Jahresarchiv 9. Juli 2022

VonRA Moegelin

Betriebsbedingte Kündigung trotz Elternzeit

Share

Der Arbeitgeber kann seiner Arbeitgeberin auch während der Elternzeit eine Änderungskündigung aus betriebsbedingten Gründen erteilen. Eine betriebsbedingte Kündigung ist daher wirksam.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 15/22 vom 06.07.2022:

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Kündigung einer Arbeitnehmerin während der Elternzeit als wirksam erachtet und damit eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Potsdam bestätigt.

Die Arbeitnehmerin hat sich gegen eine von ihrer Arbeitgeberin während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene Änderungskündigung gewandt. Das hierfür zuständige Integrationsamt hatte zuvor dieser Kündigung während der Elternzeit zugestimmt.

Bei einer Änderungskündigung handelt es sich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen. Durch die hier angebotene Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Die Arbeitnehmerin hat das Änderungsangebot der Arbeitgeberin abgelehnt und sich gegen die Kündigung gewandt.

Das Arbeitsgericht Potsdam hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen, weshalb eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr möglich gewesen sei. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamtes der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen anbieten dürfen. Da die Klägerin das Änderungsangebot nicht angenommen hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen.

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Juli 2022, Az. 16 Sa 1750/21

Share
VonRA Moegelin

Kündigung eines Flugzeugkapitäns wegen Flottenreduzierung

Share

Die Kündigung eines Flugzeugkapitäns wegen Flottenreduzierung ist unwirksam. Die Kündigung ist jedenfalls aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl rechtsunwirksam, weil der Arbeitgeber, eine Fluggesellschaft, die gemäß § 1 Abs. 3 KSchG vorgesehene Sozialauswahl nicht bundeseinheitlich vornehmen durfte.

Volltext der Pressemitteilung des Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 10.06.2022:

Der Kläger war seit dem 01.11.1999 bei der Beklagten, einer Fluggesellschaft, zuletzt als Kapitän beschäftigt. Am 05.03.2021 schlossen die Beklagte und die Gesamtvertretung Bordpersonal einen Interessenausgleich. Zu der geplanten Betriebsänderung hieß es dort, dass die Beklagte ihre Flotte auf 22 Flugzeuge reduzieren und sechs ihrer derzeit unterhaltenden Stationen vollständig und dauerhaft schließen werde. Weiter hieß es, dadurch sei im Bereich des Cockpit- und Kabinenpersonals die Beschäftigtenzahl anzupassen. Dabei dürfte die tariflich vereinbarte Zahl von 370 Cockpitmitarbeitenden nicht unterschritten werden. Der tatsächliche Bedarf an Cockpitpersonal liege – so der Vortrag der Beklagten – aufgrund der Betriebsänderung sogar nur noch bei 340. Mit Schreiben vom 27.03.2021 kündigte die Beklag-te das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich betriebsbedingt zum 31.12.2021.

Mit seiner Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen die betriebsbedingte Kündigung. Das noch vorhandene Cockpitpersonal sei nicht in der Lage, ohne überobligatorische Arbeit das verbliebene Flugaufkommen zu bedienen. Alle Mitarbeitenden müssten Mehrflugstunden leisten. Die Sozialauswahl sei zudem nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Die Beklagte erachtet die Kündigung für wirksam. Der Beschäftigungsbedarf für den Kläger sei entfallen. Die Sozialauswahl habe sie zutreffend einheitlich und bundesweit bezogen auf alle Stationen durchgeführt.

Ebenso wie bereits die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (Urteile vom 24.03.2022, PM Nr. 05/22) hat die 6. Kammer der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Kündigung ist jedenfalls aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl rechtsunwirksam. Die Beklagte durfte die gemäß § 1 Abs. 3 KSchG vorgesehene Sozialauswahl nicht bundeseinheitlich vornehmen. Diese ist nur innerhalb der Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzuführen. Diese Gruppe wird durch die arbeitsvertraglich vorgesehene Versetzbarkeit begrenzt. In einer Vielzahl von Arbeitsverträgen hatte die Beklagte mit dem Cockpitpersonal einen sog. „dienstlichen Wohnsitz“ vereinbart, ohne sich die Versetzung an einen anderen Ort ausdrücklich vorzubehalten. Auch der Arbeitsvertrag des Klägers enthielt die Vereinbarung eines „dienstlichen Wohnsitzes“, nämlich den Ort seiner Station. Im Ãœbrigen hieß es in dem Arbeitsvertrag lediglich, dass die Beklagte sich für die Zeit der Einarbeitung die Versetzung an einen anderen Ort vorbehielt. Bei dieser vertraglichen Situation durfte die Beklagte den Kläger nach der Einarbeitung nicht an eine andere Station versetzen. Die Vergleichbarkeit der zu Kündigenden war mithin auf die Station begrenzt. Weil die Beklagte eine davon abweichende falsche bundesweite Sozialauswahl vorgenommen hatte, war die Kündigung des Klägers gemäß § 1 Abs. 3 KSchG wegen fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt und deshalb rechtsunwirksam.

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat auf der Grundlage eines anderen Sachvortrags in diesem Verfahren anders als die 13. Kammer die Revision zugelassen. Klärungsbedürftig ist die Frage der Versetzbarkeit von Flugkapitäninnen und Flugkapitänen bei Vereinbarung eines „dienstlichen Wohnsitzes“ im Arbeitsvertrag ohne ausdrücklichen Versetzungsvorbehalt.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.06.2022 – 6 Sa 1118/21

Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23.11.2021 – 5 Ca 1876/21

„Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

§ 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. …

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. …“

Share
VonRA Moegelin

Urlaubsanspruch bei Wechselschichttätigkeit

Share

Nach Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sind bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Freischichten nicht zu berücksichtigen, wenn diese bei Fälligkeit des Urlaubsanspruchs zu Beginn des Kalenderjahres nicht dienstplanmäßig feststehen.
Die Klägerin ist bei dem beklagten Land im Gefangenenbewachungsdienst in Wechselschicht beschäftigt. Das beklagte Land stellt die Dienstpläne für das jeweils folgende Kalenderjahr vor Beginn des Jahres auf und sieht bei der Dienstplanung einen durchgehenden Turnus im gesamten Kalenderjahr ohne Einplanung von Freischichten, Urlaubstagen und Zusatzurlaubstagen vor. Die Dienstpläne haben einen von der 5-Tage-Woche abweichenden Schicht-Rhythmus. Aufgrund der Abweichung ist die Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 26 Absatz 1 Satz 4 TV-L gesondert zu berechnen. Dies erfolgt nach der Formel:

Urlaubstage x Arbeitstage im Jahr bei abweichender Verteilung
___________________________________________________
Arbeitstage im Jahr bei einer Fünftagewoche.

Streit besteht zwischen den Parteien darüber, wie die in der Formel einzusetzenden Arbeitstage zu ermitteln sind. Das beklagte Land hat bei der Ermittlung der Arbeitstage der Klägerin die durchschnittlich zum Zwecke der Einhaltung der tariflichen Jahresarbeitszeit in der Wechselschicht zu gewährenden Freischichten von den dienstplanmäßig vorgesehenen Schichten in Abzug gebracht. Die Freischichten seien in Abzug zu bringen, weil während dieser Schichten keine Arbeitspflicht bestehe. Die Klägerin hält den Abzug der Freischichten von den dienstplanmäßigen Arbeitstagen für unzulässig und hat auf die Feststellung weiterer Urlaubstage geklagt.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Bei einer von der 5 Tage-Woche abweichenden Verteilung der Arbeitszeit sei zu ermitteln, an wie vielen Kalendertagen dienstplanmäßig gearbeitet werden muss oder – in Fällen des nachträglichen Wegfalls der Arbeitspflicht, etwa wegen Arbeitsunfähigkeit, Urlaubs oder sonstiger Freistellung – hätte gearbeitet werden müssen. Bei einem zu Beginn des Kalenderjahres durchgängig für das gesamte Jahr aufgestellten Dienstplan ohne Einplanung von Freischichten seien Arbeitstage alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten für einen Arbeitseinsatz in der Tag- oder Nachtschicht vorgesehen seien. § 26 Absatz 1 Satz 3 TV-L regele ausdrücklich, dass Arbeitstage solche Kalendertage seien, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig zur Arbeit vorgesehen seien. Nachträgliche Änderungen des Dienstplans hätten keinen Einfluss auf den Jahresurlaubsanspruch, der am 01.01. des Kalenderjahres fällig sei und genommen werden könne. Es könne nicht erst am Jahresende rückblickend geprüft und festgestellt werden, wie viele Freischichten an ursprünglich geplanten Arbeitstagen tatsächlich gewährt worden seien – im Falle der Klägerin deutlich weniger als die durchschnittlich zu gewährenden Freischichten.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.

Pressemitteilung Nr. 13/22 vom 24.06.2022
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Mai 2022, Az. 23 Sa 1135/21

§ 26 TV-L
(1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage. Arbeitstage sind alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig oder betriebsüblich zu arbeiten haben oder zu arbeiten hätten, mit Ausnahme der auf Arbeitstage fallenden gesetzlichen Feiertage, für die kein Freizeitausgleich gewährt wird. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt werden; er kann auch in Teilen genommen werden.
Protokollerklärung zu § 26 Absatz 1 Satz 6:
Der Urlaub soll grundsätzlich zusammenhängend gewährt werden; dabei soll ein Urlaubsteil von zwei Wochen Dauer angestrebt werden.
(2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben: a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten. b) Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, steht als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1 zu; § 5 Bundesurlaubsgesetz bleibt unberührt. c) Ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel. d) Das Entgelt nach Absatz 1 Satz 1 wird zu dem in § 24 genannten Zeitpunkt gezahlt.

Share
VonRA Moegelin

Schmerzensgeld wegen Corona-Einschränkungen

Share

Mit Urteil vom 18. Mai 2022 hat die 2b.-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (2b O 100/21) die Klage eines fünfjährigen Mädchens auf Schmerzensgeld aufgrund von Corona-Einschränkungen iin einer Kindertageseinrichtung zurückgewiesen.

Zwischen März und Mai 2021 hatte die beklagte Stadt Neuss drei Mal für jeweils acht bis zehn Tage die häusliche Quarantäne der fünfjährigen Klägerin angeordnet. Grund war jeweils ein Corona-positiv-Test eines anderen Kindes in der Kindertageseinrichtung. Weder das Kind noch seine Eltern gingen 2021 gegen die Bescheide der Stadt Neuss vor. Vor der Amtshaftungkammer des Landgerichts Düsseldorf verlangte das fünfjährige Mädchen, vertreten durch seine Eltern, jetzt Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 7.000,– €, also 250,– € für 28 Tage, weil die Quarantäneanordnung rechtswidrig und unverhältnismäßig gewesen sei.

Die Amtshaftungskammer des Landgerichts Düsseldorf wies die Klage mangels Bestehens eines Amtshaftungsanspruchs ab. Die Stadt Neuss habe als notwendige Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung im Sinne von § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz Ansteckungsverdächtige unter Quarantäne stellen dürfen. Das fünfjährige Kind sei ansteckungsverächtig gewesen, nachdem in seiner Gruppe in der Kindertageseinrichtung ein Kind mit einem PCR-Test positiv auf den Corona-Virus getestet worden sei. Ein PCR-Test sei nach wissenschaftlicher Einschätzung uneingeschränkt geeignet zur Erkennung einer Covid-19-Infektion. Und im Rahmen des üblichen Kindergartenalltags müsse davon ausgegangen werden, dass Kinder aus einer Gruppe sich auch über eine Dauer von mehr als 10 Minuten in einem Abstand von weniger als 1,5m befinden, was der Definition einer engen Kontaktperson entspreche. Die Dauer der angeordneten Quarantäne entspreche den im Frühjahr 2021 geltenden Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und sei nicht zu beanstanden. Insbesondere habe die beklagte Stadt Neuss bei der Dauer der Quarantäneanordnung verhältnismäßig gehandelt.

(Pressemitteilung vom 18.05.2022)
Das Urteil wird demnächst veröffentlicht auf www.nrwe.de. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann beim Oberlandesgericht Düsseldorf Berufung gegen das Urteil einlegen.

Share
VonRA Moegelin

Beschäftigungsverbot nach IFSG und Annahmeverzugslohn

Share

Ein bereits vor dem 15.03.2022 in einem Krankenhaus beschäftigter Auszubildender hat nach einer unwirksamen Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses auch ohne Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG Anspruch auf Annahmeverzug gegen seinen Arbeitgeber. Es besteht nach § 20a Abs. 1 und Abs. 2 IfSG kein gesetzliches Beschäftigungsverbot, welches den Anspruch des Auszubildenden auf Annahmeverzugslohn nach § 297 BGB ausschließen würde.

Der Kläger war seit Oktober 2019 bei der Beklagten, einem regionalen Krankenhaus, als Auszubildender zum Gesundheits- und Krankenpfleger beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis des Klägers mit Kündigungsschreiben vom 01.12.2021 fristlos, nachdem dieser u.a. in dem Testzentrum der Beklagten seine Maske unter die Nase zog und auf eine Anweisung des Geschäftsführers, seine Maske ordnungsgemäß zu tragen, nicht sogleich reagierte. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und begehrte Annahmeverzugslohn für den Zeitraum ab Dezember 2021 bis April 2022 von der Beklagten. Der Kläger ist nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft oder hiervon genesen.

Die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn hat mit einem Urteil vom 18.05.2022 entschieden, dass die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses des Klägers mangels vorheriger Abmahnung unwirksam ist. Weiterhin hat das Arbeitsgericht Bonn dem Kläger trotz der Einführung der sog. „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ ab dem 15.03.2022 und trotz der fehlenden Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn zugesprochen.

Nach dem Ausspruch einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung steht einem Auszubildenden grundsätzlich nach §§ 17 Abs. 1, 10 Abs. 2 BBiG i.V.m. § 615 Satz 1 BGB, 293 ff BGB Annahmeverzug betreffend seiner Ausbildungsvergütung gegen den Arbeitgeber zu. Zum 15.03.2022 ist jedoch mit § 20a IfSG eine sog. „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ in Kraft getreten, die u.a. für Krankenhäuser vorsieht, dass alle dort tätigen Personen über einen Impf- oder Genesenennachweis gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 verfügen müssen, welche sie dem Einrichtungsleiter vorlegen müssen.

Im Hinblick auf die Rechtsfolge der fehlenden Vorlage eines Impf- bzw. Genesenennachweises differenziert die gesetzliche Regelung in § 20a Abs. 2 und Abs. 3 IfSG jedoch danach, ob ein Arbeitnehmer bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigt war oder erst ab dem 16.03.2022 neu eingetreten ist. Ausschließlich für ab dem 16.03.2022 neu eintretende Arbeitnehmer ist in § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG ein Beschäftigungsverbot ausdrücklich gesetzlich geregelt. Für die bereits vor dem 15.03.2022 beschäftigten Arbeitnehmer, welche dem Einrichtungsleiter keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen, besteht hingegen lediglich eine Meldepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt. Dieses kann sodann nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG im Wege einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot erlassen. Da der Kläger bereits vor dem 15.03.2022 bei der Beklagten beschäftigt war und ein behördliches Betretungs- und Tätigkeitsverbot für ihn nicht vorlag, war die Beklagte auch über den 15.03.2022 hinaus verpflichtet, dem Kläger Annahmeverzugslohn zu zahlen.

vgl. Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.06.2022

Die Entscheidung kann demnächst in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE (www.nrwe.de) unter Eingabe des Aktenzeichens – 2 Ca 2082/21 – aufgerufen werden.

Sarah Dempke
Pressesprecherin des Arbeitsgerichts Bonn

Share
VonRA Moegelin

Kündigung wegen gefälschtem Genesenennachweis

Share

Die fristlose Kündigung eines Justizbeschäftigten ist gerechtfertigt bei Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines erforderlichen tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises. Eine vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich.

Volltext der Pressemitteilung Nr. 12/22 vom 30.05.2022 des Arbeitsgerichts Berlin:

Die Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines erforderlichen tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden und eine Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Nach § 28b Absatz 1 Infektionsschutzgesetz in der vom 24.11.2021 bis 19.03.2022 gültigen Fassung durften Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur nach Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines tagesaktuellen Tests im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung betreten. Der als Justizbeschäftigter bei einem Gericht tätige Kläger legte einen Genesenennachweis vor, obwohl bei ihm keine Corona-Erkrankung festgestellt worden war und erhielt so Zutritt zum Gericht ohne Vorlage eines aktuellen Tests oder Impfnachweises. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Genesenennachweis um eine Fälschung handelte, erklärte das Land Berlin als Arbeitgeber nach Anhörung des Justizbeschäftigten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Kündigung ist nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts wirksam, der erforderliche wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Der Arbeitgeber habe einen Zutritt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 28b Absatz 1 Infektionsschutzgesetz gewähren dürfen. Den hier geregelten Nachweispflichten komme auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb sei die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung dieser geltenden Nachweispflichten eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten. Eine vorherige Abmahnung dieses Sachverhaltes sei nicht erforderlich. Es sei für den Kläger als Justizbeschäftigten ohne weiteres erkennbar gewesen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde. Auch im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von drei Jahren überwiege das arbeitgeberseitige Interesse an einer sofortigen Beendigung.

Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 26.04.2022, Aktenzeichen 58 Ca 12302/21

Share
Blogverzeichnis TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste Blogverzeichnis Bloggerei.de