 24. September 2014 – 5 AZR 611/12 – Rn. 17).

29

Unerheblich ist die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie zB Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder ihre Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht (zu den Anforderungen hierfür BAG 18. März 2009 – 5 AZR 192/08 – Rn. 15, BAGE 130, 29) oder eine erforderliche Erlaubnis für das Ausüben der geschuldeten Tätigkeit fehlt (BAG 6. März 1974 – 5 AZR 313/73; BAG 18. Dezember 1986 – 2 AZR 34/86 Entzug der Fahrerlaubnis eines als Auslieferungsfahrer beschäftigten Arbeitnehmers; BAG 15. Juni 2004 – 9 AZR 483/03 fehlende bergrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung; BAG 10. April 2014 – 2 AZR 812/12 – Rn. 27 ff. Entzug der missio canonica einer Gemeindereferentin; BAG 27. Mai 2015 – 5 AZR 88/14 – Rn. 17 Entzug der Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen nach SÃœG; BAG 23. September 2015 – 5 AZR 146/14 – Rn. 15 ff. Entzug der für eine Tätigkeit bei den US-Streitkräften erforderlichen Einsatzgenehmigung; siehe auch die Beispiele bei MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 615 Rn. 30; HWK/Krause 6. Aufl. § 615 BGB Rn. 55).

30

(2) Bis zum 23. Dezember 2021 konnte die Beklagte nicht in Annahmeverzug geraten, da die Klägerin im Sinne von § 297 BGB außerstande war, die Arbeitsleistung zu erbringen: Bis zu diesem Zeitpunkt lag nämlich die Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde noch nicht vor mit der Folge, dass die Bekl. die Kl. nicht beschäftigen durfte, § 4a Abs. 4 AufenthG.

31

Die Arbeitserlaubnis wurde indes am 23. Dezember 2021 durch die Ausländerbehörde der Stadt H. erteilt (vorgelegt als „Bestätigung“ in Anl. K5), was der Beklagten mit E-Mail vom gleichen Tage auch mitgeteilt wurde. Auch dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Wenn die Beklagte nunmehr von der zu diesem Zeitpunkt zugegangenen E-Mail erst am 10. Januar 2022 Kenntnis nahm, unterfällt dies ihrem betrieblichen Risiko. Dasselbe gilt in Bezug auf die Behauptung, zunächst habe es einer betrieblichen Umorganisation bedurft, um die Klägerin einsetzen zu können.

32

c) Die Beklagte schuldet der Klägerin daher für den Monat Dezember 2021 anteiligen Verzugslohn i.H.v. 8/31 von 4.500,00 EUR brutto; mithin 1.161,29 EUR brutto. Hiervon war die Beklagte berechtigt, einen Vorschuss i.H.v. 500,00 EUR brutto abzuziehen.

33

aa) Der Arbeitgeber darf ohne Rücksicht auf die Pfändungsgrenzen (§ 394 BGB iVm. §§ 850 a ff. ZPO) im Wege der Verrechnung nur Vorschüsse von der verdienten Vergütung in Abzug bringen (BAG 15. März 2000 – 10 AZR 101/99). Dazu bedarf es keiner Aufrechnungserklärung nach § 388 BGB (BAG 13. Dezember 2000 – 5 AZR 334/99). Ein Vorschuss ist eine vorweggenommene Vergütungstilgung. Bei einer Vorschussgewährung sind sich Vorschussgeber und Vorschussnehmer darüber einig, dass der letztere Geld für eine Forderung erhält, die entweder noch gar nicht entstanden oder nur aufschiebend bedingt entstanden oder zwar entstanden, aber noch nicht fällig ist. Beide Teile sind sich weiterhin darüber einig, dass der Vorschuss auf die Forderung zu verrechnen ist, wenn die Forderung unbedingt entsteht oder fällig wird. Entsteht die Forderung nicht oder nicht zeitgerecht, ist der Vorschussnehmer verpflichtet, den erhaltenen Vorschuss dem Vorschussgeber zurückzugewähren (BAG 15. März 2000 – 10 AZR 101/99). Wird der Vertrag beendet, ist der Vorschuss auszugleichen; er kann mit dem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers verrechnet werden (BAG 13. Dezember 2000 – 5 AZR 334/99). Die Leistung muss aber eindeutig als Vorschuss bestimmt sein (BAG 25. September 2002 – 10 AZR 7/02).

34

bb) Die Kammer kommt vorliegend zu dem Schluss, dass lediglich in Höhe von 500,00 EUR brutto ein Vorschuss im November 2021 bezahlt worden ist. Hierbei kommt es auf die Frage, ob zunächst die Klägerin einen Vorschuss für künftige Tätigkeiten oder ein Gehalt für ihre aktuelle Tätigkeit im November forderte, nicht an. Vielmehr ergibt sich auch aus dem Vortrag der Beklagten, dass es keine Vereinbarung eines Vorschusses i.H.v. 2.500,00 EUR brutto gab, die gegenüber der Klägerin auch eindeutig als solche bezeichnet worden ist. Vielmehr wurden nach dem von der Klägerin geäußerten Wunsch, sie finanziell zu unterstützen, zwischen den Parteien verschiedene Modelle diskutiert und sogar ein gesonderter Arbeitsvertrag als medizinische Fachangestellte abgeschlossen, der dann jedoch nicht umgesetzt wurde. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dann die Zahlung der weiteren 2.000,00 EUR brutto im November als Zahlungszweck die Bezeichnung „Gehalt“ ausweist, klar abgegrenzt von der weiteren Zahlung von 500,00 EUR „Gehaltsvorschuss“, ergibt sich weder ausdrücklich noch konkludent, dass die Parteien ausschließlich eine Vorschusszahlung auf künftige Vergütungsansprüche vereinbart haben.

35

Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass, nachdem man ursprünglich den Vorschuss unter Zeugen besprach, aber danach noch die Beschäftigung als MFA in Betracht zog, jedenfalls ein Hinweis seitens der Beklagten erfolgte, dass die 2.500,00 Euro nunmehr insgesamt als Vorschuss bezahlt würden. Noch am 9. November 2021 schrieb darüber hinaus Frau U. an die Freundin der Klägerin, Frau E., die als Anlage K10 vorgelegte E-Mail, wonach man sich auf ein Gehalt als medizinische Fachangestellte geeinigt habe und zusätzlich ein Teil des Arztgehaltes als Vorschuss bezahlt werde. Sodann wurden das Gehalt i.H.v. 2.000,00 EUR und ein Vorschuss i.H.v. 500,00 EUR mit der Novemberabrechnung abgerechnet und ausbezahlt.

36

Inwieweit die Klägerin für ihre Tätigkeit in der Praxis vor dem 24. Dezember 2021 zu Recht eine Vergütung i.H.v. 2.000,00 EUR bezogen hat oder insoweit ungerechtfertigt bereichert sein könnte, kann vorliegend dahinstehen. Die Vergütung für den dem 24. Dezember 2021 vorangegangenen Zeitraum ist nicht streitgegenständlich. Hinsichtlich der erklärten Aufrechnung wird auf unten stehende Ausführungen im Rahmen der Urlaubsabgeltung verwiesen.

37

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 4.500,00 EUR brutto für den Monat Januar 2022 abzüglich bereits bezahlter und in der Lohnabrechnung für den Monat Januar 2022 ausgewiesener Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Der Anspruch der Klägerin folgt für den Zeitraum 1. bis 26. Januar 2022 aus § 615 S. 1 BGB und danach aus § 611a Abs. 2 BGB.

38

Hinsichtlich des Annahmeverzugszeitraums bis einschließlich 26. Januar 2022 wird auf die Ausführungen unter 1.b) verwiesen. Ab dem 27. Januar 2022 wurde die Klägerin sodann vertragsgemäß beschäftigt. Ihr Vergütungsanspruch folgt aus § 611a Abs. 2 BGB.

39

Da die Beklagte für den Monat Januar 2022 bereits 725,81 EUR abgerechnet und insoweit auch die Abgaben entrichtet hat, waren diese abzuziehen. Zur Verrechnung eines weiteren Vorschusses war die Beklagte, wie bereits dargestellt, indes nicht berechtigt.

40

3. Für den Monat Februar 2022 steht der Klägerin restliche Vergütung sowie Entgeltfortzahlung in Höhe von 544,54 EUR netto zu. Die Beklagte hat hier 4.500,00 EUR ordnungsgemäß abgerechnet, jedoch nur 2.261,67 netto ausbezahlt, woraus ein restlicher Nettobetrag i.H.v. 544,54 EUR resultiert.

41

a) Der Anspruch der Klägerin auf Vergütung folgt bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit aus § 611a Abs. 2 BGB.

42

b) Ab Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat die Klägerin einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz.

43

aa) Das Arbeitsverhältnis bestand jedenfalls ab 1. September 2021 und wurde wirksam mit Vorliegen der Berufserlaubnis gem. § 10 BÄO am 29. September 2021, sodass die vierwöchige Frist nach Abs. 3 der Vorschrift zum Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung verstrichen war. Selbst wenn man im Hinblick auf den Beginn der Frist erst auf die tatsächliche Praktizierung des Arbeitsverhältnisses ab Vorliegen der Arbeitserlaubnis abstellen möchte, ergibt sich nichts anderes.

44

bb) Die Klägerin hat Beginn und Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit substantiiert dargelegt; das Vorbringen der Beklagten war nicht geeignet, den Aussagewert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.

45

(1) Nach den allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (BAG 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 16; BAG 8. September 2021 – 5 AZR 149/21). Er kann sich hierbei zunächst auf die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Es ist dann Aufgabe des Arbeitgebers, deren Aussagewert zu erschüttern: Der Arbeitgeber kann Tatsachen vortragen, die den Aussagewert des Attestes nachhaltig infrage stellen (z.B. anderweitige Erwerbstätigkeit, Fernbleiben von einer Untersuchung durch den MDK, plötzliche Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrages, Regelbeispiele von § 275 Abs. 1a SGB V). Gelingt es dem Arbeitgeber, den Wert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist es wiederum Sache des Arbeitnehmers, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben und welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat. Grundsätzlich ist hierbei zu beachten, dass einer ärztlich ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Aussagewert zukommt. Es handelt sich hierbei zwar nicht um eine gesetzliche Vermutung im Sinne von § 292 ZPO, welche nur den Beweis des Gegenteils zuließe; ein bloßes Bestreiten des Arbeitgebers reicht zur Erschütterung aber ebenso wenig aus wie Mutmaßungen oder zweideutige Indizien (BAG 8. September 2021 – 5 AZR 149/21).

46

(2) Soweit die Beklagte moniert, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von einem Arzt aus dem Großraum W. ausgestellt wurden, ist dieser Vortrag nicht geeignet, die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu entkräften. Die Klägerin, welche sich erst seit wenigen Monaten dauerhaft in Deutschland aufhält, hat nachvollziehbar dargestellt, dass sie während der Zeit ihrer Erkrankung bei ihrer einzigen Bekannten in W. gepflegt werden wollte. Dies ist aus Sicht der Kammer nachvollziehbar. Auch die Tatsache, dass die Klägerin einen Monat später ihr Arbeitsverhältnis gekündigt hat, führt nicht dazu, dass der Aussagewert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert wäre. Insbesondere lässt sich der Fall nicht mit dem Fall der zeitlichen Koinzidenz von Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist vergleichen. Gleiches gilt für den beabsichtigten Wohnungswechsel der Klägerin innerhalb von H. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihren Wohnsitz bereits Mitte Februar endgültig nach W. verlegt hat, wurden von der Beklagten nicht vorgetragen.

47

4. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1. bis zum 14. März 2022 einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung i.H.v. 2.032,26 EUR brutto. Dies entspricht 14/31 der vereinbarten Monatsvergütung.

48

5. Der Klägerin steht zudem ein Anspruch auf Abgeltung für 3,3 Urlaubstage i.H.v. 685,38 EUR brutto zu, § 7 Abs. 4 BUrlG.

49

a) Die Klägerin begehrt die Abgeltung der Urlaubsansprüche, die im Zeitraum vom 23. Dezember 2021 bis zum 14. März 2022 angefallen sind (Klageschrift, Seite 3). Dieser Zeitraum deckt zwei volle Kalendermonate ab.

50

b) Ausweislich § 7 Nr. 7 des Arbeitsvertrages soll nach dem Vertragswillen lediglich der gesetzliche Mindesturlaub abgegolten werden. Diese Kürzungsregelung verstößt gegen kein Klauselverbot und ist auch nicht intransparent (LAG Nürnberg 2. März 2021 – 7 Sa 347/20). Bei den arbeitsvertraglichen Regelungen zum Zusatzurlaub, der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgeht, sind die Parteien des Arbeitsvertrages in ihrer Regelungsmacht frei und nicht durch die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes oder ihre richtlinienkonforme Ausgestaltung durch EuGH und BAG gebunden, BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09.

51

c) Ausgehend von 20 Urlaubstagen ergibt sich für zwei volle Kalendermonate ein Urlaubsanspruch von 3,3 Tagen. Unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehaltes i.H.v. 4.500,00 EUR und einer Fünftagewoche ergibt sich ein Urlaubsabgeltungsbetrag i.H.v. 685,38 EUR brutto.

52

d) Die beklagtenseits erklärte Aufrechnung mit eventuellen Gegenforderungen ist bereits unzulässig. Zum einen kann nicht gegenüber Bruttoansprüchen aufgerechnet werden, da es an der Gegenseitigkeit fehlt (BAG 22. März 2000 – 4 AZR 120/99; LAG Niedersachsen 26. Januar 2007 – 10 Sa 408/06). Des Weiteren ist eine Aufrechnung nur zulässig gegenüber pfändbaren Beträgen, § 394 BGB. Beides wäre von der aufrechnenden Partei darzulegen, BAG 5. Dezember 2002 – 6 AZR 569/01. Auf das Bestehen einer Gegenforderung kommt es daher nicht an.

53

6. Die Zinsansprüche ergeben sich aus §§ 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB. Für die Fälligkeit der Vergütungsansprüche war arbeitsvertraglich (§ 5 Nr. 3) eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, weshalb sich die Beklagte jedenfalls ab dem ersten Kalendertag des jeweiligen Folgemonats in Verzug befand und den gesetzlichen Verzugszins zu bezahlen hat. Diese Ansprüche wurden jedoch begrenzt durch den Klagantrag, welcher auf Zinszahlung seit dem 11. März 2022 gerichtet ist. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung wurde fällig mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weshalb Zinsen ab dem Folgetag zu bezahlen sind.
III.
54

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO. Sie folgt den Unterliegensverhältnissen.
55

Die Streitwertfestsetzung gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG ergibt sich aus der Summe des Nennwerts der Forderungen.
56

Ein Grund zur Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG ist nicht gegeben. Die Berufung ist gleichwohl für beide Parteien. Statthaft gemäß § 64 Abs. 2 lit. b. ArbGG.

Share

Ãœber den Autor

RA Moegelin administrator

Blogverzeichnis TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste Blogverzeichnis Bloggerei.de